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Friedrich Hirschl: Stilles Theater

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Timo Brandt

Anverwandeln & Beleben von leichter Hand


„Der Fluss scheint
mehrere seiner Probleme
auf einmal einzukreisen

Und ihnen
auf den Grund
zu gehen“
               
Kein Gedicht in dem unaufgeregten Band von Friedrich Hirschl, der mit Stilles Theater einen passenden Titel trägt, ist länger als eine Seite; meistens sind es nur wenige Zeilen. Die Gedichte verlaufen fast immer nach demselben Muster: eine Anverwandlung geschieht, die in einer hauchdünnen Transzendierung mündet, die meist eher etwas Spielerisches und nichts Tiefschürfendes hat. Etwas Lockerleichtes, -lichtes.

Obwohl diese Miniaturen kein größeres poetisches Potenzial generieren, gelingt ihnen gerade durch ihre Schlichtheit, ihre kurze Darbietung, ein eigenwillige Verdichtung: sie bleiben dadurch sehr nah am Augenblick, am Eindruck, den sie illustrieren, auch wenn die Begegnung nicht essentiell vertieft wird – sie hat aber oft eine eigene, kleine, unwillkürliche Tiefe, auf die Hirschl sich bewusst verlässt. Zum Beispiel wenn er über frischen Schnee schreibt:

„Er wird nicht müde
jeden meiner Schritte
zu kommentieren

Könnte ich ihn
doch nur verstehen.“

Nicht unbedingt ein Gedicht, das den Horizont erweitert; aber es verlässt sich geschickt darauf, dass der Leser mit diesem einfachen Bild viel anfangen kann, denn etwas beschwört so etwas wie den kleinsten poetischen Nenner. Hirschl aber erkennt, dass dieser Nenner eben nicht profan ist und wir ihn auch nicht so wahrnehmen.
 

 
Und so sind die Gedichte wie Finger, die kurz unsere nostalgischen Saiten anschlagen: unserem Sinn für die Kleinigkeiten am Wegrand, den wenig besonderen Erscheinungen, dem Übersehenen geben sie Zuspruch. Manchmal etwas zu zuckersüß oder freudig, zum Beispiel wenn es heißt:

„Hoffnungsvoll
trägst du
deinen gelben Regenschirm
gleich einer Sonne
im strömenden Regen

Als ließe sich so
der Himmel
umstimmen“
             
aber manchmal auch sehr genau die Dimensionen eines Eindrucks abtastend, auslotend, auf kleinstem Raum. Hirschl arbeitet dabei auch nicht nur visuell, sondern auch mit auditiv, z.B. gibt es ein Gedicht über Kirchenglocken, das so beginnt:

„Der Wind möchte
schier verzweifeln

So sehr er sich auch müht
sie zum Läuten zu bringen

Sie schweigen
eisern“
           
Ich höre das Pfeifen des Windes, sehe das Gusseiserne, weiß um den schweren Klang, das Läuten, spüre die Kälte des Metalls oder des Windes, versuche den Unterschied zu fühlen. Diese Prägnanz, die sich aus dem Anspielen, dem Triggern, ergibt, ist der kleine Geniestreich, den die Gedichte von Hirschl in aller Unvollkommenheit und Kürze vollbringen. Ein Beleben, das überbordend sein kann oder auch feingliedrig. Über ein Herbstblatt schreibt er zunächst:

„Es fiel
vor Müdigkeit
vom Baum

Nun hat es
sich eingerollt
um nur noch
zu schlafen“

Eine fast schon allzu profane, zu dünne Poetisierung, eigentlich nur eine Kamerafahrt (auch wenn sie natürlich poetisch klingt, diese Vorstellung, dass all die Blätter, um den Baum herumliegend, schlafen, während der Baum selbst zum Wachsein verdammt ist). Doch dann heißt es an anderer Stelle:

„Grün
und gelb

Und
wie von
später Liebe
tiefrot eingefärbt“

Die Verbindung des Herbstes mit der Idee von „später Liebe“ wird die meisten Leser*innen jetzt auch nicht gerade in Begeisterungs- oder Bewunderungsstürme ausbrechen lassen. Aber diese zärtliche Zurückgezogenheit hat etwas für sich, meine ich. Mich hat dieser Band, trotz der Leichtigkeit, die man ihm vorwerfen, oder der Seichtheit, die man ihm unterstellen könnte, irgendwie berührt. Jede(r) kann ja selbst anhand der Beispiele entscheiden, was dran ist an meinen Deutungen. Hier zuletzt noch ein Ausschnitt aus einem Gedicht über Ackerwinden:

„Ihre Blüten
wie die Trichter
kleiner Grammofone

Ausnahmsweise
werden wir
nicht beschallt
Bekommen nur
Stille zu hören“
                 

Friedrich Hirschl: Stilles Theater. Gedichte. Viechtach (Edition Lichtung) 2017. 144 Seiten. 15,90 Euro.
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