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Franziska Füchsl: rätsel in großer schrift

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Timo Brandt

Schatzsuchend im Labyrinth der Sprache, mit dem Minotaurus Tod in der Mitte


„die fragen der kreuzworträtsel fragen nicht, sie sagen : ist gleich.“

Textblöcke, kleinere und größere, unterschiedlich verteilt, positioniert. Manchmal auf zwei Seiten, manchmal auf einer, dann mit Blöcken auf der anderen Seite, die aussehen wie die Felder eines selbstgemachten Kreuzworträtsels.

In einem Kreuzworträtsel berühren sich die Wörter, bilden Kreuzungen. Durch die Gemeinsamkeit eines einzelnen Buchstabens treffen sie aufeinander, strecken sich von dort aus und fallen doch zusammen. Es kreuzen sich Zungen und Ideen, Fragen und Antworten ergänzen sich perfekt. Ein Chaos und gleichsam eine Utopie.

„jemand setzt an, von der zeile, von der theke her das wort zu ergreifen. es fällt mit der tasse – die zum flüstern gebrachten sachen, die sich an der luft reiben, sachte sachte, vor dem aufprall“

Obwohl es in Franziska Füchsls Debütband „Rätsel in großer Schrift“ viel um das Kreuzworträtsel als Sinnbild und Ort der Handlung geht und sich im späteren Verlauf vor allem die poetischen Dimensionen der Kreuzungen und sprachlichen Verwandtschaften und Reibungen in den Vordergrund schieben, beginnt das Buch einen Tick essayistischer.

„nous nous devons à la morte – wir schulden uns dem tod“

Auf den ersten Seiten dreht sich alles um diesen Satz von Jacques Derrida (aus „Bleibe, Athen“) – und das Bild des Öhrs, denn ein solches ist das Wort nous für das lyrische Ich.

Sein Klang, seine doppelte Bedeutung (wir/uns), doppelte Position, bringt Überlegungen in Gang, die sich von der Frage nach der Frist und der Frage nach der Einteilung des Lebens bis zur Einzigartigkeit des Individuums erstrecken, das gezeichnet ist durch seine Zugehörigkeiten, sein Sprechen, das sich nicht von einer Sprache, die alle sprechen, lösen kann, durch seine Umlaufbahn, auf der es kreist.

In einem der frühen Gedichte von Ingeborg Bachmann, das ich sehr schätze, heißt es am Ende:

„wir werden nicht bestehen.
Schon den Versuch bedrohen fremde Zeichen,
und das Verlangen, tief uns anzusehen,
durchtrennt ein Kreuz, uns einsam auszustreichen.“

Während ich Füchsls Band las, habe ich mich immer wieder an dieses Gedicht erinnert gefühlt, vor allem wegen der fremden Zeichen und dem Kreuz – und dem „wir“ und dem „uns“.

Bei Bachmann geht es um das Sprechen, mit dem wir uns doch nicht verständlich machen, den andern nicht erreichen können. Bei Füchsl geht es weniger um die Fragwürdigkeit des Sprechens, ihr Text ist nicht nur skeptisch, sondern auch lustvoll, er verliert und behauptet sich gleichermaßen in der Sprache.

Zwar beginnt das Heft mit einem scheinbaren Menetekel, und die Ernsthaftigkeit und Tiefe dieses Beginns strahlt auf den ganzen Band ab, aber schon zu Anfang zeigt sich, dass Füchsl mehr Interesse daran hat, die Sprache umzugraben, als mit ihr ein konkretes Arrangement anzulegen. Diese Interesse lebt sie umso mehr aus, desto weiter der Band fortschreitet.

Wobei ich nicht behaupten will, dass die Tiefe des nous nous, bei aller Artistik, nicht in jedem Text des Bandes zu finden ist – dafür sorgen immer wieder Worte und Gedanken, die wie Insignien auch in den späteren Texten prangen, daraus hervorstechen und -leuchten.

widerhall : ecce homo, diese formel lebt von ihrem echo, vom ermüden der achtung“

Man merkt dieser Rezension wohl an, dass es schwer ist, Füchsls Texten beizukommen, sie wiederzugeben. Es sind starke Gebilde, vielschichtig, und jede Festlegung eines Abschnitts (oder des ganzes Bandes) auf ein Thema erscheint mir von vorneherein aussichtlos. Die kurze Abbiegung, die ein Sprachspiel nimmt oder doch das große Überthema des ecce homo, der conditio humana, worauf läuft der Band eher hinaus? Meiner Meinung nach bewegt er sich gekonnt dazwischen, taucht auf beiden Seiten auf.

Denn Füchsls Debüt ist eben kein Lichtkegel, der auf ein bestimmtes Thema gerichtet wird, sondern eine Ader aus Licht, die das Gestein von Inschriften, Rätseln, Botschaften, die Gemeißeltes und Flüchtiges durchzieht.

„ich kam nicht umhin, eine erbschaft einzugehen, eine uneigentliche, musste ich doch das verwaiste erbe darin noch finden, eine art spürsinn für das gebliebene“

Ihre Sprache switcht dabei zwischen räumlichen und gedanklichen Bewegungen. Überlegungen werden in plastische Strukturen gegossen, strömen oder münden dann wiederum in Abstraktionen.

Ich befand mich immer wieder zwischen heller Begeisterung und leichter Frustration, während ich einzelne Textblöcke las und versuchte sie zu durchqueren, durch die Worte um Ecken verwiesen, in Großes hinein oder nur auf sich selbst. Da sind Gedanken, an die man sich klammert, und man wünscht sich, auch der Text würde sich daran klammern, aber er ist agiler, feiner, wird noch substanzieller oder macht sich selbst zum Vexierspiel.

„so tanz ich fadenkreuz, versuche, still zu halten“

Durchzogen von Linien – Lebenslinien, gedachten Linien, Grenzen, Tabellenlinien, Rastern, Sicht, Perspektiven, Fluchtpunkten – ist die Welt. Auch Worte sind Linien, die sich auf bestimmte Weise krümmen und kreuzen und zu einer Form von Wiedergabe, von Eingang werden, Öhr für uns, für alle, für manche.

Füchsls Debüt erforscht Linien und Öhre, zieht selbst hier und da eine Linie, kreuzt Worte. Ob die Kreuze Schätze markieren, oder doch auf das unvermeidliche Kreuz, das uns alle mal erwartet (wir schulden uns dem tod), abzielen (oder vielleicht beides), bleibt offen, muss offen bleiben.

Denn offen und öffnend ist die Poesie. Sie zieht die Linien auseinander, bis es zwei werden, vier, acht: Saiten, Gespinste, Verknotetes und Verknüpftes. Wer mir nicht glaubt: hier geschieht es.


Franziska Füchsl: rätsel in großer schrift. Salzburg (edition mosaik) 2018. 68 Seiten. 8,00 Euro.
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