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Franziska Beyer-Lallauret: Lauschgoldfisch / Brise-Âme

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Odile Endres

Franziska Beyer-Lallauret: Lauschgoldfisch / Brise Âme. Gedichte deutsch / französisch. Mit Aquarellen von Friederike von Criegern. Oschersleben (dr. ziethen verlag) 2025. 132 Seiten. 20,00 Euro.


Die Gedichte im zweisprachigen Band Lauschgoldfisch / Brise Âme von Franziska Beyer-Lallauret entfalten vom ersten Vers an einen Sog wie die Gezeiten. Sie handeln nicht nur vom Wasser, sie haben die Eigenschaften des Wassers. Die Verse fließen, nehmen uns mit in ihrem Strom, sie sind fluid in Bedeutung und Klang. Die Autorin scheint sie vom Grund der Flüsse oder des Meeres heraufzuholen - oder übergibt sie dem Wasser, damit die Strömung sie zu einem fernen Du trägt, das ebenfalls dem Wasser verbunden ist, aber unerreichbar scheint.

Sätze fallen ins Wasser
Ich mache sie selbst es sind viele
Ihrer Art sie schießen dir
Vor den Bug gleiten dran ab ankern
An Algenhülsen hörst du sie
Knistern in ihren Worthäuten

Dass der Band aus salzigen Sätzen und wunderbaren Wasserversen besteht, kommt auch in seiner visuellen Gestaltung zum Ausdruck. Die Aquarelle von Friederike von Criegern beleben das Buch mit Fischen, Quallen und Wasserpflanzen, die zugleich detailgetreu und phantastisch durch die Verse schwimmen. Sie gehen den fünf Kapiteln des Buches voran und stimmen mit ihren Wasserfarbtönen auf die Kapitel Pêche à la plume / Netze im Tintenmeer oder Bribes bleues / Splitter aus blauen Stunden ein und mit wärmeren Farbtönen auf die Kapitel Brusque Étincelle / Brüskes Flimmern und Soleils touchants / Glanzwunden, während ein ultramariner Fischschwarm auf das letzte Kapitel Finistère einstimmt.
So fällt von Anfang an ins Auge, dass das Wasser ein Quell der Inspiration für die Autorin ist, die in einer Landschaft der Flüsse lebt, Loire und Maine sind ganz nah, und nah ist auch die bretonische Küste. Rätselhafter ist das Du, mit dem der Band beginnt: Willst du erzählt werden von mir fragt das lyrische Ich im ersten Gedicht und endet mit einem Angebot, das einem unbestimmten lyrischen Du zu gelten scheint, vielleicht aber auch den LeserInnen?

Im Glanz großer Fische dem Haus
Am Ufer in gesalzenen Sätzen
Kannst du dich suchen und finden

Damit ist der frische Wasserton gesetzt, der sich durch den Band zieht. Die Flüsse wühlen in Buchstapeln, sie schred-dern Liebesbriefe / Im Lawinentempo oder Tiere an aus-fahrbaren Laternen / Blinken mit Treuepunkten / Zwischen den Wogenzeilen.
Der Gedichtband lässt sich auf viele Arten rezipieren. Als LeserIn kann man die Gedichte trinken wie einen köstlichen Loirewein und sich berauschen an der Sprache, die virtuos mit Sinn und Laut spielt, und das in beiden Sprachen. Man kann, und das ist vielleicht die vergnüglichste Art der Lektüre, zwischen dem französischen und dem deutschen Text hin- und herspringen und die unterschiedlichen Nuancen und Assoziationen ergründen. Man kann die Gedichte als Nachrichten an ein unerreichbares Du lesen, als moderne Minnedichtung oder als Liebeserklärung an die Loire und die atlantische Wasserlandschaft. Die LeserIn kann nach Deutungen suchen oder sich hineinstürzen wie in das atlantische Meer und sich überspülen lassen vom frischen Wortwasser. Sie kann sich den lauschgoldfisch ausleihen, ins Ohr setzen und die Gedichte beim lauten Lesen hören wie Musik. Denn dieser Band hat einen unverwechselbaren Sound, der mitreißend ist, und das in beiden Sprachen. Dass Franziska Beyer-Lallauret nicht nur im Deutschen, sondern auch im Französischen mit einer Leichtigkeit durch die Sprachgewässer navigiert, ist beeindruckend.

Die Gedichte als wechselseitige Übersetzungen zu betrachten, würde zu kurz greifen. Man könnte sie eher als eng miteinander verbundene, aber doch eigenständige Texte begreifen, die in den jeweils besonderen kulturellen und sprachlichen Gegebenheiten wurzeln, in denen das lyrische Ich sich jeweils anders entfaltet.

Es macht Freude, zwischen dem deutschen und dem französischen Text hin und her zu gleiten, und in jeder Sprache andere Wort- und Klangspiele, Bilder und Sinnzusammenhänge zu entdecken. So wird auch auf Seiten der LeserInnen die Lektüre zum spannenden Spiel. Manchmal scheint eine französische Zeile eine Antwort auf eine Frage oder Ungewissheit zu geben, die sich beim Lesen des deutschen Gedichts einstellt, oder eine Zeile im deutschsprachigen Gedicht ermöglicht eine überraschende Interpretation des französischen Textes. Es ist spannend zu sehen, wie die unterschiedlichen Sprachen zu unterschiedlichen Assoziationen einladen. Das zeigen allein schon die beiden Titel des Bandes. Der deutsche lauschgoldfisch schwimmt lautschön und sinnschillernd durch das Gedichtgewässer, verändert sich mit jeder Welle. Vieles schwingt darin mit, das Rauschgold, das Den-Gedichten-Lauschen, das Rauschen des Meeres und der Gedichtwellen, und nicht zuletzt der Fisch, der immer wieder im Gedichtgewässer aufblitzt.

Ähnlich und doch ganz anders ruft der französische Titel unmittelbare lautliche und semantische Assoziationen hervor. Im Brise Âme schwingt der brise-lames, der Wellenbrecher, der die zerstörerische Kraft der Wellen in eine belebende verwandelt. Die Seele mag brechen unter dem Ansturm von Gefühlen, Leidenschaft oder Eindrücken – oder im Gegenteil, von einem frischen Wind, einer Brise durchgepustet und erst richtig lebendig werden.  So wie auch bei der Lektüre eine frische Brise durch Gehirn und Gemüt der Lesenden weht.

Solche Me(e)(h)rdeutigkeiten und Assoziationsketten sind typisch für den Band, in dem gleichermaßen Mensch und Landschaft Objekt der Sehnsucht sein können. Das klingt nach Romantik, aber wir haben es hier mit einer augenzwinkernden Form der Romantik zu tun, in dem das Du des Bandes immer auf Distanz bleibt, in dem die Gedichte humorvoll und sprachspielerisch auf Abstand zum begehrten Objekt gehen, etwa wenn im Gedicht Springglut das Du unter die Fische geht, und das mit Vollmondnarkose.

Auch in der lyrischen Beschreibung der Landschaft am Wasser gehen genaue Beobachtung, eine gewisse Distanz und eine sinnliche Sprache miteinander einher, wie im Gedicht Penmarc`h

(...)
Und von oben wieder
Einmal das Meer ansehen
Das bodenlose
Das gleichgültige Glas
Farbenwasser dem wir so gern
Eine Seele andichten
Uns ihm zu Füßen zu legen
Im Hautkleid
Ins Flachlandsalz

Gerade bei den Gedichten, welche die Landschaft in den Blick nehmen, bringt diese gewisse Distanz Bilder hervor, die dazu einladen, die Landschaft neu zu betrachten und zum eigenen Erleben in Beziehung zu setzen, zum Beispiel im Gedicht Über Land.

Die Stille verkleidet als Rosenrot
Ohne Sentimentalitäten
Auf Spiegel gepflanzte Stämme
Die unser Gedächtnis
In gleich große Stücke schneiden

Für die verschiedensten Interpretationen finden sich in diesem Band Belege, wie etwa für den Gedanken, dass wir es hier mit zeitgenössischen Minnegedichten zu tun haben, in denen die Sprache gleichsam ein Liebesmittel ist, in denen die Sprache zugleich andeutet und verhüllt, in denen Sprache und Klang mit Flüssen und Vögeln eins wird, wie im Gedicht

Troubadoure / Troubadourin

Warte bis Laute meiner Sprache in denen du Worte
Erkennen könntest zu fremdartigen Vögeln werden
Ich lese mich dir zu Kopf lass dich gleiten aus Klang
Mit sagbaren Tönen statt Silben geschürter Stimme
Du nennst es Musik und Lied du kannst nicht wissen
Dass du mit mir im Sprachfluss treibst der schönste
Fisch darin bist auf die Schuppen küss ich dich nicht
Schweigen ist Silber mein Reden dein Lauschgold

In den Zeilen dieser Verse schwingen die zentralen Themen des Bandes mit: das titelgebende Lauschgold, das Wasser und der Sprachfluss und ein sich entziehendes Du, das unerreichbar scheint. Vielleicht ließe sich tatsächlich behaupten, wie am Beginn dieser Rezension angedeutet, dass nicht nur Wasser als Metapher für die Poesie steht, sondern dass die Verse dieses Bandes und die Wasserströme eins sind, zumindest die strömenden Gedichte dieses Bandes. In diesem Gedicht wird deutlich, dass auch die Sprache selbst ein zentrales und schimmerndes Thema ist.

Im Troubadoure-Gedicht zeigen sich auch die unterschiedlichen Nuancen des französischen und des deutschen Texts sehr deutlich, und es ist spannend, diese zu verfolgen. Wo der (…) Klang / Mit sagbaren Tönen statt Silben geschürter Stimme / Du nennst es Musik und nicht Lied und du kannst nicht wissen kleine Rätsel aufgibt, erwecken die französischen Verse unmittelbar eine konkretere Vorstellung:

Je lis et te monte à la tête pour te faire glisser
Au flux du dicible sans une syllabe prononcée
Perçois le phrasé du chant ma voix tisonnée

Auch in den folgenden Gedichtzeilen unterscheiden sich der deutsche und der französiche Text auf eine sehr interessante Weise, insbesondere auch bei der Übersetzung des Begriffs Lauschgold. Sehr ähnlich, aber doch anders. Es sei den LeserInnen überlassen, sich auf sprachliche Spurensuche in diesem und anderen Gedichten zu begegnen.

Es sei noch angemerkt, dass das lyrische Du, so legt der Gedichttitel nahe, die Muse des Gedichtstroms des lyrischen Ichs ist, auch wenn dieses Du fernbleibt, und damit ganz klar in der Tradition der Troubadour-Liebeslyrik steht. Diese moderne Troubadourinnen-Dichtung bleibt jedoch auf humorvolle Weise dem Thema Wasser treu, wie im Gedicht Gunst:

Zwischenzeitlich fährst du ans Meer
Wo dir Barschhaut wächst
Die mich abblitzen lässt

Wie die Barschhaut, so blitzen auch die Verse in diesem Band.

Das Aufleuchten pflückst du nachts
Vom Granit unter den Türmen
Zwischen Treibsalz und Treibsand

heißt es im Gedicht Transparence / Transparent, in dem die deutsche und die französische Fassung wieder andere Nuancen setzt. Il te faut trois dimensions / Pierre précieuse heißt es im Französischen, im Deutschen hingegen: Zwei Dimensionen genügen nicht / Du unge-schliffenes Bildnis / Springst regelmäßig aus der Fassung. Im Französischen findet sich ein noch stärkeres Bild: Mirage qui me fuit / Ton image déconcertante / Fuse et déjoue la matière. Das Gegenüber also eine Fata Morgana, welche die Materie knisternd verbrennt und ihr ein Schnippchen schlägt; es ist fast unmöglich, hier eine adäquate Übersetzung zu finden. Und wir brauchen sie auch nicht, denn zu unserem Glück hat Franziska Beyer-Lallauret das schon erledigt, indem sie in jeder Sprache andere Bilder und einen unterschiedlichen Ausdruck gewählt hat.

So vielschichtig leuchtend wie dieser Gedichtband ist, eröffnet er also einen weiten Raum für die Rezeption. Vielleicht sind es Verse wie Du bist die geheime Fracht / Der Fischvernetzten, die mit ihren überraschenden Bildern, deren sprachlicher Ausdruck auch klanglich reizvoll ist, diesen Raum zu einem mythischen erweitern. Dazu passt, dass in den ersten zwei Kapiteln Figuren klassischer Mythen, Legenden und Kunstmärchen aufscheinen: die Wasserwesen der Sirenen, Undine, Odysseus, Neptun, aber auch der Minotaurus.

Es gibt also viel zu entdecken in diesem Gedichtband, der mit seiner Frische, dem Sprachschwung, dem virtuosen Spiel mit Klang und Sinn, den reizvollen Bildern, der Lautgestalt der Verse, die auf der Zunge vergehen, wenn man sie laut liest – was unbedingt zu empfehlen ist – dem Hin- und Herschwingen zwischen zwei Sprachen und Kulturen und nicht zuletzt mit seinem Humor eine vergnügliche lyrische Lektüre verspricht.

Der wunderschön gestaltete Band wurde dieses Jahr im dr. ziethen verlag veröffentlicht. Das sehr lesenswerte Nachwort von Sabine Göttel ordnet die Gedichte ein und rundet den Band elegant ab.

Der Band sei allen empfohlen, die Freunde der Loirelandschaft und der Bretagne sind, die Freude an der Sprache des Wassers, an zeitgenössischer Troubadourinnendichtung und am deutschen und/oder französischen Sprachspiel haben, oder die einfach neugierig auf frische Poesie sind.


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