Franz Kafka: Der Bau
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Franz Kafka
Der Bau
Ich habe den
Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen. Von außen ist eigentlich nur ein
großes Loch sichtbar, dieses führt aber in Wirklichkeit nirgends hin, schon
nach ein paar Schritten stößt man auf natürliches festes Gestein. Ich will mich
nicht dessen rühmen, diese List mit Absicht ausgeführt zu haben, es war
vielmehr der Rest eines der vielen vergeblichen Bauversuche, aber schließlich
schien es mir vorteilhaft, dieses eine Loch unverschüttet zu lassen. Freilich
manche List ist so fein, daß sie sich selbst umbringt, das weiß ich besser als
irgendwer sonst und es ist gewiß auch kühn, durch dieses Loch überhaupt auf die
Möglichkeit aufmerksam zu machen, daß hier etwas Nachforschungswertes vorhanden
ist. Doch verkennt mich, wer glaubt, daß ich feige bin und etwa nur aus
Feigheit meinen Bau anlege. Wohl tausend Schritte von diesem Loch entfernt
liegt, von einer absehbaren Moosschicht verdeckt, der eigentliche Zugang zum
Bau, er ist so gesichert, wie eben überhaupt auf der Welt etwas gesichert
werden kann, gewiß, es kann jemand auf das Moos treten oder hineinstoßen, dann
liegt mein Bau frei da und wer Lust hat – allerdings sind, wohlgemerkt, auch
gewisse nicht allzuhäufige Fähigkeiten dazu nötig –, kann eindringen und
für immer alles zerstören. Das weiß ich wohl und mein Leben hat selbst jetzt
auf seinem Höhepunkt kaum eine völlig ruhige Stunde, dort an jener Stelle im
dunkeln Moos bin ich sterblich und in meinen Träumen schnuppert dort oft eine
lüsterne Schnauze unaufhörlich herum. Ich hätte, wird man meinen, auch wirklich
dieses Eingangsloch zuschütten können, oben in dünner Schicht und mit fester,
weiter unten mit lockerer Erde, so daß es mir immer nur wenig Mühe gegeben
hätte, mir immer wieder von neuem den Ausweg zu erarbeiten. Es ist aber doch
nicht möglich, gerade die Vorsicht verlangt, daß ich eine sofortige
Auslaufmöglichkeit habe, gerade die Vorsicht verlangt, wie leider so oft, das
Risiko des Lebens. Das alles sind recht mühselige Rechnungen, und die Freude
des scharfsinnigen Kopfes an sich selbst ist manchmal die alleinige Ursache
dessen, daß man weiterrechnet. Ich muß die sofortige Auslaufmöglichkeit haben,
kann ich denn trotz aller Wachsamkeit nicht von ganz unerwarteter Seite
angegriffen werden? Ich lebe im Innersten meines Hauses in Frieden und
inzwischen bohrt sich langsam und still der Gegner von irgendwoher an mich
heran. Ich will nicht sagen, daß er besseren Spürsinn hat als ich; vielleicht
weiß er ebensowenig von mir wie ich von ihm. Aber es gibt leidenschaftliche
Räuber, die blindlings die Erde durchwühlen und bei der ungeheuren Ausdehnung
meines Baues haben selbst sie Hoffnung, irgendwo auf einen meiner Wege zu
stoßen. Freilich, ich habe den Vorteil, in meinem Haus zu sein, alle Wege und
Richtungen genau zu kennen. Der Räuber kann sehr leicht mein Opfer werden und
ein süß schmeckendes. Aber ich werde alt, es gibt viele, die kräftiger sind als
ich und meiner Gegner gibt es unzählige, es könnte geschehen, daß ich vor einem
Feinde fliehe und dem anderen in die Fänge laufe. Ach, was könnte nicht alles
geschehen! Jedenfalls aber muß ich die Zuversicht haben, daß irgendwo
vielleicht ein leicht erreichbarer, völlig offener Ausgang ist, wo ich, um
hinauszukommen, gar nicht mehr zu arbeiten habe, so daß ich nicht etwa, während
ich dort verzweifelt grabe, sei es auch in leichter Aufschüttung, plötzlich –
bewahre mich der Himmel! – die Zähne des Verfolgers in meinen Schenkeln spüre.
Und es sind nicht nur die äußeren Feinde, die mich bedrohen. Es gibt auch
solche im Innern der Erde. Ich habe sie noch nie gesehen, aber die Sagen
erzählen von ihnen und ich glaube fest an sie. Es sind Wesen der inneren Erde;
nicht einmal die Sage kann sie beschreiben. Selbst wer ihr Opfer geworden ist,
hat sie kaum gesehen; sie kommen, man hört das Kratzen ihrer Krallen knapp
unter sich in der Erde, die ihr Element ist, und schon ist man verloren. Hier
gilt auch nicht, daß man in seinem Haus ist, vielmehr ist man in ihrem Haus.
Vor ihnen rettet mich auch jener Ausweg nicht, wie er mich wahrscheinlich
überhaupt nicht rettet, sondern verdirbt, aber eine Hoffnung ist er und ich
kann ohne ihn nicht leben. Außer diesem großen Weg verbinden mich mit der
Außenwelt noch ganz enge, ziemlich ungefährliche Wege, die mir gut atembare
Luft verschaffen. Sie sind von den Waldmäusen angelegt. Ich habe es verstanden,
sie in meinen Bau richtig einzubeziehen. Sie bieten mir auch die Möglichkeit
weitreichender Witterung und geben mir so Schutz. Auch kommt durch sie allerlei
kleines Volk zu mir, das ich verzehre, so daß ich eine gewisse, für einen bescheidenen
Lebensunterhalt ausreichende Niederjagd haben kann, ohne überhaupt meinen Bau
zu verlassen; das ist natürlich sehr wertvoll.
Das schönste
an meinem Bau ist aber seine Stille. Freilich, sie ist trügerisch. Plötzlich
einmal kann sie unterbrochen werden und alles ist zu Ende. Vorläufig aber ist
sie noch da. Stundenlang kann ich durch meine Gänge schleichen und höre nichts
als manchmal das Rascheln irgendeines Kleintieres, das ich dann gleich auch
zwischen meinen Zähnen zur Ruhe bringe, oder das Rieseln der Erde, das mir die
Notwendigkeit irgendeiner Ausbesserung anzeigt; sonst ist es still. Die
Waldluft weht herein, es ist gleichzeitig warm und kühl. Manchmal strecke ich
mich aus und drehe mich in dem Gang rundum vor Behagen. Schön ist es für das nahende
Alter, einen solchen Bau zu haben, sich unter Dach gebracht zu haben, wenn der
Herbst beginnt. Alle hundert Meter habe ich die Gänge zu kleinen runden Plätzen
erweitert, dort kann ich mich bequem zusammenrollen, mich an mir wärmen und
ruhen. Dort schlafe ich den süßen Schlaf des Friedens, des beruhigten
Verlangens, des erreichten Zieles des Hausbesitzes. Ich weiß nicht, ob es eine
Gewohnheit aus alten Zeiten ist oder ob doch die Gefahren auch dieses Hauses
stark genug sind, mich zu wecken: regelmäßig von Zeit zu Zeit schrecke ich auf
aus tiefem Schlaf und lausche, lausche in die Stille, die hier unverändert
herrscht bei Tag und Nacht, lächle beruhigt und sinke mit gelösten Gliedern in
noch tieferen Schlaf. Arme Wanderer ohne Haus, auf Landstraßen, in Wäldern,
bestenfalls verkrochen in einen Blätterhaufen oder in einem Rudel der Genossen,
ausgeliefert allem Verderben des Himmels und der Erde! Ich liege hier auf einem
allseits gesicherten Platz – mehr als fünfzig solcher Art gibt es in meinem Bau
– und zwischen Hindämmern und bewußtlosem Schlaf vergehen mir die Stunden, die
ich nach meinem Belieben dafür wähle.
Nicht ganz
in der Mitte des Baues wohlerwogen für den Fall der äußersten Gefahr, nicht
geradezu einer Verfolgung, aber einer Belagerung, liegt der Hauptplatz. Während
alles andere vielleicht mehr eine Arbeit angestrengtesten Verstandes als des
Körpers ist, ist dieser Burgplatz das Ergebnis allerschwerster Arbeit meines
Körpers in allen seinen Teilen. Einigemal wollte ich in der Verzweiflung körperlicher
Ermüdung von allem ablassen, wälzte mich auf den Rücken und fluchte dem Bau,
schleppte mich hinaus und ließ den Bau offen daliegen. Ich konnte es ja tun,
weil ich nicht mehr zu ihm zurückkehren wollte, bis ich dann nach Stunden oder
Tagen reuig zurückkam, fast einen Gesang erhoben hätte über die Unverletztheit
des Baues und in aufrichtiger Fröhlichkeit mit der Arbeit von neuem begann. Die
Arbeit am Burgplatz erschwerte sich auch unnötig (unnötig will sagen, daß der
Bau von der Leerarbeit keinen eigentlichen Nutzen hatte) dadurch, daß gerade an
der Stelle, wo der Ort planmäßig sein sollte, die Erde recht locker und sandig
war, die Erde mußte dort geradezu festgehämmert werden, um den großen
schöngewölbten und gerundeten Platz zu bilden. Für eine solche Arbeit aber habe
ich nur die Stirn. Mit der Stirn also bin ich tausend- und tausendmal tage- und
nächtelang gegen die Erde angerannt, war glücklich, wenn ich sie mir blutig
schlug, denn dies war ein Beweis der beginnenden Festigkeit der Wand, und habe
mir auf diese Weise, wie man mir zugestehen wird, meinen Burgplatz wohl
verdient.
Auf diesem
Burgplatz sammle ich meine Vorräte, alles, was ich über meine augenblicklichen
Bedürfnisse hinaus innerhalb des Baus erjage, und alles, was ich von meinen
Jagden außer dem Hause mitbringe, häufe ich hier auf. Der Platz ist so groß,
daß ihn Vorräte für ein halbes Jahr nicht füllen. Infolgedessen kann ich sie
wohl ausbreiten, zwischen ihnen herumgehen, mit ihnen spielen, mich an der
Menge und an den verschiedenen Gerüchen freuen und immer einen genauen
Überblick über das Vorhandene haben. Ich kann dann auch immer Neuordnungen
vornehmen und, entsprechend der Jahreszeit, die nötigen Vorausberechnungen und
Jagdpläne machen. Es gibt Zeiten, in denen ich so wohlversorgt bin, daß ich aus
Gleichgültigkeit gegen das Essen überhaupt das Kleinzeug, das hier herumhuscht,
gar nicht berühre, was allerdings aus anderen Gründen vielleicht unvorsichtig
ist. Die häufige Beschäftigung mit Verteidigungsvorbereitungen bringt es mit
sich, daß meine Ansichten hinsichtlich der Ausnutzung des Baus für solche
Zwecke sich ändern oder entwickeln, in kleinem Rahmen allerdings. Es scheint
mir dann manchmal gefährlich, die Verteidigung ganz auf dem Burgplatz zu
basieren, die Mannigfaltigkeit des Baus gibt mir doch auch mannigfaltigere
Möglichkeiten und es scheint mir der Vorsicht entsprechender, die Vorräte ein
wenig zu verteilen und auch manche kleine Plätze mit ihnen zu versorgen, dann
bestimme ich etwa jeden dritten Platz zum Reservevorratsplatz oder jeden
vierten Platz zu einem Haupt- und jeden zweiten zu einem Nebenvorratsplatz und
dergleichen. Oder ich schalte manche Wege zu Täuschungszwecken überhaupt aus
der Behäufung mit Vorräten aus oder ich wähle ganz sprunghaft, je nach ihrer
Lage zum Hauptausgang, nur wenige Plätze. Jeder solche neue Plan verlangt
allerdings schwere Lastträgerarbeit, ich muß die neue Berechnung vornehmen und
trage dann die Lasten hin und her. Freilich kann ich das in Ruhe ohne
Übereilung machen und es ist nicht gar so schlimm, die guten Dinge im Maule zu
tragen, sich auszuruhen, wo man will und, was einem gerade schmeckt, zu
naschen. Schlimmer ist es, wenn es mir manchmal, gewöhnlich beim Aufschrecken
aus dem Schlafe, scheint, daß die gegenwärtige Aufteilung ganz und gar verfehlt
ist, große Gefahren herbeiführen kann und sofort eiligst ohne Rücksicht auf
Schläfrigkeit und Müdigkeit richtiggestellt werden muß; dann eile ich, dann
fliege ich, dann habe ich keine Zeit zu Berechnungen; der ich gerade einen
neuen, ganz genauen Plan ausführen will, fasse willkürlich, was mir unter die
Zähne kommt, schleppe, trage, seufze, stöhne, stolpere und nur irgendeine
beliebige Veränderung des gegenwärtigen, mir so übergefährlich scheinenden
Zustandes will mir schon genügen. Bis allmählich mit völligem Erwachen die
Ernüchterung kommt, ich die Übereilung kaum verstehe, tief den Frieden meines
Hauses einatme, den ich selbst gestört habe, zu meinem Schlafplatz zurückkehre,
in neugewonnener Müdigkeit sofort einschlafe und beim Erwachen als unwiderleglichen
Beweis der schon fast traumhaft erscheinenden Nachtarbeit etwa noch eine Ratte
an den Zähnen hängen habe. Dann gibt es wieder Zeiten, wo mir die Vereinigung
aller Vorräte auf einen Platz das Allerbeste scheint. Was können mir die
Vorräte auf den kleinen Plätzen helfen, wieviel läßt sich denn dort überhaupt
unterbringen, und was immer man auch hinbringt, es verstellt den Weg und wird
mich vielleicht einmal bei der Verteidigung, beim Laufen eher hindern. Außerdem
ist es zwar dumm aber wahr, daß das Selbstbewußtsein darunter leidet, wenn man
nicht alle Vorräte beisammen sieht und so mit einem einzigen Blicke weiß, was
man besitzt. Kann nicht auch bei diesen vielen Verteilungen vieles verloren
gehen? Ich kann nicht immerfort durch meine Kreuz- und Quergänge galoppieren,
um zu sehen, ob alles in richtigem Stande ist. Der Grundgedanke einer
Verteilung der Vorräte ist ja richtig, aber eigentlich nur dann, wenn man
mehrere Plätze von der Art meines Burgplatzes hat. Mehrere solche Plätze!
Freilich! Aber wer kann das schaffen? Auch sind sie im Gesamtplan meines Baus
jetzt nachträglich nicht mehr unterzubringen. Zugeben aber will ich, daß darin
ein Fehler des Baus liegt, wie überhaupt dort immer ein Fehler ist, wo man von
irgend etwas nur ein Exemplar besitzt. Und ich gestehe auch ein, daß in mir
während des ganzen Baues dunkel im Bewußtsein, aber deutlich genug, wenn ich
den guten Willen gehabt hätte, die Forderung nach mehreren Burgplätzen lebte,
ich habe ihr nicht nachgegeben, ich fühlte mich zu schwach für die ungeheure
Arbeit; ja, ich fühlte mich zu schwach, mir die Notwendigkeit der Arbeit zu
vergegenwärtigen, irgendwie tröstete ich mich mit Gefühlen von nicht minderer
Dunkelheit, nach denen das, was sonst nicht hinreichen würde, in meinem Fall
einmal ausnahmsweise, gnadenweise, wahrscheinlich, weil der Vorsehung an der
Erhaltung meiner Stirn, des Stampfhammers, besonders gelegen ist, hinreichen
werde. Nun so habe ich nur einen Burgplatz, aber die dunklen Gefühle, daß der
eine diesmal nicht hinreichen werde, haben sich verloren. Wie es auch sei, ich
muß mich mit dem einen begnügen, die kleinen Plätze können ihn unmöglich
ersetzen und so fange ich dann, wenn diese Anschauung in mir gereift ist,
wieder an, alles aus den kleinen Plätzen zum Burgplatz zurückzuschleppen. Für
einige Zeit ist es mir dann ein gewisser Trost, alle Plätze und Gänge frei zu
haben, zu sehen, wie auf dem Burgplatz sich die Mengen des Fleisches häufen und
weithin bis in die äußersten Gänge die Mischung der vielen Gerüche senden, von
denen jeder in seiner Art mich entzückt und die ich aus der Ferne genau zu
sondern imstande bin. Dann pflegen besonders friedliche Zeiten zu kommen, in
denen ich meine Schlafplätze langsam, allmählich von den äußeren Kreisen nach
innen verlege, immer tiefer in die Gerüche tauche, bis ich es nicht mehr
ertrage und eines Nachts auf den Burgplatz stürze, mächtig unter den Vorräten
aufräume und bis zur vollständigen Selbstbetäubung mit dem Besten, was ich
liebe, mich fülle. Glückliche, aber gefährliche Zeiten; wer sie auszunützen
verstünde, könnte mich leicht, ohne sich zu gefährden, vernichten. Auch hier
wirkt das Fehlen eines zweiten oder dritten Burgplatzes schädigend mit, die
große einmalige Gesamtanhäufung ist es, die mich verführt. Ich suche mich
verschiedentlich dagegen zu schützen, die Verteilung auf die kleinen Plätze ist
ja auch eine derartige Maßnahme, leider führt sie wie andere ähnliche Maßnahmen
durch Entbehrung zu noch größerer Gier, die dann mit Überrennung des Verstandes
die Verteidigungspläne zu ihren Zwecken willkürlich ändert.
Nach solchen
Zeiten pflege ich, um mich zu sammeln, den Bau zu revidieren und, nachdem die
nötigen Ausbesserungen vorgenommen sind, ihn öfters, wenn auch immer nur für
kurze Zeit zu verlassen. Die Strafe, ihn lange zu entbehren, scheint mir selbst
dann zu hart, aber die Notwendigkeit zeitweiliger Ausflüge sehe ich ein. Es hat
immer eine gewisse Feierlichkeit, wenn ich mich dem Ausgang nähere. In den
Zeiten des häuslichen Lebens weiche ich ihm aus, vermeide sogar den Gang, der
zu ihm führt, in seinen letzten Ausläufern zu begehen; es ist auch gar nicht
leicht, dort herumzuwandern, denn ich habe dort ein volles kleines Zickzackwerk
von Gängen angelegt; dort fing mein Bau an, ich durfte damals noch nicht
hoffen, ihn je so beenden zu können, wie er in meinem Plane dastand, ich begann
halb spielerisch an diesem Eckchen und so tobte sich dort die erste
Arbeitsfreude in einem Labyrinthbau aus, der mir damals die Krone aller Bauten
schien, den ich aber heute wahrscheinlich richtiger als allzu kleinliche, des
Gesamtbaues nicht recht würdige Bastelei beurteile, die zwar theoretisch
vielleicht köstlich ist – hier ist der Eingang zu meinem Haus, sagte ich damals
ironisch zu den unsichtbaren Feinden und sah sie schon sämtlich in dem
Eingangslabyrinth ersticken –, in Wirklichkeit aber eine viel zu
dünnwandige Spielerei darstellt, die einem ernsten Angriff oder einem
verzweifelt um sein Leben kämpfenden Feind kaum widerstehen wird. Soll ich
diesen Teil deshalb umbauen? Ich zögere die Entscheidung hinaus und es wird
wohl schon so bleiben wie es ist. Abgesehen von der großen Arbeit, die ich mir
damit zumuten würde, wäre es auch die gefährlichste, die man sich denken kann.
Damals, als ich den Bau begann, konnte ich dort verhältnismäßig ruhig arbeiten,
das Risiko war nicht viel größer als irgendwo sonst, heute aber hieße es fast
mutwillig auf den ganzen Bau aufmerksam machen wollen, heute ist es nicht mehr
möglich. Es freut mich fast, eine gewisse Empfindsamkeit für dieses
Erstlingswerk ist ja auch vorhanden. Und wenn ein großer Angriff kommen sollte,
welcher Grundriß des Eingangs könnte mich retten? Der Eingang kann täuschen,
ablenken, den Angreifer quälen, das tut auch dieser zur Not. Aber einem
wirklich großen Angriff muß ich gleich mit allen Mitteln des Gesamtbaues und
mit allen Kräften des Körpers und der Seele zu begegnen suchen – das ist ja
selbstverständlich. So mag auch dieser Eingang schon bleiben. Der Bau hat so
viele von der Natur ihm aufgezwungene Schwächen, mag er auch noch diesen von
meinen Händen geschaffenen und wenn auch erst nachträglich, so doch genau
erkannten Mangel behalten. Mit all dem ist freilich nicht gesagt, daß mich
dieser Fehler nicht von Zeit zu Zeit oder vielleicht immer doch beunruhigt.
Wenn ich bei meinen gewöhnlichen Spaziergängen diesem Teil des Baues ausweiche,
so geschieht das hauptsächlich deshalb, weil mir sein Anblick unangenehm ist,
weil ich nicht immer einen Mangel des Baues in Augenschein nehmen will, wenn
dieser Mangel schon in meinem Bewußtsein mir allzusehr rumort. Mag der Fehler
dort oben am Eingang unausrottbar bestehen, ich aber mag, so lange es sich
vermeiden läßt, von seinem Anblick verschont bleiben. Gehe ich nur in der
Richtung zum Ausgang, sei ich auch noch durch Gänge und Plätze von ihm
getrennt, glaube ich schon in die Atmosphäre einer großen Gefahr zu geraten,
mir ist manchmal, als verdünne sich mein Fell, als könnte ich bald mit bloßem
kahlem Fleisch dastehen und in diesem Augenblick vom Geheul meiner Feinde
begrüßt werden. Gewiß, solche Gefühle bringt schon an und für sich der Ausgang
selbst hervor, das Aufhören des häuslichen Schutzes, aber es ist doch auch
dieser Eingangsbau, der mich besonders quält. Manchmal träume ich, ich hätte
ihn umgebaut, ganz und gar geändert, schnell, mit Riesenkräften in einer Nacht,
von niemandem bemerkt, und nun sei er uneinnehmbar; der Schlaf, in dem mir das
geschieht, ist der süßeste von allen, Tränen der Freude und Erlösung glitzern
noch an meinem Bart, wenn ich erwache.
Die Pein
dieses Labyrinths muß ich also auch körperlich überwinden, wenn ich ausgehe,
und es ist mir ärgerlich und rührend zugleich, wenn ich mich manchmal in meinem
eigenen Gebilde für einen Augenblick verirre und das Werk sich also noch immer
anzustrengen scheint, mir, dessen Urteil schon längst feststeht, doch noch
seine Existenzberechtigung zu beweisen. Dann aber bin ich unter der Moosdecke,
der ich manchmal Zeit lasse – so lange rühre ich mich nicht aus dem Hause-, mit
dem übrigen Waldboden zusammengewachsen, und nun ist nur noch ein Ruck des
Kopfes nötig und ich bin in der Fremde. Diese kleine Bewegung wage ich lange
nicht auszuführen, hätte ich nicht wieder das Eingangslabyrinth zu überwinden,
gewiß würde ich heute davon ablassen und wieder zurückwandern. Wie? Dein Haus
ist geschützt, in sich abgeschlossen. Du lebst in Frieden, warm, gut genährt,
Herr, alleiniger Herr über eine Vielzahl von Gängen und Plätzen, und alles
dieses willst du hoffentlich nicht opfern, aber doch gewissermaßen preisgeben,
hast zwar die Zuversicht, es zurückzugewinnen, aber läßt dich doch darauf ein,
ein hohes, ein allzuhohes Spiel zu spielen? Es gäbe vernünftige Gründe dafür?
Nein, für etwas derartiges kann es keine vernünftigen Gründe geben. Aber dann
hebe ich doch vorsichtig die Falltüre und bin draußen, lasse sie vorsichtig sinken
und jage, so schnell ich kann, weg von dem verräterischen Ort.
Aber im
Freien bin ich eigentlich nicht, zwar drücke ich mich nicht mehr durch die
Gänge, sondern jage im offenen Wald, fühle in meinem Körper neue Kräfte, für
die im Bau gewissermaßen kein Raum ist, nicht einmal auf dem Burgplatz, und
wäre er zehnmal größer. Auch ist die Ernährung draußen eine bessere, die Jagd
zwar schwieriger, der Erfolg seltener, aber das Ergebnis in jeder Hinsicht
höher zu bewerten, das alles leugne ich nicht und verstehe es wahrzunehmen und
zu genießen, zumindest so gut wie jeder andere, aber wahrscheinlich viel
besser, denn ich jage nicht wie ein Landstreicher aus Leichtsinn oder
Verzweiflung, sondern zweckvoll und ruhig. Auch bin ich nicht dem freien Leben
bestimmt und ausgeliefert, sondern ich weiß, daß meine Zeit geniessen ist, daß
ich nicht endloser hier jagen muß, sondern daß mich gewissermaßen, wenn ich
will und des Lebens hier müde bin, jemand zu sich rufen wird, dessen Einladung
ich nicht werde widerstehen können. Und so kann ich diese Zeit hier ganz
auskosten und sorgenlos verbringen, vielmehr, ich könnte es und kann es doch
nicht. Zuviel beschäftigt mich der Bau. Schnell bin ich vom Eingang
fortgelaufen, bald aber komme ich zurück. Ich suche mir ein gutes Versteck und
belauere den Eingang meines Hauses – diesmal von außen – tage- und nächtelang.
Mag man es töricht nennen, es macht mir eine unsagbare Freude und es beruhigt
mich. Mir ist dann, als stehe ich nicht vor meinem Haus, sondern vor mir
selbst, während ich schlafe, und hätte das Glück, gleichzeitig tief zu schlafen
und dabei mich scharf bewachen zu können. Ich bin gewissermaßen ausgezeichnet,
die Gespenster der Nacht nicht nur in der Hilflosigkeit und Vertrauensseligkeit
des Schlafes zu sehen, sondern ihnen gleichzeitig in Wirklichkeit bei voller
Kraft des Wachseins in ruhiger Urteilsfähigkeit zu begegnen. Und ich finde, daß
es merkwürdigerweise nicht so schlimm mit mir steht, wie ich oft glaubte und
wie ich wahrscheinlich wieder glauben werde, wenn ich in mein Haus hinabsteige.
In dieser Hinsicht, wohl auch in anderer, aber in dieser besonders, sind diese
Ausflüge wahrhaftig unentbehrlich. Gewiß, so sorgfältig ich den Eingang
abseitsliegend gewählt habe – der Verkehr, der sich dort vollzieht, ist doch,
wenn man die Beobachtungen einer Woche zusammenfaßt, sehr groß, aber so ist es
vielleicht überhaupt in allen bewohnbaren Gegenden und wahrscheinlich ist es
sogar besser, einem größeren Verkehr sich auszusetzen, der infolge seiner Größe
sich selbst mit weiterreißt, als in völliger Einsamkeit dem ersten besten,
langsam suchenden Eindringling ausgeliefert zu sein. Hier gibt es viele Feinde
und noch mehr Helfershelfer der Feinde, aber sie bekämpfen sich auch
gegenseitig und jagen in diesen Beschäftigungen am Bau vorbei. Niemanden habe
ich in der ganzen Zeit geradezu am Eingang forschen sehen, zu meinem und zu
seinem Glück, denn ich hätte mich, besinnungslos vor Sorge um den Bau, gewiß an
seine Kehle geworfen. Freilich, es kam auch Volk, in dessen Nähe ich nicht zu bleiben
wagte und vor denen ich, wenn ich sie nur in der Ferne ahnte, fliehen mußte,
über ihr Verhalten zum Bau dürfte ich mich eigentlich mit Sicherheit nicht
äußern, doch genügt es wohl zur Beruhigung, daß ich bald zurückkam, niemanden
von ihnen mehr vorfand und den Eingang unverletzt. Es gab glückliche Zeiten, in
denen ich mir fast sagte, daß die Gegnerschaft der Welt gegen mich vielleicht
aufgehört oder sich beruhigt habe oder daß die Macht des Baues mich heraushebe
aus dem bisherigen Vernichtungskampf. Der Bau schützt vielleicht mehr, als ich
jemals gedacht habe oder im Innern des Baues zu denken wage. Es ging so weit,
daß ich manchmal den kindischen Wunsch bekam, überhaupt nicht mehr in den Bau
zurückzukehren, sondern hier in der Nähe des Eingangs mich einzurichten, mein
Leben in der Beobachtung des Eingangs zu verbringen und immerfort mir vor Augen
zu halten und darin mein Glück zu finden, wie fest mich der Bau, wäre ich
darin, zu sichern imstande wäre. Nun, es gibt ein schnelles Aufschrecken aus
kindischen Träumen. Was ist es denn für eine Sicherung, die ich hier beobachte?
Darf ich denn die Gefahr, in welcher ich im Bau bin, überhaupt nach den
Erfahrungen beurteilen, die ich hier draußen mache? Haben denn meine Feinde
überhaupt die richtige Witterung, wenn ich nicht im Bau bin? Einige Witterung
von mir haben sie gewiß, aber die volle nicht. Und ist nicht oft der Bestand
der vollen Witterung die Voraussetzung der normalen Gefahr? Es sind also nur
Halb- und Zehntelversuche, die ich hier anstelle, geeignet, mich zu beruhigen
und durch falsche Beruhigung aufs höchste zu gefährden. Nein, ich beobachte
doch nicht, wie ich glaubte, meinen Schlaf, vielmehr bin ich es, der schläft,
während der Verderber wacht. Vielleicht ist er unter denen, die achtlos am
Eingang vorüberschlendern, sich immer nur vergewissern, nicht anders als ich,
daß die Tür noch unverletzt ist und auf ihren Angriff wartet, und nur
vorübergehen, weil sie wissen, daß der Hausherr nicht im Innern ist oder weil
sie vielleicht gar wissen, daß er unschuldig nebenan im Gebüsch lauert. Und ich
verlasse meinen Beobachtungsplatz und bin satt des Lebens im Freien, mir ist,
als könnte ich nicht mehr hier lernen, nicht jetzt und nicht später. Und ich
habe Lust, Abschied zu nehmen von allem hier, hinabzusteigen in den Bau und
niemals mehr zurückzukommen, die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen und sie
durch unnütze Beobachtungen nicht aufzuhalten. Aber verwöhnt dadurch, daß ich
solange alles gesehen habe, was über dem Eingang vor sich ging, ist es mir
jetzt sehr quälend, die an sich geradezu Aufsehen machende Prozedur des
Hinabsteigens durchzuführen und nicht zu wissen, was im ganzen Umkreis hinter
meinem Rücken und dann hinter der wiedereingefügten Falltür geschehen wird. Ich
versuche es zunächst in stürmischen Nächten mit dem schnellen Hineinwerfen der
Beute, das scheint zu gelingen, aber ob es wirklich gelungen ist, wird sich
erst zeigen, wenn ich selbst hineingestiegen bin, es wird sich zeigen, aber
nicht mehr mir, oder auch mir, aber zu spät. Ich lasse also ab davon und steige
nicht ein. Ich grabe, natürlich in genügender Entfernung vom wirklichen Eingang
einen Versuchsgraben, er ist nicht länger als ich selbst bin und auch von einer
Moosdecke abgeschlossen. Ich krieche in den Graben, decke ihn hinter mir zu, warte
sorgfältig, berechne kürzere und längere Zeiten zu verschiedenen Tagesstunden,
werfe dann das Moos ab, komme hervor und registriere meine Beobachtungen. Ich
mache die verschiedensten Erfahrungen guter und schlimmer Art, ein allgemeines
Gesetz oder eine unfehlbare Methode des Hinabsteigens finde ich aber nicht. Ich
bin infolgedessen noch nicht in den wirklichen Eingang hinabgestiegen und
verzweifelt, es doch bald tun zu müssen. Ich bin nicht ganz fern von dem
Entschluß, in die Ferne zu gehen, das alte, trostlose Leben wieder aufzunehmen,
das gar keine Sicherheit hatte, das eine einzige ununterscheidbare Fülle von
Gefahren war und infolgedessen die einzelne Gefahr nicht so genau sehen und
fürchten ließ, wie es mich der Vergleich zwischen meinem sicheren Bau und dem
sonstigen Leben immerfort lehrt. Gewiß, ein solcher Entschluß wäre eine völlige
Narrheit, hervorgerufen nur durch allzu langes Leben in der sinnlosen Freiheit;
noch gehört der Bau mir, ich habe nur einen Schritt zu tun und bin gesichert.
Und ich reiße mich los von allen Zweifeln und laufe geradewegs bei hellem Tag
auf die Tür zu, um sie nun ganz gewiß zu heben, aber ich kann es doch nicht,
ich überlaufe sie und werfe mich mit Absicht in ein Dornengebüsch, um mich zu
strafen, zu strafen für eine Schuld, die ich nicht kenne. Dann allerdings muß
ich mir letzten Endes sagen, daß ich doch recht habe, und daß es wirklich
unmöglich ist hinabzusteigen, ohne das Teuerste, was ich habe, allen
ringsherum, auf dem Boden, auf den Bäumen, in den Lüften wenigstens für ein
Weilchen offen preiszugeben. Und die Gefahr ist keine eingebildete, sondern
eine sehr wirkliche. Es muß ja kein eigentlicher Feind sein, dem ich die Lust
errege, mir zu folgen, es kann recht gut irgendeine beliebige kleine Unschuld,
irgendein widerliches kleines Wesen sein, welches aus Neugier mir nachgeht und
damit, ohne es zu wissen, zur Führerin der Welt gegen mich wird, es muß auch
das nicht sein, vielleicht ist es, und das ist nicht weniger schlimm als das
andere, in mancher Hinsicht ist es das schlimmste – vielleicht ist es irgend
jemand von meiner Art, ein Kenner und Schätzer von Bauten, irgendein
Waldbruder, ein Liebhaber des Friedens, aber ein wüster Lump, der wohnen will,
ohne zu bauen. Wenn er doch jetzt käme, wenn er doch mit seiner schmutzigen
Gier den Eingang entdeckte, wenn er doch daran zu arbeiten begänne, das Moos zu
heben, wenn es ihm doch gelänge, wenn er sich doch für mich hineinzwängte und
schon darin soweit wäre, daß mir sein Hinterer für einen Augenblick gerade noch
auftauchte, wenn das alles doch geschähe, damit ich endlich in einem Rasen
hinter ihm her, frei von allen Bedenken, ihn anspringen könnte, ihn zerbeißen,
zerfleischen, zerreißen und austrinken und seinen Kadaver gleich zur anderen
Beute stopfen könnte, vor allem aber, das wäre die Hauptsache, endlich wieder
in meinem Bau wäre, gern diesmal sogar das Labyrinth bewundern wollte, zunächst
aber die Moosdecke über mich ziehen und ruhen wollte, ich glaube, den ganzen,
noch übrigen Rest meines Lebens. Aber es kommt niemand und ich bleibe auf mich
allein angewiesen. Ich verliere, immerfort nur mit der Schwierigkeit der Sache
beschäftigt, viel von meiner Ängstlichkeit, ich weiche dem Eingang auch
äußerlich nicht mehr aus, ihn in Kreisen zu umstreichen wird meine Lieblingsbeschäftigung,
es ist schon fast so, als sei ich der Feind und spionierte die passende
Gelegenheit aus, um mit Erfolg einzubrechen. Hätte ich doch irgend jemanden,
dem ich vertrauen könnte, den ich auf meinen Beobachtungsposten stellen könnte,
dann könnte ich wohl getrost hinabsteigen. Ich würde mit ihm, dem ich vertraue,
vereinbaren, daß er die Situation bei meinem Hinabsteigen und eine lange Zeit
hinterher genau beobachtet, im Falle von gefährlichen Anzeichen an die
Moosdecke klopft, sonst aber nicht. Damit wäre über mir völlig reiner Tisch
gemacht, es bliebe kein Rest, höchstens mein Vertrauensmann. – Denn wird er
nicht eine Gegenleistung verlangen, wird er nicht wenigstens den Bau ansehen
wollen? Schon dieses, jemanden freiwillig in meinen Bau zu lassen, wäre mir
äußerst peinlich. Ich habe ihn für mich, nicht für Besucher gebaut, ich glaube,
ich würde ihn nicht einlassen; selbst um den Preis, daß er es mir ermöglicht in
den Bau zu kommen, würde ich ihn nicht einlassen. Aber ich könnte ihn gar nicht
einlassen, denn entweder müßte ich ihn allein hinablassen, und das ist doch
außerhalb jeder Vorstellbarkeit, oder wir müßten gleichzeitig hinabsteigen,
wodurch dann eben der Vorteil, den er mir bringen soll, hinter mir
Beobachtungen anzustellen, verloren ginge. Und wie ist es mit dem Vertrauen?
Kann ich dem, welchem ich Aug in Aug vertraue, noch ebenso vertrauen, wenn ich
ihn nicht sehe und wenn die Moosdecke uns trennt? Es ist verhältnismäßig
leicht, jemandem zu vertrauen, wenn man ihn gleichzeitig überwacht oder wenigstens
überwachen kann, es ist vielleicht sogar möglich, jemandem aus der Ferne zu
vertrauen, aber aus dem Innern des Baues, also einer anderen Welt heraus,
jemandem außerhalb völlig zu vertrauen, ich glaube, das ist unmöglich. Aber
solche Zweifel sind noch nicht einmal nötig, es genügt ja schon die Überlegung,
daß während oder nach meinem Hinabsteigen alle die unzähligen Zufälle des
Lebens den Vertrauensmann hindern können, seine Pflicht zu erfüllen, und was
für unberechenbare Folgen kann seine kleinste Verhinderung für mich haben.
Nein, faßt man alles zusammen, muß ich es gar nicht beklagen, daß ich allein
bin und niemanden habe, dem ich vertrauen kann. Ich verliere dadurch gewiß
keinen Vorteil und erspare mir wahrscheinlich Schaden. Vertrauen aber kann ich
nur mir und dem Bau. Das hätte ich früher bedenken und für den Fall, der mich
jetzt so beschäftigt, Vorsorge treffen sollen. Es wäre am Beginne des Baues
wenigstens zum Teile möglich gewesen. Ich hätte den ersten Gang so anlegen
müssen, daß er, in gehörigem Abstand voneinander, zwei Eingänge gehabt hätte,
so daß ich durch den einen Eingang mit aller unvermeidlichen Umständlichkeit
hinabgestiegen wäre, rasch den Anfangsgang bis zum zweiten Eingang durchlaufen,
die Moosdecke dort, die zu dem Zweck entsprechend hätte eingerichtet sein
müssen, ein wenig gelüftet und von dort aus die Lage einige Tage und Nächte zu
überblicken versucht hätte. So allein wäre es richtig gewesen. Zwar verdoppeln
zwei Eingänge die Gefahr, aber dieses Bedenken hätte hier schweigen müssen,
zumal der eine Eingang, der nur als Beobachtungsplatz gedacht war, ganz eng
hätte sein können. Und damit verliere ich mich in technische Überlegungen, ich
fange wieder einmal meinen Traum eines ganz vollkommenen Baues zu träumen an,
das beruhigt mich ein wenig, entzückt sehe ich mit geschlossenen Augen klare
und weniger klare Baumöglichkeiten, um unbemerkt aus- und einschlüpfen zu
können.
Wenn ich so
daliege und daran denke, bewerte ich diese Möglichkeiten sehr hoch, aber doch
nur als technische Errungenschaften, nicht als wirkliche Vorteile, denn dieses
ungehinderte Aus- und Einschlüpfen, was soll es? Es deutet auf unruhigen Sinn,
auf unsichere Selbsteinschätzung, auf unsaubere Gelüste, schlechte
Eigenschaften, die noch viel schlechter werden angesichts des Baues, der doch
dasteht und Frieden einzugießen vermag, wenn man sich ihm nur völlig öffnet.
Nun bin ich freilich jetzt außerhalb seiner und suche eine Möglichkeit der
Rückkehr; dafür wären die nötigen technischen Einrichtungen sehr erwünscht. Aber
vielleicht doch nicht gar so sehr. Heißt es nicht in der augenblicklichen
nervösen Angst den Bau sehr unterschätzen, wenn man ihn nur als eine Höhlung
ansieht, in die man sich mit möglichster Sicherheit verkriechen will? Gewiß, er
ist auch diese sichere Höhlung oder sollte es sein, und wenn ich mir vorstelle,
ich sei mitten in einer Gefahr, dann will ich mit zusammengebissenen Zähnen und
mit aller Kraft des Willens, daß der Bau nichts anderes sei als das für meine
Lebensrettung bestimmte Loch und daß er diese klar gestellte Aufgabe mit
möglichster Vollkommenheit erfülle, und jede andere Aufgabe bin ich bereit ihm
zu erlassen. Nun verhält es sich aber so, daß er in Wirklichkeit – und für die
hat man in der großen Not keinen Blick und selbst in gefährdeten Zeiten muß man
sich diesen Blick erst erwerben – zwar viel Sicherheit gibt, aber durchaus
nicht genug, hören dann jemals die Sorgen völlig in ihm auf?. Es sind andere,
stolzere, inhaltsreichere, oft weit zurückgedrängte Sorgen, aber ihre
verzehrende Wirkung ist vielleicht die gleiche wie jene der Sorgen, die das
Leben draußen bereitet. Hätte ich den Bau nur zu meiner Lebenssicherung
aufgeführt, wäre ich zwar nicht betrogen, aber das Verhältnis zwischen der
ungeheuren Arbeit und der tatsächlichen Sicherung, wenigstens soweit ich sie zu
empfinden imstande bin und soweit ich von ihr profitieren kann, wäre ein für
mich nicht günstiges. Es ist sehr schmerzlich, sich das einzugestehen, aber es
muß geschehen, gerade angesichts des Eingangs dort, der sich jetzt gegen mich,
den Erbauer und Besitzer abschließt, ja förmlich verkrampft. Aber der Bau ist
eben nicht nur ein Rettungsloch. Wenn ich auf dem Burgplatz stehe, umgeben von
den hohen Fleischvorräten, das Gesicht zugewandt den zehn Gängen, die von hier
ausgehen, jeder besonders dem Gesamtplatz entsprechend gesenkt oder gehoben,
gestreckt oder gerundet, sich erweiternd oder sich verengend und alle
gleichmäßig still und leer, und bereit, jeder in seiner Art mich weiterzuführen
zu den vielen Plätzen und auch diese alle still und leer – dann liegt mir der
Gedanke an Sicherheit fern, dann weiß ich genau, daß hier meine Burg ist, die
ich durch Kratzen und Beißen, Stampfen und Stoßen dem widerspenstigen Boden
abgewonnen habe, meine Burg, die auf keine Weise jemandem anderen angehören
kann und die so sehr mein ist, daß ich hier letzten Endes ruhig von meinem
Feind auch die tödliche Verwundung annehmen kann, denn mein Blut versickert
hier in meinem Boden und geht nicht verloren. Und was anderes als dies ist denn
auch der Sinn der schönen Stunden, die ich, halb friedlich schlafend, halb
fröhlich wachend, in den Gängen zu verbringen pflege, in diesen Gängen, die
ganz genau für mich berechnet sind, für wohliges Strecken, kindliches
Sichwälzen, träumerisches Daliegen, seliges Entschlafen. Und die kleinen
Plätze, jeder mir wohlbekannt, jeder trotz völliger Gleichheit von mir mit
geschlossenen Augen schon nach dem Schwung der Wände deutlich unterschieden,
sie umfangen mich friedlich und warm, wie kein Nest seinen Vogel umfängt. Und alles,
alles still und leer.
Wenn es aber
so ist, warum zögere ich dann, warum fürchte ich den Eindringling mehr als die
Möglichkeit, vielleicht niemals meinen Bau wiederzusehen. Nun, dieses letztere
ist glücklicherweise eine Unmöglichkeit, es wäre gar nicht nötig, mir durch
Überlegungen erst klarzumachen, was mir der Bau bedeutet; ich und der Bau
gehören so zusammen, daß ich ruhig, ruhig bei aller meiner Angst, mich hier
niederlassen könnte, gar nicht versuchen müßte mich zu überwinden, auch den
Eingang entgegen allen Bedenken zu öffnen, es würde durchaus genügen, wenn ich
untätig wartete, denn nichts kann uns auf die Dauer trennen und irgendwie komme
ich schließlich ganz gewiß hinab. Aber freilich, wieviel Zeit kann bis dahin
vergehen und wieviel kann in dieser Zeit sich ereignen, hier oben sowohl wie
dort unten? Und es liegt doch nur an mir, diesen Zeitraum zu verkürzen und das
Notwendige gleich zu tun.
Und nun,
schon denkunfähig vor Müdigkeit, mit hängendem Kopf, unsicheren Beinen, halb
schlafend, mehr tastend als gehend, nähere ich mich dem Eingang, hebe langsam
das Moos, steige langsam hinab, lasse aus Zerstreutheit den Eingang überflüssig
lange unbedeckt, erinnere mich dann an das Versäumte, steige wieder hinauf, um
es nachzuholen, aber warum denn hinaufsteigen? Nur die Moosdecke soll ich
zuziehen, gut, so steige ich wieder hinunter und nun endlich ziehe ich die
Moosdecke zu. Nur in diesem Zustand, ausschließlich in diesem Zustand, kann ich
diese Sache ausführen. – Dann also liege ich unter dem Moos, oben auf der
eingebrachten Beute, umflossen von Blut und Fleischsäften, und könnte den
ersehnten Schlaf zu schlafen beginnen. Nichts stört mich, niemand ist mir
gefolgt, über dem Moos scheint es, wenigstens bis jetzt, ruhig zu sein, und
selbst wenn es nicht ruhig wäre, ich glaube, ich könnte mich jetzt nicht mit
Beobachtungen aufhalten; ich habe den Ort gewechselt, aus der Oberwelt bin ich
in meinen Bau gekommen und ich fühle die Wirkung dessen sofort. Es ist eine
neue Welt, die neue Kräfte gibt, und was oben Müdigkeit ist, gilt hier nicht
als solche. Ich bin von einer Reise zurückgekehrt, besinnungslos müde von den
Strapazen, aber das Wiedersehen der alten Wohnung, die Einrichtungsarbeit, die
mich erwartet, die Notwendigkeit, schnell alle Räume wenigstens oberflächlich
zu besichtigen, vor allem aber eiligst zum Burgplatz vorzudringen, das alles
verwandelt meine Müdigkeit in Unruhe und Eifer, es ist, als hätte ich während
des Augenblicks, da ich den Bau betrat, einen langen und tiefen Schlaf getan.
Die erste Arbeit ist sehr mühselig und nimmt mich ganz in Anspruch: die Beute
nämlich durch die engen und schwachwandigen Gänge des Labyrinths zu bringen.
Ich drücke vorwärts mit allen Kräften und es geht auch, aber mir viel zu
langsam; um es zu beschleunigen, reiße ich einen Teil der Fleischmassen zurück
und dränge mich über sie hinweg, durch sie hindurch, nun habe ich bloß einen
Teil vor mir, nun ist es leichter, ihn vorwärts zu bringen, aber ich bin derart
mitten darin in der Fülle des Fleisches hier in den engen Gängen, durch die es
mir, selbst wenn ich allein bin, nicht immer leicht wird durchzukommen, daß ich
recht gut in meinen eigenen Vorräten ersticken könnte, manchmal kann ich mich
schon nur durch Fressen und Trinken vor ihrem Andrang bewahren. Aber der
Transport gelingt, ich beende ihn in nicht zu langer Zeit, das Labyrinth ist
überwunden, aufatmend stehe ich in einem regelrechten Gang, treibe die Beute
durch einen Verbindungsgang in einen für solche Fälle besonders vorgesehenen
Hauptgang, der im starkem Gefälle zum Burgplatz hinabführt. Nun ist es keine
Arbeit mehr, nun rollt und fließt das Ganze fast von selbst hinab. Endlich auf
meinem Burgplatz! Endlich werde ich ruhen dürfen. Alles ist unverändert, kein
größeres Unglück scheint geschehen zu sein, die kleinen Schäden, die ich auf
den ersten Blick bemerke, werden bald verbessert sein, nur noch vorher die
lange Wanderung durch die Gänge, aber das ist keine Mühe, das ist ein Plaudern
mit Freunden, so wie ich es tat in alten Zeiten oder – ich bin noch gar nicht so
alt, aber für vieles trübt sich die Erinnerung schon völlig – wie ich es tat
oder wie ich hörte, daß es zu geschehen pflegt. Ich beginne jetzt mit dem
zweiten Gang absichtlich langsam, nachdem ich den Burgplatz gesehen habe, habe
ich endlose Zeit – immer innerhalb des Baues habe ich endlose Zeit-, denn
alles, was ich dort tue, ist gut und wichtig und sättigt mich gewissermaßen.
Ich beginne mit dem zweiten Gang und breche die Revision in der Mitte ab und
gehe zum dritten Gang über und lasse mich von ihm zum Burgplatz zurückzuführen
und muß nun allerdings wieder den zweiten Gang von neuem vornehmen und spiele
so mit der Arbeit und vermehre sie und lache vor mich hin und freue mich und
werde ganz wirr von der vielen Arbeit, aber lasse nicht von ihr ab. Euretwegen,
ihr Gänge und Plätze und deine Fragen vor allem, Burgplatz, bin ich ja
gekommen, habe mein Leben für nichts geachtet, nachdem ich lange Zeit die
Dummheit hatte, seinetwegen zu zittern und die Rückkehr zu euch zu verzögern.
Was kümmert mich die Gefahr jetzt, da ich bei euch bin. Ihr gehört zu mir, ich
zu euch, verbunden sind wir, was kann uns geschehen. Mag sich oben auch das
Volk schon drängen und die Schnauze bereit sein, die das Moos durchstoßen wird.
Und mit seiner Stummheit und Leere begrüßt nun auch mich der Bau und
bekräftigt, was ich sage. – Nun aber überkommt mich doch eine gewisse
Lässigkeit und auf einem Platz, der zu meinen Lieblingen gehört, rolle ich mich
ein wenig zusammen, noch lange habe ich nicht alles besichtigt, aber ich will
ja auch noch weiter besichtigen bis zum Ende, ich will hier nicht schlafen, nur
der Lockung gebe ich nach, mich hier so einzurichten, wie wenn ich schlafen
wollte, nachsehen will ich, ob das hier noch immer so gut gelingt wie früher.
Es gelingt, aber mir gelingt es nicht mich loszureißen, ich bleibe hier in
tiefem Schlaf.
Ich habe
wohl sehr lange geschlafen. Erst aus dem letzten von selbst sich auflösenden
Schlaf werde ich geweckt, der Schlaf muß nun schon sehr leicht sein, denn ein
an sich kaum hörbares Zischen weckt mich. Ich verstehe es sofort, das
Kleinzeug, viel zu wenig von mir beaufsichtigt, viel zu sehr von mir geschont,
hat in meiner Abwesenheit irgendwo einen neuen Weg gebohrt, dieser Weg ist mit
einem alten zusammengestoßen, die Luft verfängt sich dort und das ergibt das
zischende Geräusch. Was für ein unaufhörlich tätiges Volk das ist und wie
lästig sein Fleiß! Ich werde, genau horchend an den Wänden meines Ganges, durch
Versuchsgrabungen den Ort der Störung erst feststellen müssen und dann erst das
Geräusch beseitigen können. Übrigens kann der neue Graben, wenn er irgendwie
den Verhältnissen des Baues entspricht, als neue Luftzuführung mir auch
willkommen sein. Aber auf die Kleinen will ich nun viel besser achten als
bisher, keines darf geschont werden. Da ich große Übung in solchen
Untersuchungen habe, wird es wohl nicht lange dauern und ich kann gleich damit
beginnen, es liegen zwar noch andere Arbeiten vor, aber diese ist die
dringendste, es soll still sein in meinen Gängen. Dieses Geräusch ist übrigens ein
verhältnismäßig unschuldiges; ich habe es gar nicht gehört, als ich kam, obwohl
es gewiß schon vorhanden war; ich mußte erst wieder völlig heimisch werden, um
es zu hören, es ist gewissermaßen nur mit dem Ohr des Hausbesitzers hörbar. Und
es ist nicht einmal ständig, wie sonst solche Geräusche zu sein pflegen, es
macht große Pausen, das geht offenbar auf Anstauungen des Luftstroms zurück.
Ich beginne die Untersuchung, aber es gelingt mir nicht, die Stelle, wo man
eingreifen müßte, zu finden, ich mache zwar einige Grabungen, aber nur aufs
Geratewohl; natürlich ergibt sich so nichts und die große Arbeit des Grabens
und die noch größere des Zuschüttens und Ausgleichens ist vergeblich. Ich komme
gar nicht dem Ort des Geräusches näher, immer unverändert dünn klingt es in
regelmäßigen Pausen, einmal wie Zischen, einmal aber wie Pfeifen. Nun, ich
könnte es auch vorläufig auf sich beruhen lassen, es ist zwar sehr störend,
aber an der von mir angenommenen Herkunft des Geräusches kann kaum ein Zweifel
sein, es wird sich also kaum verstärken, im Gegenteil, es kann auch geschehen,
daß – bisher habe ich allerdings niemals so lange gewartet – solche Geräusche
im Laufe der Zeit durch die weitere Arbeit der kleinen Bohrer von selbst
verschwinden, und, abgesehen davon, oft bringt ein Zufall leicht auf die Spur
der Störung, während systematisches Suchen lange versagen kann. So tröste ich
mich und wollte lieber weiter durch die Gänge schweifen und die Plätze
besuchen, von denen ich noch viele nicht einmal wiedergesehen habe und
dazwischen immer ein wenig mich auf dem Burgplatz tummeln, aber es läßt mich
doch nicht, ich muß weiter suchen. Viel Zeit, viel Zeit, die besser verwendet
werden könnte, kostet mich das kleine Volk. Bei solchen Gelegenheiten ist es
gewöhnlich das technische Problem, das mich lockt, ich stelle mir zum Beispiel
nach dem Geräusch, das mein Ohr in allen seinen Feinheiten zu unterscheiden die
Eignung hat, ganz genau aufzeichenbar, die Veranlassung vor, und nun drängt es
mich nachzuprüfen, ob die Wirklichkeit dem entspricht. Mit gutem Grund, denn
solange hier eine Feststellung nicht erfolgt ist, kann ich mich auch nicht
sicher fühlen, selbst wenn es sich nur darum handeln würde, zu wissen, wohin
ein Sandkorn, das eine Wand herabfällt, rollen wird. Und gar ein solches
Geräusch, das ist in dieser Hinsicht eine gar nicht unwichtige Angelegenheit.
Aber wichtig oder unwichtig, wie sehr ich auch suche, ich finde nichts, oder
vielmehr ich finde zuviel. Gerade auf meinem Lieblingsplatz mußte dies
geschehen, denke ich, gehe recht weit von dort weg, fast in die Mitte des Weges
zum nächsten Platz, das ganze ist eigentlich ein Scherz, so als wollte ich
beweisen, daß nicht etwa gerade mein Lieblingsplatz allein mir diese Störung
bereitet hat, sondern daß es Störungen auch anderwärts gibt, und ich fange
lächelnd an zu horchen, höre aber bald zu lächeln auf, denn wahrhaftig, das
gleiche Zischen gibt es auch hier. Es ist ja nichts, manchmal glaube ich,
niemand außer mir würde es hören, ich höre es freilich jetzt mit dem durch die
Übung geschärften Ohr immer deutlicher, obwohl es in Wirklichkeit überall ganz
genau das gleiche Geräusch ist, wie ich mich durch Vergleichen überzeugen kann.
Es wird auch nicht stärker, wie ich erkenne, wenn ich, ohne direkt an der Wand
zu horchen, mitten im Gang lausche. Dann kann ich überhaupt nur mit
Anstrengung, ja mit Versenkung hie und da den Hauch eines Lautes mehr erraten
als hören. Aber gerade dieses Gleichbleiben an allen Orten stört mich am
meisten, denn es läßt sich mit meiner ursprünglichen Annahme nicht in
Übereinstimmung bringen. Hätte ich den Grund des Geräusches richtig erraten,
hätte es in größter Stärke von einem bestimmten Ort, der eben zu finden gewesen
wäre, ausstrahlen und dann immer kleiner werden müssen. Wenn aber meine
Erklärung nicht zutraf, was war es sonst? Es bestand doch die Möglichkeit, daß
es zwei Geräuschzentren gab, daß ich bis jetzt nur weit von den Zentren
gehorcht hatte und daß, wenn ich mich dem einen Zentrum näherte, zwar seine
Geräusche zunahmen, aber infolge Abnehmens der Geräusche des anderen Zentrums
das Gesamtergebnis für das Ohr immer ein annähernd gleiches blieb. Fast glaubte
ich schon, wenn ich genau hinhorchte, Klangunterschiede, die der neuen Annahme
entsprachen, wenn auch nur sehr undeutlich, zu erkennen. jedenfalls mußte ich
das Versuchsgebiet viel weiter ausdehnen, als ich es bisher getan hatte. Ich
gehe deshalb den Gang abwärts bis zum Burgplatz und beginne dort zu horchen. –
Sonderbar, das gleiche Geräusch auch hier. Nun, es ist ein Geräusch, erzeugt durch
die Grabungen irgendwelcher nichtiger Tiere, die die Zeit meiner Abwesenheit in
infamer Weise ausgenützt haben, jedenfalls liegt ihnen eine gegen mich
gerichtete Absicht fern, sie sind nur mit ihrem Werk beschäftigt und, solange
ihnen nicht ein Hindernis in den Weg kommt, halten sie die einmal genommene
Richtung ein, das alles weiß ich, trotzdem ist es mir unbegreiflich und erregt
mich und verwirrt mir den für die Arbeit sehr notwendigen Verstand, daß sie es
gewagt haben, bis an den Burgplatz heranzugehen. Ich will in der Hinsicht nicht
unterscheiden: war es die immerhin bedeutende Tiefe, in welcher der Burgplatz
liegt, war es seine große Ausdehnung und die ihr entsprechende starke
Luftbewegung, welche die Grabenden abschreckte, oder war einfach die Tatsache,
daß es der Burgplatz war, durch irgendwelche Nachrichten bis an ihren stumpfen
Sinn gedrungen? Grabungen hatte ich jedenfalls bisher in den Wänden des
Burgplatzes nicht beobachtet. Tiere kamen zwar, angezogen von den kräftigen
Ausdünstungen, in Mengen her, hier hatte ich meine feste Jagd, aber sie hatten
sich irgendwo oben in meine Gänge durchgegraben und kamen dann, beklommen zwar,
aber mächtig angezogen, die Gänge herabgelaufen. Nun aber bohrten sie also auch
in den Gängen. Hätte ich doch wenigstens die wichtigsten Pläne meines
Jünglings- und früheren Mannesalters ausgeführt oder vielmehr, hätte ich die
Kraft gehabt, sie auszuführen, denn an dem Willen hat es nicht gefehlt. Einer
dieser Lieblingspläne war es gewesen, den Burgplatz loszulösen von der ihn
umgebenden Erde, das heißt, seine Wände nur in einer etwa meiner Höhe
entsprechenden Dicke zu belassen, darüber hinaus aber rings um den Burgplatz
bis auf ein kleines, von der Erde leider nichtloslösbares Fundament einen
Hohlraum im Ausmaß der Wand zu schaffen. In diesem Hohlraum hatte ich mir
immer, und wohl kaum mit Unrecht, den schönsten Aufenthaltsort vorgestellt, den
es für mich geben konnte. Auf dieser Rundung hängen, hinauf sich ziehen, hinab
zu gleiten, sich überschlagen und wieder Boden unter den Füßen haben, und alle
diese Spiele förmlich auf dem Körper des Burgplatzes spielen und doch nicht in
seinem eigentlichen Raum; den Burgplatz meiden können, die Augen ausruhen
lassen können von ihm, die Freude, ihn zu sehen, auf eine spätere Stunde verschieben
und doch ihn nicht entbehren müssen, sondern ihn förmlich fest zwischen den
Krallen halten, etwas was unmöglich ist, wenn man nur den einen gewöhnlichen
offenen Zugang zu ihm hat; vor allem aber ihn bewachen können, für die
Entbehrung seines Anblicks also derart entschädigt werden, daß man gewiß, wenn
man zwischen dem Aufenthalt im Burgplatz oder im Hohlraum zu wählen hätte, den
Hohlraum wählte für alle Zeit seines Lebens, nur immer dort auf- und
abzuwandern und den Burgplatz zu schützen. Dann gäbe es keine Geräusche in den
Wänden, keine frechen Grabungen bis an den Platz heran, dann wäre dort der
Friede gewährleistet und ich wäre sein Wächter; nicht die Grabungen des kleinen
Volkes hätte ich mit Widerwillen zu behorchen, sondern mit Entzücken, etwas, was
mir jetzt völlig entgeht: das Rauschen der Stille auf dem Burgplatz.
Aber alles
dieses Schöne besteht nun eben nicht und ich muß an meine Arbeit, fast muß ich
froh sein, daß sie nun auch in direkter Beziehung zum Burgplatz steht, denn das
beflügelt mich. Ich brauche freilich, wie sich immer mehr herausstellt, alle
meine Kräfte zu dieser Arbeit, die zuerst eine ganz geringfügige schien. Ich
horche jetzt die Wände des Burgplatzes ab, und wo ich horche, hoch und tief, an
den Wänden oder am Boden, an den Eingängen oder im Innern, überall, überall das
gleiche Geräusch. Und wieviel Zeit, wieviel Anspannung erfordert dieses lange
Horchen auf das pausenweise Geräusch. Einen kleinen Trost zur Selbsttäuschung
kann man, wenn man will, darin finden, daß man hier auf dem Burgplatz, wenn man
das Ohr vom Erdboden entfernt, zum Unterschied von den Gängen wegen der Größe
des Platzes gar nichts hört. Nur zum Ausruhen, zum Selbstbesinnen mache ich
häufig diese Versuche, horche angestrengt und bin glücklich, nichts zu hören. Aber
im übrigen, was ist denn geschehen? Vor dieser Erscheinung versagen meine
ersten Erklärungen völlig. Aber auch andere Erklärungen, die sich mir anbieten,
muß ich ablehnen. Man könnte daran denken, daß das, was ich höre, eben das
Kleinzeug selbst bei seiner Arbeit ist. Das würde aber allen Erfahrungen
widersprechen; was ich nie gehört habe, obwohl es immer vorhanden war, kann ich
doch nicht plötzlich zu hören anfangen. Meine Empfindlichkeit gegen Störungen
ist vielleicht im Bau größer geworden mit den Jahren, aber das Gehör ist doch
keineswegs schärfer geworden. Es ist eben das Wesen des Kleinzeugs, daß man es
nicht hört. Hätte ich es denn sonst jemals geduldet? Auf die Gefahr hin zu
verhungern hätte ich es ausgerottet. Aber vielleicht, auch dieser Gedanke
schleicht sich mir ein, handelt es sich hier um ein Tier, das ich noch nicht
kenne. Möglich wäre es. Zwar beobachte ich schon lange und sorgfältig genug das
Leben hier unten, aber die Welt ist mannigfaltig und an schlimmen
Überraschungen fehlt es niemals. Aber es wäre ja nicht ein einzelnes Tier, es
müßte eine große Herde sein, die plötzlich in mein Gebiet eingefallen wäre,
eine große Herde kleiner Tiere, die zwar, da sie überhaupt hörbar sind, über
dem Kleinzeug stehen, aber es doch nur wenig überragen, denn das Geräusch ihrer
Arbeit ist an sich nur gering. Es könnten also unbekannte Tiere sein, eine
Herde auf der Wanderschaft, die nur vorüberziehen, die mich stören, aber deren
Zug bald ein Ende nehmen wird. So könnte ich also eigentlich warten und müßte
schließlich keine überflüssige Arbeit tun. Aber wenn es fremde Tiere sind,
warum bekomme ich sie nicht zu sehen? Nun habe ich schon viele Grabungen
gemacht, um eines von ihnen zu fassen, aber ich finde keines. Es fällt mir ein,
daß es vielleicht ganz winzige Tiere sind und viel kleiner als die, welche ich
kenne, und daß nur das Geräusch, welches sie machen, ein größeres ist. Ich
untersuche deshalb die ausgegrabene Erde, ich werfe die Klumpen in die Höhe,
daß sie in allerkleinste Teilchen zerfallen, aber die Lärmmacher sind nicht
darunter. Ich sehe langsam ein, daß ich durch solche kleine Zufallgrabungen
nichts erreichen kann, ich durchwühle damit nur die Wände meines Baues, scharre
hier und dort in Eile, habe keine Zeit, die Löcher zuzuschütten, an vielen Stellen
sind schon Erdhaufen, die den Weg und Ausblick verstellen. Freilich stört mich
das alles nur nebenbei, ich kann jetzt weder wandern, noch umherschauen, noch
ruhen, öfters bin ich schon für ein Weilchen in irgendeinem Loch bei der Arbeit
eingeschlafen, die eine Pfote eingekrallt oben in der Erde, von der ich im
letzten Halbschlaf ein Stück niederreißen wollte. Ich werde nun meine Methode
ändern. Ich werde in der Richtung zum Geräusch hin einen regelrechten großen
Graben bauen und nicht früher zu graben aufhören, bis ich, unabhängig von allen
Theorien, die wirkliche Ursache des Geräusches finde. Dann werde ich sie
beseitigen, wenn es in meiner Kraft ist, wenn aber nicht, werde ich wenigstens
Gewißheit haben. Diese Gewißheit wird mir entweder Beruhigung oder Verzweiflung
bringen, aber wie es auch sein wird, dieses oder jenes; es wird zweifellos und
berechtigt sein. Dieser Entschluß tut mir wohl. Alles, was ich bisher getan
habe, kommt mir übereilt vor; in der Aufregung der Rückkehr, noch nicht frei
von den Sorgen der Oberwelt, noch nicht völlig aufgenommen in den Frieden des
Baues, überempfindlich dadurch gemacht, daß ich ihn solange hatte entbehren
müssen, habe ich mich durch eine zugegebenerweise sonderbare Erscheinung um
jede Besinnung bringen lassen. Was ist denn? Ein leichtes Zischen, in langen
Pausen nur hörbar, ein Nichts, an das man sich, ich will nicht sagen, gewöhnen
könnte; nein, gewöhnen könnte man sich daran nicht, das man aber, ohne
vorläufig geradezu etwas dagegen zu unternehmen, eine Zeitlang beobachten
könnte, das heißt, alle paar Stunden gelegentlich hinhorchen und das Ergebnis
geduldig registrieren, aber nicht, wie ich, das Ohr die Wände entlang schleifen
und fast bei jedem Hörbarwerden des Geräusches die Erde aufreißen, nicht um
eigentlich etwas zu finden, sondern um etwas der inneren Unruhe Entsprechendes
zu tun. Das wird jetzt anders werden, hoffe ich. Und hoffe es auch wieder
nicht, – wie ich mit geschlossenen Augen, wütend über mich selbst, mir
eingestehe – denn die Unruhe zittert in mir noch genau so wie seit Stunden und
wenn mich der Verstand nicht zurückhielte, würde ich wahrscheinlich am liebsten
an irgendeiner Stelle, gleichgültig, ob dort etwas zu hören ist oder nicht,
stumpfsinnig, trotzig, nur des Grabens wegen zu graben anfangen, schon fast
ähnlich dem Kleinzeug, welches entweder ganz ohne Sinn gräbt oder nur, weil es
die Erde frißt. Der neue vernünftige Plan lockt mich und lockt mich nicht. Es
ist nichts gegen ihn einzuwenden, ich wenigstens weiß keinen Einwand, er muß,
soweit ich es verstehe, zum Ziele führen. Und trotzdem glaube ich ihm im Grunde
nicht, glaube ihm so wenig, daß ich nicht einmal die möglichen Schrecken seines
Ergebnisses fürchte, nicht einmal an ein schreckliches Ergebnis glaube ich; ja,
es scheint mir, ich hätte schon seit dem ersten Auftreten des Geräusches an ein
solches konsequentes Graben gedacht, und nur weil ich kein Vertrauen dazu
hatte, bisher damit nicht begonnen. Trotzdem werde ich natürlich den Graben
beginnen, es bleibt mir keine andere Möglichkeit, aber ich werde nicht gleich
beginnen, ich werde die Arbeit ein wenig aufschieben. Wenn der Verstand wieder
zu Ehren kommen soll, soll es ganz geschehen, ich werde mich nicht in diese
Arbeit stürzen. Jedenfalls werde ich vorher die Schäden gutmachen, die ich
durch meine Wühlarbeit dem Bau verursacht habe; das wird nicht wenig Zeit
kosten, aber es ist notwendig; wenn der neue Graben wirklich zu einem Ziele
führen sollte, wird er wahrscheinlich lang werden, und wenn er zu keinem Ziele
führen sollte, wird er endlos sein, jedenfalls bedeutet diese Arbeit ein
längeres Fernbleiben vom Bau, kein so schlimmes wie jenes auf der Oberwelt, ich
kann die Arbeit wenn ich will unterbrechen und zu Besuch nach Hause gehen, und
selbst wenn ich das nicht tue, wird die Luft des Burgplatzes zu mir hinwehen
und bei der Arbeit mich umgeben, aber eine Entfernung vom Bau und die Preisgabe
an ein ungewisses Schicksal bedeutet es dennoch, deshalb will ich hinter mir
den Bau in guter Ordnung zurücklassen, es soll nicht heißen, daß ich, der ich
um seine Ruhe kämpfte, selbst sie gestört und sie nicht gleich
wiederhergestellt habe. So beginne ich denn damit, die Erde in die Löcher
zurückzuscharren, eine Arbeit, die ich genau kenne, die ich unzähligemal fast
ohne das Bewußtsein einer Arbeit getan habe und die ich, besonders was das
letzte Pressen und Glätten betrifft – es ist gewiß kein bloßes Selbstlob, es
ist einfach Wahrheit – unübertrefflich auszuführen imstande bin. Diesmal aber
wird es mir schwer, ich bin zu zerstreut, immer wieder mitten in der Arbeit
drücke ich das Ohr an die Wand und horche und lasse gleichgültig unter mir die
kaum gehobene Erde wieder in den Hang zurückrieseln. Die letzten
Verschönerungsarbeiten, die eine stärkere Aufmerksamkeit erfordern, kann ich
kaum leisten. Häßliche Buckel, störende Risse bleiben, nicht zu reden davon,
daß sich auch im ganzen der alte Schwung einer derart geflickten Wand nicht
wieder einstellen will. Ich suche mich damit zu trösten, daß es nur eine
vorläufige Arbeit ist. Wenn ich zurückkomme, der Friede wieder verschafft ist,
werde ich alles endgültig verbessern, im Fluge wird sich das dann alles machen
lassen. Ja, im Märchen geht alles im Fluge und zu den Märchen gehört auch
dieser Trost. Besser wäre es, gleich jetzt vollkommene Arbeit zu tun, viel
nützlicher, als sie immer wieder zu unterbrechen, sich auf Wanderschaft durch
die Gänge zu begeben und neue Geräuschstellen festzustellen, was wahrhaftig
sehr leicht ist, denn es erfordert nichts, als an einem beliebigen Ort
stehenzubleiben und zu horchen. Und noch weitere unnütze Entdeckungen mache
ich. Manchmal scheint es mir, als habe das Geräusch aufgehört, es macht ja
lange Pausen, manchmal überhört man ein solches Zischen, allzusehr klopft das
eigene Blut im Ohr, dann schließen sich zwei Pausen zu einer zusammen und ein
Weilchen lang glaubt man, das Zischen sei für immer zu Ende.
Man horcht
nicht mehr weiter, man springt auf, das ganze Leben macht eine Umwälzung, es
ist, als öffne sich die Quelle, aus welcher die Stille des Baues strömt. Man
hütet sich, die Entdeckung gleich nachzuprüfen, man sucht jemanden, dem man sie
vorher unangezweifelt anvertrauen könne, man galoppiert deshalb zum Burgplatz,
man erinnert sich, da man mit allem, was man ist, zu neuem Leben erwacht ist,
daß man schon lange nichts gegessen hat, man reißt irgend etwas von den unter
der Erde halb verschütteten Vorräten hervor und schlingt daran noch, während
man zu dem Ort der unglaublichen Entdeckung zurückläuft, man will sich zuerst
nur nebenbei, nur flüchtig während des Essens von der Sache nochmals
überzeugen, man horcht, aber das flüchtige Hinhorchen zeigt sofort, daß man
sich schmählich geirrt hat, unerschüttert zischt es dort weit in der Ferne. Und
man speit das Essen aus und möchte es in den Boden stampfen und man geht zu seiner
Arbeit zurück, weiß gar nicht, zu welcher; irgendwo, wo es nötig zu sein
scheint, und solcher Orte gibt es genug, fängt man mechanisch etwas zu tun an,
so als sei nur der Aufseher gekommen und man müsse ihm eine Komödie vorspielen.
Aber kaum hat man ein Weilchen derart gearbeitet, kann es geschehen, daß man
eine neue Entdeckung macht. Das Geräusch scheint stärker geworden, nicht viel
stärker natürlich, hier handelt es sich immer nur um feinste Unterschiede, aber
ein wenig stärker doch, deutlich dem Ohre erkennbar. Und dieses Stärkerwerden
scheint ein Näherkommen, noch viel deutlicher als man das Stärkerwerden hört,
sieht man förmlich den Schritt, mit dem es näher kommt. Man springt von der
Wand zurück, man sucht mit einem Blick alle Möglichkeiten zu übersehen, welche
diese Entdeckung zur Folge haben wird. Man hat das Gefühl, als hätte man den
Bau niemals eigentlich zur Verteidigung gegen einen Angriff eingerichtet, die
Absicht hatte man, aber entgegen aller Lebenserfahrung schien einem die Gefahr
eines Angriffs und daher die Einrichtungen der Verteidigung fernliegend – oder
nicht fernliegend (wie wäre das möglich!), aber im Rang tief unter den
Einrichtungen für ein friedliches Leben, denen man deshalb im Bau überall den
Vorzug gab. Vieles hätte in jener Richtung eingerichtet werden können, ohne den
Grundplan zu stören, es ist in einer unverständlichen Weise versäumt worden.
Ich habe viel Glück gehabt in allen diesen Jahren, das Glück hat mich verwöhnt,
unruhig war ich gewesen, aber Unruhe innerhalb des Glücks führt zu nichts.
Was jetzt
zunächst zu tun wäre, wäre eigentlich, den Bau genau auf die Verteidigung und
auf alle bei ihr vorstellbaren Möglichkeiten hin zu besichtigen, einen
Verteidigungs- und einen zugehörigen Bauplan auszuarbeiten und dann mit der Arbeit
gleich, frisch wie ein Junger, zu beginnen. Das wäre die notwendige Arbeit, für
die es, nebenbei gesagt, natürlich viel zu spät ist, aber die notwendige Arbeit
wäre es, und keineswegs die Grabung irgendeines großen Forschungsgrabens, der
eigentlich nur den Zweck hat, verteidigungslos mich mit allen meinen Kräften
auf das Aufsuchen der Gefahr zu verlegen, in der närrischen Befürchtung, sie
könne nicht bald genug selbst herankommen. Ich verstehe plötzlich meinen
früheren Plan nicht. Ich kann in dem ehemals verständigen nicht den geringsten
Verstand finden, wieder lasse ich die Arbeit und lasse auch das Horchen, ich
will jetzt keine weiteren Verstärkungen entdecken, ich habe genug der
Entdeckungen, ich lasse alles, ich wäre schon zufrieden, wenn ich mir den
inneren Widerstreit beruhigte. Wieder lasse ich mich von meinen Gängen
wegführen, komme in immer entferntere, seit meiner Rückkehr noch nicht
gesehene, von meinen Scharrpfoten noch völlig unberührte, deren Stille aufwacht
bei meinem Kommen und sich über mich senkt. Ich gebe mich nicht hin, ich eile
hindurch, ich weiß gar nicht, was ich suche, wahrscheinlich nur Zeitaufschub.
Ich irre soweit ab, daß ich bis zum Labyrinth komme, es lockt mich, an der
Moosdecke zu horchen, so ferne Dinge, für den Augenblick so ferne, haben mein
Interesse. Ich dringe bis hinauf vor und horche. Tiefe Stille; wie schön es
hier ist, niemand kümmert sich dort um meinen Bau, jeder hat seine Geschäfte,
die keine Beziehung zu mir haben, wie habe ich es angestellt, das zu erreichen.
Hier an der Moosdecke ist vielleicht jetzt die einzige Stelle an meinem Bau, wo
ich stundenlang vergebens horchen kann. – Eine völlige Umkehrung der
Verhältnisse im Bau, der bisherige Ort der Gefahr ist ein Ort des Friedens
geworden, der Burgplatz aber ist hineingerissen worden in den Lärm der Welt und
ihrer Gefahren. Noch schlimmer, auch hier ist in Wirklichkeit kein Frieden,
hier hat sich nichts verändert, ob still, ob lärmend, die Gefahr lauert wie
früher über dem Moos, aber ich bin unempfindlich gegen sie geworden, allzusehr
in Anspruch genommen bin ich von dem Zischen in meinen Wänden. Bin ich davon in
Anspruch genommen? Es wird stärker, es kommt näher, ich aber schlängle mich
durch das Labyrinth und lagere mich hier oben unter dem Moos, es ist ja fast, als
überließe ich dem Zischer schon das Haus, zufrieden, wenn ich nur hier oben ein
wenig Ruhe habe. Dem Zischer? Habe ich etwa eine neue bestimmte Meinung über
die Ursache des Geräusches? Das Geräusch stammt doch wohl von den Rinnen,
welche das Kleinzeug gräbt? Ist das nicht meine bestimmte Meinung? Von ihr
scheine ich doch noch nicht abgegangen zu sein. Und wenn es nicht direkt von
den Rinnen stammt, so irgendwie indirekt. Und wenn es gar nicht mit ihnen
zusammenhängen sollte, dann läßt sich von vornherein wohl gar nichts annehmen
und man muß warten, bis man die Ursache vielleicht findet oder sie selbst sich
zeigt. Mit Annahmen spielen könnte man freilich auch noch jetzt, es ließe sich
zum Beispiel sagen, daß irgendwo in der Ferne ein Wassereinbruch stattgefunden
hat und das, was mir Pfeifen oder Zischen scheint, wäre dann eigentlich ein
Rauschen. Aber abgesehen davon, daß ich in dieser Hinsicht gar keine
Erfahrungen habe – das Grundwasser, das ich zuerst gefunden habe, habe ich
gleich abgeleitet und es ist nicht wiedergekommen in diesem sandigen
Boden –, abgesehen davon ist es eben ein Zischen und in ein Rauschen nicht
umzudeuten. Aber was helfen alle Mahnungen zur Ruhe, die Einbildungskraft will
nicht stillstehen und ich halte tatsächlich dabei zu glauben – es ist zwecklos,
sich das selbst abzuleugnen –, das Zischen stamme von einem Tier und zwar
nicht von vielen und kleinen, sondern von einem einzigen großen. Es spricht
manches dagegen. Daß das Geräusch überall zu hören ist und immer in gleicher
Stärke, und überdies regelmäßig bei Tag und Nacht. Gewiß, zuerst müßte man eher
dazu neigen, viele kleine Tiere anzunehmen, da ich sie aber bei meinen
Grabungen hätte finden müssen und nichts gefunden habe, bleibt nur die Annahme
der Existenz des großen Tieres, zumal das, was der Annahme zu widersprechen
scheint, bloß Dinge sind, welche das Tier nicht unmöglich, sondern nur über
alle Vorstellbarkeit hinaus gefährlich machen. Nur deshalb habe ich mich gegen
die Annahme gewehrt. Ich lasse von dieser Selbsttäuschung ab. Schon lange
spiele ich mit dem Gedanken, daß es deshalb selbst auf große Entfernung hin zu
hören ist, weil es rasend arbeitet, es gräbt sich so schnell durch die Erde,
wie ein Spaziergänger im freien Gange geht, die Erde zittert bei seinem Graben,
auch wenn es schon vorüber ist, dieses Nachzittern und das Geräusch der Arbeit
selbst vereinigen sich in der großen Entfernung und ich, der ich nur das letzte
Verebben des Geräusches höre, höre es überall gleich. Dabei wirkt mit, daß das
Tier nicht auf mich zugeht, darum ändert sich das Geräusch nicht, es liegt
vielmehr ein Plan vor, dessen Sinn ich nicht durchschaue, ich nehme nur an, daß
das Tier, wobei ich gar nicht behaupten will, daß es von mir weiß, mich
einkreist, wohl einige Kreise hat es schon um meinen Bau gezogen, seit ich es
beobachte. – Viel zu denken gibt mir die Art des Geräusches, das Zischen oder
Pfeifen. Wenn ich in meiner Art in der Erde kratze und scharre, ist es doch
ganz anders anzuhören. Ich kann mir das Zischen nur so erklären, daß das Hauptwerkzeug
des Tieres nicht seine Krallen sind, mit denen es vielleicht nur nachhilft,
sondern seine Schnauze oder sein Rüssel, die allerdings, abgesehen von ihrer
ungeheuren Kraft, wohl auch irgendwelche Schärfen haben. Wahrscheinlich bohrt
es mit einem einzigen mächtigen Stoß den Rüssel in die Erde und reißt ein
großes Stück heraus, während dieser Zeit höre ich nichts, das ist die Pause,
dann aber zieht es wieder Luft ein zum neuen Stoß. Dieses Einziehen der Luft,
das ein die Erde erschütternder Lärm sein muß, nicht nur wegen der Kraft des
Tieres, sondern auch wegen seiner Eile, seines Arbeitseifers, diesen Lärm höre
ich dann als leises Zischen. Gänzlich unverständlich bleibt mir allerdings
seine Fähigkeit, unaufhörlich zu arbeiten; vielleicht enthalten die kleinen
Pausen auch die Gelegenheit für ein winziges Ausruhen, aber zu einem wirklichen
großen Ausruhen ist es scheinbar noch nicht gekommen, Tag und Nacht gräbt es
immer in gleicher Kraft und Frische, seinen eiligst auszuführenden Plan vor
Augen, den zu verwirklichen es alle Fähigkeiten besitzt. Nun, einen solchen
Gegner habe ich nicht erwarten können. Aber abgesehen von seinen
Eigentümlichkeiten ereignet sich jetzt doch nur etwas, was ich eigentlich immer
zu befürchten gehabt hätte, etwas, wogegen ich hätte immer Vorbereitungen
treffen sollen: Es kommt jemand heran! Wie kam es nur, daß so lange Zeit alles
still und glücklich verlief? Wer hat die Wege der Feinde gelenkt, daß sie den
großen Bogen machten um meinen Besitz? Warum wurde ich so lange beschützt, um
jetzt so geschreckt zu werden? Was waren alle kleinen Gefahren, mit deren
Durchdenken ich die Zeit hinbrachte gegen diese eine! Hoffte ich als Besitzer
des Baues die Obermacht zu haben gegen jeden, der käme? Eben als Besitzer
dieses großen empfindlichen Werkes bin ich wohlverstanden gegenüber jedem
ernsteren Angriff wehrlos. Das Glück seines Besitzes hat mich verwöhnt, die
Empfindlichkeit des Baues hat mich empfindlich gemacht, seine Verletzungen
schmerzen mich, als wären es die meinen. Eben dieses hätte ich voraussehen
müssen, nicht nur an meine eigene Verteidigung denken – und wie leichthin und
ergebnislos habe ich selbst das getan –, sondern an die Verteidigung des
Baues. Es müßte vor allem Vorsorge dafür getroffen sein, daß einzelne Teile des
Baues, und möglichst viele einzelne Teile, wenn sie von jemandem angegriffen
werden, durch Erdverschüttungen, die in kürzester Zeit erzielbar sein müßten,
von den weniger gefährdeten Teilen getrennt werden und zwar durch solche
Erdmassen, und derart wirkungsvoll getrennt werden könnten, daß der Angreifer
gar nicht ahnte, daß dahinter erst der eigentliche Bau ist. Noch mehr, diese
Erdverschüttungen müßten geeignet sein, nicht nur den Bau zu verbergen, sondern
auch den Angreifer zu begraben. Nicht den kleinsten Anlauf zu etwas derartigem
habe ich gemacht, nichts, gar nichts ist in dieser Richtung geschehen,
leichtsinnig wie ein Kind bin ich gewesen, meine Mannesjahre habe ich mit
kindlichen Spielen verbracht, selbst mit den Gedanken an die Gefahren habe ich
nur gespielt, an die wirklichen Gefahren wirklich zu denken, habe ich versäumt.
Und an Mahnungen hat es nicht gefehlt.
Etwas, was
an das jetzige heranreichen würde, ist allerdings nicht geschehen, aber doch
immerhin etwas ähnliches in den Anfangszeiten des Baues. Der Hauptunterschied
war eben, daß es die Anfangszeiten des Baues waren... Ich arbeitete damals,
förmlich als kleiner Lehrling, noch am ersten Gang, das Labyrinth war erst in
grobem Umriß entworfen, einen kleinen Platz hatte ich schon ausgehöhlt, aber er
war im Ausmaß und in der Wandbehandlung ganz mißlungen; kurz, alles war
derartig am Anfang, daß es überhaupt nur als Versuch gelten konnte, als etwas,
das man, wenn einmal die Geduld reißt, ohne großes Bedauern plötzlich liegen
lassen könnte. Da geschah es, daß ich einmal in der Arbeitspause – ich habe in
meinem Leben immer zu viel Arbeitspausen gemacht – zwischen meinen Erdhaufen
lag und plötzlich ein Geräusch in der Ferne hörte. Jung wie ich war, wurde ich
dadurch mehr neugierig als ängstlich. Ich ließ die Arbeit und verlegte mich
aufs Horchen, immerhin horchte ich und lief nicht oben unter das Moos, um mich
dort zu strecken und nicht horchen zu müssen. Wenigstens horchte ich. Ich
konnte recht wohl unterscheiden, daß es sich um ein Graben handelte, ähnlich dem
meinen, etwas schwächer klang es wohl, aber wieviel davon der Entfernung
zuzusprechen war, konnte man nicht wissen. Ich war gespannt, aber sonst kühl
und ruhig. Vielleicht bin ich in einem fremden Bau, dachte ich, und der
Besitzer gräbt sich jetzt an mich heran. Hätte sich die Richtigkeit dieser
Annahme herausgestellt, wäre ich, da ich niemals eroberungssüchtig oder
angriffslustig gewesen bin, weggezogen, um anderswo zu bauen. Aber freilich,
ich war noch jung und hatte noch keinen Bau, ich konnte noch kühl und ruhig
sein. Auch der weitere Verlauf der Sache brachte mir keine wesentliche
Aufregung, nur zu deuten war er nicht leicht. Wer in der, welcher dort grub,
wirklich zu mir hinstrebte, weil er mich graben gehört hatte, so war es, wenn
er, wie es jetzt tatsächlich geschah, die Richtung änderte, nicht
festzustellen, ob er dies tat, weil ich durch meine Arbeitspause ihm jeden
Anhaltspunkt für seinen Weg nahm, oder vielmehr, weil er selbst seine Absicht
änderte. Vielleicht aber hatte ich mich überhaupt getäuscht und er hatte sich
niemals geradezu gegen mich gerichtet, jedenfalls verstärkte sich das Geräusch
noch eine Zeitlang, so als nähere er sich, ich Junger wäre damals vielleicht
gar nicht damit unzufrieden gewesen, den Graber plötzlich aus der Erde hervortreten
zu sehen, es geschah aber nichts dergleichen, von einem bestimmten Punkte an
begann sich das Graben abzuschwächen, es wurde leiser und leiser, so als
schwenke der Graber allmählich von seiner ersten Richtung ab und auf einmal
brach er ganz ab, als habe er sich jetzt zu einer völlig entgegengesetzten
Richtung entschlossen und rücke geradewegs von mir weg in die Ferne. Lange
horchte ich ihm noch in die Stille nach, ehe ich wieder zu arbeiten begann.
Nun, diese Mahnung war deutlich genug, aber bald vergaß ich sie und auf meine
Baupläne hat sie kaum einen Einfluß gehabt.
Zwischen
damals und heute liegt mein Mannesalter; ist es aber nicht so, als läge gar
nichts dazwischen? Noch immer mache ich eine große Arbeitspause und horche an
der Wand und der Graber hat neuerlich seine Absicht geändert, er hat Kehrt
gemacht, er kommt zurück von seiner Reise, er glaubt, er hätte mir inzwischen
genug Zeit gelassen, mich für seinen Empfang einzurichten. Aber auf meiner
Seite ist alles weniger eingerichtet, als es damals war, der große Bau steht
da, wehrlos, und ich bin kein kleiner Lehrling mehr, sondern ein alter
Baumeister und, was ich an Kräften noch habe, versagt mir, wenn es zur
Entscheidung kommt, aber wie alt ich auch bin, es scheint mir, daß ich recht
gern noch älter wäre, als ich bin, so alt, daß ich mich gar nicht mehr erheben
könnte von meinem Ruhelager unter dem Moos. Denn in Wirklichkeit ertrage ich es
hier doch nicht, erhebe mich und jage, als hätte ich mich hier statt mit Ruhe
mit neuen Sorgen erfüllt, wieder hinunter ins Haus. – Wie standen die Dinge
zuletzt? Das Zischen war schwächer geworden? Nein, es war stärker geworden. Ich
horche an zehn beliebigen Stellen und merke die Täuschung deutlich, das Zischen
ist gleichgeblieben, nichts hat sich geändert. Dort drüben gehen keine
Veränderungen vor sich, dort ist man ruhig und über die Zeit erhaben, hier aber
rüttelt jeder Augenblick am Horcher. Und ich gehe wieder den langen Weg zum
Burgplatz zurück, alles ringsherum scheint mir erregt, scheint mich anzusehen,
scheint dann auch gleich wieder wegzusehen, um mich nicht zu stören, und
strengt sich doch wieder an, von meinen Mienen die rettenden Entschlüsse
abzulesen. Ich schüttle den Kopf, ich habe noch keine. Auch zum Burgplatz gehe
ich nicht, um dort irgendeinen Plan auszuführen. Ich komme an der Stelle
vorüber, wo ich den Forschungsgraben hatte anlegen wollen, ich prüfe sie
nochmals, es wäre eine gute Stelle gewesen, der Graben hätte in der Richtung
geführt, in welcher die meisten kleinen Luftzuführungen liegen, die mir die
Arbeit sehr erleichtert hätten, vielleicht hätte ich gar nicht sehr weit graben
müssen, hätte mich gar nicht herangraben müssen an den Ursprung des Geräusches,
vielleicht hätte das Horchen an den Zuführungen genügt. Aber keine Überlegung
ist stark genug, um mich zu dieser Grabungsarbeit aufzumuntern. Dieser Graben
soll mir Gewißheit bringen? Ich bin so weit, daß ich Gewißheit gar nicht haben
will. Auf dem Burgplatz wähle ich ein schönes Stück enthäuteten roten Fleisches
aus und verkrieche mich damit in einen der Erdhaufen, dort wird jedenfalls
Stille sein, soweit es hier überhaupt eigentliche Stille noch gibt. Ich lecke
und nasche am Fleisch, denke abwechselnd einmal an das fremde Tier, das in der
Ferne seinen Weg zieht, und dann wieder daran, daß ich, solange ich noch die
Möglichkeit habe, ausgiebigst meine Vorräte genießen sollte. Dieses letztere
ist wahrscheinlich der einzige ausführbare Plan, den ich habe. Im übrigen suche
ich den Plan des Tieres zu enträtseln. Ist es auf Wanderschaft oder arbeitet es
an seinem eigenen Bau? Ist es auf Wanderschaft, dann wäre vielleicht eine
Verständigung mit ihm möglich. Wenn es wirklich bis zu mir durchbricht, gebe
ich ihm einiges von meinen Vorräten und es wird weiterziehen. Wohl, es wird
weiterziehen. In meinen Erdhaufen kann ich natürlich von allem träumen, auch
von Verständigung, obwohl ich genau weiß, daß es etwas derartiges nicht gibt,
und daß wir in dem Augenblick, wenn wir einander sehen, ja wenn wir einander
nur in der Nähe ahnen, gleich besinnungslos, keiner früher, keiner später, mit
einem neuen anderen Hunger, auch wenn wir sonst völlig satt sind, Krallen und
Zähne gegeneinander auftun werden. Und wie immer so auch hier mit vollem Recht,
denn wer, wenn er auch auf Wanderschaft ist, würde angesichts des Baues seine
Reise- und Zukunftspläne nicht ändern? Aber vielleicht gräbt das Tier in seinem
eigenen Bau, dann kann ich von einer Verständigung nicht einmal träumen. Selbst
wenn es ein so sonderbares Tier wäre, daß sein Bau eine Nachbarschaft vertragen
würde, mein Bau verträgt sie nicht, zumindest eine hörbare Nachbarschaft
verträgt er nicht. Nun scheint das Tier freilich sehr weit entfernt, wenn es
sich nur noch ein wenig weiter zurückziehen würde, würde wohl auch das Geräusch
verschwinden, vielleicht könnte dann noch alles gut werden wie in den alten
Zeiten, es wäre dann nur eine böse, aber wohltätige Erfahrung, sie würde mich
zu den verschiedensten Verbesserungen anregen; wenn ich Ruhe habe und die
Gefahr nicht unmittelbar drängt, bin ich noch zu allerlei ansehnlicher Arbeit
sehr wohl fähig, vielleicht verzichtet das Tier angesichts der ungeheuren
Möglichkeiten, die es bei seiner Arbeitskraft zu haben scheint, auf die
Ausdehnung seines Baues in der Richtung gegen den meinen und entschädigt sich
auf einer anderen Seite dafür. Auch das läßt sich natürlich nicht durch
Verhandlungen erreichen, sondern nur durch den eigenen Verstand des Tieres oder
durch einen Zwang, der von meiner Seite ausgeübt würde. In beider Hinsicht wird
entscheidend sein, ob und was das Tier von mir weiß. Je mehr ich darüber
nachdenke, desto unwahrscheinlicher scheint es mir, daß das Tier mich überhaupt
gehört hat, es ist möglich, wenn auch mir unvorstellbar, daß es sonst
irgendwelche Nachrichten über mich hat, aber gehört hat es mich wohl nicht.
Solange ich nichts von ihm wußte, kann es mich überhaupt nicht gehört haben,
denn da verhielt ich mich still, es gibt nichts Stilleres als das Wiedersehen
mit dem Bau, dann, als ich die Versuchsgrabungen machte, hätte es mich wohl
hören können, obwohl meine Art zu graben sehr wenig Lärm macht; wenn es mich
aber gehört hätte, hätte doch auch ich etwas davon bemerken müssen, es hätte
doch wenigstens in der Arbeit öfters innehalten müssen und horchen. – Aber
alles blieb unverändert. – –