Franz Kafka: Beschreibung eines Kampfes. Fassung A
Montags=Text
Franz Kafka
„Beschreibung eines Kampfes“
Fassung A
Und die Menschen gehn in Kleidernschwankend auf dem Kies spazierenunter diesem großen Himmel,der von Hügeln in der Fernesich zu fernen Hügeln breitet.
Gegen zwölf
Uhr standen schon einige Leute auf, verbeugten sich, reichten einander die
Hände, sagten, es wäre sehr schön gewesen und giengen dann durch den großen
Thürrahmen ins Vorzimmer, sich anzukleiden. Die Hausfrau stand mitten in dem
Zimmer und machte bewegliche Verbeugungen, während ihr Kleid gezierte Falten
warf.
Ich saß an
einem kleinen Tischchen – es hatte drei gespannte dünne Beine – nippte gerade
an dem dritten Gläschen Benediktiner und übersah im Trinken zugleich meinen
kleinen Vorrath von Backwerk, das ich selbst ausgesucht und aufgeschichtet
hatte, denn es hatte einen feinen Geschmack.
Da kam mein
neuer Bekannter zu mir und ein wenig zerstreut über meine Beschäftigung
lächelnd sagte er mit zitternder Stimme: "Verzeihen Sie, daß ich zu Ihnen
komme. Aber ich saß bis jetzt mit meinem Mädchen allein in einem Nebenzimmer.
Von halb elf an, das ist noch gar nicht lange her. Verzeihen Sie, daß ich es
Ihnen sage. Wir kennen ja einander nicht. Nicht wahr, auf der Treppe trafen wir
einander und erzählten einander ein paar höfliche Worte und jetzt rede ich zu
Ihnen schon von meinem Mädchen, aber Sie müssen mir – ich bitte – verzeihen,
das Glück hält es nicht in mir aus, ich konnte mir nicht helfen. Und da ich
sonst keine Bekannten hier habe, denen ich vertraue – "
So redete
er. Ich aber sah ihn traurig an, – denn das Stück Fruchtkuchen, das ich im
Munde hatte, schmeckte nicht gut – und sagte in sein hübsch geröthetes Gesicht:
"Ich bin froh darüber, daß ich Ihnen vertrauenswürdig scheine, aber
traurig darüber, daß Sie es mir erzählten. Und Sie selbst – wären Sie nicht so
verwirrt – würden es fühlen, wie unpassend es ist, einem der allein sitzt und
Schnaps trinkt, von einem liebenden Mädchen zu erzählen."
Als ich das
gesagt hatte, setzte er sich mit einem Ruck nieder, legte sich zurück und ließ
seine Arme hängen. Dann drückte er sie mit gespitztem Ellbogen zurück und
begann mit ziemlich lauter Stimme vor sich hinzusprechen: "Wir sind dort
ganz allein im Zimmer – gesessen – mit der Annerl und ich habe sie geküßt –
geküßt – habe ich – sie – auf – ihren Mund, ihr Ohr, ihre Schultern –"
Einige
Herren, die in der Nähe standen und ein lebhaftes Gespräch vermutheten, kamen
gähnend zu uns. Daher stand ich auf und sagte laut: "Gut, wenn Sie wollen,
so gehe ich, aber es ist thöricht, jetzt auf den Laurenziberg zu gehn, denn das
Wetter ist noch kühl und da ein wenig Schnee gefallen ist, sind die Wege wie
Schlittschuhbahnen. Aber wenn Sie wollen, gehe ich mit. "
Zuerst sah
er mich staunend an und öffnete seinen Mund mit den breiten und rothen nassen
Lippen. Dann aber, als er die Herren sah, die schon ganz in der Nähe waren,
lachte er, stand auf und sagte: "0 doch, die Kühle wird gut thun, unsere
Kleider sind voll Hitze und Rauch, ich bin vielleicht auch ein wenig betrunken,
ohne viel getrunken zu haben, ja, wir werden uns verabschieden und dann werden
wir gehn. "
Also giengen
wir zur Hausfrau und als er ihr die Hand küßte, sagte sie: "Wirklich, ich
bin froh, daß Ihr Gesicht heute so glücklich ist, sonst ist es immer so ernst
und gelangweilt. " Die Güte dieser Worte rührte ihn und er küßte noch
einmal ihre Hand; da lächelte sie.
Im Vorzimmer
stand ein Stubenmädchen, wir sahen sie jetzt zum erstenmal. Sie half uns in die
Überröcke und nahm dann eine kleine Handlampe, um uns über die Treppe zu
leuchten. Ja, das Mädchen war schön. Ihr Hals war nackt und nur unter dem Kinn
von einem schwarzen Sammtband umbunden und ihr lose bekleideter Körper war
schön gebeugt, als sie vor uns die Treppe hinunterstieg die Lampe
niederhaltend. Ihre Wangen waren geröthet, denn sie hatte Wein getrunken und
ihre Lippen waren halbgeöffnet.
Unten an der
Treppe stellte sie die Lampe auf eine Stufe nieder, gieng ein wenig taumelnd
auf meinen Bekannten zu und umarmte ihn und küßte ihn und blieb in der
Umarmung. Erst als ich ihr ein Geldstück in die Hand legte, löste sie schläfrig
ihre Arme von ihm, öffnete langsam das kleine Hausthor und ließ uns in die
Nacht.
Über der
leeren, gleichmäßig erhellten Straße stand ein großer Mond in einem leicht
bewölkten und dadurch weiter ausgebreiteten Himmel. Auf dem Boden lag ein
zarter Schnee. Die Füße glitten aus beim Gehn, daher mußte man kleine Schritte
thun.
Kaum waren
wir ins Freie getreten, als ich offenbar in große Munterkeit gerieth. Ich hob
die Beine übermüthig und ließ die Gelenke lustig knacken, ich rief über die
Gasse einen Namen hin, als sei mir ein Freund um die Ecke entwischt, ich warf
den Hut im Sprunge hoch und fieng ihn prahlerisch auf.
Mein
Bekannter aber gieng unbekümmert neben mir her. Er hielt den Kopf geneigt. Er
redete auch nicht.
Das wunderte
mich, denn ich hatte erwartet, seine Freude würde ihn toll machen, wenn die
Gesellschaft nicht mehr um ihn wäre; ich wurde stiller. Gerade hatte ich ihm
einen aufmunternden Schlag über den Rücken gegeben, als mich Scham ergriff, so
daß ich meine Hand ungeschickt zurückzog. Da sie mir unnöthig war, steckte ich
sie in die Tasche meines Rockes.
Wir giengen
also schweigend. Ich achtete darauf, wie unsere Schritte klangen und konnte
nicht begreifen, daß es mir unmöglich war in gleichem Schritt mit meinem
Bekannten zu bleiben. Es erregte mich ein wenig. Der Mond war klar, man konnte
deutlich sehn. Hie und da lehnte jemand in einem Fenster und betrachtete uns.
Als wir in
die Ferdinandsstraße kamen, bemerkte ich, daß mein Bekannter eine Melodie zu
summen begann; es war ganz leise, aber ich hörte es. Ich fand, daß es für mich
beleidigend sei. Warum sprach er nicht mit mir? Wenn er mich aber nicht nöthig
hatte, warum hatte er mich nicht in meiner Ruhe gelassen. Ich erinnerte mich
ärgerlich an das gute süße Zeug, das ich seinetwegen auf meinem Tischchen
liegen gelassen hatte. Ich erinnerte mich auch an den Benediktiner und wurde
ein wenig lustiger, fast hochmüthig kann man sagen. Ich stemmte die Hände in
die Hüften und bildete mir ein, ich gienge selbstständig spazieren. Ich war in
Gesellschaft gewesen, hatte einen undankbaren jungen Menschen vor Beschämung
gerettet und gieng jetzt im Mondlicht spazieren. Eine in ihrer Natürlichkeit
grenzenlose Lebensweise. Den Tag über im Amt, Abends in Gesellschaft, in der Nacht
auf den Gassen und nichts übers Maß.
Doch, mein
Bekannter gieng noch hinter mir, ja er beschleunigte sogar seinen Gang, als er
merkte, daß er zurückgeblieben war und that, als wäre das etwas Natürliches.
Ich aber überlegte, ob es nicht vielleicht passend wäre, in eine Seitengasse
einzubiegen, da ich doch zu einem gemeinsamen Spaziergang nicht verpflichtet
war. Ich konnte allein nachhause gehn und keiner durfte mich hindern. In meinem
Zimmer würde ich die Stehlampe anzünden, welche in dem eisernen Gestelle auf
dem Tische ist, ich würde mich in meinen Armstuhl setzen, der auf dem
zerrissenen morgenländischen Teppich steht. – Als ich soweit war, überfiel mich
die Schwäche, die immer über mich kommt, sobald ich daran denken muß, wieder in
meine Wohnung zu gehn und wieder Stunden allein zwischen den bemalten Wänden zu
verbringen und auf dem Fußboden, welcher in dem an der Rückwand aufgehängten
Goldrahmenspiegel schräg abfallend erscheint. Meine Beine wurden müde und schon
war ich entschlossen auf jeden Fall nachhause zu gehn und mich in mein Bett zu
legen, als mir der Zweifel kam, ob ich jetzt beim Weggehn meinen Bekannten
grüßen solle oder nicht. Aber ich war zu furchtsam, um ohne Gruß wegzugehn und
zu schwach, um laut rufend zu grüßen, daher blieb ich wieder stehn, stützte
mich an eine mondbeschienene Häusermauer und wartete.
Mein
Bekannter kam in fröhlichem Schritt und wohl auch ein wenig besorgt. Er machte
große Anstalten, zwinkerte jetzt mit seinen Augenlidern, streckte die Arme
wagrecht in die Luft, reckte heftig seinen Kopf, auf dem ein harter schwarzer
Hut war, zu mir empor und schien mit alledem zeigen zu wollen, er verstehe den
Scherz sehr gut zu würdigen, den ich zu seiner Belustigung hier vorführte.
Ich war
hilflos und sagte leise: "Heute ist ein lustiger Abend. " Dabei gab
ich ein mißlungenes Lachen von mir. Er antwortete: "Ja, und haben Sie
gesehn, wie auch das Stubenmädchen mich küßte. " Ich konnte nicht reden,
denn mein Hals war voll Thränen, daher versuchte ich, wie ein Posthorn zu blasen,
um nicht stumm zu bleiben. Er hielt sich zuerst die Ohren zu, dann schüttelte
er freundlich dankend meine rechte Hand. Die muß sich kalt angefühlt haben,
denn er ließ sie gleich los und sagte: "Ihre Hand ist sehr kalt, die
Lippen des Stubenmädchens waren wärmer, o ja. " Ich nickte verständig.
Während ich aber den lieben Gott bat, mir Standhaftigkeit zu geben, sagte ich:
"Ja, Sie haben recht, wir werden nachhause gehn, es ist spät und morgen
früh habe ich Amt; bedenken Sie, man kann ja dort schlafen, aber es ist nicht
das Rechte. Sie haben recht, wir werden nachhause gehn. " Dabei reichte
ich ihm die Hand, als sei die Sache endgiltig erledigt. Er aber gieng lächelnd
auf meine Redeweise ein: "Ja, Sie haben Recht, eine solche Nacht will
nicht im Bette verschlafen sein. Bedenken Sie doch, wieviele glückliche
Gedanken man mit der Bettdecke erstickt, wenn man allein in seinem Bette
schläft und wieviel unglückliche Träume man mit ihr wärmt. " Und aus
Freude über diesen Einfall, faßte er vorn an der Brust – höher reichte er nicht
– kräftig meinen Rock, und schüttelte mich mit Laune; dann kniff er seine Augen
zusammen und sagte vertraulich: "Wissen Sie, wie Sie sind, komisch sind
Sie. " Dabei begann er weiter zu gehn und ich folgte ihm, ohne es zu
merken, denn mich beschäftigte sein Ausspruch.
Zuerst
freute es mich, denn es schien zu zeigen, daß er etwas in mir vermuthete, was
zwar nicht in mir war, aber mich bei ihm in Beachtung brachte dadurch, daß er
es vermuthete. Ein solches Verhältnis macht mich glücklich. Ich war zufrieden,
nicht nachhause gegangen zu sein und mein Bekannter wurde für mich sehr
wertvoll als einer, der mir vor den Menschen Wert gibt, ohne daß ich ihn erst
erwerben muß! Ich sah meinen Bekannten mit liebevollen Augen an. In Gedanken
schützte ich ihn gegen Gefahren, besonders gegen Nebenbuhler und eifersüchtige
Männer. Sein Leben wurde mir theuerer als meines. Ich fand sein Gesicht schön,
ich war stolz auf sein Glück bei den Frauenzimmern und ich nahm an den Küssen
theil, die er an diesem Abend von den zwei Mädchen bekommen hatte. Oh, dieser
Abend war lustig! Morgen wird mein Bekannter mit Fräulein Anna reden;
gewöhnliche Dinge zuerst, wie es natürlich ist, aber dann wird er plötzlich
sagen: "Gestern in der Nacht war ich mit einem Menschen beisammen, wie Du
ihn liebes Annerl, sicher noch nie gesehen hast. Er sieht aus, – wie soll ich
es beschreiben – wie eine Stange in baumelnder Bewegung auf die ein
gelbhäutiger und schwarzbehaarter Schädel ein wenig ungeschickt aufgespießt
ist. Sein Körper ist mit vielen, ziemlich kleinen, grellen, gelblichen
Stoffstücken behängt, die ihn gestern vollständig bedeckten, denn in der
Windstille dieser Nacht lagen sie glatt an. Er gieng schüchtern neben mir. Du
mein liebes Annerl, die Du so gut küssen kannst, ich weiß, Du hättest ein wenig
gelacht und ein wenig Dich gefürchtet, ich aber, dessen Seele ganz zerflogen
ist vor Liebe zu Dir, freute mich seiner Gegenwart. Er ist vielleicht
unglücklich und darum schweigt er still und doch ist man neben ihm in einer
glücklichen Unruhe, die nicht aufhört. Ich war ja gestern gebeugt von eigenem
Glück, aber fast vergaß ich an Dich. Es war mir als höbe sich mit den
Athemzügen seiner platten Brust die harte Wölbung des gestirnten Himmels. Der
Horizont brach auf und unter entzündeten Wolken wurden Landschaften sichtbar
endlos, so wie sie uns glücklich machen. – Mein Himmel, wie liebe ich Dich
Annerl und Dein Kuß ist mir lieber als eine Landschaft. Reden wir nicht mehr
von ihm und haben wir einander lieb. "
Als wir dann
mit langsamen Schritten den Quai betraten, beneidete ich zwar meinen Bekannten
um die Küsse, aber ich empfand auch mit Fröhlichkeit die innere Beschämung, die
er mir gegenüber, so wie ich ihm erschien, wohl fühlen mußte.
So dachte
ich. Aber meine Gedanken verwirrten sich damals, denn die Moldau und die
Stadtviertel am andern Ufer lagen in einem Dunkel. Nur einige Lichter brannten
und spielten mit den schauenden Augen.
Wir standen
am Geländer. Ich zog meine Handschuhe an, denn vom Wasser wehte es kalt; dann
seufzte ich ohne Grund auf, wie man es vor einem Fluß in der Nacht wohl thun
mag, und wollte weiter gehn. Aber mein Bekannter schaute ins Wasser und rührte
sich gar nicht. Dann trat er noch näher an das Geländer, stützte die Arme mit
den Ellenbogen auf das Eisen nieder und legte die Stirne in seine Hände. Das
schien mir thöricht. Ich fror und stülpte meinen Rockkragen in die Höhe. Mein
Bekannter streckte sich und legte den Oberkörper, der jetzt auf seinen
gespannten Armen ruhte, über das Geländer. Beschämt beeilte ich mich zu reden,
um mein Gähnen zu unterdrücken: "Nicht wahr, es ist doch merkwürdig daß
gerade die Nacht nur imstande ist, uns ganz in Erinnerungen zu tauchen. Jetzt
zum Beispiel erinnere ich mich an dieses: Einmal saß ich auf einer Bank am Ufer
eines Flusses am Abend in verrenkter Haltung. Ich sah, den Kopf auf den Arm
gelegt, der auf der hölzernen Lehne der Bank auflag, die wolkenhaften Berge des
andern Ufers und hörte eine zarte Geige, die jemand im Strandhotel spielte. Auf
beiden Ufern fuhren hin und wieder schiebende Züge mit erglänzendem Rauch.
" – So redete ich und suchte krampfhaft hinter den Worten
Liebesgeschichten mit merkwürdigen Lagen zu erfinden; auch ein wenig Roheit und
feste Nothzucht brauchte nicht zu fehlen.
Aber ich
brachte kaum die ersten Worte vor, als mein Bekannter gleichgültig und bloß
überrascht darüber, mich noch hier zu sehn – so schien es mir – sich zu mir
wandte und sagte: "Sehen Sie, so kommt es immer. Als ich heute die Treppe
hinunterstieg, um noch einen Abendspaziergang zu machen, ehe ich in die
Gesellschaft gehen mußte, wunderte ich mich, wie meine röthlichen Hände in den
weißen Manschetten hin und herschlenkerten und wie sie es mit ungewohnter
Munterkeit thaten. Da erwartete ich Abenteuer. So kommt es immer." Dieses
sagte er schon im Gehn, nur beiläufig, als eine kleine Beobachtung.
Mich aber
rührte es sehr und es wurde mir schmerzlich, daß ihm vielleicht meine lange
Gestalt unangenehm sein könnte, neben der er vielleicht zu klein erschien. Und
dieser Umstand quälte mich, trotzdem es doch Nacht war und wir fast niemandem
begegneten, doch so sehr, daß ich meinen Rücken so gebückt machte, daß meine
Hände im Gehn meine Knie berührten. Damit aber mein Bekannter meine Absicht
nicht merke, veränderte ich meine Haltung nur ganz allmählich mit großer
Vorsicht und suchte seine Aufmerksamkeit von mir abzulenken durch Bemerkungen
über die Bäume der Schützeninsel und über die Spiegelung der Brückenlampen im
Flusse. Aber mit plötzlicher Wendung drehte er sein Gesicht mir zu und sagte
nachsichtig: "Warum gehen Sie denn so? Sie sind ja jetzt ganz gebückt und
fast so klein, wie ich. "
Da er das
gütig gesagt hatte, antwortete ich: "Das mag sein. Aber mir ist diese
Haltung angenehm. Ich bin ziemlich schwächlich, wissen Sie, und es kommt mir zu
schwer an, meinen Körper aufrecht zu erhalten. Das ist keine Kleinigkeit; ich
bin sehr lang – "
Er sagte ein
wenig mißtrauisch: "Das ist doch bloß eine Laune. Sie giengen doch früher
ganz aufrecht, glaube ich und auch in der Gesellschaft hielten Sie sich doch
leidlich. Sie tanzten sogar oder nicht? Nein? Aber aufrecht giengen Sie doch
und das werden Sie jetzt auch noch können. "
Ich
antwortete beharrlich und mit der Hand abwehrend: "Ja, ja ich gieng
aufrecht. Aber Sie unterschätzen mich. Ich weiß, was gutes Benehmen ist und
darum gehe ich gebückt. "
Aber ihm
schien es nicht einfach, sondern verwirrt von seinem Glück verstand er den
Zusammenhang meiner Worte nicht und sagte nur: "Nun, wie Sie wollen"
und schaute zur Uhr des Mühlenthurmes auf, die schon fast ein Uhr zeigte.
Ich aber
sagte zu mir: "Wie herzlos ist dieser Mensch! Wie bezeichnend und deutlich
ist seine Gleichgültigkeit gegen meine demüthigen Worte! Er ist eben glücklich
und das ist die Art der Glücklichen, alles natürlich zu finden, was um sie
geschieht. Ihr Glück stellt einen glanzvollen Zusammenhang her. Und wenn ich
jetzt ins Wasser gesprungen wäre oder wenn mich jetzt vor ihm Krämpfe zerreißen
hier auf dem Pflaster unter diesem Bogen immer würde ich mich friedlich seinem
Glück einfügen. Ja, wenn er in die Laune käme – ein Glücklicher ist so
gefährlich, das ist unzweifelhaft – würde er mich auch todtschlagen wie ein
Straßenmörder. Das ist sicher und da ich feig bin, würde ich vor Schrecken
nicht einmal zu schreien wagen. – Um Gotteswillen! " – Ich sah mich in Angst
um. Vor einem entfernten Kaffeehaus mit rechteckigen schwarzen Scheiben ließ
sich ein Schutzmann über das Pflaster gleiten. Sein Säbel behinderte ihn ein
wenig, er nahm ihn in die Hand und nun gieng es viel hübscher. Und als ich ihn
bei der mäßigen Entfernung auch noch schwach juchzen hörte, da war ich
überzeugt, daß er mich nicht retten würde, wenn mich mein Bekannter totschlagen
wollte.
Aber jetzt
wußte ich auch, was ich thun mußte, denn gerade vor schrecklichen Ereignissen
überkommt mich große Entschlossenheit. Ich mußte weglaufen. Es war ganz leicht.
Jetzt beim Einbug zur Karlsbrücke nach links konnte ich nach rechts in die
Karlsgasse springen. Sie war winklig, es gab dort dunkle Hausthore und
Weinstuben die noch offen waren; ich mußte nicht verzweifeln.
Als wir
unter dem Bogen am Ende des Quais hervortraten, rannte ich mit erhobenen Armen
in die Gasse; doch als ich gerade zu einer kleinen Thüre der Kirche kam, fiel
ich, denn dort war eine Stufe die ich nicht gesehen hatte. Es krachte. Die
nächste Laterne war entfernt, ich lag im Dunkel. Aus einer Weinstube gegenüber
kam ein dickes Weib mit einem rauchigen Lämpchen heraus, um nachzusehn was auf
der Gasse geschehen war. Das Klavierspiel hörte auf und ein Mann öffnete die
jetzt halboffene Thür völlig. Er spie großartig auf eine Stufe und während er
das Frauenzimmer zwischen den Brüsten kitzelte, sagte er, das was geschehen
sei, sei jedenfalls ohne Bedeutung. Sie drehten sich darauf um und die Thüre
wurde wieder zugemacht.
Als ich
aufzustehn versuchte, fiel ich wieder. "Es ist Glatteis", sagte ich
und verspürte einen Schmerz im Knie. Aber doch freute es mich, daß die Leute
aus der Weinstube mich nicht sehen konnten und es schien mir daher das
Bequemste hier bis zur Dämmerung liegen zu bleiben.
Mein
Bekannter war wohl allein bis zur Brücke gegangen, ohne meinen Abschied bemerkt
zu haben, denn er kam erst nach einer Weile zu mir. Ich sah nicht, daß er
erstaunt war, als er sich mitleidig zu mir bückte und mich mit weicher Hand
streichelte. Er fuhr an meinen Wangenknochen auf und nieder und legte dann zwei
dicke Finger an meine niedrige Stirn: "Sie haben sich weh gethan, nicht?
Es ist Glatteis und man muß vorsichtig sein – der Kopf schmerzt Sie? Nein? ach
das Knie, so. " Er sprach in einem singenden Ton, als ob er eine
Geschichte erzähle und eine sehr angenehme Geschichte überdies von einem sehr
entfernten Schmerz in einem Knie. Er bewegte auch seine Arme, aber er dachte
nicht daran mich aufzuheben. Ich stützte den Kopf auf meine rechte Hand – der
Ellbogen lag auf einem Pflasterstein – und sagte schnell, damit ich es nicht
vergäße: "Ich weiß nicht eigentlich, warum ich nach rechts lief. Doch ich
sah unter den Lauben dieser Kirche – ich weiß nicht, wie sie heißt, oh, bitte,
verzeihen Sie – eine Katze laufen. Eine kleine Katze und sie hatte ein helles
Fell. Daher bemerkte ich sie. – Oh nein, das war es nicht, entschuldigen Sie,
aber es ist genügende Mühe sich den Tag über zu beherrschen. Man schläft eben
um sich zu dieser Mühe zu kräftigen, schläft man aber nicht, dann geschehn
nicht selten zwecklose Dinge mit uns, aber es wäre unhöflich von unsern
Begleitern sich darüber laut zu wundern. "
Mein
Bekannter hatte die Hände in den Taschen und sah über die leere Brücke hin,
dann zur Kreuzherrenkirche und dann auf zum Himmel, der klar war. Da er mir
nicht zugehört hatte, sagte er dann ängstlich: "Ja, warum reden Sie denn
nicht mein Lieber; ist Ihnen schlecht – ja warum stehn Sie denn eigentlich
nicht auf – es ist doch kalt hier, Sie werden sich verkühlen und dann wollten
wir doch auf den Laurenziberg. "
"Natürlich",
sagte ich, "verzeihen Sie" und ich stand allein auf, aber mit starkem
Schmerz. Ich schwankte und mußte das Standbild Karl des Vierten fest ansehn um
meines Standpunktes sicher zu sein. Aber das Mondlicht war ungeschickt und
brachte auch Karl den Vierten in Bewegung. Ich staunte darüber und meine Füße
wurden viel kräftiger aus Angst, Karl der Vierte möchte umstürzen, wenn ich
nicht in beruhigender Haltung wäre. Später schien mir meine Anstrengung
nutzlos, denn Karl der Vierte fiel doch herunter, gerade als es mir einfiel,
daß ich geliebt würde von einem Mädchen in einem schönen weißen Kleid.
Unnützes
thue ich und versäume viel. Wie glücklich war dieser Einfall, das Mädchen
betreffend! – Und lieb war es da vom Mond, daß er auch mich beschien und ich
wollte aus Bescheidenheit mich unter die Wölbung des Brückenthurmes stellen,
als ich einsah, daß es doch bloß natürlich sei, daß der Mond alles bescheine.
Daher breitete ich mit Freude meine Arme aus, um den Mond ganz zu genießen. –
Da fiel mir der Vers ein:
Ich sprang durch die Gassen wie ein betrunkener Läufer stampfend durch Luft
und es wurde
mir leicht, als ich Schwimmbewegungen mit den lässigen Armen machend ohne
Schmerz und Mühe vorwärtskam. Mein Kopf lag gut in kühler Luft und die Liebe
des weißgekleideten Mädchens brachte mich in trauriges Entzücken, denn es
schien mir als schwimme ich von der Verliebten und auch von den wolkenhaften
Bergen ihrer Gegend weg. – Und ich erinnerte mich, daß ich einmal einen
glücklichen Bekannten, der jetzt noch vielleicht neben mir gieng, gehaßt hatte
und es freute mich, daß mein Gedächtnis so gut war, daß es selbst so
nebensächliche Dinge bewahrte. Denn das Gedächtnis hat viel zu tragen. So
kannte ich mit einem Male alle die vielen Sterne bei Namen, trotzdem ich es
niemals gelernt hatte. Ja, es waren merkwürdige Namen, schwer zu behalten, aber
ich wußte sie alle und sehr genau. Ich gab meinen Zeigefinger in die Höhe und
nannte die Namen der einzelnen laut. – Ich kam aber nicht weit mit dem Nennen
der Sterne, denn ich mußte weiterschwimmen, wollte ich nicht zusehr
untertauchen. Aber damit man mir später nicht sagen könnte, über dem Pflaster
könnte jeder schwimmen und es sei nicht des Erzählens wert, erhob ich mich
durch ein Tempo über das Geländer und umkreiste schwimmend jede Heiligenstatue,
der ich begegnete. – Bei der fünften, als ich mich gerade mit überlegenen
Schlägen über dem Pflaster hielt, faßte mein Bekannter meine Hand. Da stand ich
wieder auf dem Pflaster und fühlte einen Schmerz im Knie. Ich hatte die Namen
der Sterne vergessen und von dem lieben Mädchen wußte ich nur, daß sie ein
weißes Kleid getragen hatte, aber ich konnte mich gar nicht mehr erinnern,
welche Gründe ich gehabt hatte, an die Liebe des Mädchens zu glauben. Es erhob
sich in mir ein großer und so begründeter Zorn gegen mein Gedächtnis und Angst,
ich könnte das Mädchen verlieren. Und so wiederholte ich angestrengt und
unaufhörlich "weißes Kleid, weißes Kleid" um wenigstens durch dieses
eine Zeichen mir das Mädchen zu erhalten. Aber das hat nichts geholfen. Mein
Bekannter drängte sich mit seinen Reden immer näher zu mir und in dem
Augenblick, als ich anfieng seine Worte zu verstehn, hüpfte ein weißer Schimmer
zierlich am Brückengeländer entlang, strich durch den Brückenthurm und sprang
in die dunkle Gasse.
"Immer
liebte ich", sagte mein Bekannter auf die Statue der heiligen Ludmila
zeigend, "die Hände dieses Engels, links. Ihre Zartheit ist ohne Grenzen
und die Finger, die sich aufspannen, zittern. Aber von heute abend an sind mir
diese Hände gleichgültig, das kann ich sagen, denn ich küßte Hände – " Da
umarmte er mich küßte meine Kleider und stieß mit seinem Kopf gegen meinen
Leib.
Ich sagte:
"Ja, ja. Ich glaube das. Ich zweifle nicht" und dabei zwickte ich ihn
mit meinen Fingern soweit er sie freiließ in seine Waden. Aber er spürte es
nicht. Da sagte ich zu mir: "Warum gehst Du mit diesem Menschen Du liebst
ihn nicht und Du hassest ihn auch nicht, denn sein Glück besteht nur in einem
Mädchen und es ist nicht einmal sicher, daß sie ein weißes Kleid trägt. Also
ist Dir dieser Mensch gleichgültig – wiederhole es – gleichgültig. Er ist aber
auch ungefährlich, wie es sich erwiesen hat. Also geh mit ihm zwar weiter auf
den Laurenziberg, denn Du bist schon auf dem Wege in schöner Nacht, aber laß
ihn reden und vergnüge Dich auf Deine Weise, dadurch – sage es leise – schützt
Du Dich auch am besten. "
II
Belustigungen
oder
Beweis
dessen, daß es unmöglich ist zu leben.
1 Ritt
Schon sprang
ich mit ungewohnter Geschicklichkeit meinem Bekannten auf die Schultern und
brachte ihn dadurch, daß ich meine Fäuste in seinen Rücken stieß in einen
leichten Trab. Als er aber noch ein wenig widerwillig stampfte und manchmal
sogar stehen blieb, hackte ich mehrmals mit meinen Stiefeln in seinen Bauch, um
ihn munterer zu machen. Es gelang und wir kamen mit guter Schnelligkeit immer
weiter in das Innere einer großen, aber noch unfertigen Gegend, in der es Abend
war.
Die
Landstraße, auf der ich ritt, war steinig und stieg bedeutend, aber gerade das
gefiel mir und ich ließ sie noch steiniger und steiler werden. Sobald mein
Bekannter stolperte, riß ich ihn an seinen Haaren in die Höhe und sobald er
seufzte, boxte ich ihn in den Kopf. Dabei fühlte ich, wie gesund mir dieser
Abendritt in dieser guten Laune war und, um ihn noch wilder zu machen, ließ ich
einen starken Gegenwind in langen Stößen in uns blasen. Jetzt übertrieb ich
auch noch auf den breiten Schultern meines Bekannten die springende Bewegung
des Reitens und, während ich mich mit beiden Händen fest an seinem Halse hielt,
beugte ich weit meinen Kopf zurück und betrachtete die mannigfaltigen Wolken,
die schwächer als ich schwerfällig mit dem Winde flogen. Ich lachte und
zitterte vor Muth. Mein Rock breitete sich aus und gab mir Kraft. Dabei preßte
ich meine Hände kräftig in einander und that, als wüßte ich nicht, daß ich
dadurch meinen Bekannten würgte.
Zum Himmel
aber, der mir allmählich durch die gekrümmten Äste der Bäume, die ich am Rande
der Straße wachsen ließ, verdeckt wurde, rief ich in der erhitzten Bewegung des
Reitens: "Ich habe doch anderes zu thun, als immer verliebtes Gerede zu
hören. Warum ist er zu mir gekommen, dieser geschwätzige Verliebte? Sie alle
sind glücklich und werden es besonders, wenn es ein anderer weiß. Sie glauben
einen glücklichen Abend zu haben und schon deshalb freuen sie sich des
künftigen Lebens. "
Da fiel mein
Bekannter, und als ich ihn untersuchte fand ich, daß er am Knie schwer
verwundet war. Da er mir nicht mehr nützlich sein konnte, ließ ich ihn auf den
Steinen und pfiff nur einige Geier aus der Höhe herab, die sich gehorsam und
mit ernstem Schnabel auf ihn setzten, um ihn zu bewachen.
2
Spaziergang
Unbekümmert
gieng ich weiter. Weil ich aber als Fußgänger die Anstrengung der bergigen
Straße fürchtete, ließ ich den Weg immer flacher werden und sich in der
Entfernung endlich zu einem Thale senken.
Die Steine
verschwanden nach meinem Willen und der Wind wurde still und verlor sich im
Abend. Ich gieng in gutem Marsch und da ich bergab gieng, hatte ich den Kopf
erhoben und den Körper gesteift und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Da
ich Fichtenwälder liebe, gieng ich durch Fichtenwälder und, da ich gerne stumm
in den ausgesternten Himmel schaue, so giengen mir auf dem großausgebreiteten
Himmel die Sterne langsam und ruhig auf, wie es auch sonst ihre Art ist. Nur
wenige gestreckte Wolken sah ich, die ein Wind, der nur in ihrer Höhe wehte,
durch die Luft zog.
Ziemlich
weit meiner Straße gegenüber, wahrscheinlich durch einen Fluß von mir getrennt,
ließ ich einen hohen Berg aufstehn, dessen Höhe mit Buschwerk bewachsen an den
Himmel grenzte. Noch die kleinen Verzweigungen und Bewegungen der höchsten Äste
konnte ich deutlich sehn. Dieser Anblick, wie gewöhnlich er auch sein mag,
freute mich so, daß ich als ein kleiner Vogel auf den Ruten dieser entfernten
struppigen Sträucher schaukelnd daran vergaß, den Mond aufgehn zu lassen, der
schon hinter dem Berge lag, wahrscheinlich zürnend wegen der Verzögerung.
Jetzt aber
breitete sich der kühle Schein, der dem Mondaufgang vorhergeht, auf dem Berge
aus und plötzlich hob der Mond selbst sich hinter einem der unruhigen
Sträucher. Ich jedoch hatte indessen in einer andern Richtung geschaut und als
ich jetzt vor mich hin blickte und ihn mit einem Male sah, wie er schon fast
mit seiner ganzen Rundung leuchtete, blieb ich mit trüben Augen stehn, denn
meine abschüssige Straße schien gerade in diesen erschreckenden Mond zu führen.
Aber nach
einem Weilchen gewöhnte ich mich an ihn und betrachtete mit Besonnenheit, wie
schwer ihm der Aufstieg wurde, bis ich endlich, nachdem ich und er einander ein
großes Stück entgegengegangen waren, eine angenehme Schläfrigkeit verspürte,
die wie ich glaubte, wegen der Anstrengungen des Tages über mich kam, an die
ich mich freilich nicht mehr erinnern konnte. Ich gieng eine kleine Zeit mit
geschlossenen Augen, indem ich mich nur dadurch wachend erhielt, daß ich laut
und regelmäßig die Hände zusammenschlug.
Dann aber,
als der Weg mir unter den Füßen zu entgleiten drohte und alles müde wie ich zu
entschwinden begann, beeilte ich mich den Abhang an der rechten Seite der
Straße mit aufgeregter Bewegung zu erklettern, um noch rechtzeitig in den hohen
verwirrten Fichtenwald zu kommen, in dem ich die Nacht verschlafen wollte. Die
Eile war nöthig. Die Sterne dunkelten schon und der Mond versank schwächlich im
Himmel, wie in einem bewegten Gewässer. Der Berg war schon ein Stück der Nacht,
die Landstraße endete beängstigend dort, wo ich zum Abhang mich gewendet hatte
und aus dem Innern des Waldes hörte ich das näherkommende Krachen fallender
Stämme. Nun hätte ich mich gleich auf das Moos zum Schlaf werfen können, aber
da ich die Ameisen fürchte, kroch ich mit um den Stamm gewundenen Beinen auf
einen Baum, der auch schon baumelte ohne Wind, legte mich auf einen Ast, den
Kopf an den Stamm gelegt und schlief hastig ein, indeß ein Eichhörnchen meiner
Laune mit steilem Schwanz auf dem bebenden Ende des Astes saß und sich wiegte.
Der Fluß war
breit und seine kleinen lauten Wellen waren beschienen. Auch am andern Ufer
waren Wiesen, die dann in Gesträuch übergiengen, hinter dem man in großer
Fernsicht helle Obstalleen sah, die zu grünen Hügeln führten.
Erfreut über
diesen Anblick legte ich mich nieder und dachte, während ich mir die Ohren
gegen gefürchtetes Weinen zuhielt, hier könnte ich zufrieden werden. "Denn
hier ist es einsam und schön. Es braucht nicht viel Muth, hier zu leben. Man
wird sich hier quälen müssen wie anderswo auch, aber man wird sich dabei nicht
schön bewegen müssen. Das wird nicht nöthig sein. Denn es sind nur Berge da und
ein großer Fluß und ich bin noch klug genug, sie für leblos zu halten. Ja, wenn
ich am Abend allein auf den steigenden Wiesenwegen stolpern werde, so werde ich
nicht verlassener sein, als der Berg, nur daß ich es fühlen werde. Aber ich glaube,
auch das wird noch vergehn. "
So spielte
ich mit meinem künftigen Leben und versuchte hartnäckig zu vergessen. Ich sah
dabei blinzelnd in jenen Himmel, der in einer ungewöhnlich glücklichen Färbung
war. Ich hatte ihn schon lange nicht so gesehn, ich wurde gerührt und an
einzelne Tage erinnert, an denen ich auch geglaubt hatte, ihn so zu sehn. Ich
gab die Hände von meinen Ohren, breitete meine Arme aus und ließ sie in die
Gräser fallen.
Ich hörte
jemand weit und schwach schluchzen. Es wurde windig und große Mengen trockener
Blätter, die ich früher nicht gesehen hatte, flogen rauschend auf. Von den
Obstbäumen schlugen unreife Früchte irrsinnig auf den Boden. Hinter einem Berg
kamen häßliche Wolken herauf. Die Flußwellen knarrten und wichen vor dem Wind zurück.
Ich stand
rasch auf. Mich schmerzte mein Herz, denn jetzt schien es unmöglich aus meinen
Leiden hinauszukommen. Schon wollte ich umkehren, um diese Gegend zu verlassen
und in meine frühere Lebensart zurückzukehren, als ich diesen Einfall bekam:
"Wie merkwürdig ist es, daß noch in unserer Zeit vornehme Personen in
dieser schwierigen Weise über einen Fluß befördert werden. Es giebt keine
andere Erklärung dafür, als daß es ein alter Brauch ist. " Ich schüttelte
den Kopf, denn ich war verwundert.
3
Der Dicke
a
Ansprache an
die Landschaft
Aus den
Gebüschen des andern Ufers traten gewaltig vier nackte Männer, die auf ihren
Schultern eine hölzerne Tragbahre hielten. Auf dieser Tragbahre saß in
orientalischer Haltung ein ungeheuerlich dicker Mann. Trotzdem er durch
Gebüsche auf ungebahntem Weg getragen wurde, schob er die dornigen Zweige doch
nicht auseinander, sondern durchstieß sie ruhig mit seinem unbeweglichen
Körper. Seine faltigen Fettmassen waren so sorgfältig ausgebreitet, daß sie
zwar die ganze Tragbahre bedeckten und noch an den Seiten gleich dem Saume
eines gelblichen Teppichs hinunterhiengen, und ihn dennoch nicht störten. Sein
haarloser Schädel war klein und glänzte gelb. Sein Gesicht trug den einfältigen
Ausdruck eines Menschen der nachdenkt und sich nicht bemüht es zu verbergen.
Bisweilen schloß er seine Augen; öffnete er sie wieder, verzerrte sich sein
Kinn.
"Die
Landschaft stört mich in meinem Denken", sagte er leise, "sie läßt
meine Überlegungen schwanken, wie Kettenbrücken bei zorniger Strömung. Sie ist
schön und will deshalb betrachtet sein. "
"Ich
schließe meine Augen und sage: Du grüner Berg am Flusse, der Du gegen das
Wasser rollendes Gestein hast, Du bist schön. "
"Aber
er ist nicht zufrieden, er will, daß ich die Augen zu ihm öffne. "
"Wenn
ich aber mit geschlossenem Auge sage: Berg, ich liebe Dich nicht, denn Du
erinnerst mich an die Wolken, an die Abendröthe und an den steigenden Himmel
und das sind Dinge, die mich fast weinen machen, denn man kann sie niemals
erreichen, wenn man sich auf einer kleinen Sänfte tragen läßt. Während Du mir
aber dieses zeigst, hinterlistiger Berg, verdeckst Du mir die Fernsicht, die
mich erheitert, denn sie zeigt Erreichbares in schönem Überblick. Darum liebe
ich Dich nicht, Berg am Wasser, nein, ich liebe Dich nicht. "
"Aber
diese Rede wäre ihm so gleichgültig, wie meine frühere, wenn ich nicht mit
geöffneten Augen redete. Sonst ist er nicht zufrieden. "
"Und
müssen wir nicht ihn uns freundlich erhalten, damit wir überhaupt ihn nur
aufrecht erhalten, ihn, der eine so launische Vorliebe für den Brei unserer
Gehirne hat. Er würde seinen gezackten Schatten auf mich niederschlagen, er
würde stumm schrecklich kahle Wände mir vorschieben und meine Träger würden
über die kleinen Steinchen am Wege stolpern. "
"Aber nicht
nur der Berg ist so eitel, so zudringlich und so rachsüchtig dann, alles andere
ist es auch. So muß ich mit kreisrunden Augen – oh sie schmerzen – immer
wiederholen: "
"Ja,
Berg Du bist schön und die Wälder auf Deinem westlichen Abhang freuen mich. – Auch
mit Dir, Blume, bin ich zufrieden und Dein Rosa macht meine Seele fröhlich. –
Du Gras auf den Wiesen bist schon hoch und stark und kühlst. – Und Du
fremdartiges Buschwerk stichst so unerwartet, so daß unsere Gedanken in Sprünge
kommen. – An Dir aber Fluß habe ich so großes Gefallen, daß ich mich durch Dein
biegsames Wasser werde tragen lassen. "
Nachdem er
diese Lobpreisung zehnmal laut ausgerufen hatte unter einigem demüthigen Rücken
seines Körpers, ließ er seinen Kopf sinken und sagte mit geschlossenen Augen:
"Jetzt
aber – ich bitte Euch – Berg Blume Gras, Buschwerk und Fluß, gebt mir ein wenig
Raum, damit ich athmen kann. "
Da entstand
ein eilfertiges Verschieben in den umliegenden Bergen, die sich hinter hängende
Nebel stießen. Die Alleen standen zwar fest und hüteten ziemlich die
Straßenbreite, aber frühzeitig verschwammen sie: Am Himmel lag vor der Sonne
eine feuchte Wolke mit leise durchleuchtetem Rand, in deren Beschattung das
Land sich tiefer senkte, während alle Dinge ihre schöne Begrenzung verloren.
Die Tritte
der Träger wurden bis zu meinem Ufer hörbar und doch konnte ich in dem dunklen
Viereck ihrer Gesichter nichts genaues unterscheiden. Ich sah nur, wie sie ihre
Köpfe zur Seite neigten und wie sie ihren Rücken krümmten, denn die Last war ungewöhnlich.
Ich hatte Sorge ihretwegen, denn ich bemerkte, daß sie müde waren. Daher sah
ich mit Spannung zu, als sie in das Ufergras traten, dann in noch ebenmäßigem
Tritt durch den nassen Sand giengen, bis sie endlich in das schlammige Schilf
sanken, wo die beiden rückwärtigen Träger sich noch tiefer bückten, um die
Sänfte in ihrer wagrechten Lage zu erhalten. Ich preßte die Hände in einander.
Jetzt mußten sie bei jedem Schritt ihre Füße hochheben, so daß ihr Körper in
der kühlen Luft dieses veränderlichen Nachmittags vor Schweiß glänzte.
Der Dicke
saß ruhig, die Hände auf seinen Schenkeln; die langen Spitzen des Schilfrohres
streiften ihn, wenn sie hinter den vordern Trägern aufschnellten.
Die
Bewegungen der Träger wurden unregelmäßiger, je näher sie zum Wasser kamen.
Bisweilen schwankte die Sänfte, als sei sie schon auf den Wellen. Kleine
Pfützen im Schilf mußten übersprungen oder umgangen werden, denn vielleicht
waren sie tief.
Einmal
erhoben sich Wildenten schreiend und stiegen steil in die Regenwolke. Da sah
ich in einer kurzen Bewegung das Gesicht des Dicken; es war ganz unruhig. Ich
stand auf und eilte in eckigen Sprüngen über den steinigen Abhang, der mich vom
Wasser trennte. Ich achtete nicht darauf, daß es gefährlich war, sondern ich
dachte nur daran, dem Dicken zu helfen, wenn seine Diener ihn nicht mehr tragen
könnten. Ich lief so unbesonnen, daß ich mich unten beim Wasser nicht einhalten
konnte, sondern ein Stück in das aufspritzende Wasser laufen mußte und erst
stehen blieb, bis das Wasser mir bis an die Knie reichte.
Drüben aber
hatten die Diener unter Verrenkungen die Sänfte ins Wasser gebracht und während
sie mit der einen Hand sich über dem unruhigen Wasser hielten, stemmten sie mit
vier behaarten Armen die Sänfte in die Höhe, so daß man die ungewöhnlich
erhobenen Muskeln sah.
Das Wasser
schlug zuerst ans Kinn, stieg dann zum Mund, der Kopf der Träger beugte sich
zurück und die Traghölzer fielen auf die Schultern. Das Wasser umspielte schon
den Nasenrücken und noch immer gaben sie die Mühe nicht auf, trotzdem sie kaum
in der Mitte des Flusses waren. Da schlug eine niedrige Welle auf die Köpfe der
Vordern nieder und die vier Männer ertranken schweigend, indem sie mit ihren
wilden Händen die Sänfte mit sich hinunter zogen. Wasser schoß im Sturze nach.
Da brach aus
den Rändern der großen Wolke der flache Schein der abendlichen Sonne und
verklärte die Hügel und Berge an der Grenze des Gesichtskreises, während der
Fluß und die Gegend unter der Wolke in undeutlichem Lichte war.
Der Dicke
drehte sich langsam in der Richtung des strömenden Wassers und wurde
flußabwärts getragen, wie ein Götterbild aus hellem Holz, das überflüssig
geworden war und das man daher in den Fluß geworfen hatte. Er fuhr auf der
Spiegelung der Regenwolke hin. Längliche Wolken zogen ihn und kleine gebückte
schoben, so daß es bedeutenden Aufruhr gab, den man noch am Anschlagen des
Wassers an meinen Knien und an den Ufersteinen merken konnte.
Ich kroch
rasch die Böschung wieder hinauf, um auf dem Weg den Dicken begleiten zu
können, denn wahrhaftig ich liebte ihn. Und vielleicht konnte ich etwas
erfahren über die Gefährlichkeit dieses scheinbar sichern Landes. So gieng ich
auf einem Sandstreifen, an dessen Schmalheit man sich erst gewöhnen mußte, die
Hände in den Taschen und das Gesicht im rechten Winkel zum Fluß gewendet, so
daß das Kinn fast auf der Schulter lag.
Auf den
Ufersteinen saßen zarte Schwalben.
Der Dicke
sagte: "Lieber Herr am Ufer, versuchen Sie es nicht, mich zu retten. Das
ist die Rache des Wassers und des Windes; nun bin ich verloren. Ja, Rache ist
es, denn wie oft haben wir diese Dinge angegriffen, ich und mein Freund der
Beter, beim Singen unserer Klinge, unter dem Aufglanz der Cymbeln, der weiten
Pracht der Posaunen und dem springenden Leuchten der Pauken. "
Eine kleine
Möwe mit gestreckten Flügeln flog durch seinen Bauch, ohne daß ihre
Schnelligkeit vermindert wurde.
Der Dicke
erzählte weiter:
b
Begonnenes
Gespräch mit dem Beter.
Es gab eine
Zeit, in der ich Tag um Tag in eine Kirche gieng, denn ein Mädchen in das ich
mich verliebt hatte betete dort kniend eine halbe Stunde am Abend, unterdessen
ich sie in Ruhe betrachten konnte.
Als einmal
das Mädchen nicht gekommen war und ich unwillig auf die Betenden blickte fiel
mir ein junger Mensch auf, der sich mit seiner ganzen magern Gestalt auf den
Boden geworfen hatte. Von Zeit zu Zeit packte er mit der ganzen Kraft seines
Körpers seinen Schädel und schmetterte ihn seufzend in seine Handflächen, die
auf den Steinen auflagen.
In der
Kirche waren nur einige alte Weiber, die oft ihr eingewickeltes Köpfchen mit
seitlicher Neigung drehten, um nach dem Betenden hinzusehn. Diese
Aufmerksamkeit schien ihn glücklich zu machen, denn vor jedem seiner frommen
Ausbrüche ließ er seine Augen umgehn, ob die zuschauenden Leute zahlreich wären.
Ich fand das
ungebührlich und beschloß, ihn anzureden, wenn er aus der Kirche gienge und ihn
auszufragen, warum er in dieser Weise bete. Ja, ich war ärgerlich, weil mein
Mädchen nicht gekommen war.
Aber erst
nach einer Stunde stand er auf, schlug ein ganz sorgfältiges Kreuz und gieng
stoßweise zum Becken. Ich stellte mich auf dem Wege zwischen Becken und Thüre
auf und wußte, daß ich ihn nicht ohne Erklärung durchlassen würde. Ich
verzerrte meinen Mund, wie ich es immer als Vorbereitung thue, wenn ich mit
Bestimmtheit reden will. Ich trat mit dem rechten Beine vor und stützte mich
darauf, während ich das linke nachlässig auf der Fußspitze hielt; auch das
giebt mir Festigkeit.
Nun ist es
möglich, daß dieser Mensch schon auf mich schielte, als er das Weihwasser in
sein Gesicht spritzte, vielleicht auch hatte er mich schon früher mit Besorgnis
bemerkt, denn jetzt unerwartet rannte er zur Thüre und hinaus. Die Glasthür
schlug zu. Und als ich gleich nachher aus der Thüre trat, sah ich ihn nicht
mehr, denn dort gab es einige schmale Gassen und der Verkehr war mannigfaltig.
In den
nächsten Tagen blieb er aus, aber mein Mädchen kam. Sie war in dem schwarzen
Kleide, welches auf den Schultern durchsichtige Spitzen hatte, – der Halbmond
des Hemdrandes lag unter ihnen – von deren unterem Rande die Seide in einem
wohlgeschnittenen Kragen niederhieng. Und da das Mädchen kam vergaß ich an den
jungen Mann und selbst dann kümmerte ich mich nicht um ihn, als er später
wieder regelmäßig kam und nach seiner Gewohnheit betete. Aber immer gieng er
mit großer Eile an mir vorüber, mit abgewendetem Gesichte. Vielleicht lag es
daran, daß ich mir ihn immer nur in Bewegung denken konnte, so daß es mir,
selbst wenn er stand, schien, als schleiche er.
Einmal
verspätete ich mich in meinem Zimmer. Trotzdem gieng ich noch in die Kirche.
Ich fand das Mädchen nicht mehr dort und wollte nachhause gehn. Da lag dort
wieder dieser junge Mensch. Die alte Begebenheit fiel mir jetzt ein und machte
mich neugierig.
Auf den
Fußspitzen glitt ich zum Thürgang, gab dem blinden Bettler, der dort saß eine
Münze und drückte mich neben ihn hinter den geöffneten Thürflügel. Dort saß ich
eine Stunde lang und machte vielleicht ein listiges Gesicht. Ich fühlte mich
dort wohl und beschloß öfters herzukommen. In der zweiten Stunde aber fand ich
es unsinnig hier wegen des Beters zu sitzen. Und dennoch ließ ich noch eine
dritte Stunde schon zornig die Spinnen über meine Kleider kriechen, während die
letzten Menschen lautathmend aus dem Dunkel der Kirche traten.
Da kam er
auch. Er gieng vorsichtig und seine Füße betasteten zuerst leichthin den Boden
ehe sie auftraten.
Ich stand
auf, machte einen großen und geraden Schritt und ergriff den jungen Menschen
beim Kragen. "Guten Abend", sagte ich und stieß ihn, meine Hand an
seinem Kragen die Stufen hinunter auf den beleuchteten Platz.
Als wir
unten waren sagte er mit einer völlig unbefestigten Stimme: "Guten Abend,
lieber lieber Herr, zürnen Sie mir nicht Ihrem höchst ergebenen Diener. "
"Ja",
sagte ich, "ich will Sie einiges fragen mein Herr, voriges Mal entkamen
Sie mir, das wird Ihnen heute kaum gelingen. "
"Sie
sind mitleidig, mein Herr, und Sie werden mich nachhause gehen lassen. Ich bin
bedauernswert, das ist die Wahrheit. "
"Nein",
schrie ich in den Lärm der vorüberfahrenden Straßenbahn, "ich lasse Sie
nicht. Gerade solche Geschichten gefallen mir. Sie sind ein Glücksfang. Ich
beglückwünsche mich. "
Da sagte er:
"Ach, Gott, Sie haben ein lebhaftes Herz und einen Kopf aus einem Block.
Sie nennen mich einen Glücksfang, wie glücklich müssen Sie sein! Denn mein
Unglück ist ein schwankendes Unglück, ein auf einer dünnen Spitze schwankendes
Unglück und berührt man es, so fällt es auf den Frager. Gute Nacht, mein Herr.
"
"Gut",
sagte ich und hielt seine rechte Hand fest, "wenn Sie mir nicht antworten
werden, werde ich hier auf der Gasse zu rufen anfangen. Und alle Ladenmädchen,
die jetzt aus den Geschäften kommen und alle ihre Liebhaber, die sich auf sie
freuen werden zusammenlaufen, denn sie werden glauben, ein Droschkenpferd sei
gestürzt oder etwas dergleichen sei geschehn. Dann werde ich Sie den Leuten
zeigen. "
Da küßte er
weinend abwechselnd meine beiden Hände. "Ich werde Ihnen sagen, was Sie
wissen wollen, aber bitte, gehn wir lieber in die Seitengasse drüben. " Ich
nickte und wir giengen hin.
Aber er
begnügte sich nicht mit dem Dunkel der Gasse, in der nur weit von einander
gelbe Laternen waren, sondern er führte mich in den niedrigen Flurgang eines
alten Hauses unter ein Lämpchen, das vor der Holztreppe tropfend hieng.
Dort nahm er
wichtig sein Taschentuch und sagte es auf einer Stufe breitend: "Setzt
Euch doch lieber Herr, da könnt Ihr besser fragen, ich bleibe stehn, da kann
ich besser antworten. Quält mich aber nicht. "
Da setzte
ich mich und sagte, indem ich mit schmalen Augen zu ihm aufblickte: "Ihr
seid ein gelungener Tollhäusler, das seid Ihr! Wie benehmt Ihr Euch doch in der
Kirche! Wie lächerlich ist das und wie unangenehm den Zuschauern! Wie kann man
andächtig sein, wenn man Euch anschauen muß."
Er hatte seinen
Körper an die Mauer gepreßt, nur den Kopf bewegte er frei in der Luft.
"Ärgert Euch nicht – warum sollt Ihr Euch ärgern über Sachen, die Euch
nicht angehören. Ich ärgere mich, wenn ich mich ungeschickt benehme; benimmt
sich aber nur ein anderer schlecht, dann freue ich mich. Also ärgert Euch
nicht, wenn ich sage, daß es der Zweck meines Betens ist von den Leuten
angeschaut zu werden. "
"Was
sagtet Ihr da", rief ich viel zu laut für den niedrigen Gang, aber ich
fürchtete mich dann, die Stimme zu schwächen, "wirklich, was sagtet Ihr
da. Ja, ich ahne schon, ja ich ahnte es schon, seit ich Euch zum erstenmal sah,
in welchem Zustande Ihr seid. Ich habe Erfahrung und es ist nicht scherzend
gemeint, wenn ich sage, daß es eine Seekrankheit auf festem Lande ist. Deren
Wesen ist so, daß Ihr den wahrhaftigen Namen der Dinge vergessen habt und über
sie jetzt in einer Eile zufällige Namen schüttet. Nur schnell, nur schnell!
Aber kaum seid Ihr von ihnen weggelaufen, habt Ihr wieder ihre Namen vergessen.
Die Pappel in den Feldern, die Ihr den >Thurm von Babel< genannt habt,
denn Ihr wußtet nicht oder wolltet nicht wissen, daß es eine Pappel war,
schaukelt wieder namenlos und Ihr müßt sie nennen >Noah, wie er betrunken
war<. "
Ich war ein
wenig bestürzt, als er sagte: "Ich bin froh, daß ich das, was Ihr sagtet,
nicht verstanden habe. "
Aufgeregt
sagte ich rasch: "Dadurch daß Ihr froh seid darüber, zeigt Ihr, daß Ihr es
verstanden habt. "
"Freilich
habe ich es gezeigt, gnädiger Herr, aber auch Ihr habt merkwürdig gesprochen.
"
Ich legte
meine Hände auf eine obere Stufe, lehnte mich zurück und sagte in dieser fast
unangreifbaren Haltung, welche die letzte Rettung der Ringkämpfer ist:
"Ihr habt eine lustige Art Euch zu retten, indem Ihr Eueren Zustand bei
den andern voraussetzt. "
Daraufhin
wurde er muthig. Er legte die Hände in einander, um seinem Körper eine Einheit
zu geben und sagte unter leichtem Widerstreben: "Nein, ich thue das doch
nicht gegen alle, zum Beispiel auch gegen Euch nicht, weil ich es nicht kann.
Aber ich wäre froh, wenn ich es könnte, denn dann hätte ich die Aufmerksamkeit
der Leute in der Kirche nicht mehr nöthig. Wisset Ihr, warum ich sie nöthig
habe? "
Diese Frage
machte mich unbeholfen. Sicherlich, ich wußte es nicht und ich glaube ich
wollte es auch nicht wissen. Ich hatte ja auch nicht hierherkommen wollen,
sagte ich mir damals, aber der Mensch hat mich gezwungen, ihm zuzuhören. So
brauchte ich ja jetzt bloß meinen Kopf zu schütteln, um ihm zu zeigen, daß ich
es nicht wußte, aber ich konnte in meinen Kopf keine Bewegung bringen.
Der Mensch,
welcher mir gegenüber stand, lächelte. Dann duckte er sich auf seine Knie
nieder und erzählte mit schläfriger Grimasse: "Es hat niemals eine Zeit
gegeben, in der ich durch mich selbst von meinem Leben überzeugt war. Ich
erfasse nämlich die Dinge um mich nur in so hinfälligen Vorstellungen, daß ich
immer glaube, die Dinge hätten einmal gelebt, jetzt aber seien sie versinkend.
Immer, lieber Herr, habe ich eine so quälende Lust, die Dinge so zu sehn, wie
sie sich geben mögen, ehe sie sich mir zeigen. Sie sind da wohl schön und
ruhig. Es muß so sein, denn ich höre oft Leute in dieser Weise von ihnen reden.
"
Da ich
schwieg und nur durch unwillkürliche Zuckungen in meinem Gesichte zeigte, wie
unbehaglich mir war, fragte er: "Sie glauben nicht daran, daß die Leute so
reden?"
Ich glaubte
nicken zu müssen, konnte es aber nicht.
"Wirklich,
Sie glauben nicht daran Ach, hören Sie doch; als ich als Kind einmal nach einem
kurzen Nachmittagsschlaf die Augen öffnete hörte ich noch ganz im Schlaf
befangen meine Mutter in natürlichem Ton vom Balkon hinunterfragen: >Was
machen Sie meine Liebe. Es ist so heiß.< Eine Frau antwortete aus dem
Garten: >Ich jause im Grünen.< Sie sagten es ohne Nachdenken und nicht
allzu deutlich, als müßte es jeder erwartet haben. "
Ich glaubte
ich sei gefragt. Daher griff ich in die hintere Hosentasche und that, als suche
ich dort etwas. Aber ich suchte nichts, sondern ich wollte nur meinen Anblick
verändern, um meine Theilnahme am Gespräch zu zeigen. Dabei sagte ich, daß
dieser Vorfall so merkwürdig sei und daß ich ihn keineswegs begreife. Ich fügte
auch hinzu, daß ich an dessen Wahrheit nicht glaube und daß er zu einem
bestimmten Zweck, den ich gerade nicht einsehe, erfunden sein müsse. Dann
schloß ich die Augen, denn sie schmerzten mich.
"Oh,
das ist doch gut daß Ihr meiner Meinung seid und es war uneigennützig, daß Ihr
mich angehalten habt, um mir das zu sagen.
Nicht wahr,
warum sollte ich mich schämen – oder warum sollten wir uns schämen – daß ich
nicht aufrecht und schwer gehe, nicht mit dem Stock auf das Pflaster schlage
und nicht die Kleider der Leute streife, welche laut vorübergehn. Sollte ich
nicht vielmehr mit Recht trotzig klagen dürfen, daß ich als Schatten mit
eckigen Schultern die Häuser entlang hüpfe, manchmal in den Scheiben der
Auslagsfenster verschwindend.
Was sind das
für Tage die ich verbringe! Warum ist alles so schlecht gebaut, daß bisweilen
hohe Häuser einstürzen, ohne daß man einen äußern Grund finden könnte. Ich
klettere dann über die Schutthaufen und frage jeden, dem ich begegne: >Wie
konnte das nur geschehn! In unserer Stadt. – Ein neues Haus – Das ist heute
schon das fünfte. – Bedenken Sie doch. < Da kann mir keiner antworten.
Oft fallen
Menschen auf der Gasse und bleiben tot liegen. Da öffnen alle Geschäftsleute
ihre mit Waren verhangenen Thüren, kommen gelenkig herbei, schaffen den Toten
in ein Haus, kommen dann Lächeln in Mund und Augen heraus und reden: >Guten
Tag – Der Himmel ist blaß – Ich verkaufe viele Kopftücher – Ja, der Krieg. <
Ich hüpfe ins Haus und nachdem ich mehreremale die Hand mit dem gebogenen
Finger furchtsam gehoben habe, klopfe ich endlich an dem Fensterchen des
Hausmeisters. >Lieber Mann<, sage ich freundlich, >es wurde ein toter
Mensch zu Ihnen gebracht. Zeigen Sie mir ihn, ich bitte Sie.< Und als er den
Kopf schüttelt als wäre er unentschlossen, sage ich bestimmt: >Lieber Mann.
Ich bin Geheimpolizist. Zeigen Sie mir gleich den Toten. < >Einen
Toten<, fragt er jetzt und ist fast beleidigt. >Nein wir haben keinen Toten
hier. Es ist ein anständiges Haus. < Ich grüße und gehe.
Dann aber
wenn ich einen großen Platz zu durchqueren habe, vergesse ich an alles. Die
Schwierigkeit dieses Unternehmens verwirrt mich und ich denke oft bei mir:
>Wenn man so große Plätze nur aus Übermuth baut, warum baut man nicht auch
ein Steingeländer, das durch den Platz führen könnte. Heute bläst ein
Südwestwind. Die Luft auf dem Platz ist aufgeregt. Die Spitze des
Rathhausthurmes beschreibt kleine Kreise. Warum macht man nicht Ruhe in dem Gedränge?
Was ist das doch für ein Lärm! Alle Fensterscheiben lärmen und die
Laternenpfähle biegen sich wie Bambus. Der Mantel der heiligen Maria auf der
Säule rundet sich und die stürmische Luft reißt an ihm. Sieht es denn niemand?
Die Herren und Damen, die auf den Steinen gehen sollten, schweben. Wenn der
Wind Athem holt, bleiben sie stehn, sagen einige Worte zu einander und
verneigen sich grüßend, stößt aber der Wind wieder, können sie ihm nicht
widerstehn und alle heben gleichzeitig ihre Füße. Zwar müssen sie fest ihre
Hüte halten, aber ihre Augen schauen lustig, als wäre milde Witterung. Nur ich
fürchte mich.<"
Mißhandelt,
wie ich war sagte ich: "Die Geschichte die Sie früher erzählt haben von
Ihrer Mutter und der Frau im Garten, finde ich gar nicht merkwürdig. Nicht nur
daß ich viele derartige Geschichten gehört und erlebt habe, so habe ich sogar
bei manchen mitgewirkt. Diese Sache ist doch ganz natürlich. Meinen Sie ich
hätte, wenn ich am Balkon gewesen wäre, nicht dasselbe sagen können und aus dem
Garten dasselbe antworten können? Ein so einfacher Vorfall."
Als ich das
gesagt hatte schien er sehr beglückt. Er sagte, daß ich hübsch gekleidet sei,
und daß ihm meine Halsbinde sehr gefalle. Und was für eine feine Haut ich
hätte. Und Geständnisse würden am klarsten, wenn man sie widerriefe.
C
Geschichte
des Beters.
Dann setzte
er sich neben mich, denn ich war schüchtern geworden, ich hatte ihm Platz
gemacht mit seitwärts geneigtem Kopfe. Trotzdem aber entgieng es mir nicht, daß
auch er mit einer gewissen Verlegenheit dasaß, immer eine kleine Entfernung von
mir zu bewahren suchte und mit Mühe sprach:
Was sind das
für Tage, die ich verbringe!
Am gestrigen
Abend war ich in einer Gesellschaft. Gerade verbeugte ich mich im Gaslicht vor
einem Fräulein mit den Worten: "Ich freue mich thatsächlich, daß wir uns
schon demri Winter nähern" – gerade verbeugte ich mich mit diesen Worten
als ich mit Unwillen bemerkte, daß sich mir der rechtefen Oberschenkel aus dem
Gelenk gekugelt hatte. Auch die Kniescheibe hatte sich ein wenig gelockert.
Daher setzte
ich mich und sagte, da ich immer einen Überblick über meine Sätze zu bewahren
suche: "Denn der Winter ist viel
müheloser; man kann sich leichter benehmen, man braucht sich mit seinen Worten
nicht so anstrengen. Nicht wahr, liebes Fräulein? Ich habe hoffentlich Recht in
dieser Sache." Dabei machte mir mein rechtes Bein viel Ärger. Denn anfangs
schien es ganz auseinandergefallen zu sein und erst allmählich brachte ich es
durch Quetschen und sinngemäßes Verschieben halbwegs in Ordnung.
Da hörte ich
das Mädchen, das sich aus Mitgefühl auch gesetzt hatte, leise sagen: "Nein
Sie imponieren mir gar nicht, denn – "
"Warten
Sie", sagte ich zufrieden und erwartungsvoll, "Sie sollen, liebes
Fräulein, auch nicht fünf Minuten bloß dazu aufwenden, mit mir zu reden. Essen
Sie doch zwischen den Worten, ich bitte Sie. "
Da streckte
ich meinen Arm aus, nahm eine dickhängende Weintraube von der durch einen
bronzenen Flügelknaben erhöhten Schüssel, hielt sie ein wenig in der Luft und
legte sie dann auf einen kleinen blaurandigen Teller, den ich dem Mädchen
vielleicht nicht ohne Zierlichkeit reichte.
"Sie
imponieren mir gar nicht", sagte sie, "alles was Sie sagen ist
langweilig und unverständlich, aber deshalb noch nicht wahr. Ich glaube
nämlich, mein Herr – warum nennen Sie mich immer liebes Fräulein – ich glaube,
Sie geben sich nur deshalb nicht mit der Wahrheit ab, weil sie zu anstrengend
ist."
Gott, da kam
ich in gute Lust! "Ja, Fräulein, Fräulein", so rief ich fast,
"wie recht haben Sie! Liebes Fräulein, verstehn Sie das, es ist eine
aufgerissene Freude, wenn man so begriffen wird, ohne es darauf abgezielt zu
haben. "
"Die
Wahrheit ist nämlich zu anstrengend für Sie, mein Herr, denn wie sehn Sie doch
aus! Sie sind Ihrer ganzen Länge nach aus Seidenpapier herausgeschnitten, aus
gelbem Seidenpapier, so silhuettenartig und wenn Sie gehn, so muß man Sie
knittern hören. Daher ist es auch unrecht sich über Ihre Haltung oder Meinung
zu ereifern, denn Sie müssen sich nach dem Luftzug biegen, der gerade im Zimmer
ist. "
"Ich
verstehe das nicht. Es stehen ja einige Leute hier im Zimmer herum. Sie legen
ihre Arme um die Rückenlehnen der Stühle oder sie lehnen sich ans Klavier oder
sie heben ein Glas zögernd zum Munde oder sie gehn furchtsam ins Nebenzimmer
und nachdem sie ihre rechte Schulter im Dunkel an einem Kasten verletzt haben,
denken sie athmend bei dem geöffneten Fenster: Dort ist Venus, der Abendstern.
Ich aber bin in dieser Gesellschaft. Wenn das einen Zusammenhang hat, so verstehe
ich ihn nicht. Aber ich weiß nicht einmal, ob das einen Zusammenhang hat. – Und
sehn Sie, liebes Fräulein, von allen diesen Leuten, die ihrer Unklarheit gemäß
sich so unentschieden, ja lächerlich benehmen, scheine ich allein würdig ganz
Klares über mich zu hören. Und damit auch das noch mit Angenehmem gefüllt sei,
sagen sie es spöttisch, so daß merklich noch etwas übrig bleibt, wie es auch
durch die wichtigen Mauern eines im Innern ausgebrannten Hauses geschieht. Der
Blick wird jetzt kaum gehindert, man sieht bei Tag durch die großen
Fensterlöcher die Wolken des Himmels und bei Nacht die Sterne. Aber noch sind
die Wolken oft von grauen Steinen abgehauen und die Sterne bilden unnatürliche
Bilder. – Wie wäre es, wenn ich Ihnen zum Dank dafür anvertraute, daß einmal
alle Menschen, die leben wollen, so aussehn werden, wie ich; aus gelbem
Seidenpapier, so silhuettenartig, herausgeschnitten, – wie Sie bemerkten – und
wenn sie gehn, so wird man sie knittern hören. Sie werden nicht anders sein,
als jetzt, aber sie werden so aussehn. Selbst Sie, liebes – "
Da bemerkte
ich, daß das Mädchen nicht mehr neben mir saß. Sie mußte bald nach ihren
letzten Worten weggegangen sein, denn sie stand jetzt weit von mir an einem
Fenster umstellt von drei jungen Leuten, die aus hohen, weißen Krägen lachend
redeten.
Ich trank
darauf froh ein Glas Wein und gieng zu dem Klavierspieler, der ganz abgesondert
gerade ein trauriges Stück nickend spielte. Ich beugte mich vorsichtig zu
seinem Ohr, damit er nur nicht erschrecke und sagte leise in der Melodie des
Stückes:
"Haben
Sie die Güte, geehrter Herr, und lassen Sie jetzt mich spielen, denn ich bin im
Begriffe, glücklich zu sein. "
Da er auf
mich nicht hörte, stand ich eine Zeitlang verlegen, gieng dann aber meine
Schüchternheit unterdrückend von einem der Gäste zum andern und sagte
beiläufig: "Heute werde ich Klavier spielen. Ja. "
Alle
schienen zu wissen, daß ich es nicht konnte, lachten aber freundlich wegen der
angenehmen Unterbrechung ihrer Gespräche. Aber völlig aufmerksam wurden sie
erst, als ich ganz laut zum Klavierspieler sagte: "Haben Sie die Güte,
geehrter Herr und lassen Sie jetzt mich spielen. Ich bin nämlich im Begriffe
glücklich zu sein. Es handelt sich um einen Triumph. "
Der
Klavierspieler hörte zwar auf, aber er verließ seine braune Bank nicht und
schien mich auch nicht zu verstehn. Er seufzte und verdeckte mit seinen langen
Fingern sein Gesicht.
Schon war
ich ein wenig mitleidig und wollte ihn wieder zum Spiel aufmuntern, als die
Hausfrau mit einer Gruppe herbeikam.
"Das
ist ein komischer Einfall", sagten sie und lachten laut, als ob ich etwas
Unnatürliches unternehmen wolle.
Das Mädchen
kam auch hinzu, sah mich verächtlich an und sagte: "Bitte, gnädige Frau,
lassen Sie ihn doch spielen. Er will vielleicht irgendwie zur Unterhaltung
beitragen. Das ist zu loben. Bitte, gnädige Frau. "
Alle freuten
sich laut, denn sie glaubten offenbar ebenso wie ich, das sei ironisch gemeint.
Nur der Klavierspieler war stumm. Er hielt den Kopf gesenkt und strich mit dem
Zeigefinger seiner linken Hand über das Holz der Bank, als zeichne er im Sande.
Ich zitterte und steckte, um es zu verbergen, meine Hände in die Hosentaschen.
Auch konnte ich nicht mehr deutlich reden, denn mein ganzes Gesicht wollte
weinen. Daher mußte ich die Worte so wählen, daß den Zuhörern der Gedanke, ich
wolle weinen, lächerlich vorkommen mußte.
"Gnädige
Frau", sagte ich, "ich muß jetzt spielen, denn – " Da ich die
Begründung vergessen hatte, setzte ich mich unvermuthet zum Klavier. Da
verstand ich wieder meine Lage. Der Klavierspieler stand auf und stieg
zartfühlend über die Bank, denn ich versperrte ihm den Weg. "Löschen Sie
das Licht, bitte, ich kann nur im Dunkel spielen. " Ich richtete mich auf.
Da faßten
zwei Herren die Bank und trugen mich sehr weit vom Piano weg zum Speisetisch
hin, ein Lied pfeifend und mich ein wenig schaukelnd.
Alle sahen
beifällig aus und das Fräulein sagte: "Sehn Sie, gnädige Frau, er hat ganz
hübsch gespielt. Ich wußte es. Und Sie haben sich so gefürchtet. "
Ich begriff
und bedankte mich durch eine Verbeugung, die ich gut ausführte.
Man goß mir
Citronenlimonade ein und ein Fräulein mit rothen Lippen hielt mir das Glas beim
Trinken. Die Hausfrau reichte mir Schaumgebäck auf einem silbernen Teller und
ein Mädchen in ganz weißem Kleid steckte es mir in den Mund. Ein üppiges
Fräulein mit viel blondem Haar hielt eine Weintraube über mir und ich brauchte
nur abzupfen, während sie mir dabei in meine zurückweichenden Augen sah.
Da mich alle
so gut behandelten, wunderte ich mich freilich darüber, daß sie mich einmüthig
zurückhielten, als ich wieder zum Piano wollte.
"Nun
ist es genug", sagte der Hausherr, den ich bisher nicht bemerkt hatte. Er
gieng hinaus und kam gleich zurück mit einem ungeheuern Zylinderhut und einem
geblümten kupferbraunen Überzieher. "Da sind Ihre Sachen. "
Es waren
zwar nicht meine Sachen, aber ich wollte ihm nicht die Mühe bereiten, noch
einmal nachzusehn. Der Hausherr selbst zog mir den Überzieher an, der genau
paßte, indem er sich knapp an meinen dünnen Körper anpreßte. Eine Dame mit
gütigem Gesicht knöpfte, sich allmählich bückend, den Rock der ganzen Länge
nach zu.
"Also
leben Sie wohl", sagte die Hausfrau, "und kommen Sie bald wieder. Sie
sind immer gerne gesehn, das wissen Sie. " Da verbeugte sich die ganze
Gesellschaft, als ob das so nöthig wäre. Ich versuchte es auch, aber mein Rock
war zu anliegend. So nahm ich meinen Hut und gieng wohl zu linkisch aus der
Thüre.
Aber als ich
aus dem Hausthor mit kleinem Schritte trat, wurde ich von dem Himmel mit Mond
und Sternen und großer Wölbung und von dem Ringplatz mit Rathhaus, Mariensäule
und Kirche überfallen.
Ich gieng
ruhig aus dem Schatten ins Mondlicht, knöpfte den Überzieher auf und wärmte
mich; dann ließ ich durch Erheben der Hände das Sausen der Nacht schweigen und fieng
zu überlegen an:
"Was
ist es doch, daß Ihr thut, als wenn Ihr wirklich wäret. Wollt Ihr mich glauben
machen, daß ich unwirklich bin, komisch auf dem grünen Pflaster stehend. Aber
doch ist es schon lange her, daß Du wirklich warst, Du Himmel und Du Ringplatz
bist niemals wirklich gewesen. "
"Es ist
ja wahr noch immer seid Ihr mir überlegen, aber doch nur dann, wenn ich Euch in
Ruhe lasse. "
"Gott
sei Dank, Mond, Du bist nicht mehr Mond, aber vielleicht ist es nachlässig von
mir daß ich Dich Mondbenannten noch immer Mond nenne. Warum bist Du nicht mehr
so übermüthig, wenn ich Dich nenne >vergessene Papierlaterne in merkwürdiger
Farbe<. Und warum ziehst Du Dich fast zurück, wenn ich Dich
>Mariensäule< nenne und ich erkenne Deine drohende Haltung nicht mehr
Mariensäule, wenn ich Dich nenne >Mond, der gelbes Licht wirft<. "
"Es
scheint nun wirklich, daß es Euch nicht gut thut, wenn man über Euch nachdenkt;
Ihr nehmet ab an Muth und Gesundheit. "
"Gott,
wie zuträglich muß es erst sein, wenn Nachdenkender vom Betrunkenen lernt!
"
"Warum
ist alles still geworden. Ich glaube es ist kein Wind mehr. Und die Häuschen,
die oft wie auf kleinen Rädern über den Platz rollen, sind ganz festgestampft –
Still – still – man sieht gar nicht den dünnen schwarzen Strich, der sie sonst
vom Boden trennt."
Und ich
setzte mich in Lauf. Ich lief ohne Hindernis dreimal um den großen Platz herum
und da ich keinen Betrunkenen traf, lief ich ohne die Schnelligkeit zu
unterbrechen und ohne Anstrengung zu verspüren gegen die Karlsgasse. Mein
Schatten lief oft kleiner als ich neben mir an der Wand, wie in einem Hohlweg
zwischen Mauer und Straßengrund.
Als ich bei
dem Haus der Feuerwehr vorüberkam, hörte ich vom kleinen Ring her Lärm und als
ich dort einbog, sah ich einen Betrunkenen am Gitterwerk des Brunnens stehn,
die Arme wagrecht haltend und mit den Füßen, die in Holzpantoffeln staken auf
die Erde stampfend.
Ich blieb
zuerst stehn, um meine Athmung ruhig werden zu lassen, dann gieng ich zu ihm,
nahm meinen Cylinder vom Kopfe und stellte mich vor:
"Guten
Abend, zarter Edelmann, ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, aber ich habe noch
keinen Namen. Sie aber kommen sicher mit erstaunlichen, ja mit singbaren Namen
aus dieser großen Stadt Paris. Der ganz unnatürliche Geruch des ausgleitenden
Hofes von Frankreich umgibt Sie."
"Sicher
haben Sie mit Ihren gefärbten Augen jene großen Damen gesehn, die schon auf der
hohen und lichten Terasse stehn, sich in schmaler Taille ironisch umwendend,
während das Ende ihrer auch auf der Treppe ausgebreiteten bemalten Schleppe
noch über dem Sand des Gartens liegt. – Nicht wahr auf lange Stangen, überall
vertheilt, steigen Diener in grauen frech geschnittenen Fräcken und weißen
Hosen, die Beine um die Stange gelegt, den Oberkörper aber oft nach hinten und
zur Seite gebogen, denn sie müssen an dicken Stricken riesige graue
Leinwandtücher von der Erde heben und in der Höhe spannen, weil die große Dame
einen nebligen Morgen wünscht. "
Da er sich
rülpste, sagte ich fast erschrocken: "Wirklich, ist es wahr, Sie kommen Herr
aus unserem Paris, aus dem stürmischen Paris, ach, aus diesem schwärmerischen
Hagelwetter?"
Als er sich
wieder rülpste, sagte ich verlegen: "Ich weiß, es widerfährt mir eine
große Ehre. "
Und ich
knöpfte mit raschen Fingern meinen Überzieher zu, dann redete ich inbrünstig
und schüchtern:
"Ich
weiß, Sie halten mich einer Antwort nicht für würdig, aber ich müßte ein
verweintes Leben führen, wenn ich Sie heute nicht fragte. "
"Ich
bitte Sie, so geschmückter Herr, ist das wahr, was man mir erzählt hat. Giebt
es in Paris Menschen, die nur aus verzierten Kleidern bestehn und giebt es dort
Häuser die bloß Portale haben und ist es wahr, daß an Sommertagen der Himmel
über der Stadt fliehend blau ist, nur verschönt durch angepreßte weiße
Wölkchen, die alle die Form von Herzen haben? Und giebt es dort ein Panoptikum
mit großem Zulauf, in dem bloß Bäume stehn mit den Namen der berühmtesten
Helden, Verbrecher und Verliebten auf kleinen angehängten Tafeln. "
"Und
dann noch diese Nachricht! Diese offenbar lügnerische Nachricht! "
"Nicht
wahr, diese Straßen von Paris sind plötzlich verzweigt; sie sind unruhig, nicht
wahr? Es ist nicht immer alles in Ordnung, wie könnte das auch sein! Es
geschieht einmal ein Unfall, Leute sammeln sich, aus den Nebenstraßen kommend
mit dem großstädtischen Schritt, der das Pflaster nur wenig berührt; alle sind
zwar in Neugierde, aber auch in Furcht vor Enttäuschung; sie athmen schnell und
strecken ihre kleinen Köpfe vor. Wenn sie aber einander berühren, so verbeugen
sie sich tief und bitten um Verzeihung: >Es thut mir sehr leid – es geschah
ohne Absicht – das Gedränge ist groß, verzeihen Sie, ich bitte – es war sehr
ungeschickt von mir – ich gebe das zu. Mein Name ist – mein Name ist Jerome
Faroche, Gewürzkrämer bin ich in der rue de Cabotin–gestatten Sie,daß ich Sie
für morgen zum Mittagessen einlade – auch meine Frau würde so große Freude
haben.< So reden sie, während doch die Gasse betäubt ist und der Rauch der
Schornsteine zwischen die Häuser fällt. So ist es doch. Und wäre es möglich,
daß da einmal auf einem belebten Boulevard eines vornehmen Viertels zwei Wagen
halten. Diener öffnen ernst die Thüren. Acht edle sibirische Wolfshunde tänzeln
hinunter und jagen bellend über die Fahrbahn in Sprüngen. Und da sagt man, daß
es verkleidete, junge Pariser Stutzer sind. "
Er hatte die
Augen fast geschlossen. Als ich schwieg, steckte er beide Hände in den Mund und
riß am Unterkiefer. Sein Kleid war ganz beschmutzt. Man hatte ihn vielleicht
aus einer Weinstube hinausgeworfen und er war darüber noch nicht im Klaren.
Es war
vielleicht diese kleine, ganz ruhige Pause zwischen Tag und Nacht, wo uns der
Kopf, ohne daß wir es erwarten im Genicke hängt und wo alles, ohne daß wir es
merken, still steht, da wir es nicht betrachten und dann verschwindet. Während
wir mit gebogenem Leib allein bleiben, uns dann umschaun, aber nichts mehr
sehn, auch keinen Widerstand der Luft mehr fühlen, aber innerlich uns an der
Erinnerung halten, daß in gewissem Abstand von uns Häuser stehn mit Dächern und
glücklicherweise eckigen Schornsteinen, durch die das Dunkel in die Häuser
fließt, durch die Dachkammern in die verschiedenartigen Zimmer. Und es ist ein
Glück, daß morgen ein Tag sein wird, an dem, so unglaublich es ist, man alles
wird sehen können.
Da riß der
Betrunkene seine Augenbrauen hoch, so daß zwischen ihnen und den Augen ein
Glanz entstand und erklärte in Absätzen: "Das ist so nämlich – ich bin
nämlich schläfrig, daher werde ich schlafen gehn – Ich habe nämlich einen
Schwager am Wenzelsplatz – dorthin geh ich, denn dort wohne ich, denn dort habe
ich mein Bett – so geh ich jetzt – Ich weiß nämlich nur nicht wie er heißt und
wo er wohnt – mir scheint, das habe ich vergessen – aber das macht nichts, denn
ich weiß ja nicht einmal, ob ich überhaupt einen Schwager habe – Jetzt gehe ich
nämlich – Glauben Sie, daß ich ihn finden werde?"
Darauf sagte
ich ohne Bedenken: "Das ist sicher. Aber Sie kommen aus der Fremde und
Ihre Dienerschaft ist zufällig nicht bei Ihnen. Gestatten Sie, daß ich Sie
führe. "
Er
antwortete nicht. Da reichte ich ihm meinen Arm, damit er sich einhänge.
d
Fortgesetztes
Gespräch zwischen dem Dicken und dem Beter.
Ich aber
versuchte schon eine Zeitlang mich aufzumuntern. Ich rieb meinen Körper und
sagte zu mir:
"Es ist
Zeit, daß Du sprichst. Du bist ja schon verlegen. Fühlst Du Dich bedrängt?
Warte doch! Du kennst ja diese Lagen. Überlege es ohne Eile! Auch die Umgebung
wird warten. "
"Es ist
so wie in der Gesellschaft der vorigen Woche. Jemand liest aus einer Abschrift
etwas vor. Eine Seite habe ich auf seine Bitte selbst abgeschrieben. Wie ich
die Schrift unter den von ihm geschriebenen Seiten lese, erschrecke ich. Es ist
haltlos. Die Leute beugen sich darüber von den drei Seiten des Tisches her. Ich
schwöre weinend, es sei nicht meine Schrift. "
"Aber
warum sollte das dem Heutigen ähnlich sein. Es liegt doch nur an Dir daß ein
eingezäuntes Gespräch entsteht. Alles ist friedlich. Strenge Dich doch an, mein
Lieber! – Du wirst doch einen Einwand finden. – Du kannst sagen: >Ich bin
schläfrig. Ich habe Kopfschmerzen. Adieu. < Rasch, also rasch. Mach Dich
bemerkbar! – Was ist das? Wieder Hindernisse und Hindernisse Woran erinnerst Du
Dich? – Ich erinnere mich an eine Hochebene die sich gegen den großen Himmel
als ein Schild der Erde hob. Ich sah sie von einem Berge und machte mich bereit
sie zu durchwandern. Ich fieng zu singen an. "
Meine Lippen
waren trocken und ungehorsam, als ich sagte:
"Sollte
man nicht anders leben können? "
"Nein",
sagte er fragend, lächelnd.
"Aber
warum beten Sie am Abend in der Kirche", fragte ich dann, indem alles
zwischen mir und ihm zusammenfiel, was ich bis dahin wie schlafend gestützt
hatte.
"Nein,
warum sollten wir darüber reden. Am Abend trägt niemand, der allein lebt
Verantwortung. Man fürchtet manches. Daß vielleicht die Körperlichkeit
entschwindet, daß die Menschen wirklich so sind wie sie in der Dämmerung
scheinen, daß man ohne Stock nicht gehen dürfe, daß es vielleicht gut wäre in
die Kirche zu gehn und schreiend zu beten um angeschaut zu werden und Körper zu
bekommen. "
Da er so
redete und dann schwieg, zog ich mein rothes Taschentuch aus der Tasche und
weinte gebückt.
Er stand
auf, küßte mich und sagte:
"Warum
weinst Du? Du bist groß, das liebe ich, Du hast lange Hände, die sich fast nach
Deinem Willen aufführen; warum freust Du Dich nicht darüber. Trage immer
dunkelfarbige Ärmelränder, das rathe ich Dir. – Nein – ich schmeichle Dir und
dennoch weinst Du? Diese Schwierigkeit des Lebens trägst Du doch ganz
vernünftig. "
"Wir
bauen eigentlich unbrauchbare Kriegsmaschinen, Thürme, Mauern, Vorhänge aus
Seide und wir könnten uns viel darüber wundern, wenn wir Zeit dazu hätten. Und
erhalten uns in Schwebe, wir fallen nicht, wir flattern, wenn wir auch
häßlicher sind als Fledermäuse. Und schon kann uns kaum jemand an einem schönen
Tage hindern zu sagen: >Ach Gott heute ist ein schöner Tag.< Denn schon
sind wir auf unserer Erde eingerichtet und leben auf Grund unseres
Einverständnisses. "
"Wir
sind nämlich so wie Baumstämme im Schnee. Sie liegen doch scheinbar nur glatt
auf und man sollte sie mit kleinem Anstoß wegschieben können. Aber nein, das
kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar
das ist bloß scheinbar. "
Nachdenken
hinderte mich am Weinen: "Es ist Nacht und niemand wird mir morgen vorhalten,
was ich jetzt sagen könnte, denn es kann ja im Schlaf gesprochen sein. "
Dann sagte
ich: "Ja, das ist es, aber wovon redeten wir doch. Wir konnten doch nicht
von der Beleuchtung des Himmels reden da wir doch in der Tiefe einer Hausflur
stehn. Nein – doch wir hätten davon reden können, denn sind wir in unserem
Gespräch nicht ganz unabhängig, da wir nicht Zweck noch Wahrheit erreichen
wollen, sondern nur Scherz und Unterhaltung. Aber könnten Sie mir nicht dennoch
die Geschichte von der Frau im Garten noch einmal erzählen. Wie
bewunderungswürdig, wie klug ist diese Frau! Wir müssen uns nach ihrem Beispiel
benehmen. Wie gern habe ich sie! Und dann ist es auch gut, daß ich Sie
getroffen und so abgefangen habe. Es war für mich ein großes Vergnügen mit
Ihnen gesprochen zu haben. Ich habe einiges mir bisher vielleicht absichtlich
unbekannte gehört – ich freue mich. "
Er sah
zufrieden aus. Trotzdem mir die Berührung mit einem menschlichen Körper immer
peinlich ist, mußte ich ihn umarmen.
Dann traten
wir aus dem Gang unter den Himmel. Einige zerstoßene Wölkchen blies mein Freund
weg, so daß sich jetzt die ununterbrochene Fläche der Sterne uns darbot. Mein
Freund gieng mühsam.
4
Untergang
des Dicken
Da wurde
alles von Schnelligkeit ergriffen und fiel in die Ferne. Das Wasser des Flusses
wurde an einem Absturz hinabgezogen, wollte sich zurückhalten, schwankte auch
noch an der zerbröckelten Kante, aber dann fiel es in Klumpen und Rauch.
Der Dicke
konnte nicht weiterreden, sondern er mußte sich drehn und in dem lauten raschen
Wasserfall verschwinden.
Ich, der
soviele Belustigungen erfahren hatte, stand am Ufer und sah es. "Was
sollen unsere Lungen thun", schrie ich, schrie, "athmen sie rasch,
ersticken sie an sich, an innern Giften; athmen sie langsam ersticken sie an nicht
athembarer Luft, an den empörten Dingen. Wenn sie aber ihr Tempo suchen wollen,
gehn sie schon am Suchen zugrunde. "
Dabei
dehnten sich die Ufer dieses Flusses ohne Maß und doch berührte ich das Eisen
eines in der Entfernung winzigen Wegzeigers mit der Fläche meiner Hand. Das war
mir nun nicht ganz begreiflich. Ich war doch klein, fast kleiner als gewöhnlich
und ein Strauch mit weißen Hagebutten, der sich ganz schnell schüttelte
überragte mich. Ich sah das, denn er war vor einem Augenblick nahe bei mir.
Aber
trotzdem hatte ich mich geirrt, denn meine Arme waren so groß, wie die Wolken
eines Landregens, nur waren sie hastiger. Ich weiß nicht, warum sie meinen
armen Kopf zerdrücken wollten.
Der war doch
so klein, wie ein Ameisenei, nur war er ein wenig beschädigt, daher nicht mehr
vollkommen rund. Ich führte mit ihm bittende Drehungen aus, denn der Ausdruck
meiner Augen hätte nicht bemerkt werden können, so klein waren sie.
Aber meine
Beine, doch meine unmöglichen Beine lagen über den bewaldeten Bergen und
beschatteten die dörflichen Thäler. Sie wuchsen, sie wuchsen! Schon ragten sie
in den Raum der keine Landschaft mehr besaß, längst schon reichte ihre Länge
aus der Sehschärfe meiner Augen.
Aber nein,
das ist es nicht – ich bin doch klein, vorläufig klein – ich rolle – ich rolle
– ich bin eine Lawine im Gebirge! Bitte, vorübergehende Leute, seid so gut,
sagt mir wie groß ich bin, messet mir diese Arme, diese Beine.
III
"Wie
ist das doch", sagte mein Bekannter, der mit mir aus der Gesellschaft
gekommen war und ruhig neben mir auf einem Wege des Laurenziberges gieng.
"Bleiben Sie endlich ein wenig stehn, damit ich mir darüber klar werde. –
Wissen Sie, ich habe eine Sache zu erledigen. Das ist so anstrengend – diese
wohl kalte und auch bestrahlte Nacht, aber dieser unzufriedene Wind, der sogar
bisweilen die Stellung jener Akazien zu verändern scheint. "
Der
Mondschatten des Gärtnerhauses war über den ein wenig gewölbten Weg gespannt
und mit dem geringen Schnee verziert. Als ich die Bank erblickte, die neben der
Thüre stand, zeigte ich mit erhobener Hand auf sie, denn ich war nicht muthig
und erwartete Vorwürfe, legte daher meine linke Hand auf meine Brust.
Er setzte
sich überdrüssig, ohne Rücksicht gegen seine schönen Kleider und brachte mich
in Staunen, als er seine Ellbogen gegen seine Hüften drückte und seine Stirn in
die durchgebogenen Fingerspitzen legte.
"Ja,
jetzt will ich dieses sagen. Wissen Sie, ich lebe regelmäßig, es ist nichts
auszusetzen, alles was nothwendig und anerkannt ist, geschieht. Das Unglück, an
das man in der Gesellschaft, in der ich verkehre, gewöhnt ist, hat mich nicht
verschont, wie meine Umgebung und ich befriedigt sahen, und auch dieses
allgemeine Glück hielt sich nicht zurück und ich selbst durfte in kleinem Kreise
von ihm reden. Gut, ich war noch niemals wirklich verliebt gewesen. Ich
bedauerte das bisweilen, aber benutzte jene Redensart, wenn ich sie nöthig
hatte. Jetzt nun muß ich sagen: Ja ich bin verliebt und wohl aufgeregt vor
Verliebtheit. Ich bin ein Liebhaber von Glut, wie ihn die Mädchen sich
wünschen. Aber hätte ich nicht bedenken sollen, daß gerade dieser frühere
Mangel eine ausnahmsweise und lustige, besonders lustige Drehung meinen
Verhältnissen gab?"
"Nur
Ruhe, Ruhe", sagte ich theilnahmslos und nur an mich denkend, "Ihre
Geliebte ist doch schön, wie ich hören mußte. "
"Ja,
sie ist schön. Als ich neben ihr saß dachte ich immer nur: >Dieses Wagnis –
und ich bin so kühn – da unternehme ich eine Seefahrt – trinke Wein in Galonen.
< Aber wenn sie lacht, zeigt sie ihre Zähne nicht, wie man doch erwarten
sollte, sondern man kann bloß die dunkle schmale gebogene Mundöffnung sehn. Das
nun schaut listig und greisenhaft aus, wenn sie auch beim Lachen den Kopf nach
rückwärts beugt. "
"Ich
kann das nicht leugnen", sagte ich mit Seufzern, "wahrscheinlich habe
ich das auch gesehn, denn es muß auffallend sein. Aber es ist nicht nur das.
Mädchenschönheit überhaupt! Oft wenn ich Kleider mit vielfachen Falten, Rüschen
und Behängen sehe, die über schönen Körper schön sich legen, so denke ich, daß
sie nicht lange so erhalten bleiben, sondern Falten bekommen, nicht mehr gerade
zu glätten, Staub bekommen, der dick in der Verzierung nicht mehr zu entfernen
ist und daß niemand so traurig und so lächerlich sich wird machen wollen,
täglich dasselbe kostbare Kleid früh anzulegen und abends auszuziehn. Doch sehe
ich Mädchen, die wohl schön sind und vielfache reizende Muskeln und Knöchelchen
und gespannte Haut und Massen dünner Haare zeigen und doch täglich in diesem
einen natürlichen Maskenanzug erscheinen, immer dasselbe Gesicht in ihre
gleiche Handfläche legen und von ihrem Spiegel widerscheinen lassen. Nur
manchmal am Abend, wenn sie spät von einem Feste kommen, scheint es ihnen im
Spiegel abgenützt, gedunsen, verstaubt, von allen schon gesehen und kaum mehr
tragbar. "
"Doch
habe ich Sie öfters während des Weges danach gefragt, ob Sie das Mädchen schön
finden, aber Sie haben immer nach der andern Seite sich gedreht, ohne mir zu
antworten. Sagen Sie, haben Sie etwas Böses vor? Warum trösten Sie mich
nicht?"
Ich bohrte
meine Füße in den Schatten und sagte aufmerksam: "Sie müssen nicht
getröstet werden. Sie werden doch geliebt. " Dabei hielt ich mein mit
blauen Weintrauben gemustertes Taschentuch vor den Mund, um mich nicht zu erkälten.
Jetzt
wendete er sich zu mir und lehnte sein dickes Gesicht an die niedrige Lehne der
Bank: "Wissen Sie, im allgemeinen habe ich noch Zeit, ich kann noch immer
diese beginnende Liebe gleich beenden durch eine Schandthat oder durch Untreue
oder durch Abreise in ein entferntes Land. Denn wirklich, ich bin sehr im
Zweifel, ob ich mich in diese Aufregung begeben soll. Da ist nichts sicheres,
niemand kann Richtung und Dauer bestimmt angeben. Gehe ich in eine Weinstube
mit der Absicht mich zu betrinken, so weiß ich, ich werde diesen einen Abend
betrunken sein, aber in meinem Fall! In einer Woche wollen wir einen Ausflug
mit einer befreundeten Familie machen, gibt das nicht im Herzen Gewitter für
vierzehn Tage. Die Küsse dieses Abends machen mich schläfrig, um Raum für
ungezähmte Träume zu bekommen. Ich trotze dem und mache einen Nachtspaziergang,
da geschieht es, daß ich unaufhörlich bewegt bin, mein Gesicht kalt und warm
ist wie nach Windstößen, daß ich immer ein rosa Band in meiner Tasche berühren
muß, höchste Befürchtungen für mich habe, ihnen aber nicht nachgehn kann und
sogar Sie, mein Herr vertrage, während ich sonst sicher nie solange mit Ihnen
reden würde. "
Mir war sehr
kalt und schon neigte sich der Himmel ein wenig in weißlicher Farbe. "Da
wird keine Schandthat helfen, keine Untreue oder Abreise in ein entferntes
Land. Sie werden sich morden müssen", sagte ich und lächelte außerdem.
Uns
gegenüber am andern Rande der Allee standen zwei Büsche und hinter diesen
Büschen unten war die Stadt. Sie war noch ein wenig beleuchtet.
"Gut",
rief er und schlug die Bank mit seiner kleinen festen Faust, die er aber gleich
liegen ließ, "Sie leben aber. Sie töten sich nicht. Niemand liebt Sie. Sie
erreichen nichts. Den nächsten Augenblick können Sie nicht beherrschen. Da
reden Sie so zu mir, Sie gemeiner Mensch. Lieben können Sie nicht, nichts
erregt Sie außer Angst. Schauen Sie doch, meine Brust. "
Da öffnete
er rasch seinen Rock und seine Weste und sein Hemd. Seine Brust war wirklich
breit und schön.
Ich begann
zu erzählen: "Ja, solche trotzige Zustände überkommen uns bisweilen. So
war ich diesen Sommer in einem Dorfe. Das lag an einem Flusse. Ich erinnere
mich ganz genau. Oft saß ich in verrenkter Haltung auf einer Bank am Ufer. Es
war ein Strandhotel auch dort. Da hörte man oft Geigenspiel. Junge kräftige
Leute redeten im Garten an Tischen vor Bier von Jagd und Abenteuern. Und dann
waren am andern Ufer so wolkenhafte Berge. "
Ich stand da
auf mit matt verzogenem Munde, trat in den Rasen hinter der Bank, zerbrach auch
einige beschneite Ästchen und sagte dann meinem Bekannten ins Ohr: "Ich
bin verlobt, ich gestehe es. "
Mein
Bekannter wunderte sich nicht darüber, daß ich aufgestanden war: "Sie sind
verlobt?" Er saß wirklich ganz schwach da, nur durch die Lehne gestützt.
Dann nahm er den Hut ab und ich sah sein Haar, das wohlriechend und schön
gekämmt den runden Kopf auf dem Fleisch des Halses in einer scharf gerundeten
Linie abschloß, wie man es in diesem Winter liebte.
Ich freute
mich, daß ich ihm so klug geantwortet hatte. "Ja", sagte ich zu mir,
"wie er doch in der Gesellschaft umhergeht mit gelenkigem Hals und freien
Armen. Er kann eine Dame mit gutem Gespräch mitten durch einen Saal führen und
es macht ihn gar nicht unruhig, daß vor dem Hause Regen fällt oder daß dort ein
Schüchterner steht oder sonst etwas Jämmerliches geschieht. Nein, er neigt sich
gleichartig hübsch vor den Damen. Aber da sitzt er nun. "
Mein
Bekannter strich mit einem Tuche aus Battist über die Stirn. "Bitte",
sagte er, "legen Sie mir Ihre Hand ein wenig auf die Stirn. Ich bitte Sie.
" Als ich es nicht gleich that, faltete er seine Hände.
Als ob
unsere Sorge alles verdunkelt hätte, saßen wir oben auf dem Berg, wie in einem
kleinen Zimmer, trotzdem wir doch schon früher Licht und Wind des Morgens bemerkt
hatten. Wir waren nahe beisammen, trotzdem wir einander gar nicht gerne hatten,
aber wir konnten uns nicht weit von einander entfernen, denn die Wände waren
förmlich und fest gezogen. Aber wir durften uns lächerlich und ohne menschliche
Würde benehmen, denn wir mußten uns nicht schämen vor den Zweigen über uns und
vor den Bäumen, die uns gegenüber standen.
Da zog mein
Bekannter ohne Umstände aus seiner Tasche ein Messer, öffnete es nachdenklich
und stieß es dann wie im Spiele in seinen linken Oberarm und entfernte es
nicht. Gleich rann Blut. Seine runden Wangen waren blaß. Ich zog das Messer
heraus, zerschnitt den Ärmel des Winterrocks und des Fracks, riß den Hemdärmel
auf. Lief dann eine kurze Strecke des Weges hinunter und aufwärts, um zu sehn,
ob niemand da sei, der mir helfen könnte. Alles Gezweige war fast grell
sichtbar und unbewegt. Dann saugte ich ein wenig an der tiefen Wunde. Da
erinnerte ich mich an das Gärtnerhäuschen. Ich lief die Stiegen aufwärts, die
zu dem erhöhten Rasen an der linken Seite des Hauses führten, ich untersuchte
die Fenster und Thüren in Eile, ich läutete wüthend und stampfend, trotzdem ich
gleich gesehen hatte, daß das Haus unbewohnt war. Dann sah ich nach der Wunde,
die in dünnem Strom blutete. Ich näßte sein Tuch im Schnee und umband
ungeschickt seinen Arm.
"Du
Lieber, Du Lieber", sagte ich, "meinetwegen hast Du Dich verletzt. Du
bist so schön gestellt, von Freundlichen umgeben, am hellen Tag kannst Du
spazieren gehn, wenn viele Menschen sorgfältig gekleidet weit und nah zwischen
Tischen oder auf Hügelwegen zu sehen sind. Denke nur, im Frühjahr, da werden
wir in den Baumgarten fahren, nein nicht wir werden fahren, das ist schon
leider wahr aber Du mit dem Annerl wirst fahren in Freude und Trab. O ja,
glaube mir, ich bitte Dich, und die Sonne wird Euch schönstens allen Leuten
zeigen. Oh, da ist Musik, man hört die Pferde weit, es ist keine Sorge nöthig,
da ist Geschrei und Leierkästen spielen in den Alleen."
"Ach
Gott", sagte er, stand auf, lehnte sich an mich und wir giengen, "da
ist ja keine Hilfe. Das könnte mich nicht freuen. Verzeihen Sie. Ist es schon
spät? Vielleicht sollte ich morgen früh etwas thun. Ach Gott. "
Eine Laterne
nahe an der Mauer oben brannte und legte den Schatten der Stämme über Weg und
weißen Schnee, während der Schatten des vielfältigen Astwerkes umgebogen wie
zerbrochen auf dem Abhang lag.