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Franz Blei: Das große Bestiarium der modernen Literatur

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Franz Blei:
Das große Bestiarium der modernen Literatur
(1922)


Vorwort zur ersten Auflage

In diesem Bestiarium habe ich, nicht abgeschreckt von vielen Vorgängern, neuerlich den Versuch gemacht, eine so kurze wie anschauliche und genaue Beschreibung derer lebenden Tiere zu geben, so ans Licht der Bücherwelt zu stellen Gott dem Herrn gefallen hat und soweit sie im Gebiete der deutschen Sprache wesen und unwesen. Wenn wir Menschen Sinn- und Zweckmäßiges von Gottes Schöpfungen an den Geschöpfen dieser von uns beschriebenen Fauna noch weit seltener als sonst erkennen, so sollen wir uns und nicht dem Schöpfer daraus einen Vorhalt machen, indem wir ja einerseits vieles sehr Sinnvolles Seines Werkes so einsehen als auch bewundern und darum wohl annehmen müssen, daß es auch mit dem uns sinnlos Erscheinenden schon eine sinnvolle Bewandtnis haben werde; andererseits die kurze Spanne nicht nur unseres eignen, sondern auch des von uns überschaubaren Lebens bedenkend nicht in Eitelkeit darauf versessen sein sollen, es habe alle und jede Absicht Gottes uns durchaus geläufig zu sein aus den Mitteln unseres eingeschränkten Verstandes. Und möchte denen Zweiflern an der inneren Ordnung in der Person Gottes auch dieses Dritte noch gesagt sein: daß es uns nicht häretisch dünke, Gott von Seinem mühvollen Tag- und Nachtwerke Sich ausruhend zu denken, wo Er dann in lustiger Laune gewissermaßen solches werden lasse wie zum Exempel unsere literarische Fauna, deren neuerliche Beschreibung ich hier dem Hypokriten, meinem Leser, meinem Freunde vorlege, nachdem ich mich sine ira, aber multo studio um Art, Aussehen und Lebensweise dieser Tiere bemüht habe, solche festzustellen. Ich glaube sagen zu können, daß mir keines von einiger Wichtigkeit oder Notorität entgangen ist und daß ich sie ziemlich beieinander habe in diesem Käfig meines Bestiariums oder Tierparke, wie ich besser sage, denn in einen einzigen Käfig alle diese Bestiae zu sperren, würde ich bei der außerordentlichen Unverträglichkeit derer Tiere nur dann wagen, wenn mir an ihrer wechselseitigen Ausrottung gelegen wäre, womit ich aber Gott in Seine schaffende Hand zu fallen mir anmaßte, was mir ganz fern. Sollte dennoch der Leser in diesem Bestiarium ein oder das andere Tier vermissen, so ist dieses entweder nur ihm oder seiner Familie bekannt als ein Privat- oder Familientier gewissermaßen; oder ich habe es in zwiefacher Absicht nicht erwähnt. Es gibt nämlich eine weit verbreitete Mikrobe, den Bacillus imbecillus, der im gemeinen Leben viele tausend Namen bekommt, aber immer der gleiche Bacillus ist: wen er heimsucht – und er befällt die Grobhäutigen aller Stände und Klassen – der fühlt erst ein ihm angenehm dünkendes Kitzeln, was mit der groben Haut zusammenhängt, dann aber verfällt der Patient rasch der völligen Verblödung. Es ist dieser Bacillus imbecillus also mehr ein Krankheitserreger denn ein Tier, gehört demnach in die Bakteriologie und nicht in ein Bestiarium. Wenn ich darin doch ein und den andern Bacillus aufführte, so geschah es, weil ich einer weit verbreiteten Anschauung, daß es sich in diesen Fällen um Tiere handle, mit meiner Auktorität entgegentreten wollte.
    Ich habe ferner auch einige Tiere wissentlich ausgelassen – sehr wenige – damit die gelehrten Rezensenten das Vergnügen genießen, mir dies nachzuweisen und damit die Notwendigkeit ihrer Existenz wieder einmal zu erhärten.
  Den Nutzen dieses kurz und bündig abgefaßten Bestiariums wird der Tierfreund und -feind beim Durchblättern alsogleich mit Vergnügen bemerken. Es verzichtet auf alles übliche wortreiche und doch nichtssagende Beiwerk, wie es allen Naturhistorien unserer literarischen Fauna eigentümlich ist, gänzlich und befleißigt sich einer Kürze von Merksprüchen, die leicht zu behalten sind.
   Wenn ich auch mit meinem verehrten Freunde Dr. Negelinus durchaus der Ansicht bin, solchem wie jedem andern praktischen Nutzen würde dieses Bestiarium bald entzogen sein und sein Wert nur mehr im Historischen liegen. Denn es steht doch wohl allen Anzeichen nach eine terrestrische Katastrophe nahe bevor, und es wird danach das Wenige, das diese andere Sintflut von den meisten der jetzt noch lebenden literarischen Tiere übriggelassen, nur mehr in spärlichen Fragmenten in den paläontologischen Museen zu finden sein, zumal sich gewiß kein neuer Noah wird gewinnen lassen, der gutmütig diesem Getier eine es rettende Arche bauen möchte. Um so dringlicher stellte sich die Aufgabe, unsere Tiere e vivo zu beschreiben.
   Aller Kritik unserer Viecher habe ich mich enthalten, wie man merkt. Wir müssen sie hinnehmen, wie Gott sie geschaffen. Ihm allein die Ehre und die Verantwortung. Ganz allgemein will ich nur zu einer in der letzten Zeit wieder lebhafter gewordnen Streitfrage kurz Stellung nehmen, der Frage, ob unsere Tiere Intelligenz besitzen oder nicht. Daß unsere alte, ausgestorbene literarische Tierwelt Intelligenz in hohem Maße besaß, steht außer Zweifel. Ebenso, daß sie die heutigen Tiere mit nichten auszeichnet, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen. Trotzdem hat man gerade für unsere heutigen Tiere das sie charakterisieren sollende Wort »Die Intellektuellen« erfunden. Wohl nach dem Beispiel des canis a non canendo. Denn unsere heutigen Tiere handeln mit wenigen Ausnahmen durchaus affektiv und gar nicht intelligent, ja, sie setzen, wie man beobachten kann, förmlichen Stolz darein, ihren unklaren Gefühlen unbedacht zu erliegen, nichts als Gefühl zu sein und gar keinen Verstand zu haben, nicht einmal in ihren partikularen Verrichtungen. Vulgär ausgedrückt kriechen sie auf jeden Leim, wenn es nur Leim ist und er nur geschickt gestrichen wird, – von wem ist unsern Tieren gleichgültig. Denn gerade das, was einige von unsern heutigen Tieren behaupten, das tun sie gar nicht: denken. Sie sind daher gar nicht »Intellektuelle«, sondern weit treffender »Affektionelle« oder »Sensibilisten« zu nennen, die jeder Gelegenheit erliegen, die sie mit ihrem Gefühle ergreifen können: daß sie ihre Gefühle zuweilen Gedanken nennen, diesen Irrtum haben unsere literarischen Tiere mit den heutigen Menschen gemein.
    More eruditorum obliegt mir noch die Pflicht, denen Herren zu danken, welche sich um dieses Bestiarium Verdienste insofern erworben haben, als sie, gewissermaßen Hagenbecke der Fauna literaria, oft mit beträchtlichen Opfern an Zeit, Geld, Geduld und Kraft unseren Tieren ihre Teilnahme bewiesen, sei es, daß sie sie überhaupt entdeckten, sei es, daß sie ihnen auf ihr Leben gewissermaßen Vorschuß gegeben haben, sei es endlich, daß sie für die Möglichkeit komfortabler Betrachtung dieser Tiere sorgten durch Anlegen von Steigen, Reservaten, Käfigen und Behältern. Namentlich möchte ich hier für solche nützliche Hilfe mich bedanken zuvörderst bei dem Doyen unserer literarischen Hagenbecke, dem ebenso um- wie einsichtigen Herrn S. Fischer-Berlin, dem weitschichtigen Herrn G. Müller-München, dem immer neugierigen Herrn K. Wolff-München, dem kühnen E. Rowohlt-Berlin, dem herzlichen G. H. Meyer-München, dem vorsichtigen A. Kippenberg-Leipzig, dem unentwegten G. Kiepenheuer-Potsdam, dem lebhaften P. Cassirer-Berlin und dem Herrn Reiß schlechthin. Allen denen Herren meinen Dank dafür, daß sie das ihre tun, in die seltsamen Geschöpfe aus der mannigfach bildenden Hand Gottes einige Ordnung zu bringen, wie wir Menschen solches in Unkenntnis der höhern göttlichen Ordnung brauchen in diesem Erdenleben. Bei meinem Freund, dem Dr. Negelinus, muß ich mich noch bedanken für seinen auf Spezialstudien gegründeten Beitrag, die Beschreibung der Fackelkraus.


Vorwort zur zweiten Auflage

Äußere, vom Verfasser nicht änderbare Umstände ließen das Bestiarium in seiner ersten nur für eine eingeschränkte Leserzahl gedruckten Auflage etwas im Improvisato stecken, bei dem der Ernst manchmal um den Witz zu kurz kam und umgekehrt. Dieser kleine Schönheitsfehler ist in der neuen vorliegenden Ausgabe beseitigt. Es ist aber noch mehr als das getan worden. Eine Menge Zutaten, Ergänzungen, Feststellungen, ferner Ordnungen und generelle Bemerkungen zum Gattungsbegriff der bestia literarica, des weitern die Einbeziehung fremder in Deutschland domesticierter Tiere wie die Beschreibung solcher, die kürzlich bürgerlich wohl verstorben, aber literarisch noch lebendig sind –: alles dies macht das Bestiarium zum Großen Bestiarium und zu dem, was trotz vieler solcher Titel auf dicken Büchern durchaus gefehlt hat: zur ersten gründlichen kritischen Darstellung dessen, was man einem Sprachgebrauch mehr als der Sache folgend die Moderne Literatur nennt. Der wißbegierige Leser sei versichert: diese abstrusen Kompilationen aus Geburtsdaten, Büchertiteln, Waschzetteln und Zeitungsausschnitten, welche sich moderne Literaturgeschichten nennen, weil es ihren Verfertigern so beliebt, sind insgesamt ein öder Mist, jawohl, meine Herrn Verfasser, öder Mist, wie man nur noch von den Geschichten der ältern deutschen Literatur sagen kann mit der einzigen, aber auch grandiosen Ausnahme des Werkes von Josef Nadler, der weder, wie sonst üblich, von seinen Vorgängern das Schema übernimmt, noch die Urteile, noch die Unkenntnis von Gegenstand und Methode.
    Will einer die Geschichte der Mathematik lesen, so muß er einigermaßen die Mathematik kennen. Das gilt auch von der Geschichte der Literatur, so sehr sich auch alle deren sogenannte Historiker anstrengen, mit Inhaltsangaben und sogenannten Werturteilen ihren Lesern diese Kenntnis ganz überflüssig erscheinen zu lassen. Der mit dem Gegenstand nicht vertraute Leser des Großen Bestiarium wird mit dessen Urteilen wenig anzufangen wissen, denn sie sind weder geschmacklich, noch gefühlig, weder schöngeistig, noch messen sie den Hinz und Kunz an einem als bekannt angenommenen Standardwert, Goethe zum Beispiel oder Schiller. Wer die Gegenstände dieses Traktates nicht kennt, der wird den Wald vor Bäumen, die Zoologie vor Tieren nicht sehen. Ich sagte ja schon: das Bestiarium ist die erste kritische Darstellung der neuern Literatur, also ein dialektisches Buch.


Vorwort zur dritten Auflage

Es ist mir ein Vergnügen, zwei Briefe mitzuteilen, die ich nach Erscheinen der zweiten Ausgabe des Bestiarium von zwei indignierten Belletristen oder Literatieren bekam, weil sie nicht als Löwen, die sie doch wären, darin vorkamen. Der eine schreibt: »... hat mich Literatur, wenn Dichter darunter faßbar, nur gering, denn zunächst ist mein Dasein in dem Leben. Ich turne, radle, schwimme, rudere, segle, steige Berg, fahre Auto, fliege Luft, boxe, ringe, reite, skie, verführe jede Frau mit Hastenichgesehn, spiele Tennis, Golf, Football, Baseball, Laferme, Poker, führe überhaupt das openste aer live – ich spreche auch englisch wie darmstädtisch –, nehme an allen Rauf- und Liebeshändeln der Welt teil, schlage mich in allen Waffen des Erdkreises und habe, dies auch nebenbei, zum mindesten den Deutschen in der Erneuerung der Sprache und der dichterischen Prosa Wege gewiesen und neue Möglichkeiten geboten, die zu ergreifen und zu gehen nur mehr an den Deutschen liegt, hélas, worüber mir C. Sternheim schrieb: ›Das ist Klasse! Ist Baudelaire einfach! Ich schüttle Ihnen die schwielige Proletarierfaust.‹ Außer daß ich, wie jeder Gentleman, diese Faust natürlich auch besitze, habe ich dem nichts von Bedeutung hinzuzufügen.«
    Der andere Brief: »... Ihr unmenschliches Buch... ich habe mindestens den Deutschen zum erstenmal gezeigt, was Prosa ist. Das gabs vor mir nicht. Satz wie dieser mein Satz: ›Sie stülpte, lag er in sie gestürzt, Begriffe und brachte es fertig, schwächte er sie, ihn stärker zu schwächen‹ ist einfach deutscher Sprache nicht nur erstes, sondern pyramidalstes Monument. Um Schweiß, mich gekostet, weiß ich allein und C. Edschmid, der mir schreibt: ›Sie haben den klassischen Stil in Deutschland.‹ Ich habe dem nichts von Bedeutung hinzuzufügen.«
    Wer wollte, könnte diesen beiden den Begriff der Bedeutung so schlagend definierenden Briefen noch etwas von Bedeutung hinzufügen, ohne sich damit das Zeugnis der lächerlichsten Bedeutungslosigkeit auszustellen?


Vorwort zur vierten Auflage

Siebentausendvierhundertfünfundvierzig Postkarten, auf denen sich eben so viele (7445) deutsche männliche, weibliche, mittelstufige und geschlechtslose Schriftsteller, Belletristen und Poeten entrüsten, im Bestiarium nicht »vorzukommen«, seien hiemit summarisch erwähnt, damit sie vorkommen. Man erstaune nicht über die hohe Zahl. Es sind so viele Militärs und Beamte darunter, die, wie man weiß, nach dem Kriege das Inland mit ihrer Literatur überfielen, einerseits weil der Deutsche überhaupt so gerne schreibt, andrerseits des Gewinnes wegen, dritterseits um ihre Unschuld am Kriege zu beweisen, viertens zu versichern, daß sie nichts als das Beste gewollt hätten. Die Unschuld, das Beste und die Literatur blieben auch hier nicht Sieger; sie verloren auf der ganzen Linie.
    Als ich aber nochmals die große Zahl der nicht vorgekommenen und darüber empörten Poeten überdachte, kam mir der naheliegende Gedanke, es einmal damit zu versuchen, von der Literatur zu leben. Ich erließ eine öffentliche Bekanntmachung, daß jeder nicht vorgekommene Dichter gegen Einsendung einer Reichsmark in der neuen Auflage vorkommen werde. Ich war mit meiner Forderung so bescheiden, um dem Vorwurf zu entgehen, daß ich die Köpfe zu hoch einschätze. Aber dies schien doch der Fall zu sein, denn ich bekam nur noch einige grobe Postkarten, aber keine einzige Mark. Man kann eben von der Literatur doch nicht leben. Nun soll man mich aber kennen lernen, sagte ich mir. Ich öffnete der Weste meiner Generosität sämtliche Knöpfe und stürzte mich in das Studium der ungenannten Verfasser, mußte es aber bald aufgeben, systematisch dabei zu verfahren, denn diese Fülle ging weder in ein vorhandenes noch in ein zu erdenkendes System. Ich griff also aus der alten Hutschachtel, in welche ich die Proteste der Ungenannten getan hatte, heraus und ließ den Zufall walten. Man findet, was ich fand, in jenem Kapitel des Großen Bestiarium, das überschrieben ist: Die großen Dichter deutscher Nation.
    Ich muß noch nachtragen, daß wir beide, ich und der Leser, uns für die Mithülfe einiger Freunde an diesem Großen Bestiarium zu bedanken haben. Dr. Maturin Melas und der Baron Albrecht Peyronnet haben einige Beiträge für dieses Buch geschrieben –, welche, dies wird der darauf neugierige und feinhörige Leser leicht erkennen.

Peregrin Steinhövel [Franz Blei]



Das große Bestiarium

Altenberg oder auch den Peter nannte man aus unbekannten Gründen die seltsame Laune Gottes, der hier ein Wesen schuf, das nur aus einem einzigen Organe bestand: aus einem Auge, dem der Fliegen gleich in tausend Fazetten zerlegt und die sichtbare Welt in kleinsten Bildern von großer Schärfe etwas übersichtig auffangend. Einem solchen seltsamen Wesen war von Natur aus nur eine kurze Lebensdauer bestimmt. Aber gegen die Natur und die Absicht Gottes bildete dieses stolz gewordene Auge so etwas wie einen Leib aus. Der war nun etwas schwächlich geraten, wie nicht anders zu erwarten, und das Auge Peter hatte mit ihm seine argen Molesten, die schließlich auch dem Auge nicht gut bekamen. Das Auge Peter hatte sich mit der Erzeugung seiner Verdauungs- und sonstigen Organe übernommen, und es sah am Ende nichts mehr als den prekären eigenen Mageninhalt: es spiegelte keine umgebende Welt mehr, sondern nur die Farben seiner Exkremente.

D'Annunzio. Ist er nicht des heutigen Italien Apoll, so doch dessen Pegasus, auf dem apollinisch für eine Weile die leichte Libelle Pascoli Platz nahm und den später dann der Clown Marinetti zu erklettern versuchte, ärschlings natürlich, wie es sich für den Clown gehört; doch blieben ihm von dem Versuch nur ein paar Schweifhaare in der Hand und auf dem Pegasus zu reiten wurde und blieb Futurismo. Der Pegasus d'Annunzio schlug mit seinen eleganten Hufen die herrlichsten, herrischesten Takte der letzten drei Jahrzehnte, ihm darin gleich nur des Northumberlandhirsches Swinburne Flug und Fougue. Später dann verlangte die Zeit Probe aufs große Wort, und der Pegasus gab sie. Er ließ sich die Hufe mit Eisen beschlagen, wirbelte damit die Trommel und wieherte Fanfaren. Die an tönenden Worten reichste Zeit, die des Krieges und seines Après, machte aus dem Pegasus nicht den Tyrtaios, aber das lauthinwiehernde Schlachtpferd gab den hellen italienischen Trompeten Brust, Luft und Schwung. Ein römischer Kaiser hat sein Leibpferd zum Konsul gemacht – der Pegasus d'Annunzio konnte es für möglich halten, daß ihn sein Volk zum Kaiser der Adria erhebe.

Andrian. Dies ist ein im Jesuitenkonvikt Kalksburg gebräuchlicher Name für eine Jugendsünde, deren man sich nur mehr bei Eintritt ins Greisenalter erinnert. In der Zwischenzeit spricht man nicht davon.

Avenarius ist eine so sehr sächsische Angelegenheit, daß sie in einer Beschreibung dieses merkwürdigen Volksstammes glatt aufgeht. Aber diese Ethnographie ist nicht unsere Sache. Wie alles Sächsische hat auch das Avenarius den Ehrgeiz, nicht nur für das spezifisch Deutsche, sondern das schlechthin Menschliche zu gelten. Man nimmt eben in diesem Erfindungs- und Herstellungslande des Odol den Mund voll.

Auernheimer ist der Name des Jockeis, der am häufigsten den Schnitzler geritten hat. Derzeit gibt er Tips in der Neuen Freien Presse.

Der Bahr. Den Bahr gibt es nur mehr in einem einzigen Exemplar, das im Salzburgischen gehalten wird. Seinen frühern scharfen Geruch hat es in den milderen der Heiligkeit gewandelt, und die Hörner hat das Tier, seit es den Teufel fürchtet, ebenso wie die Zähne, längst verloren. Dafür wuchsen ihm Mähne und Bart immer länger, was dem Bahre ein ehrwürdiges Aussehen gibt. So kann es der Wanderer in seinem Reservat am Untersberg beobachten oder mit ihm Zwiesprach pflegen, denn der Bahr ist ein ungemein gesprächiges und, fehlt ihm der Partner, selbstgesprächiges Tier. Seine Wärter, wie der überaus fromme Pater A. B. C. D. Schmitz, fürchten immer, der Bahr werde sich noch einmal nicht totstürzen, sondern totreden. Denn gefallen ist der Bahr schon öfter ohne Schaden zu nehmen und auf die Knie fällt er gut zweimal im Tage, welche Alterserscheinung eine leichtgläubige fromme Bevölkerung wie die salzburgerische als bei solchem Tiere seltene und um so anerkennungswertere Frömmigkeit auslegt. Ein Kapuziner hat den Bahr deshalb einmal ganz frei in die Heilige Messe mitgenommen, und das Tier unterschied sich, wie Augenzeugen berichten, in nichts von seinem frommen Führer, so daß man nicht hätte sagen können, war der Bahr mit einem Kapuziner oder ein Kapuziner mit dem Bahr in der Messe. Um so mehr oder um so weniger als der Bahr bei diesem frommen Besuche über seine flinken, kleinen, scharfen und klugen Äugerln seine ehrwürdige Mähne hatte fallen lassen.

Barrès. Als ihm in der Jugend auffiel, daß ihm nichts einfiel, machte er daraus eine sublime Fümisterie. Da dieser Culte du Moi nicht lange anhalten konnte, erfand er auf Reisen den Culte de Terre de ses morts und wurde fromm. Denn er mußte Gott jeden Tag danken, daß er nicht als Findelkind das Licht der Welt erblickt hatte.

Bartels ist der Name eines Zoologen der deutschen Fauna literarica, der solches erst wurde, nachdem er als ein Tier besagter Fauna begonnen hatte. Schwer festzustellen, was er zuvor und überhaupt war. Jedenfalls hat er als Literatier wenig Glück gehabt, wessen er Schuld gibt, daß die Ställe mit jüdischen Literatieren so überfüllt seien, daß ein dünnes Christenschwänzchen darin keinen Platz fände. Als Zoologe hat er einen Radiometer für Nasen erfunden, die ihm nicht passen.

Der Bähr Hofmann sieht bloß so aus. Wirklich ist er ein jüdischer Hirtenknabe des alten Bundes, der auf den Fluren von Zion die Schalmei bläst, wobei ihm der zweite Wiener Stadtbezirk, die Leopoldstadt, entzückt zuhört.

Der Baudisch. Das ist ein für die weichlichen klimatischen Verhältnisse seines Vorkommensgebietes – wohl aus nördlichen Gegenden eingewandert? Schlesien? – sehr kräftig gebautes, ruppig befelltes, einzelgängerisches Tier aus der Gattung der Quadrupeden. Sehr harter Schädel zeichnet es aus.

Becher. Gehört nicht hierher. Denn was man Becher nennt ist eine Rakete der neueren Feuerwerkerei, die ihr den Namen Becher oder Raketenvogel gegeben hat, aus welch letzterer Bezeichnung sich wohl der Irrtum herschreibt, diese Rakete für ein Tier zu halten. Mit Lebewesen hat sie nur das gemein, daß sie nie so geht wie der Schöpfer will. Mit allem Möglichen und Unmöglichen prall geladen platzt sie entweder gar nicht oder zur unrechten Zeit, fliegt statt in die Höhe in den Zuschauerraum, verpufft mit Gestank statt in Feuergarben und derlei mehr.

Der Benn ist ein kleiner Lanzettfisch, den man zumeist in Leichenteilen Ertrunkener festgestellt hat. Fischt man solche Leichen an den Tag, so kriecht gern der Benn aus After oder Scham oder in diese hinein.

Die Bie. Die Bie ist ein in der Scheinform einer Molluske auftretendes Krebschen mit Bartfäden. Lebt seit Jahrzehnten in den Spalten der Tageszeitungen, ohne an Unschuld einzubüßen. Nährt sich von Tanz und Musik. Bildet einmal im Monat einen blattförmigen, rasch verkalkenden Panzer aus den Ausscheidungen der deutschen Literatur, wobei sie wilde Rückwärtsbewegungen ausführt. In diesem Zustand von Fischern sehr geschätzt.

Der Bierbaum, wie im Sächsisch-Meißenschen der Birnbaum ausgesprochen wird, war aus Pappe, Buchbinderleim, Bütten und Vorsatzpapieren ein Gemächte. Seine Früchte waren aus der Zuckerspritze gegossene krumpelige Dinger aus Dragant. Kinder schleckten daran und riefen: »wie süß!« Dieser papierne Birnbaum war eine Zeitlang beliebtes Versetzstück des zweitwilhelminischen Puppentheaters deutscher Kulturkonjunktur. Alt und Jung spielte Volkslied und Minnigliches im Schatten seiner kleisterpapiernen Blättchen und tanzte mit O- und X-Beinen, so Christ wie Jud wie Berliner, neckisch, schelmisch, meierisch und bieder mit Klingklang und Gloribusch Ringelreihen um den als deutsche Eiche betätschelten Stamm aus Pappe. Poetischer schon konnte man nicht mehr, als man sich hatte 1902 unter dem Bierbaume. Ihn fällte nicht die Axt des Krieges. Lange zuvor schon moderte er in der Rumpelkammer der deutschen Poeterei.

Björnson. Das Land Norwegen hatte einmal zwei Könige, einen für zu Hause, den andern fürs Ausland. Den ersten zahlte das Ländchen, den zweiten zahlte er selber. Dieser zweite nannte sich Björnson I. Er kam gewaltig daher, seine goldenen Brillen blitzten und alle alten Ehrenjungfern standen Spalier. Mein Gott, Norwegen ist ein kleines Land, und man darf von seinen zwei Königen nicht zu viel verlangen. Zudem ist, was ich hier erzählte, längst Legende.

Der Blei. Ist ein Süßwasserfisch, der sich geschmeidig in allen frischen Wassern tummelt und seinen Namen – mhd. blî, ahd. blîo = licht, klar – von der außerordentlich glatten und dünnen Haut trägt, durch welche die jeweilige Nahrung mit ihrer Farbe deutlich sichtbar wird. Man kann so immer sehen, was der Blei gerade gegessen hat, und ist des Fraßes Farbe lebhaft, so wird der Blei ganz unsichtbar und nur die Farbe bleibt zu sehen. Unser Fisch ißt sehr mannigfaltig, aber gewählt, weshalb er auch, in Analogie zu jenem Schweine, der Trüffelfisch genannt wird wegen seiner Fähigkeit, Leckerbissen aufzuspüren. Gefangen und in einen Pokal gesteckt dient er oft Damenboudoirs als Zimmerschmuck und macht da, weil er sich langweilt, zur Beschauerin nicht ganz einwandfreie Kunststücke mit Flossen und Schwänzchen. Aber es ist dies wahrhaft ein Mißbrauch mit dem die Freiheit liebenden Fisch zu nennen, welcher der Jagd nach seinem Belieben entzogen und gefüttert eingeht. Eine merkwürdige Freundschaft unterhält der Blei mit dem Kartäuserkrebs ebenso wie mit dem Rothecht, aber über die Natur dieser Freundschaft ist man noch nicht genügend im Klaren, als daß hier gewissenhafter Bericht möglich wäre. Zumal der echte Kartäuserkrebs sehr selten ist und über die Lebensweise des Rothechtes die unsinnigsten Fabeln im Umlaufe sind.

Bleibtreu. In den grauen Zeiten Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts tobte im Berlinischen ein Krieg um die moralische Anerkennung der intimeren Beziehungen zu den Kellnerinnen. Nun, man hat schon um weniger bedeutende Sachen Krieg geführt, 1914-18 z. B. Jener heißt in der Geschichte der erste Naturalistenkrieg. Die Namen der Krieger sind vergessen. Aber in irgendeinem Zeughaus von Großlichterfelde gibt es so was wie Waffen jener Helden. Eine hölzerne Kanone trägt den Namen »Bleibtreu«, wie ihn wohl neckisch, aber voll trüber Ahnung eine der weißbierschenkenden Helenen dem harmlosen Blasrohr gab.

Ernst Bloch ist der chaldäische Name für die Beziehung des Beziehungslosen. Das Sternbild des Herkules, eine bayrische Weißwurst und ein jüdischer Witz haben einen gemeinsamen Schnittpunkt, den man Ernst Bloch nennt. Die Ebene ist nicht bestimmbar, man weiß nicht, ob auf, über oder unter dem Tisch.

Das Bonsels. Der zuverlässige Zoologe Reiser hat sich besonders mit diesem Tiere beschäftigt, das er mir also beschreibt: englische, sehr bewegliche Windhundrasse, die nur männlich, aber mit starken weiblichen Merkmalen behaftet vorkommt. Daher liebt es das Bonsels, auch außerhalb der läufigen Zeit nach weiblichen Hunden zu jagen, um dadurch die Männlichkeit seines Geschlechts auffälliger zu machen. Da sich aber alle echten weiblichen Tiere von der Zwitterhaftigkeit des Bonsels abgestoßen fühlen, so gesellen sich ihm nur solche Hündinnen, deren weibliches Geschlecht ebenso fragwürdig ist wie sein männliches, wodurch wieder sein Verhalten illusorisch wird. Dem ölig glatten Fell entspricht ebensolche Gangart. Elsterhafte Vorliebe für glänzende Gegenstände. Sehr eifersüchtig auf fremde Eindringlinge im Salon, wo es sehr beliebt ist. Die Gattung wird wegen starker Blutleere nicht alt.

Der Borchardt. Ist ein sehr sporadisch vorkommender, immer allein und hoch fliegender schöngefiederter Vogel aus der Gattung der Edelfasane. Er zeigt nur in der Höhe sein über alle Maßen kostbares Gefieder, im Busche kriechend weiß er es so geschickt zu verbergen, daß man nur die graue Unterseite seines Federschmuckes sieht, was Beobachter, welche den Borchardt im Fluge nicht gesehen haben, sondern nur manchmal im Buschwerk, zu der Behauptung veranlaßte, der Borchardt sei grau und nicht so prächtig. Es gehören aber klare und scharfe Augen dazu, ihn in der Höhe zu sehen. Auch das solitäre Vorkommen des Borchardts haben einige bestritten und behauptet, er sei ein Gefolgsvogel der George. Doch stimmt dieses mit nichten. Denn daß der Borchardt zuweilen hoch über den George hinfliegt, darin kann Gefolgschaft nicht gesehen werden. Darin ganz unähnlich den Fasanen ist des Borchardts Schrei von prächtigem Klange und fast ein Gesang zu nennen, in dem manche vieler Singvögel Singweise zu entdecken meinen. Aber die wenigen, die sich ohrbegabt genauer mit dem Gesang des Borchardts befaßt haben, sprechen, er habe eine ihm durchaus eigene Melodie, nur singe er viel zu selten, als daß man sie sich merken könne.

Paul Bourget. In der grünenden Jugend versprach eine ungemein mondän gebügelte Hosenfalte, was ihr Inhalt auch hielt. Für kurze Zeit. Dann gab's eine lange Zeit nur mehr mondän gebügelte Hose in allen Salons, wo man seit Generationen weiß, daß es Schenkel und Wade nicht gibt, sondern nur Hosenfalte. Ganz zuletzt und kurz vor dem unvermeidlichen Knick auch der besten Hose verwandelte sich dieses Schneiderkunststück wie immer in Frankreich in einen Palmenfrack und kam in das Depot Akademie.

Das Brod. Oder auch Maxbrod genannt ist ein neuerdings viel in jüdischen Tempeln gehaltenes Haustier. Es ist harmlos und nimmt, auch wenn es gereizt wird, das Futter aus der Hand. Woraus man eben auf seine Eignung zu einem religiösen Tier geschlossen hat. Einige wollen voraussagen, daß das Maxbrod noch einmal die Verehrung genießen werde wie das Buber, das bekannte heilige Tier der Juden. Doch fehlt dazu dem kleinen, gar nicht stattlichen Maxbrod das Format, so große Mühe es sich dazu auch gibt. Vergleichsweise gesprochen: das Format der Gartenlaube wird nicht dadurch größer, daß ich den heftenden Bindfaden durchschneide und den Bogen auseinanderfalte. Vergleichsweise gesprochen.


Der Browning. So hieß der Riese, dessen eines Bein weit kürzer war als das andere. Das machte seinen Gang exzentrisch, um so mehr, als er wie ein echter Engländer, der er war, immer nur seiner Nase nach ging. Gar nicht wie der Zwerg Tennyson mit dem einen einzigen Riesenbein, der sich immer ernst nahm, sondern der sich eigensinnig nahm wie er war.

Der Burte. Das ist ein Schwarzwaldhirsch und leidenschaftlicher Alleingänger. Erträgt sein vielendiges, an manchen Stellen etwas verhakenkreuztes Geweih mit großem Stolze. Seine Kraft imponiert ihm außerordentlich. Seine Stimme ist so stark, daß sie siebenmal ihr eigenes Echo machen kann.

Das Chesterton bedient sich nur unbeobachtet seiner Beine, vor andern nie. Öffentlich geht es immer auf dem Kopfe und hat es darin zu einer Virtuosität gebracht, welche ihm erlaubt, jede beliebige Gangart auf dem Kopfe zu gehen: das Chesterton kann schlendern, schreiten, torkeln, taumeln, marschieren, hüpfen, springen, laufen, alles auf dem Kopfe. Zum Schrecken der Gläubigen liebt das Chesterton, la tête terrible, diese seine Virtuosität besonders in Kirchen während des Gottesdienstes zu zeigen. Es hält sein Auf-dem-Kopfgehen für den unwiderleglichsten Beweis für das Dasein Gottes.

Cabell. Das ist der sieghaft-trunkene Schrei eines amerikanischen Zauberpferdes auf der Prärie unendlicher Seele und horizontweiten Denkens. Wie aus stählernem Silber ist dieses federnde Pferd, sein Schrei ein Lachen. Vielleicht ist es der Kentaur, vor zwei Jahrtausenden über den Ozean geschwommen und dort ans Land gestiegen, wo die Häuser hoch wie Wälder stehen. Wo der Große Pan als Whitman auferstand, da – ja, Cabell ist der Kentaur.

Claudel. Er hat einige religiöse Stücke geschrieben, um damit zu beweisen, daß es Gott nicht gibt. Er bekam dafür von einer republikanischen Regierung das Kreuz der Ehrenlegion. Er trägt es wie Jesus Christus das seine.

Das Conrad. Das Conrad gehört, da längst ausgestorben und nur mehr in ein paar Knochenresten vorhanden, schon in die Paläontologie. Der in München gezeigte museale Rest bestätigt die Annahme, daß es sich um einen stark mikrokephalen Zwergstier handelt, dem eine wollige flachsgelbe Mähne auffallend um die Ohren stand. Aus seinen Hörnern machten, wie Funde beweisen, deutschnationale Vereine gerne Trinkhörner, die sich aber als unbrauchbar bewiesen, denn sie brachten das in sie Hineingegossene in leeres Schäumen.

Korrody. Das ist der Name des distinguiertesten Zoologen der schweizerischen literarischen Fauna. Sehr elegant hält er sich oft bei seinen Untersuchungen sein Spitzentaschentuch vor die Nase. Dieses zeigt über dem Monogramm etwas wie eine Krone. Er trägt ein Einglas, aber seiner Landsleute wegen nur des Nachts im Schlaf.

Die Courthsmaler. Ist eine Laus, die in der Sekunde eine Million Eier legt. Sie tut das am liebsten in Kinobuden, wo sie am sichersten ist, die Ausbrütung und Ernährung ihrer zahlreichen Eier zu finden. In Warenhäusern streichen sich ältere Ladnerinnen die Eier der Courthsmahler als Kaviarersatz aufs Brot.

Chamberlain ist der Name eines englischen Präparates, das, eingenommen, rasche Verblödung bewirkt. England hatte seine Ausfuhr mit hohen Prämien bedacht und erreichte damit, daß die gesamte Produktion nach Deutschland kam. Darauf fing England frohen Mutes den Krieg mit diesem Lande an, sicher, ihn zu gewinnen. Und es hat Recht behalten. Die Wirkung des genossenen Chamberlains ist so stark, daß sie jahrzehntelang vorhält.

Das Dauthenday heißt jene scharmante Erfindung, welche die Farben des Sonnenspektrums zum Tönen bringt. Man hat sie auch das singende Sonnenspektrum genannt. Einige wollten behaupten, man habe damit die Musik der Sphären eingefangen.

Die Däubler. Sie ist eine mächtige Qualle, welche in der Adria lebt und vornehmlich silbergrau ist. Doch vermag sie auch andere Farben hervorzurufen. Das System ihrer Gedärmfäden ist außerordentlich verwickelt. Oft kennt sie sich selber darin nicht aus, und verwickelt sich, im Bemühen, sich zu entwickeln, noch mehr. Wobei sie immer die Fähigkeit des Farbenspieles verliert.

Dehmel. Frühzeitig beschloß er, seine Sämtlichen Werke zu verfassen. Er überblickte die Zeitlage und seine eigenen Bestände. Mit Mädchen, Wein, forsch sah er seinen altern Freund Liliencron den saloppen Versetrab Heinescher Beiläufigkeit reiten. Das schien leicht, und war es. Heine, Weine, das Weibliche besaß man. Dazu war man eines Försters Sohn, und der deutsche Wald gab einem keine Rätsel auf. Die Zeitlage war sozial. Das nahm man mit. Und nun konnte es losgehn. Der Gesamtaufstieg der neuen Literatur manifestierte sich, und daß man damit mitstieg schien selbstverständlich. Es ging ja so natürlich zu. Zumal mancher Vers gelang. Da gab es im Gewissen Dehmels einen Knax. Er sah, daß Liliencrons schlendriger Ritt direkt in den Bierbaum führte, der auch schon da war. Und Dehmel bog ins Problematische ab, ein Dichtziel für sich zu suchen. Er schulmeisterte sich. Aber die dichterische Substanz war nicht groß und bedeutend genug, sich gegen den Schulmeister zu behaupten, Dehmel begann zu schwitzen. Er reimte und versifizierte Gott und die Welt: die beiden aber blieben hartnäckig draußen. Er dachte mehr, als er sich seinem Talente nach erlauben konnte, dessen kleines Herz davon die Sklerose bekam.

Der Döblin. Dieses ist der Name eines vortrefflich und stark gebauten Tieres, das fest auf seinen vier Beinen steht und schreitet. Es hat irgendwann einmal in seiner Lebenszeit, und man weiß nicht weshalb, eine immer nur kurzdauernde seltsame Gewohnheit, nämlich auf seiner linken Vorderpfote zu stehen und die Welt verkehrt durch seine Hinterbeine zu begucken, wodurch sie ihm, ob sie nun wirklich so ist oder nur wegen der Nähe eines bestimmten Organes unseres Tieres, recht dreckig erscheint. Aber unser Döblin gibt diesen Gang auf der linken Pfote bald als doch nicht seiner Art entsprechend auf, und sieht man ihn dann wieder mit Vergnügen seinen guten straffen eigensinnig geraden Weg gehen; ein starkes, ausdauerndes, vortreffliches Tier.

Das Dröhm. Das früher von seinem Entdecker Dr. Spengler ***, dann Dröhm genannte winzige Tier fand sein Entdecker im Blech, mit dem er sich gerade beschäftigte. Der Professor behauptete, es entdeckt zu haben. Aber es ergaben mikroskopische Untersuchungen, daß, was Spengler für ein selbständiges Lebewesen hielt, nur des Professors Fingerspuren auf eben dem Bleche waren. An des Spenglers Fingern haftete etwas Druckerschwärze von dreitausend gelesenen Gedichtebüchern. Was man erst für ein Tier halten konnte, dann für einen Blechpilz ansah, klärte sich auf. Nur sein Entdecker, der zu seinem Tier ein viele hundert Seiten langes Vorwort genannt »Der Untergang des Abendlandes« geschrieben hat, hält an seiner Entdeckung und am Tiercharakter des Dröhms fest.

Das Edschmid. Ein erst kürzlich vom Träger selber entdeckter Parasit auf dem Sternheim, das sehr stolz darauf ist, es im struggle for life bis zu einem Schmarotzertierchen gebracht zu haben. Doch bestreitet der Frankfurter Amateurzoologe Dr. H. Simon den parasitären Charakter des Edschmids unter Berufung auf des Tieres große Lebhaftigkeit, welche es zeigt, sowie man es auf Gelatine setzt, die beim Edschmide aus Papiermasse und Druckerschwärze hergestellt sein muß. Jedenfalls hat das Edschmid weder Beine noch Augen, weshalb es sich in rasenden Drehungen weiterbewegt ohne den Schwindel zu bekommen. Von der Wirkung auf die Ursache übertragend, hat man das Edschmid auch das Geschwindel- oder kürzer Schwindeltierchen genannt.

Der Einstein. Das ist eine kometarische Angelegenheit, insofern der Einstein ein Schwanz- oder Irrstern des metaphysischen Himmels ist, aus dem er zuweilen, auf nicht erklärbare Weise, da seine Bahn nicht berechenbar, in die Erdatmosphäre abirrt, hier zum Glühen kommt und zum Sprühen und Spucken. Sein also irdisches Auftauchen ist katastrophal für bürgerliche Hirne, deren breiige Substanz bei Einsteins größter Erdnähe vor Wut zum Kochen kommt. Worauf der Einstein wieder seine metaphysische Laufbahn fortsetzt, von der nicht einmal sein schärfster Beobachter Rowohlt weiß, wie sie verläuft.

Das Ehrenstein ist ein um eine ganz schiefe Achse gelegtes Tier, das von der einen Seite, wo es einen Flügel hat, einem Vogel gleicht, der es nicht ist, von der andern, wo es eine Tatze hat, einem Wolfe, der es auch nicht ist. Wie zum Hohne über seinen einseitigen Flügel liebt das Ehrenstein, diesen Flügel im Dreck zu schleifen. Dann aber wieder breitet es ihn zu großer Überraschung aus und man sieht, daß es ein Flügel voller Schwungfedern ist.

Der Eloesser. Er gehört zur Familie der Kopffüßler, jener überall gleich heimischen Tierart, die mit Hilfe ihres Kopfes in der Advokatur ebenso gut vorwärts kommt wie in der Literatur. In letzterem Falle entsteht durch eine metaphysische Senkung des Mittelfußknochens der sogenannte Plattkopf.

Der Paulernst. So heißt eine hartnäckige Bandwurmart, die dem bekannten längst toten Friedrich Hebbel noch immer abgeht. Die Stücke unseres Bandwurmes sind ganz harmlos, trotzdem empfindet der Mensch, gewahrt er zufällig eines, ein Grauen unbegreiflicher Art davor, das sich in Gähnkrämpfen äußert. Um die völlige Harmlosigkeit dieser Stücke zu zeigen, hat sie der bekannte Münchner Zoologe Georg Müller gesammelt. Aber er konnte auch dadurch die Menschen nicht von ihrem Irrwahne abbringen. Vielleicht gelingt dies erst, wenn die Sammlung aller Stücke dieses Paulernstes vorliegt, was aber noch lange nicht der Fall sein dürfte, denn unser Paulernst ist ein außerordentlich langer Bandwurm.

Essig. Das wurde am Ende aus einem gut duftenden kleinen schwäbischen Landwein, als die Flasche ungetrunken, aber offen, zu lange auf einem Berliner Schanktisch der Kaschemme »zum Sturm« stand.

Das Eulenberg. Das Eulenberg ist ein Pechvogel aus der Familie der Käuzchen. Es baute sein kunstvolles Nest in den Trümmern von Barock- oder Rokoko- oder Biedermeierpalästen oder sonstigen Schlössern. Es hat aber, da man es da immer aufstöberte und verjagte, auf solchen Nestbau verzichtet und lebt seitdem im Riß von anderer Schatten. Man gönnt ihm diesen Platz, wenn es auch keiner an der Sonne ist, und nimmt es auch hin, daß es zuweilen seinen Ruhplatz in einem fremden Schattenriß auf abscheuliche Weise verunreinigt.

Eucken. Dieses rätselhafte Wort findet man in alle Kuhglocken des deutschen Ideal-Idealismus graviert. Das Läuten der so gravierten Glocken ist am hohlen schönen Klang erkenntlich. Die damit geschmückten Tiere sind, in der österreichischen Metzgermundart gesprochen, Beinlvieh. Das heißt sehr mager und zu Braten gar nicht gesucht.

Das Ewers. Eine kleine Hunderasse harmloser Erscheinung, dem ein launiges Naturspiel ein Bauchfell gegeben hat, das Nicht-Kenner für Leopardenfell halten können. Jede Berliner Nutte wünscht sich, wie man weiß, zu ihrem dreizehnten Geburtstag ein Ewers an die Leine für die Tauentzienstraße, und bekommt es auch ganz nahe bei, wo das KDW immer einen großen Vorrat auf Lager hält. Mehr ist darüber nicht zu sagen.

Die Fackelkraus. Die Fackelkraus hat eine Anti-Natur, weil sie aus dem Kote dessen geboren ist, den sie vernichten will. Sie ist stets wutgeschwollen wegen ihrer unreinen Geburt. Ausgezeichnet ist sie durch ihre Fähigkeit, die Stimmen der Menschen nachzuahmen. Sie tut solches auf verschiedene Art. Sie ahmt die Stimmen von Propheten und Dichtern nach, um ihnen zu gleichen und mit ihnen verwechselt zu werden. Die Stimmen anderer Menschen hinwieder, um sie zu verhöhnen und zu vernichten. Bevor das Wedekind ausstarb, war die Fackelkraus dessen Freundin und stellte sich auf das erhöhte Podium, wenn das Wedekind sich begattete oder sonst sekretierte. Die Fackelkraus äußerte dann immer lauten Beifall, damit man sie höre. Sie gerät in großen Zorn und wird äußerst boshaft bis zur Giftigkeit, wenn sie meint, daß man andere höre. Um zu verhindern, daß andere gehört werden, gebraucht sie zwei Mittel: das eine ist, daß die Fackelkraus diese andern lobt, das andere, daß sie sie verhöhnt. Beides tut sie mit überschreiender Fistelstimme, damit man sie hört. Die Fackelkraus hat nämlich keine Natur, sondern sie ist nichts als Stimme und lebt infolgedessen nur so lange, als man sie hört. Da sie das weiß und den Tod fürchtet, wie jedes Lebewesen, hat sie ihre Stimme kunstvoll geübt auf Gehörtwerden. In der Wut wird die Stimme der Fackelkraus oft besonders kunstvoll, weil sie aus Angst, man würde sie sonst nicht hören, mit immer neuen Stimmen schreit. Sieht sie dann, daß man sie hört, so ist sie sehr stolz und wiederholt alles, was man über sie gesagt hat, noch einmal. Dann kann man eine Stimme bei ihr hören, die sie sonst nicht zeigt, da sie in solchen Augenblicken ihre Angst vergißt. Der Atem der Fackelkraus ist häßlich zu riechen, weil sie aus dem Kot ihrer Feinde geboren ist. Weil sie jedoch ihre Feinde zu vertilgen meint, wenn sie deren Exkrement vertilgt, so frißt sie zornig ungeheure Mengen davon. Darum ist die Fackelkraus ein nützliches Tier, wenn es auch in ihrer Nähe nur aushält, wer ohne Geruchsinn geboren ist. Hier kann der Mensch Gottes Weisheit bewundern, der den meisten Tieren nur eine Stimme gab, weil sie nur eine Natur haben. Die Fackelkraus aber hat keine Natur, sondern eine Anti-Natur, dafür hat sie aber zahllose verschiedene Stimmen. Wegen der Stimmen hören manche auf sie, und diesem Umstände, daß sie von manchen gehört wird, verdankt sie ihr Leben und kann große Mengen von dem Exkrement vertilgen, aus dem sie geboren ist.

Das Flake im Kleinen Bestiarium war ein Irrtum, wie die folgende Mitteilung des Flakes beweist: »Lieber Steinhövel, aus dem neuen Bestiarium: Peregrin Steinhövel, ein Esel, von dem man naturgemäß nur Eselsfußtritte erwarten kann. Gar nicht ergebenst Flake.« Das Flake wäre demnach ein Löwe. Aber ein toter. Lieber, gescheuter Flake!

Der Fontana. Inmitten einer Fauna, deren Regel die schwächliche Absonderheit ist, macht ein so gut und gerade gewachsenes Tier wie der an den Quellen des Lebens äsende Fontana leicht einen ungewöhnlichen Eindruck statt des starken, der ihm zugehört. Gute Witterung und scharfes Geäug sind dem Fontana eigentümlich.

Der Frank. Der Frank ist ein Schaltier ohne Schale, trotzdem es in einer so derben Umgebung lebt, daß sein sehr weicher, empfindlicher Leib sehr wohl einer Schale bedürfte. Diese Weichheit erstreckt sich bis auf des Franks Gemüt und erlaubt es ihm nicht, daß er sich, wozu er imstande wäre, eine feste Schale durch Ausschwitzung von harter Substanz bilde. Alles was der Frank vermag, ist, mit lieben Augen die ihn tretende und stoßende Umgebung anzuflehen, daß sie doch so gut sein möge wie sie sei. Man muß glauben, es habe hier dem Herrn gefallen, einen Sankt Franziskus des Tierreiches zu erschaffen.

Das Friedrich-Wilhelm-Förster. Das Friedrich-Wilhelm-Förster ist ein Tier, das sich am liebsten ungeschlechtlich fortpflanzen möchte. Es hat deshalb sein Hauptaufenthaltsgebiet in die Ethik verlegt. Dort nährt es sich von den Wurzeln des christlichen Glaubens. Es ist sehr sozial und liebt das Gute. Es hat nur einen einzigen Feind, gegen den es blindwütig anrennt, das ist das Bessere. Es sieht genau so aus, wie der Mensch in seinen Idealen aussehen möchte. Hilfreich, edel, beharrlich, diszipliniert, rein usw. Im irdischen Jammertal ist er also ein Ideal. In den Gefilden der Ideale ist er aber ein Jammer, ein Nachzügler, der das längst Überholte noch einmal einholt. Sein biotechnischer Typ ist Massenbeförderung; das hat in der Wirklichkeit Vorzüge und im Geist Nachteile. Manchmal kämpft er nur mit dem Weihwedel, manchmal aber mit starken und verläßlichen Schlägen. Er ist alles in allem in einer sehr sympathischen Weise unsympathisch und hat deshalb starken Einfluß auf das deutsche Volk. Daß man ihm eine undeutsche Haltung vorwirft, ist nur eine Meinungsverschiedenheit. Denn es kommt doch nicht darauf an, was man denkt, sondern wie man denkt, und der undeutsche Mensch ist der, welcher auch in ethischen Fragen so tief denkt, wie es der deutsche nur in wissenschaftlichen tut. Diesen Vorwurf läßt sich das Friedrich-Wilhelm-Förster aber nicht machen.

Der Freud. Siehe: Zur ideologischen Morphologie. S. 97.

France. So heißt ein immer schon alter geistvoller und scharmanter Herr in Paris, berühmt durch eine Bibliothek voller Wunder. Seit vierzig Jahren pflegt er jedes Jahr seine Bibliothek zu ordnen, wobei er mit seiner spirituellen Nase in den Büchern schmökert. Und das Ergebnis des Ordnens und Schmökerns ist immer ein Buch. Und weil er ein ganz alter, guter, lieber, mokanter Franzose ist, widmet er jedes Buch dem Andenken Voltaires.

Das Friedell. Nicht zu verwechseln mit dem Frettchen, da eher verwandt mit dem archaischen Enu, einem Megatherium aus der Vielsaufgruppe. Nährt sich vornehmlich von Chesterton, Kierkegaard, Shaw, Hegel, Nietzsche und anderm Kraut. Verdaut vorzüglich mit dem großen Kopfe; die dabei ausgestoßenen Geräusche sind weithin gefürchtet als Humor.

Die George. Die George, auch die große George genannt, ist ein hochbeiniger Watvogel, der durch die außerordentlich schöne Proportion seiner Glieder wie auch durch seine Größe weit über seine Genossen im Wasser hinausragt, die es ihm mit Strecken und Recken ihrer kurzen mißgeformten Glieder gleichtun wollen zum großen Vergnügen der zuschauenden Kinder. Aber die George nimmt solches Stelzen der andern lächelnd hin, weil es ihr ihre Einzigartigkeit und Mustergültigkeit beweist. Die George hat Töne, die sie nur im Gehen von sich gibt, und es bekommen diese vom wohlgeordneten Spiel der Glieder eine gefällige Rhythmik. Das Gesicht der George ist von geringem Umfang und wird von ihren Beinen beherrscht, insofern ihr Sehen darüber nicht hinausgeht. Ihr subtiler Organismus macht sie Krankheiten geneigt, die leicht chronisch, aber nicht gefährlich werden. So ist die George dauernd mit der leichten Indisposition einer Wolfskehl behaftet. Den Schmitz, den sie einmal am Bein hatte, hat sie rasch überwunden. Einen irritierenden Gerardy ist sie aber so wenig los geworden wie an ihrer linken Pfote einen Gundelfinger, der sich da breit macht.

Gide, André ist ein zartgebauter Schüler des Port Royal, aus ihm entsprungen und seitdem – es ist leicht, aus einer Stadt zu entfliehen, aber schwer, dann die rechte Straße zu finden – seitdem müht sich dieses vom Port Royal sublimierte Gewissen um Weg und Wege zwischen Genf und Paris, Rom und Moskau. Es flüchtet bisweilen erschöpft in Gärten, vergeblich von Blumen derbe Früchte dieser Erde erwartend. Oder es eilt ins Parisische und trinkt sich ein ganz kleines Voltairesches Schwippschen an. Manchmal auch bleibt es zwischen Paris und Genf in der Provinz liegen. Die Saiten dieser Kunst, eine Zuflucht, sind über eine offene Wunde seiner Seele gespannt; er schlägt sie wie es nur möglich ist: diskret und mit peinlichster Gewissenhaftigkeit.

Die Godwintrine. Eine schöne pusseliche weiße Katze mit chronischen Tintenflecken am Fellchen. Sie kam nämlich auf einem Schreibtisch zur Welt und hält daher dieses Möbelstück für den natürlichsten Aufenthalt der Katzen. Sonst sehr empfindlich gegen alle Unsauberkeit macht sie sich aus den Tintenpatzen gar nichts.

Der Vondergoltz. Die schwarz-weiß gestreifte Raupe ließ einen ähnlichen Schmetterling erwarten. Man riet auf einen Kaisermantel. Aber die Puppe nahm schon ungewöhnliche Form an, zuckte heftig. Der Falter ist weiß mit einem farbigen Schimmer, morgenrötlich. Das Wetter ist noch zu trübe, um aus der zarten Farbe zu deuten, ob eine kleine Aurora oder eine neue Art daraus wird.

Gorki. Ein braver Bursch, den man, Propheten aus Rußland immer vermeinend, als der alte Tolstoi Rückkehr zum Schweinekofen vorschlug, ebenfalls für einen Propheten hielt. Kurzatmiger Nacherzähler des breitbrüstigen Korolenko war und ist er ein braver Bursch.

Das Gütersloh. Das Gütersloh ist ein Animal, von dem nur feststeht, daß es ewig ante coitum triste: woraus man erkennt, daß es nur in der männlichen Art vorkommt. Im Hinblick auf diese seine zwecklose Virilität hat man es auch das Nönnchen oder den Klostermatz genannt. Das Gütersloh ist eigentlich ein leichter Vogel, fliegt aber so selten, daß man ihn einen ethisch verkommenen Windbeutel nennen kann. Will man ihn zum Fluge zwingen, so soll er, wie einige behaupten, die sogar hören können, was er singt, anfangen, in rührender Art seine Hemmungen zu besingen. Diese Vogelsprache eines Flügellahmen, dieser Ton, der seine eigene Existenz wieder aufhebt –: es ist zu bezweifeln, ob er auf den Wachsplatten des literarischen Institutes sich wird festhalten lassen, von einer gebräuchlichen Literatur meinen wir, wo alle, die reden können, auch reden wollen. Der Klostermatz liebt die Vernunft über alles. Glaubt aber, sie nicht deutlich genug accentuieren zu können. Daher gilt sein spärlicher Gesang wegen der allzu großen optischen Nähe des großgeschriebenen Kleinsten den Meisten bestenfalls als unverständlich, schlimmstenfalls als pedantisch. Da er überdies kein waschechter Sänger ist, färbt sein prächtiges Gefieder leicht ab, wodurch das Gerücht entstand, das Gütersloh habe etwas mit der Malerei zu tun.

Häckel. So heißt der Schwurgott der deutschen Freidenker. Denn hier ist wahrhaft der Mensch Gott geworden, durch nichts als daß er das den Deutschen sagte, was sich Darwin den Engländern zu sagen gehütet hat: daß der Mensch vom Affen abstammt. Eine begeisterte deutsche Menschheit kletterte auf die Stammbäume solcher Erkenntnis und klatschte mit allen vier Beinen Beifall. Nach einigem Währen dieses Affenspektakels mußte in die Sache ein Sinn kommen. Und da erfand der Menschenaffe das ihm nächstliegende, den Monismus. Und weil solches sich in protestantischen Ländern vollzog, stellten sich auch alsbald die monistischen Sonntagsprediger ein – natürlich aus dem Lande Sachsen. Die Monisten erkennen sich untereinander am deutlich getragenen Stammbaum.

Die Halbe. Die Halbe ist, was man in ihrer Jugend noch nicht erkennt, ein letzter Wurf der Marlittziege kurz vor ihrem Tode und daher ist die Halbe wenig lebensfähig. Bei zunehmenden Jahren der Halbe kommt die Mutter immer mehr zum Vorschein, die von so robuster Konstitution war, daß sie ihrem letzten Sprößling noch das wenige Leben schenken konnte, das er besitzt.

Das Hamsun, die schönste der lebenden Echsen, ein Naturspielwerk. Obwohl von Größe der Alligatoren und scheinbarer Unbeholfenheit der Glieder, brütend im Zustand versonnener Ruhe, ist es doch von einer geradezu absurden und unwahrscheinlichen Behendigkeit. Sehr scheu wohnt es verschlüpft im Gefels. Gesehen hat es eigentlich nur ein einziger Forscher, wie man sagt, und zwar bei Sprengung eines Steinbruchs, wo sich das Hamsun mitten im Pulverdampf aufrichtete. Daraus entstand wohl die Mär, es sei im Grunde ein schlichter, biederer Geometer mit genial gestörten, beinahe weiblichen Launen. Aber dies dürfte eine Großstadterfindung sein. Das Hamsun ist nicht einmal durch den Nobelpreis aus seiner Höhle zu locken. Es leidet etwas an seinem großen Maule, einem Organ, das bei Amphibien, die in mehreren Elementen, aber auf jeden Fall im Element leben, immer rachenähnlich ausgebildet ist. Da das Hamsun nun scheu, bescheiden und demütig ist, verargt es sich dies wie auch sein großes Maul sehr. Denn seine Schönheit läßt sich oft nicht verleugnen, und es nimmt oft den Rachen dagegen voll.

Die Handelmazette. Die Handelmazette ist ein ausgezeichnet erhaltenes Paradepferd aus dem Hofstall des Kaisers Ferdinand des Andern. Sie hat den 30jährigen Krieg als junge Schimmelstute auf der katholischen Seite mitgemacht, ließ sich einmal von den Schweden fangen, was ihr kaiserlicher Herr, zu dem sie zurückkehrte, ihr etwas übel nahm. Heute, in hohem Alter, trägt die Handelmazette immer noch Heerpauken wie ein Junges durch die längsten Prozessionen. Unter dem letzten österreichischen Kaiser trug sie dessen Kinder auf ihrem Rücken manchmal in den Prater. Aber das stand der alten Schlachtstute so wenig, daß die Passanten sie ob dieser Kindischkeit belächelten. Aber die gegen heutiges Licht etwas erblindete Handelmazette merkte es nicht.

Der Hardekopf. Dieses Käuzchen wird nur bei Nacht sichtbar, doch schläft es auch nicht bei Tage, denn es schläft überhaupt nicht, Das Hardekopf ist immer nur etwas müde, nie schläfrig. Es verbreitet einen leicht phosphoreszierenden Schein. Vielleicht verwest es. Es ist den seltsamen Käuzchen zuzurechnen.

Der Harden. Dieser Specht hat die Manie, bedrucktes Zeitungspapier in sein Nest zu schleppen und es derart damit auszustopfen, daß er selber gar nicht mehr darin hausen kann. Er muß daher immer neue Nester machen, die alsbald wieder mit Papier gefüllt sind. Auch hohle Bäume stopft er auf diese Weise aus, damit sie nicht in den Himmel wachsen.
Harden, Maximilian

Der Ernsthardt. Der Ernsthardt ist aus der Familie der Spatzen, die wir alle kennen. Ihn zeichnet nur die seltsame Gewohnheit aus, daß er es einem Kolibri gleichmacht, insofern als er, was er dank seiner Kleinheit auch leicht vermag, in große Blütenkelche eintaucht, um hier so zu tun, als suche und fände er darin sein Futter. Er kommt vom Blütenstaub ganz bestäubt und betäubt zum Vorschein, so daß er immer eine Weile taumelt, was einen sehr komischen Anblick gewährt. In ungebildeten Kreisen hielt man den Fliegenfänger manchmal für einen wirklichen Kolibri, aber man wurde rasch belehrt, daß die Landschaft des deutschen Mittelgebirges, in welcher der Ernsthardt lebt, das Vor- und Fortkommen eines echten Kolibris ganz ausschließe. Heute weiß jedermann über die Spatzennatur des Ernsthardts Bescheid.

Das Hasenclever. Weil sie clever wie ein Hase ist, hat man eine stark überzüchtete Windhundrasse so genannt. Das Hasenclever besteht zu Zeiten nur aus Nase und Wedel, das andere ist alles Wind. Das bedauernswerte Tier kommt dann immer in die fatale Lage, nicht mehr sein Vorne und sein Hinten zu unterscheiden, so daß es mit dem Schweiferl riecht und mit der Nase wedelt. Es ist zum Erbarmen. Wenn es auf die immer alerte cleverness verzichtete, könnte vielleicht noch ein guter richtiger Hund aus ihm werden.

Hatvany. So heißt der antiphilologische Philologe, der sämtliche neueren ungarischen Literatiere, wenn nicht erfunden, so auf dem Gewissen hat. Er stehe also hier als das Totum pro partibus. Das von ihm erfundene Ungarn rächte sich an seinem Erfinder damit, daß es ihn verbannte. Der Hatvany aber staunt im Auslande über solche Stärke seiner Schemen.

Das Gehauptmann. Das Gehauptmann ist der umfangreichste Vierfüßler der deutschen Fauna, bei außerordentlich kleinem Kopf, der mit zunehmendem Alter immer kleiner wird, dafür wächst der Leib immer mehr. Die ursprüngliche Form dieses Leibes ist nicht mehr zu erkennen. Es bleibt erstaunlich, daß vier Füße alle diese Buckel, Wülste, Täler, Auswüchse, Beulen, Geschwülste tragen können. An manchen Stellen dieses Leibes wachsen kleine Federn, an andern wieder Haare, an dritten liegt die Haut ganz bloß, an vierten ist sie eingestürzt oder zu Stein geworden. Die Unförmigkeit unseres Tieres erklärt es wohl, daß sich auf einige Stellen seines Leibes ganze Schichten von Schutt gehäuft haben, die es geduldig trägt, ebenso wie auf andern Stellen wieder eine kleine Wiese grünt. Ja, an einer Stelle hatte sich eine Zeitlang ein pygmäisches Köhlervolk angesiedelt. Aber das Gehauptmann ist so ungeheuerlich, daß seine Moral gar nicht merkt, was auf ihm vorgeht. Das Gehauptmann ißt nur Vegetabilien in ungeheuren Mengen. Fleischnahrung bekommt ihm schlecht. Sein kleiner Kopf bleibt oft ganz unsichtbar; oft enthält er sich aller Funktionen. Woraus sich auch das ungeheure Leibwachstum und der unsicher schwankende Gang unseres Gehauptmann erklären dürfte.

Das Cehauptmann. Das Cehauptmann war ein kleinerer Verwandter des Gehauptmann, zeigt aber im übrigen alle dessen Eigenschaften. Um es dem Gehauptmann im Wachstum gleichzutun, hat man beobachtet, daß das Cehauptmann seinen ursprünglich richtig gebildeten Kopf verstümmelte, woraus man eben schloß, daß des Gehauptmanns Minimalkopf Ursache seines macht- und planlosen Körperwachstumes sei. Das Cehauptmann war in den letzten dreißig Jahren im Aussterben.

Hausenstein. Wer kennt nicht diesen Namen des schnellsten derzeit lebenden Schnelläufers? Hausenstein hat, wie man weiß, jeden aufgestellten Schnelligkeitsrekord gebrochen. Er ist unüberlaufen. Sein Wettlauf mit der Zeit steht einzig da. Er hat, wie man weiß, die Zeit – die absolute notabene – um eine Stunde vierzig Minuten sechseindrittel Sekunden geschlagen. Sein Laufen war dabei so rasch, daß die Zuschauer von dem durch den Laufenden erzeugten Wind umgeworfen wurden.

Der Heimann. Der Heimann lebte ehemals freischwimmend in den nördlichen Gewässern der Mark, wo er aber außerordentlich selten mehr gefunden wird, seitdem die Menschen eine physiologische Eigentümlichkeit des Heimanns entdeckt und ihrem gemeinen Nutzen dienstbar gemacht haben. Der Heimann ist nämlich mit außerordentlich sensiblen, fast rational arbeitenden Tastfäden ausgestattet, mit denen er alles Unordentliche in Ordnung bringt, allen Schmutz beseitigt, alles Vergessene erinnert, alles Verlorene auffindet usw. Wegen dieser für die Freiheit des Heimanns so bedauerlichen Fähigkeit wird er in Aquarien als ordnungschaffendes, differenzierendes Tier gehalten.

Die Hennings. Herz, das ein Schmerz nicht zu brechen vermag. Es hat nur einen kleinen Sprung bekommen, aus dem es Rede gewann wie aus einer Stimmritze. Herz, dem ein Schmerz ein engelhaftes Lächeln gab, nicht jenes gewisse »unter Tränen«, oder sinds schon Tränen, dann klingeln auch diese, fallen sie, wie silberne Schellen.

Die Hesse. So wird eine liebliche Waldtaube genannt, die man aber wild nicht mehr antrifft. Ihrer Zierlichkeit wegen wurde sie ein beliebter Käfigvogel, der den Beschauer damit ergetzt, daß er im Käfig immer noch Gebärden tut, als wäre er im freien Walde. Er verschafft dadurch dem ihn haltenden Stadtbewohner die Sensation der Natur, und wird solches erhöht von ganz kleinen Drüsen unserer Hesse, aus denen sie einen Geruch absondert, der leise an Tannenduft erinnert.

Hille nannte man in Norddeutschland einmal einen weiten Havelock – Hille = Hülle. Er, den wir besonders so benannt finden, war ganz vollgestopft mit Zetteln, beschrieben mit orphischen Zeichen. Man fand diese Hille samt Inhalt einmal steinhart gefroren auf der Landstraße zwischen Berlin und Niederschönhausen.

Hiller. Der Umstand, daß man ihm manchmal aus unbekannten Gründen Tiernamen gab, ließ bei Fernstehenden – und wer steht hier nicht gerne fern? – die Meinung aufkommen, es handle sich um ein Geschöpf der Fauna literarica. Das ist ein Irrtum. Herr Hiller ist ein Berliner Journalist und hat nie ein Hehl daraus gemacht.

Das Hofmannsthal. Dieses gazellenartige, außerordentlich dünnbeinige, daher nur stolzierende, schönfellige Tier ist Produkt interessanter Kreuzung aus italienischer Windhündin – Züchter d'Annunzio – und englischem Northumberlandhirsch – var. Swinburne –, und sein Zustandekommen war so bestaunt, daß man menschlichem Sprachgebrauch folgend von einem Wunderkind sprach, das es auch eben wegen des Bestauntwerdens sozusagen bis ins mannbare Alter hinein blieb und als welches es auch, und sei es mit achtzig Jahren, stirbt. Das sehr kostbare, zerbrechliche Tier kann nur künstliche Luft atmen, wovon es einen außerordentlich vornehmen Geruch hat. Sein Geschmack ist durch die Fragilität seines gekreuzten Magens so verfeinert, daß es oft monatelang überhaupt nichts frißt, um zarteste Därme nicht in Gefahr der Verstopfung zu bringen, die sein geheimes Leiden ist, das es zu solchen Zeiten von seiner silbernen Terrasse aus mit klagender Stimme in die Schwermut eines Sonntagnachmittags im Juli röhrt. Manchmal äußert das Hofmannsthal gern erfüllten Wunsch nach einer ländlichen Heuwiese, wo es dann ein paar humorige Sprünge tut, welche alle die es sehen zu Trauer und Tränen rühren, die aber das Hofmannsthal sehr lustig findet, wenn es auch bald davon sehr erschöpft ist. Damen haben seiner oder ihrer Zeit dem hübschen Tiere den Namen Cherubin gegeben und es hört, wenn auch in den Jahren lang darüber hinaus, immer noch darauf, einerseits aus Liebenswürdigkeit, andererseits aus Melancholie. Es ist eines unserer schönsten Tiere.

Der Holz. So heißt eine Finkenart. Er zwitschert so lange er jung ist seinen Reim Fink-Flink wie alle Finken. Aber im kritischen Alter wird der Holzfink dessen überdrüssig. Er reißt sich mit einer spaßigen Theorie die Stimmritze seines Fink-Flink durch, und alles was der Fink in der Kehle hat läuft aus. Mit dem Schwänzchen wippt es zu diesem Lautestrom etwas, das wie eine Caesur in der abstrusen Melodie aussieht.

Die Huch ist eine Schleiereule. Sie befindet sich am wohlsten im Keller. Ihr Ruf klingt manchmal heyser, manchmal luther, wie ein hier spaßender mittelhochdeutscher Beschreiber sagt, der sein Mittelhochdeutsch eben nur so kennt, wie man's heute auf der Schule gelehrt bekommt.

Der Huysmans. Dieser ist ein salamandrisches Wesen. Es verbrannte auch in den Feuern der Hölle nicht, in die es sich stürzte. Sondern erglühte darin wie der Teufel in einer Nonnenzelle.

Ibsen. Als Apothekerlehrling wurde er beim Pillendrehen und Pulverstampfen nachdenklich über die Menschen, welche schluckten was er da herstellte. Und erstaunt darüber, daß sie es schluckten, machte er sich selbständig und verkaufte nach eigenen Rezepten, deren Formulare er von der Pariser Firma Dumas Fils bezog. Die Firma war in der kleinen Stadt gut eingeführt und gewährte dem kleinen Apotheker, der sich selbständig gemacht hatte, Kredit. Die Rohstoffe seiner Heilmittel bezog er mannigfach, insonders aber aus England. Durch zu lange Lagerung seiner Sendungen in dem kleinen fensterlosen Magazin seines nordischen Städtchens wurden die Sachen etwas muffig, was aber gerade den Deutschen schmeckte, an die er eine Zeitlang ausschließlich exportierte. Erst heimlich, dann schon kühner, schließlich sehr ostentativ nahm jede halbwegs miß- oder unverstandene deutsche Frau Nora- oder Heddapillen. Was einen schwedischen Exporteur mit schärfern Pastillen auf die Beine brachte, wodurch die des norwegischen etwas aus der Mode kamen. Der bedachte die Sache in seinem kleinen Laden und kam zum Schlusse: nosce te Ibsen. Und begann, seinen frühern Schwindel aufzudecken.

Der Jacobsohn. Er ist wie der Kerr und der Harden aus der Familie der Spechte, deren Glieder sich in den Tod nicht leiden können, was mit dem bedauerlichen Verfall der Familie zusammenhängt. Der Jacobsohn ist von ihnen allen der geschickteste in der Unterscheidung voller und tauber Nüsse. Im Verspeisen eines guten Kernes zeigt er weniger Fertigkeit als im Zerschnitzeln eines tauben Gehäuses.

Francis Jammes: ein bäurisch-simpel, aber zierlich mit Herzen und Rosen bemalter Nachttopf, der in lächelnder Demut und sonnbeschienen auf der Holzgallerie des ländlichen Pfarrhofes steht. Die lawendelduftende, leicht hinkende ältliche Schwester des guten Pfarrers hat in frommer Unschuld und nicht ein bißchen lächelnd weiße Lilien in den Pot de chambre gesteckt. Eine Schwalbe fliegt nah dran vorbei.

Der Johst. Voll Kraft der Glieder und innerm Feuer trägt dies wohlgebaute Tier, auf leichte Sprünge verzichtend, herzhaft und klug selbstauferlegte Halfter und Zügel. Es sieht Weg und Ziel.

Die Kafka. Die Kafka ist eine sehr selten gesehene prachtvolle mondblaue Maus, die kein Fleisch frißt, sondern sich von bittern Kräutern nährt. Ihr Anblick fasziniert, denn sie hat Menschenaugen.

Das Kaiseräffchen. Der Affe ist wie man weiß ein in der Nachahmung des Menschen sehr geschicktes Tier. Man hat ihn auch deshalb oft vom Menschen abgeleitet, behauptend, der Affe sei ein degenerierter Mensch. Solches haben aber nur Gelehrte aus einem so eingeschränkten Beobachtungsfeld wie den heute lebenden Menschen behauptet. Das Kaiseräffchen übertrifft seine Mitaffen in der Nachahmung des Menschen um ein Bedeutendes. Besonderes Geschick zeigt das Kaiseräffchen in der Nachahmung aller menschlichen Exzentrizitäten und Ungewöhnlichkeiten. Kaum geht so etwas an seinem Käfig vorbei, so kann es das Kaiseräffchen schon zum großen Gaudium der Kinder. Da diese Eigenschaft auch dem Kaiseräffchen viel Vergnügen zu machen scheint, liegt es immer in den Gitterstäben seines Käfigs auf der Lauer und es ist so gar nicht vorhanden. Denn das Kaiseräffchen ist nur da, wenn es nachahmend, also nicht da ist. Das Kaiseräffchen an sich, das reine Kaiseräffchen, gibt es nicht.

Der Kassner. Der Kassner ist ein Bohrwurm, der die Eigentümlichkeit zeigt, sich selbst zu durchbohren und dabei mit so außerordentlichem Geschick zu Werk geht, daß es ihm nicht schadet. Der Kassner lebt in Büchern sehr verborgen und tritt nur ans Licht, wenn er sich aus ihnen ganz voll, ja fast überfressen hat. Wegen seiner obenerwähnten Eigentümlichkeit wird er in gewissen Zirkeln schöngeistigen Tischrückens gern gezeigt.

Keller. Diese deutsch-schweizerische Nationalflagge steht auf dem Verlagshause Cotta 1921 halbmast. Auf allen andern deutschen Verlagshäusern ist sie hochgezogen, denn man ist hier fieberhaft dabei, das im Keller lagernde Gold in derzeitige deutsche Mark zu verwandeln, also ein glänzendes Valutageschäft zu machen. Mehr ist darüber nicht zu sagen 1921.

Die Cellarman recte Kellermann. Das ist ein modischer Konkurrent des Jensens, mit dem es in Folge äußerer Hurtigkeit verwechselt werden könnte, wäre sie nicht ein Tausendfüßler. Die interessant geformte und begabte Assel gedeiht im Schatten anderer Riesenbegabungen. Oft hält sie sich warm unter dem Leibe des träg liegenden Hamsuns. Die tausend Beine bringen die Kellermann beliebig schnell und auf allen Flanken, vorn, hinten, am Rücken, auf der Nasenspitze fort. Seine Zartheit ist Lichtscheu. Lebt im wilden Westen des »Gefühligen« eben so gut wie in Wallstreet des »Gedanklichen«. Kommt aber auch in der Küche vor, unter Backtrögen.

Das Kerr. Das lebhafte Kerr ist eine Abart des Buntspechtes. Es beklopft mit seinem ausgebildeten Schnabel alles, was es auf der Welt gibt, und unternimmt, um noch mehr beklopfen zu können, oft weite Reisen. Wenn es klopft, stößt es immer seinen Schrei aus »Kerrkerr« oder »Cri-Tik«, in allen Modulationen versucht, aber immer deutlich bleibend. So daß man ihn im Walde an diesem Schrei sofort erkennt schon von weitem. Man nennt ihn den König der Grunewälder. Erhebt er sich gegen seine Natur um einen Meter höher als sein Baumwipfel, so duldet das ein auf dem Nachbarbaum horstender Verwandter des Kerrs nicht, welcher Harden heißt.

Der Keyserling. Der Keyserling war ein Kranich, also ein Wandervogel. Er wanderte aber immer. Nirgends blieb er länger, als bis der sehr neugierige Vogel die Denkgewohnheiten seiner Hausgenossen ausgekundschaftet hatte, die sich der Keyserling am liebsten unter den Philosophieprofessoren aussuchte. Dieses gelang ihm bei seiner großen Übung darin und bei den wenig eigentümlichen Denkgewohnheiten der Professoren meist schon in einer halben Stunde. Zur Zeit brütet er Teeier in Darmstadt.

Kipling. So taufte man die große Kanone, die zum ersten Male über dem Grabe der Queen abgeschossen wurde und deren Echo die Buren ebenso hörten wie die Hindus, die Kanadier wie die Australier und das im Jahre 1914 endlich auch die deutschen Langohren schmerzlich erreichte, indem es ihnen das Trommelfell in jedem Sinn des Wortes zerriß. Daß man da ein Lissauerchen in die Hose pißte, konnte nicht erleichtern.

Der Klabund. Der Klabund ist ein überaus buntfarbiger Kugelkäfer, dem seine natürliche Buntheit noch nicht genügt. Wo immer er was Farbiges findet, rollt er sich darin herum, so lange, bis er auf seinen kleinen Stacheln einiges davon aufgespießt hat, was ihn noch bunter erscheinen läßt als er ist. Solches macht dem Klabunde Spaß.

Die Kolbannette. Ist der Name einer Edelziege von vornehmem Pedigree. Ihr Fell ist seidig und hat einen Schimmer ins Romantisch-Blaue. Ihre vier graziösen Beine tragen sie leicht, aber nicht immer sicher überall dorthin, wohin sie, mit einer Leidenschaft zu hohen Bergen, gern möchte. So muß sie bisweilen, wenn sie sich wieder irgendwo verstiegen hat, heruntergetragen werden. Die Kolbannette ist außerordentlich soigniert.

Die Kolbenheyer. Die Kolbenheyer ist die größte in Österreich vorkommende Ameise, welche mit ungeheurem Fleiße eine Art Termitenbau errichtet gegen Feinde, die sie ihrer Harmlosigkeit wegen gar nicht hat, und mit vielen Räumen, die alle hohl und leer sind. Aber sehr sauber gehalten.

Das Kornfeld. Es ist aber trotzdem ein Tier, wenn auch ein seltsames. Von seinen sechs Beinen sind nur die vordern beiden so weit ausgewachsen, daß das Kornfeld damit springen könnte. Die beiden mittleren Beine sind nur zum langsamen Gehen geeignet und die beiden hintern, die ganz verkümmert sind, schleppt das Tier nach. Daher hat es einen grotesken Gang. Es versucht oft, seine Hinterbeine abzubeißen, aber es gelingt ihm nicht. Es würde auch, gelänge es ihm, daran zu grund gehen, denn diese Hinterbeine sind mit seinem Herzen verwachsen.

Der Krell. So heißt ein scharfäugiger Sperber, gewandt im Niederstoß auf das Kleinzeug heutiger Welt. Nicht immer gut bei Stimme klingt diese oft grell. Daher der Name.

Der Laskerschüler. Er ist die einzige Art Scarabäus, den man, ehemals Königsmumien beigegeben, heute noch lebend antrifft. Er entfliegt einem geöffneten Mumiensarge, indem er seine bläulich-grün schillernden Flügel schwirrend entfaltet. Er stirbt aber allsofort im heutigen Wüstensand, wobei der Käfer einen seltsam melodischen Seufzer hören läßt.

Die Loerke. Ist wie der Name sagt eine nahe Verwandte der Lerche. Sie steigt singend hoch über die Höhe eines Fabrikschornsteines hinaus, dessen Rauch ihr oft die Kehle irritiert. Ihn zu vermeiden macht sie höchst kunstvolle und dabei äußerst anmutige Spiralen. Die Loerke ist weder zu fangen noch zu zähmen. Sie gehört zu unsern tönendsten und schönsten Sängern.

Lautensack. Diesen Namen gab man einem in der Zeit verspäteten altbayrischen Landstreicher, der nie die Knoten des Sackes zu lösen vermochte, der seine Laute enthielt. So spielte er darauf durch den Sack durch, was sonderbar klang und dem vortrefflichen Spieler einen wildwütigen barocken Humor gab. Einmal wäre es ihm fast schon gelungen, den fatalen Knoten zu lösen, da fiel er von einem zufälligen Streich. Oder Gott schlug ihn, denn dieser Lautensack sollte, guter Katholik der er war, nur gedämpft spielen.

Maeterlinck. Unter den vielen Leichenwäschern des toten Sardou war auch einer namens Maeterlinck. Er nahm sich des Verstorbenen Hausapotheke mit. Die kleinen Reste populärer Gifte, die sie enthielt, verbrauchte er in seiner rasch etablierten Konditorei, deren also zart vergiftete Kuchen großen Zuspruch fanden. Nach Verbrauch dieser Giftreste wickelte der Konditor seine Ware in mit Weisheiten und Banalitäten bedrucktes Papier. Die Weisheiten waren von Emerson, die Banalitäten von ihm. Als die Deutschen der Duncan-Zeit unseligen Gedenkens nackte weibliche Beine auf der Bühne für höchste Kunstoffenbarung hielten, schickte ihnen der Konditor sein Ladenfräulein Monna Vanna, die nur einen Mantel anhatte. Die deutsche Kunstbegeisterung saß in enthusiastischem Schweiß gebadet.

Der Mell. Dieses ist der Name eines in Österreich vorkommenden Rehs, das auffallend schüchtern ist. Es traut sich aus Schüchternheit kaum zu leben. Besitzt aber eine Festigkeit des Leibes, die oft weit größeren seiner Gattung nicht eigen.

Der Maupassant. Ein Tauchervogel, der mit unendlicher Grazie Perlen aus der Tiefe holt. Diese Tiefe darf allerdings nicht tiefer sein als jene profondeurs du cœur, wie man sie um 1880 in Paris gelotet hat.

Die Mallarmé. Ein zartes Insekt von außerordentlich geistvoller Konstruktion und ametystblauer Farbe. Es ist eingeschlossen in ein Stück glashellen Bernsteins, das, selber ein Unikum, eine kristallische Form zeigt. Das Erstaunliche ist, daß das Insekt in dieser Eingeschlossenheit zu leben vermag.

Der Morgenstern. Ist, wie man weiß, dasselbe wie der Abendstern. Es kommt nur darauf an, zu welcher Tageszeit man für den Stern schwärmt, ihn so oder so zu nennen. Unser Morgenstern hatte am Morgen allerlei schöne und allgemeine Gefühle, die ihm am Abend nicht mehr gefielen. Also wiederholte er sie abends, indem er sie persiflierte. Um doch andern morgens wieder in den Gemeinplatz seiner sternhaften Stereotypie zu fallen.

Der Thomasmann und der Heinrichmann. Beide diese Tiere gehören zu einer Familie mittelgroßer Holzböcke. Sie sind von verschiedener Farbe bei sonstiger Gleichheit der Lebensweise und Natur. Man findet sie immer auf demselben Baume lebend, aber auf dessen gegengesetzten Seiten, da sich die beiden Holzkäfer durchaus nicht leiden können. Bohrt der Thomasmann unten an einem Baum, so sitzt auf dem gleichen der Heinrichmann oben. Findet der eine die bebohrte Linde saftig, so findet sie der andere morsch, und umgekehrt. Das Seltsame ist, daß sich beide immer im Baume irren. Sie glauben auf einer Eiche zu käfern, wenn sie auf einer Tür aus Kiefernholz sitzen, auf einer Fichte, wenn es eine Kommode aus Lindenholz ist. Immer aber findet aus Ärger über des andern Anwesenheit der eine morsch, was der andere saftig findet. Nur wenn man die beiden Käfer auf einen Federhalter setzt, geben sie sich eifrig ihrer Tätigkeit hin, indem sie emsig darauf hinunter und hinauf laufen. Was die Farbe anlangt, so zeigt der Thomasmann schwarzweiß gestreifte Flügeldecken, während die des Heinrichmanns blauweißrot mit manchmal auftauchenden, doch bei menschlicher Annäherung rasch wieder verschwindenden roten Tupfen sind. Diese roten kleinen Tupfen lassen sich übrigens durch leichtes Reiben entfernen.

Das Meyrink. Das Meyrink ist das einzige auf die Erde gefallene Mondkalb, das einzufangen gelang. Das Meyrink wird von seinem Einfänger zeitweilig gezeigt. Schwangeren Frauen ist derzeit das Anschauen des Meyrinks wieder erlaubt, nachdem es anfangs wegen einiger aus Schrecken vorgekommener Frühgeburten verboten war. Inzwischen haben sich die Frauen in jenen Umständen an den Anblick so gewöhnt, daß sie ihn schmunzelnd ertragen. Österreichisch-ungarische Offiziere wie deutsch-nationale Abgeordnete wollten die Schaustellung des Meyrinks verbieten, weil es sie mit seinem einen großen Auge verzerrt, wie sie sagten, spiegele. Der Besitzer wies aber nach, daß die Spiegelung gar nicht verzerrt war, sondern daß das Objekt des Meyrinks Auge verzerrte. Der Besuch des Meyrinks hat nachgelassen, seitdem man viele Mondkälber frey herumlaufen sieht, von denen man nicht sicher sagen kann, ob sie vom Monde, wohl aber, daß sie auf den Kopf gefallen sind.

Das Mombert. Das Mombert ist ein Invertebrat und dadurch merkwürdig, daß es seine nicht zu große Hirnmasse in Ganglien verwandelt besitzt. Dieser Umstand hängt zusammen mit des Tieres Lautäußerung, welche eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Lallen deutscher Lyriker zeigt. Das friedliche, einsam lebende Tier ist ein Wiederkäuer, doch nimmt es seit seiner ersten Nahrung keine neue mehr auf, sondern kaut die erste immer wieder.

Der Hansmüller. So nannte der kleine Moritz Benedikt seinen Papierdrachen, den er meist des Sonntags in der Fichtegasse aufsteigen ließ. Da der kleine Moritz viel Schnur hatte, flog der Hansmüller sehr hoch, so daß Kinder ihn für einen Vogel hielten, was aber nur ein Gemächte aus alten Zeitungsblättern war. Später riß der Faden, und der Hansmüller fiel auf das Dach eines alten Theaters, wo man ihn manchmal aufflappen sieht. Jetzt wissen auch die Kinder, daß der gerissene Hansmüller nur aus Papierfetzen besteht.

Der Robertmüller. Eine genaue Beschreibung dieses stark angegriffenen Tieres zu geben ist dadurch erschwert, daß es seinen Standpunkt sehr oft wechselt und selber nicht immer genau weiß, wo es steht. Um genau zu sein, sei hervorgehoben, daß es aber immer sein eigener Standpunkt ist, den es wechselt. Er ist ein amerikanisch präparierter Windhund mit Flügeln, fliegt und läuft im Zickzack und ist unverfolglich. Ähnlich der keltischen Shawblüte, die auf kymbrischen Gespensterschäften wächst und ihren Geruch über Nacht ändert, ist unser Tier schwer festzustellen. Manche sagen, er sei gar kein Tier, sondern sein eigener Trick. Andere wieder, er sei ein Abstämmling des Jensens, nur seien seine Vorderpfoten nicht zum Greifen eingerichtet, sondern mit einer metaphysischen Spannung überzogen, welche den Robertmüller befähigt, im letzten Augenblick immer in die Luft zu fliegen oder in die Zukunft. Die Zoologen streiten noch, ob diese Verkümmerung der Vorderpfoten ein Vorzug oder eine Schwäche unseres Tieres sei.

Mencken. So heißt der bedeutendste lebende amerikanische Zoologe, und das heißt, da Lowell nur amerikanisch, aber nicht bedeutend war, dieser Mencken ist nicht nur der bedeutendste, sondern auch der erste. Sein scharfer Witz macht es bedauerlich, daß man den Mencken keiner bessern Fauna gegenüber sieht als der zumeist ridikülen nordamerikanischen, die von presbyterianischen Pfarrersfrauen – und das sind 90 % aller Bürger der U. S. – auf die dürre Weide geführt wird.

Der Meredith. Dies ist ein anglo-keltisches Synonym für Einhorn. Was sich sonst in dieser christlichen Zeit als dieses heidnische Tier gebärdete, war Kostüm und Pappe. Bloß das Meredith war ein natürliches richtiges Einhorn, das gigantische weibliche Wesen zeugte wie ein Gott. Das bekannteste heißt Diana. Zuweilen verwickelt das Meredith sein Horn in die Telegraphendrähte, befreit sich davon mit vielem Witz, aber ohne auch nur für einen Augenblick seine schöne Haltung zu verlieren. Als man das Meredith im protestantischen Deutschland zeigte, scheute das poetisch dressierte Deutschland davor, denn es kannte und liebte das Einhorn nur von Böcklin in Öl gemalt. Mit einer Jungfrau darauf. Und Schweigen im Walde genannt.

Münchhausen. Dies ist der Name eines heraldischen Scherzes, der ein aus sämtlichen Wappentieren zusammengesetztes Tier darstellt. Im Innern des Münchhausens ist ein Spielwerk angebracht, das, zieht man an einer Schnur, schmetternde Musik macht.

Der Musil. Der Musil ist ein edles, in schönen Proportionen kräftiggebautes Tier, an dem, da es zu der kleinen Familie der Damhirsche gehört, wo solches nicht Brauch, auffällt, daß es Winterschlaf hält. Der Musil schläft nach jedem reißend verlebten Jahre fünf Jahre lang in unzugänglichem Forst. Seine ungeheure Kraft der Muskeln nicht nur, sondern auch die hohe Sensibilität seines nervösen Lebens, welche der Musil in seinem wachen Jahre zeigt, scheinen den auffallend langen Winterschlaf nötig zu machen.

Martens. So heißt der steifste Stehkragen, der zu den Vorhemden heutiger deutscher Literatur getragen wird. Marke: never clean.

Meyer C. F. heißt ein kleiner spaßiger Hügel am Zürichersee, der eine Zeitlang für einen sehr hohen Berg gehalten wurde. Es war aber nur eine auf den Hügel gestellte Kulisse. Was den Hügel selber betrifft, so zeigt seine Spitze ein Häuschen, eingerichtet im Geschmack jener Renaissance, die man um 1885 für Renaissance hielt. Der Zoologe Franz Baumgarten hat ein ganz vortreffliches Buch über den Hügel geschrieben.

Nietzsche. Er ist vielleicht der bedeutendste Zoologe des Naturparkes. Nicht nur etwa, weil er die George Sand als Schreibbuch agnosziert hat – »wie sie dagelegen haben mag« – und Zola als »die Freude am Stinken«. Solche Seitenblicke auf das Unwesentliche im Unwesenhaften messen ja nur immer wieder jene unabmeßbare Distanz ab zwischen Literatier und Schriftsteller und fallen wie Lote von fremder Oberfläche in eigne Tiefe. Haß gegen alles Angemaßte, wenn man gekommen ist, das Schwert zu bringen, scheidet von den bloßen Lebewesen die positive Person. Und diese verachtet die Kunst der Begabungen und die Talente, den Schauspieler Kunst, durch Verwandlung im Raume sich fortzubewegen, während ungenützt von ihren Seelen die Zeit verstreicht oder stillsteht im Kopf der Gaffer. So sind ja auch die Europäer, in Sonderheit die Deutschen, diese begabtesten unter den Juden, Alles geworden, was man bis zur jeweilig letzten Stunde werden kann, sind Christen geworden, ja Buddhisten sogar, aber – sie sind gar nichts. Sie machen mit nichts Ernst, diese Deutschen. Sie spielen Nation und Bekenntnis, Krieg und Frieden, spielen Potsdam gegen Weimar, Weimar gegen Potsdam aus, je nachdem man in einem symbolischen Versailles 1871 oder 1918 schreibt; und so bewegen sie sich durch äußerliche Verwandlung, durch Modulation, bei ungerührtem Wesenskerne, bei still- und strammstehender Zeit im Raume fort. Daß sie aber irgendwo mit irgend etwas anfingen, endlich Ernst zu machen, dazu bedarf ihr Leben des Paradoxes, denn bloße Belehrung tuts nicht: Cesare Borgia als Papst. Des Zoologen Nietzsche Böses ist das Gladiatorennetz, worin der deutsche Spiegelfechter endlich sich verfinge, ist das erstgeborne Konkrete, woran der Spiegelnde endlich Lust fände zu Verhaftung, dieser Nein sagende Deutsche aus Bequemlichkeit, aus Komödianterie, aus Koketterie des Geistes mit den allerletzten Dingen endlich Ja und Eins sagte in der Zeit. Und Nietzsche, der Lust zur Geschichte macht, nannte dieses Böse mit den süßesten Namen gar verführerisch für nordische Ohren, nannte es Süden, Italien, Bizet ... und er war eifersüchtig auf diesen Süden des Geistes wie auf einen Körper – »ich habe fehlerhafte Linien bei Sorrent gesehen«. Ja, der mit der metaphysischen Schuld der Schauspielerei beladene Mensch – Wagner oder der Deutsche, oder der Europäer – muß um aus dem puren Werden zu einem Sein zu kommen ein ganz gefährliches Übriges tun, ein Monströses. Wie, wenn seine Bekehrung zum Kreuze in und durch den Antichrist erst geschähe? (Was erwartete Nietzsche von Wagner?) Damit der ahasverisch Werdende aus seinem Schicksale sich risse: ist sein erstes bewußtes Nein zum Guten, Spät-Heiligen, nicht sein erstes Ja zum Leben? Das Kreuz als zu früh, als arrogiert und als Arroganz gegen ein noch unbekanntes Leben, als noch nicht möglich, als geschichtlich noch nicht erreichbar, als das Vorurteil, man hätte schon Geschichte, die sich taufen lassen dürfte, als Religion vielleicht des jüngsten, sicher nicht des heutigen Tages –: es bleibt als ungeheure Aufgabe der große Rebus gegen ein vielleicht einmal bestätigtes, jetzt noch verfrühtes und daher unsittliches Urteil über die Instinkte, ein Urteil aus Mäulern und Mündern, die im christlichen Tonfall Musik treiben, bevor sie eine Sprache haben, es bleibt nur die Heraklesarbeit der Vorausnahme des Antichristlichen, um in der liberalen Gegenwart eine Gegenantike zu schaffen, eine »Fülle der Zeit« noch einmal und immer wieder zu ermöglichen. Das Nietzschesche Böse als das geschichtliche ens realissimum, woran man eigene Realität und Konsistenz erst empfängt; Renaissance der demiurgischen Zeitalter, wie die ein und selbe Erscheinung des Humanismus und der Reformation sie ans Licht hob, hier als Antike, dort als den Alten Bund; Renaissance als die eine »mystische« Idee aller »Bildung«, um im Augenblicke des Einzelnen »Fülle der Zeit«, das Demiurgische, bis zu seiner Selbsterkenntnis und Selbstüberwindung zu wiederholen, aber als historische Tat, nicht auf dem Wege des Historismus: Cesare Borgia also als Papst, als Paulseinheit des Verfolgers und Apostels, ja noch in der Judaseinheit des Verräters und »Allergläubigsten«, und im Antichrist!
    Das hier in den ewigen Augenblick und in die historische Gegenwart gerissene Erleben und Überwinden der demiurgischen Periode als hypothetische Negation des Logos, um der vollendeten Erkenntnis seiner in der Kirche, um seiner mit dem Indifferentismus korrespondierenden theologischen Überreife die Gefahr zu bereiten, ohne welche der Advent weder in der Zeit noch in der Seele seinen Begriff erfüllte: das ist zugleich die Vorausnahme des vornehmsten und tiefsten eschatologischen Geheimnisses und seine Integration in den Einzelnen – der Antichrist als Provokation des Christos. Die letzten Dinge und Gestalten, in die Zukunft projiziert, sind da vom bisher kühnsten Protestanten entdeckt als heuristische Prinzipe für die höchste Not des Glaubens, anzuwenden vom fast Übermenschlichen gegen sich selbst, gegen das Phantomatische in ihm, entdeckt als die verzweifeltsten Aphrodisiaca zum amor dei.

Der Pannwitz. So heißt eine kürzlich entdeckte Papageienart. Er sagt alles was man ihm vorsagt nach, nur in der umgekehrten Reihenfolge der Worte. Dadurch wird das vorgesagte Einfachste dunkel oder, modern gesprochen, orphisch. Also orphisch finden des Pannwitzes Rede alle mit der Sprache nicht Vertraute.

Peladan. Peladans nennt man die billigen Bazarartikel, die in den Fremdenläden der rue Rivoli in Paris besonders an sächsische reisende Hochzeitspaare verkauft werden. Die Dinger sind aus unbestimmbarem, aber billigstem Material hergestellt. So gibt es Richard Wagners Kopf als Zigarrenabschneider, den persischen Flügelmenschen als Futteral für Röllchen, Siegfried das Horn blasend als Stockgriff, Isolde als Zigarrenspitze usw. Die kaufenden Paare sehen entzückt in diesen Peladans eine Vereinigung von gallischem Esprit und deutscher Gemütstiefe.

Die Pfempfert. Ist eine Bremse, die sich mit Vorliebe Parteipferden auf die Nase setzt und sie durch ihren Stich zum Scheuen oder wenigstens zum Schäumen zu bringen sucht. Von dem schwachen Blute, das die Pfemfert bei diesen Gelegenheiten ihren Opfern zapft, lebt sie recht und schlecht, aber mit großer Leidenschaft. Ihre rotgefärbten Flügel haben der Pfemfert auch den Namen der Revolutionsbremse eingetragen. Ihre Tätigkeit bei den Pferden nennt man eine Aktion. Daß ihr Stich so starke Wirkung haben könne, ein Parteipferd zu töten, ist übertrieben. Wer solches glaubt, unterschätzt die Robustheit der Parteipferde, die es mit jedem starken Karussellgaul aufnehmen.

Philippe, Charles Louis oder –: Unsere liebe Frau von der Träne im Auge. Oder des Menschenfreundes allerdemütigster Monolog, Nachts um Eins auf einer Bank bei Regen gehalten in Erinnerung an einen weiblichen Mitmenschen aus dem Viertel Grenelle: Daß Du Marie hießest, sagtest Du, und ich verstand alles. Aßen wir manchmal zusammen bei Vater Tageuille, so stieg das Mitleid und die Margarine in uns hoch. Du sprachst kein Wort, aber in unsern Herzen war Zwiesprach, daß uns Tränen in die Augen traten. Ich ging gebeugten Hauptes hinter Dir Deine Leidenswege. Hin und zurück, hin und zurück. Wir teilten das Brot, und die Taube, die heilige, war über uns. Wir teilten das letzte Hemd. Ich gab dir des guten Wortes Steuer, denn ich weiß, die Frauen sind steuerlos. Ich gab dir meine Umarmung. Und endlich gab ich dir meine arme Syphilis. Wie ein leuchtender Sternenmantel wird sie sich um dein Elend legen. Du wirst ins Spital kommen, wirst das weiße Linnen haben und die gute Suppe. Es muß der Mensch sein Letztes, sein Einziges, das ihm blieb, hingeben, um eine Seele zu retten.

Die Polgar. Das ist eine feine, stille, silbergraue Maus, besonders artig anzusehn, wenn sie – was das kluge Tier mit gut gespielter Unbewußtheit tut – über die verstimmte Leier der Zeit läuft, hiebei ein verstaubtes, sehnsuchtsvolles kleines Geklimper verursachend. Die große Menge hält das Polgar für harmlos, doch hat unsere Untersuchung ergeben, daß jenes zarte Mehl aus dem von unserm Tiere angenagten Fundamenten Ekrasit, wenn auch in sehr fein verteiltem und abgeschwächten Zustande, enthält. Aus winzigen Vornehmheiten und Bösheiten, unvermeidlichem Zeitungspapier, Lyrismen und Lozelachs und mit schönen roten Blutkörperchen eines bessern Lebens baut das Polgar Viennensis aparte Gedankennester, die man wegen ihrer seltsamen Zusammensetzung aus Fragilität und Dauer Filigranitkunstwerke nennt.

Der Pulver. Dies ist eine Tagfalterart aus der großen Gattung der Kohlweißlinge. Doch zeichnen ihn zarte blaßrosafarbige Flügel aus, die aus Wachs geformt sind. Auch an Kunstblumen können sie erinnern. Sitzt das Pulver auf einer Rose, so sieht es aus, als hätte man auf eine natürliche Blume eine aus dünnem Stoff geheftet.

Prévost Marcelle hieß eine französische im Berlin der neunziger Jahre etablierte Sprachlehrerin, die sich großen Zuspruchs bei jenen Mädchen erfreute, welche ungestraft unter Palmen wandeln wollen. Sie lernten bei Mlle Prévost ein niederträchtiges Französisch, aber sie kamen in ihren Liebesaffairen damit aus.

Der Rathenau ist aus der wegen ihres Nestbaues kuriosen Gattung der Webervögel. Er baut höchst kunstvolle Nester. Aber nicht nur für sich, sondern auch für andere, nicht selbstbauende Vögel, die sich aber, da sie schweifend sind, nicht in diese Nester hineinbegeben. Der Eigensinn des Rathenaus, der sich auf den Stolz seiner Nestbaukunst gründet, geht so weit, daß er anderer Vögel Nester oft ausbessert und ändert, ja auch zerstört, um ein Nest nach seinem Plane hinzubauen. Das Nest des Rathenaus ist höchst kunstvoll. Wärme besitzt es der vielen sehr vernünftig erdachten Öffnungen wegen wenig. Da aber der Rathenau, immer Nester bauend beschäftigt, selten in seinem Neste weilt, geniert ihn das nicht.

Der Ringelnatz. Kam die bordeauxroten Ozeane heruntergeschwommen, zwischen bottle und battle, weiß Gott woher, setzt er unvermittelt auf tiefsten Grund eines Witzes höchste Spitze. Vielleicht aus des Wanderers Rimbaud Lenden entsprungen irgendwo zwischen Abessynien, dem Niederrhein und der Welt.

Rabindrabatagore ist der Name des auf Europa heruntergekommenen Indien. Auf die Dauer konnte der schwächliche indische Mauerrest dem Ansturm englischer Bibelgesellschaften, amerikanischer Theosophen, sächsischer Naturapostel, französischer Bergsonianer und preußischer Monisten nicht widerstehen. Das sterbende Indien gibt von sich, woran es starb, und diesen Vorgang nennt man Rabindranatagore.

Die Rilke. Um die Zugehörigkeit der Rilke zum Tier- oder Pflanzenreiche streiten miteinander die Zoologen und die Botaniker, indem sie diese nicht haben wollen und der Zoologie, die Zoologen sie nicht haben wollen und der Botanik oder Pflanzenkunde zuweisen; und sagen die Zoologen, es fehle der Rilke das Blut, weshalb sie sie von sich weisen, und sagen hinwieder die Botanisten, sie habe ein tierisches Gebiß, welches sie instand setze, Verszeilen jeder Länge immer dort auseinanderzubeißen, wo kein Gelenk sei, weder ein melodisches, noch ein rhythmisches.
   Und es muß dieses Gebiß und seine sonderbare Benützung wirklich zugegeben werden. Seltsam ist hinwieder der Umstand, daß die Rilke nur weiblich vorkommt, wenn auch gewisse äußere Geschlechtsmerkmale, wie Barthaare, männlichen Charakter haben. Doch neigen sich diese Merkmale, wie der Bart der Rilke, sanft melancholisch nach abwärts, als ob sie eigentlich nicht da sein wollten und nur aus Verlegenheit da wären, dementiert auch von der hohen weiblich zarten Stimme der Rilke, die sich zu verflüstern geneigt ist oder zu verhauchen. Ähnlich darin dem Werfel ist auch die Rilke als Schoßtier beliebt, aber mehr von älteren Damen wegen seiner sexuellen Stubenreinheit und des frommen etwas blöden Augenaufschlages, der das bei jenen Damen so sehr geliebte Entzückenswort »himmlisch« auslöst. Unter sieben solchen Damen kann man sicher immer als die siebente die Rilke treffen. Um ihr Geschlecht zu betonen, bekommt sie da gern ein Häubchen aufgesetzt, das ihr, wie die Damen ausrufen, »himmlisch« steht. Das Tier hat von dieser dauernden Verhimmelung die Neigung angenommen, seine Naseweise in theologische Bücher, Marienlegenden und ähnliches zu stecken.

Rostand, auch Fulda ausgesprochen, Fulda, auch Rostand ausgesprochen, war das Steckenpferd des deutschen und französischen Geist-Philisters, das er für den leibhaftigen Pegasus hielt. Mit einem kleinen Unterschied: der deutsche Bildungsspießbürger glaubte dem Genius der französischen Poesie zu huldigen, wenn er sich für Rostand entzückte. Aber der französische Épicier tat ein Gleiches nicht mit Fulda.

Ruskin. Dies ist der Name eines Propheten, der sich zuweilen, ohne jede geschlechtliche Entschuldigung, in eine englische Gouvernante verwandelte, und als solche die kirchliche Kunst gegen die Kirche ausspielte. Die Gouvernante Ruskin litt an chronischem sittlichen Kopfweh. Der Prophet schrieb mit der rechten Hand, was die linke Hand der Gouvernante nicht geschrieben haben wollte. In Germany ist er nur als die Gouvernante geschätzt, denn hier zumal ist man sittlich, bieder, keusch etc. pp.

Das Salten. Es gibt eine Fliegenart, die man unter dem Namen Salten nur in ihrem Zustande als Larve kennt. Als solche Larve lebt das Salten in und von Zeitungspapier jeder Farbe und jeder Zusammensetzung, unansehnlich, aber hartnäckig. Die ausgeschlüpfte Saltenlarve führt in mannigfachen Formen ein Eintagsleben. Sie kriecht aus als grüne, als blaue, als schwarzgelbe Fliege, je nach den Abwässern, über denen sie ihren Tag auslebt.

Der Schaukal. Dieses harmlose Tier ist nicht mit dem Schakal zu verwechseln, wenn der Schaukal auch, solange er jung ist, sich vom Aase nährt und das Gehaben eines reißenden Tieres anzunehmen pflegt, sofern er sich unter Schafen befindet. Ausgewachsen kann er sein Bäh-Bäh nicht mehr verstellen, so gern er ihm auch einen bedeutungsvollen Klang geben möchte. Manchmal gelingt es ihm dabei, sein Bäh sozusagen himmlisch tönen zu lassen, aber man hört dies aus der großen Schar der Mitblökenden nur heraus, wenn es so still ist wie im Hochland.

Die Scheler. Die Scheler ist eine Echsenart von beträchtlicher Länge und geschmeidiger Dünne. Beides setzt sie in stand, überall hinzukommen, wo man sie nicht erwartet. Sie legt ihre zahlreichen Eier um verwitternde Steine, so daß sie deren Oberfläche oft ganz überdecken, zumal die Scheler die von Eiern unbedeckten Stellen mit einer schillernden Masse überzieht. Die Scheler besitzt zwei Augen, von denen eines sehr scharfsichtig, das andere aber blind ist. Was aber nicht hindert, daß das Tier das gutsehende Auge oft schließt, um mit dem blinden Sehversuche anzustellen, bei welcher Anstrengung es meist jenen Saft absondert. Die vier Füße hat unsere Scheler unter der Haut verborgen, wodurch sie eine sehr leise Gangart bekommt. In den langwährenden Brunstzeiten ist die Scheler außerordentlich lebhaft. Von den Eiern ist noch nachzuholen, daß sie oft das gleiche Ei einigemale legt. Was die Farbe betrifft, so ist die Scheler auf dem Rücken tiefschwarz mit einem ganz dünnen roten Streifen. Auf dem Bauche aber schillert sie vieldeutig und beziehungsreich.

Der Schiebelhuth. Ein stolzbefiederter, hochfliegender Vogel aus der Familie der singenden Schwäne. Nur sieht man ihn nie im Wasser plätschern. Seine Rastplätze im unzugänglichen Dickicht des Urwalds. Voller Stimme und Stimmen, wie Orgel oft, dann wie zarte Kinderflöte ist des Schiebelhuth Gesang weithin tragend und tief eindringend, posaunisch und zärtlich, Schlittenglöcklein und Münsterglocke. Er gehört wie der Borchardt zu der allerseltensten Art.

Das Schickele. Das zierliche Schickele ist wegen seines rötlichen Pelzes viel gejagtes, elegantes Wiesel. Das Schickele, zu lebhaft und unruhig, immer im Laufen, immer im Suchen und immer gejagt, auch wenn es nicht gerade gejagt wird, den Jäger auf der Ferse glaubend, setzt keinerlei Fett an, wodurch das leidenschaftliche Tier in Deutschland, wo der Bauch die Würde bedeutet, nicht beliebt ist.

Die Schlafente. Die Schlafente gilt als der deutsche Marabu, weil sie kahlköpfig ist und auf einem Beine steht. Sie gilt darum als ein nachdenklicher Vogel. Aber die Schlafente denkt nur, warum sie keine Federn auf dem Kopfe hat. Manchmal versucht sie auf keinem Bein zu stehen und fällt um.

Suarès. Dieses ist nur mehr der große Schrei eines normannischen Wildvogels grauen oder steinschwarzen Gefieders nach dem lateinischen Süden. Aus Sterbensangst nach dem Leben, aus Regen nach der Sonne, aus Einsamkeit nach Gott: darum der Schrei.

Die Schmidtbonn ist eine weit kräftigere Henne, als sie aussieht. In der Jugend gackert sie beim ersten Ei, daß man meint, ein Kind sei vom Himmel gefallen. Ausgewachsen gewöhnt sie sich das ab, und legt in Nachdenklichkeit ihre Eier, die, noch nicht ganz gewürdigt wie sie es verdienen, oft liegen bleiben.

Die Friedschnack. Die Friedschnack ist eine große Libelle mit Flügeln, deren Farben alle orientalische Teppichbuntheit überstrahlen. Sie bewegt sich in schönen Bögen mit außerordentlicher Grazie. Läßt sie sich nieder, so vermeint man, sie habe einen Tanz beendigt.

Shaw. Ist der Name eines Gärtners, der sich zum Bock gemacht hat. Also ein Zoologe, der sich in der Rolle des Zoon gefällt, wenn er auch immer wieder aus der Rolle herausfällt. Oft sehr amüsante Bocksprünge nimmt er zurück, indem er ihren Witz erklärt. Daß Shaw ein Pseudonym für Trebitsch sei, wurde eine Zeitlang behauptet wegen einer gewissen philologischen Inkommensurabilität. Bis festgestellt wurde, daß die Trebitsch den Namen Shaw nicht einmal aussprechen, geschweige führen kann.

Das Schaffer, auch die pretiöse Albrecht genannt, ein Wesen mit vier Füßen, aber doch drei Meter über der Erde schwebend oder pendelnd oder – man kann's nicht genau sagen. Es geht auf Luft, scheint sich von ihr zu nähren. Das ganze noble Tier macht den Eindruck, als wäre es eine Einbildung seiner selbst. Oder eine Reminiszenz aus Sagenhaftem. Oder aus vielem Gelesenen.

Der Schnitzler. Schnitzler ist der Name eines seiner Zeit bei allen Wiener Damen und süßen Mädeln wegen seines melancholischen Feuers sehr beliebten Rennpferdes in der Freudenau, Stallbesitzer Fischer. Man setzte aus Sympathie auf Schnitzler, auch wenn man wußte, daß er nicht einmal auf Platz kommt. Weil Schnitzler so beliebt war und auf daß die Enkelinnen der süßen Mädeln in die Freudenau gehen, ist man im Jockeiklub übereingekommen, Schnitzler, wenn und so lang er rennt, immer Dritter sein zu lassen, auch wenn er nach der ersten Runde aufgegeben. Möge er noch lang so rennen.

Das Schönherr. Großstadtbewohner halten das Schönherr für einen Hirsch und sein braves Muh für einen Brunstschrei. Auf dem tirolischen Lande, aus dem er stammt, steht das Schönherr im Stall des Bauern Kranewitter, wird aber da wegen seiner wässrigen Milch nicht gemolken. Dieser Wiederkäuer geht auch unter dem Namen des Thomas – bayrische Varietät – und des Ganghofers – österreichische Varietät. Alle drei Varietäten sind sehr stolz auf den idiomatischen Klang, den sie ihrem Muh geben können.

Der Wevonscholz. Das ist ein Vogel, der sich dadurch nützlich erweist, daß er die Bandwurmstücke, die dem Hebbel abgehn und die auch dem Paulernst als unverdaulich abgehn, nicht liegen läßt, sondern mit vielem Behagen verzehrt. Manchmal singt dieser Vogel ganz schön. Und er sänge vielleicht noch besser, wenn er andere Nahrung zu sich nähme.

Die Eraschröder, scherzweise auch R.A. Schröder geschrieben, hat man einige Zeit für einen vertriebenen Paradiesvogel gehalten, der seine Vertriebenheit in opalfarbenen Tränen so still wie ausdauernd beweint. Als dann unser Vogel sein Paradies in Preußen wiederfand, erkannte man, daß er aus dem andern nie vertrieben worden war, sondern immer in diesem preußischen beheimatet gewesen.

So Mbart. So Mbart heißt der eherne Stier, dem die Juden an ihrem großen Reinigungstage, der alle zehn Jahre statt hat, ihre unreinen Glaubensgenossen opfern. Die wirkliche Opferung ist aber seit langem durch die Symbolhandlung eines Huldigungstelegrammes an So Mbart ersetzt worden.

Das Steffen. Dieses ist ein apokalyptisches Tier und derzeit nur in einem Exemplare mehr sagenhaft als wirklich bekannt. Doch ist an seiner Existenz zu zweifeln nicht erlaubt. Es besitzt das Steffen nur ein Auge, kann dieses aber von einer Stelle seines seltsam geformten Leibes auf jede andere Stelle bewegen. Sein Geschlecht hält es verborgen. Es hat Flügel, doch sind diese derart angebracht, daß es damit nicht fliegen kann. Es hat Beine, doch macht es davon aus bisher nicht erkannten Gründen nur selten Gebrauch. Meistens hockt das Steffen, pflanzt sein Auge mitten im Gesicht auf und läßt eine Welt sich seltsam darin spiegeln.

Die Stehr. So heißt eine große Made, die man im Fladen des Gehauptmann entdeckt hat. Ihre auffallende Größe brachte auf die Vermutung, daß sie nur zufällig in diese Umgebung geraten sei. Man hat daher versucht, die Stehr in andere Lebensbedingungen zu setzen, was mit großer Vorsicht, wenn auch selten, gelang. Aber die Stehr ist eine Made geblieben.

Steiner. Saxa loquuntur ruft jene Menschheit, die gegen gutes Entree, das dieser Noah einhebt, in seine Arche steigt, deren Zukunft nicht auf Wasser, sondern auf Steiner liegt. Schnell, schnell, gleich wird es regnen, ruft der Unternehmer, und die Schäfchen laufen. In hoc petro hat der Kapitalismus das, was er seine Kirche nennen mag, gebaut, und siehe, der Stein mehrte sich und wurde Steiner. Und alles Geschiebe und Geröll der gescheiterten, zerdrückten Seelen sammelte sich um ihn, um sie, um es, um diesen religiösen Großunternehmer auf Aktien, der was je zum Religiösen gedacht und geformt worden ist entdachte und entformte, zu Grus zermahlte, mit Schleim und Seich befeuchtete und Brot daraus buk für zahnlose Gebisse. Solches Tun nannte man Sophia, dem Theos schon seinen Segen geben müsse. Aber Gottes Segen war nur bei Steiner wie ehemals bei Cohn.

Der Schwabach. Ein langsam zu gut gebauten Knochen Fleisch der Muskel gewinnender Quadruped. Klug und nobel legt er sich keine heute so billigen Wattons bei, die je nach äußerm Anlaß dort und dahin rutschen, um aufzufallen.

Das Sternheim. Dieses Tieres Hartnäckigkeit, mit der es in norddeutschen großen Städten lebt, führte nicht gerade zu seiner Domestizierung, aber zu seiner Duldung, insoweit jenen Großstädtern erträglich gemacht, als das Sternheim durchaus und gerne deren Neigungen teilt, deren Gewohnheiten mitmacht und sich eigentlich nur mehr durch seine Absonderungen von dem Berliner unterscheidet. Diesen mischt das schadenfrohe Tier einen ätzenden Geruch bei, der die Hausgenossen etwas ärgert. Man nimmt an, daß das sonst wenig bemerkliche Sternheim, welches ein sehr eitles Tier ist, sich durch diese Beimengung bemerkbar zu machen sucht. Es ist von der Art, daß es, erreichte es damit seinen Zweck, bemerkt zu werden, auch angenehmen Duft beimengte, wenn anders dies nur aus der bestimmten Natur seiner Verdauungsorgane und der von diesen bedingten Nahrung, welche allerlei Abfall oder sonst Liegengelassenes ist, möglich wäre. Auch verlangt der scharfsäuerliche Geruch seiner berlinerischen Hausgenossen einen ähnlichen, weil ein angenehmer nicht gegen den scharfen aufkäme. Das Sternheim ist, wenn solcher Anthropomorphism erlaubt, von einem geradezu menschlichen Geltungstrieb besessen, worauf sich auch sein besonderer Mimetismus zurückführen läßt. Dieser Mimetismus gilt, wie man annimmt, als ein Selbstschutz der Tiere und er äußert sich in der Fähigkeit, Aussehen und Farbe der Unterlage anzunehmen, auf welcher das Tier lebt. Das zu seinem Ärger gar nicht auffallende, weil kleine und graue Sternheim mimetiert nun Auffallen. Es wechselt grau in rot, wenn man es auf Grau setzt, wird blau auf gelb usw. Das Tier gefährdet sich übrigens nicht durch dieses Auffallen. Mit dem Unangenehmen seiner Absonderung versucht es durch das Ungewöhnliche, wie es absondert, auszusöhnen. Was ihm manchmal auch gelingt. Manchmal aber so mißlingt, daß es schon nicht mehr schön ist.

Das Storm. Man kann von ihm nicht sagen, es sei lange tot, denn es hat nie lebendig existiert, sondern immer nur im ausgestopften Zustande. Es besaß also nie etwas, was man innere Organe nennt. Die glatte graugelbe Haut war mit Seegras, Heidekraut, Möwenfedern und derlei ausgestopft, wodurch das Storm einen faden, laulichen Geruch bekam, um dessentwillen es heute noch in den braven deutschen nordischen Bürgerhäusern pastorlichen Zuschnittes über alles geschätzt ist. Der Geruch ist das Wesentliche des damit ausgestopften Stormes. Man nennt diesen Geruch Stimmung. Er ist vielfach eingefangen, auf nullprozentigen Spiritus gebunden und in Fläschchen aller Formate auf den Markt gebracht worden. Das bekannteste dieser Stimmungswässer hieß einmal Jörn Uhl und war dies eine Zeit durch das beliebteste Mundwasser des deutschen Gemütes bis in seine zahnlosesten Tiefen.

Stößl. So heißt ein humorvoller Wiener Gassenhund ohne bestimmte Rasse. Bei allen netten Leuten bekannt und beliebt ist der Stößl klug, ruppig und immer guter Laune.

Der Strauß. Dieser schwäbische Strauß hat mit dem afrikanischen nur den Namen und ihn deshalb gemein, weil er sonst nichts mit ihm gemein hat. So verträgt des schwäbischen Straußes Magen nur die allereinfachste, gut verkochte Nahrung und seine kurzen Beine tragen ihn nur vom Schlafzimmer ins Schreibzimmer und wieder zurück.

Das Stucken heißt eine kleine Pelzmotte. Sie haust in altem Pelzwerk, aber weniger weil es da warm ist, als um es aufzufressen. Das flügellose Tierchen wird in kürzester Zeit mit einem stattlichen Pelz fertig, dessen Farbe es jeweils annimmt. Darum kann man es auch mit dem Auge nicht wahrnehmen. Wohl aber mit dem Ohr, denn das Stucken macht beim Zerfressen des Pelzes ein rhythmisches Geräusch mit seinen vielen Beinen. Ans Tageslicht gezogen, merkt man, daß das Stucken keine Augen hat.

Die Sudermann. So heißt eine in den ganz, aber schon ganz feinen Kreisen von Berlin WW vorkommende Milbe, welche einen Hautausschlag erzeugt, den man Eleganz oder auch Elejanz nennt. Davon Befallene reden außerordentlich fein, wenn sie auch geschwollen sind. Die Krankheit ist nur dadurch zu heilen, daß man dem davon Befallenen das Bankdepot, das wirkliche oder behauptete, wegnimmt und ihn eine ehrliche Arbeit verrichten läßt. Die Sudermann selber ist unausrottbar.

Strindberg. Das war ein nordischer Kater, am Aschermittwoch des bürgerlich liberalen Lebens geboren, ewig triste, immer post festum. Ein Dämon verdorbenen Magens hielt er am Ende den Ichthys für den Hering seines Dalles. Hungernd eigentlich nur nach dieser Fastenspeise, d.h. nach dem einsamen Genusse der Wut und voll Gier nach luziferischer Einsamkeit im All und unter den Allen, leben der Strindberg und sein anderes Geschlecht wie Hund und Katze miteinander, weil sie zur Zeit der Brunst bis zur vollkommenen Unmöglichkeit selbst der innern Einsamkeit einander besessen haben. Das große Geschrei, das dieser Kater nach jeder Paarung erhebt und das man bezeichnend den Katzenjammer genannt hat, kommt tief aus Leib und Seel des Tieres, das da im strafenden Feuer des Geheimnislosen brennt, weil erotische Wut und psychologische Gier gleichzeitig am Weibchen gezehrt und so ihn wie es völlig jedes Noch-Sinnes entleert haben. Das Bestreben des Katers am einzigen Tage, den das nächtliche Tier als solchen erkennt, am Aschermittwoch, geht dahin, die ernüchterte Welt auf dem pessimistischen Wege, von unten her, wo die Ratten und Mäuse wohnen, aus dem Jugendreich des chat noir und des schwarzen Ferkel wieder mit Sinn zu laden; erstens um überhaupt weiterleben zu können; zweitens um in den aufgezeigten Tragödien der seelischen Delikatesse und der Diskretion die Genüsse der Defloration des Sekreten noch einmal zu durchrasen. Diesen Versuch, sich selber und das Mitgeschöpf vor Gott noch einmal zu desavouieren, die Diskretion in einer permanenten theoretischen Indiskretion immer wieder zu brechen, dies nannte man einst, als der große Kater von Strindberg noch nicht gewichen war, seinen Naturalismus.

Der Swinburne. Dieser große englische Zaubervogel sang einmal vor dem Aufgang einer Sonne, die nicht aufging: ein Versehen. Er sang einmal vor dem Kruzifix gegen das Kruzifix; das war ein Mißverständnis. Das Wunder dieses Vogels ist, daß er trotzdem voll außerordentlichen Gesanges ist, menschlich gesprochen einen Stil hat, wie ihn männlicher keiner seinerzeit und später besaß. Dieser Stil ist so unnachahmlich, daß der Swinburne selber ihn nicht imitieren konnte, wie er alt geworden versuchte.

Tennyson. Mit Musikbegleitung rezitiert bisweilen ein älterer Mime Enoch Arden – mehr ist von diesem Vergil der Provinz nicht bei uns vorhanden. Er war poeta laureatus; niemand lachte darüber, denn es paßte zu ihm; er dachte genau das, was seine Königin dachte, und er schrieb nur einen besseren Stil. Er nahm sich immer furchtbar ernst, was bei einem Engländer, wie Chesterton sagt, ein grauenvoller Anblick ist. Er hatte einiges zu sagen, besaß aber weit mehr Worte, als dafür nötig war; darum weiß er, redet er länger, nicht mehr was er sagt.

Der Tolstoi. Der war ursprünglich ein Steppenpferd, doch aus einer bereits gepflegten Rasse. Er wurde zuerst von grusinischen, tscherkessischen Häuptlingen und Kosakenhetmans geritten. Später gehörte er zur regulären schweren Kavallerie der Literatur. Machte im Norden und Süden der Zeit und des Raumes alle größern Feldzüge mit, auch solche, die mehrere Bände dauern. Zäh, trocken, aber feurig, immer voll Kapriolen, als feiner Steppenklepper mit Wut Champagner aus Kübeln saufend, aber immer an der Krippe und eigentlich verwöhnt, nahm der Tolstoi sein Schicksal, Stabstrompeterroß zu werden, als selbstverständlich hin. Es hatte Sieger durch die Schlacht getragen; es wieherte nur freundlich und herablassend, als man seine spätern Äpfel als Goldäpfel anbetete. Das Ausschlaggebende an diesem Pferde ist sein Steppenpferdverstand. Es wollte niemals begreifen, daß es die Funken schließlich aus seinem Huf zog, wenn es dahinsprengte; daß aber sein stupsnasiger kurzer Kopf zottig, schwerfällig und unschön war, auch wenn es das große naive Auge rollte, bis es glotzig hervortrat; und daß der lange Schweif, den man ihm wachsen ließ, einer geistigen Wüste Gobi angehörte, ein Rudiment war aller asiatischen Wüstenrassen ohne Heiterkeit. Mit dem Besen dieses Schweifes peitschte es sich christlich die Lenden und glaubte dabei, die Welt zu kehren und zu stäupen – es entsprach das eben seinem engstirnigen Pferdeverstand. Aber die Funken, die ihm ehmals von den Hufen stoben, bleiben unvergessen.

Die Ullmann. Dieses Wesen gibt es nur in einem einzigen Exemplar. Es wird wohl »die« genannt wegen gewisser äußerlicher Zeichen, scheint aber alle möglichen und denkbaren Geschlechte in sich auf dunkle urtümliche Weise zu vereinen. Die Stimme der Ullmann erinnert an ländlichen Orgelton in einer leeren Frühkirche. Der organische Bau der Ullmann scheint einer ganz frühen Zeit anzugehören, zu der uns die Brücken verloren gegangen sind. So ähnlich muß der erste Mensch gesprochen haben, als er dem was er sah die ersten Benennungen gab und anbetete Gott im Wort und das Wort in Gott.

Das Unruh. Das Unruh ist ein netter Frosch, der normaler Weise im Teich lebt und sich hier von kleinen Wasserläufern nährt. Doch ist es mit einer großen Kehlblase ausgestattet, mit der es vielleicht singt, die es aber manchmal mit Luft zu füllen das Bedürfnis besitzt. Dazu begibt es sich, wozu ihm sonst alle Eignungen fehlen, auf das feste Land. Und zieht ordentlich Luft ein. Seine Kehlblase dehnt sich aus bis zur Größe eines Kindskopfes. Dadurch erregt das kleine Unruh die Aufmerksamkeit der Passanten. Und es verdoppelt seine Anstrengungen, Luft einzuziehen. Was dazu führt, daß seine Kehlblase den Umfang einer großen Wassermelone annimmt. Zu seinem Glücke verliert das Unruh bei diesem Mißverhältnis von Leib und aufgenommener Luft das Gleichgewicht und rollt ins Wasser zurück, wo sich die Blase sofort leert. In diesem seinem Elemente ist das Unruh ein zierliches Fröschchen.
 
Vaihingers Bauch in Jena.
 
Es kahnt ein Ich im Mondlichtschein
Zweikantig um das Kantenbein
Sowohl als ob, als ob so auch,
Obwohl dann auch als ob im Bauch.
Sowohl – als ob, als ob – so auch,
Ob auch – der Bauch wohl so – wohl auch
So wohl – als auch Kant redet hier
Als Ob und Bauch.

Die Vollmöller. Die Vollmöller ist eine Seeschlange, von der nur manchmal ein Stück auf der Oberfläche des Meeres sichtbar wird. Wie lang sie ist weiß man nicht, aber die Behauptung, sie sei länger als achtzig Zentimeter ist als übertrieben zurückzuweisen.

Das Walser. Dieses ist ein überaus zierliches, graziöses und launiges Tierchen aus der Familie der Eichhörnchen. Auf den allerhöchsten Bäumen sieht man es nicht; es macht auch keine Versuche, da hinauf zu gelangen. Aber den mittleren gibt des Walsers naive und schelmische Anmut eine frohmütige Lebendigkeit.

Wassermann. Auch mogen jaakob genannt ist ein Stern von größerer Kleinheit im Sternbild des Fischers und kann besonders gut von der hohen Warte des Beer-Hofmann gesichtet werden. Er steht so hoch über Wien wie unter Dostojewski und wurde berühmt durch einen mysteriösen Sphärenklang, der wie von Jahwe selber kommend den Deutschen, dem neuen auserwählten Volke, beziehungsweise dem Deutschen schlechthin seinen endgültigen ahasverischen Namen gab: Wahnschaffe. Diesen geheimnisvollen Namen fand man auch eingeprägt einem Meteoriten von unlesbarer Größe, der bei näherer Untersuchung sich als ein Gemengsel von Graphit, Dinte, Holzpapier, Mezieh, Ambition und Filmbändern entpuppte.

Die Wedekind. So hieß eine Sphynx, halb Geschlecht, halb Kopf, doch beides in verkehrter Weise angeordnet, so daß das Geschlecht den Ober-, der Kopf den Unterleib bildete. Also ruhte sie und zeigte ohne Respektlosigkeit, sondern aus ihrer Natur, dem Beschauer den Hintern und was in dessen Gegend liegt. Die Sphynx Wedekind gab sich ihre Rätselfragen selber auf. Diese beschäftigten sich in der Hauptsache so sehr mit ihrer umgestülpten Natur, daß kein menschliches Wesen sich für dieses Fragespiel interessierte. Darüber wurde die Wedekind sehr indigniert. Sie erkannte, daß man sie verkannte. Sie hatte sich gefragt: Warum wollen die Menschen nicht im Geschlechtsakt ihre einzige würdige Tätigkeit sehen? Warum sind die Huren nicht die Königinnen der Welt, Muster der Frau? Warum genießt der Phallus nicht die Ehren des Gottes? Warum wird nicht ununterbrochen Tag und Nacht ...? Als sie so lange gefragt und sich Antwort gegeben hatte, weil niemand kam, die Rätsel dieser Sphynx zu lösen, stürzte sie sich in den Abgrund ihres Tiefsinnes, sich selbst und die Welt dreimal beklagend, daß sie ihren Propheten nicht erkannt hätte.

Die Weigand ist unsere größte Süßwasserschnecke, die ihren schleimigen Leib in einem Gehäuse birgt, dem sie mit großer, im Altern zunehmenden Fertigkeit, eine umfangreiche Form gibt. An deren zerbrechlichen Rändern setzt die Weigand einen feinen Farbenschmelz ab, der an jene Seeschnecken erinnert, die sich an der französischen Küste finden. Das Fleisch der Weigand schmeckt süß. Es ziert den bürgerlichen Mittagstisch, ohne da sonderliche Aufregung hervorzurufen. Das Gehäuse ist bei manchen Raritätensammlern beliebt.

Weininger. Nicht in geweihter Erde, sondern als Selbstmörder hier unter den Literatieren, doch gleich einem Pfahle im Fleische sumpfigen Bodens, ruht, fest in protestantischen Händen das Kreuz, worein durch ein Wunder Gottes die Waffe sich verwandelt hatte, O. Weininger, ein Wiener und Jude, der diese Beiden in sich aufgehoben hat mutig, ehe Wandel und Lehre ihm sich spalteten. Solange er die Unschuld des denkerischen Menschen umspannte, durfte er alles dissociieren; solange er nicht selber fiel, durfte er das eine Geschlecht in die beiden Geschlechter fällen; solange das X ihm nicht konkret wurde, durfte er es ausdrücken durch M + W: Mann gekreuzigt an Weib und umgekehrt. Die Waffe in seinen Händen war das für sich da stehende Funktionszeichen einer gelösten Verbindung, und uns ziemt nicht zu wissen, welch ein Element da frei und aufgegeben worden ist. Nur eines kann man sagen über diesem Heldengrabe: er hatte gehört in den Lüften des Mannesalters das Heranbrausen des Konkreten. Das X lief in der Funktionsreihe Gefahr, seinen mathematischen Ausdruck zu verlieren und Impression zu werden. Da empfahl er sich der unbekannten Barmherzigkeit Gottes.

Der Konradweiß. Der Konradweiß ist ein Klopfkäfer, der am liebsten im Gestühl katholischer Kirchen oder im Holz der Altäre bohrt. Er erzeugt dabei mit seinem harten Kopf ein klopfendes, stark rhythmisches Geräusch, wodurch er manchmal die Frommen stört. Der Konradweiß hört mit seinem Klopfen auf, wenn die Orgel spielt, woraus man auf sein musikalisches Gehör geschlossen hat. Um so lebhafter klopft er bei der Predigt in einem seltsamen Gegentakt zum Takt des Predigers.

Das Werfel. Von kugeliger Runde besitzt das Werfel nicht wie der Igel dessen Fähigkeit sich einzurollen, sondern eher auszubreiten. Aber es hat vom Igel dessen Stacheln. Nur sind diese ganz zart und weich und manchmal auch, das Tier schmerzend, nach innen gekrümmt mit der Spitze. Dieser Widerspruch zwischen dem Aussehen und dem Sein des Werfels machen das runde, weichmütige, etwas faule Tier zu einem heute sehr beliebten mondänen Schoßigel empfindsamer Seelen. Kaum ein Salon, in dem man ihm nicht begegnet und wo es nicht herumgereicht wird. So im Schoße liegend wie eine spitzstachlige Granate bewundert der mit der Art dieser Stacheln nicht Vertraute die Hände, welche diesen Stachelhügel streicheln können wie eine Katze und soll solches auch in der Tat beim Streichelnden sehr angenehme Gefühle auslösen. Doch ist das Werfel vornehmlich um einer andern Eigenschaft willen beliebt, mit der es Gott ausgestattet hat. Es kann singen wie ein Caruso und tut es so gern wie oft, besonders wenn Lärm ist. Lärmt zum Beispiel ein Krieg, so singt das Werfel, daß, druckte man das Gesungene, leicht ein Oktavband von 308 Seiten damit zu füllen wäre. Um dieser seiner ausgezeichnet Arien und Triller singenden Tenorstimme wird das Werfel von andern Tieren, die es nachzuahmen suchen, stark beneidet.

Whitman. So heißt der Große Pan, nie gestorben, weil unsterblich, er allein unter den Göttern, wenn auch oft Zeiten lang verschwunden in der tiefsten Grotte der Erde. Auf des Greises verrunzelter Hand ruht ein Schmetterling, die er für das hält, was sie ist: Ast vom Baum der Erde, aus dem man auch jenes Kreuz auf dem Scherbenberge zimmerte.

Das Wilde. Dies war ein berühmter und berüchtigter Scherenschnitt vom Ende des verflossenen Jahrhunderts nach einem menschlichen Kostüme, in welchem mit Vorliebe und mit dem Anstande eines Brummell das Wilde, eine Schönheit von Raubtier, also die Negation der Negation, vor den Urvätern unserer Snobs aufzutreten liebte. Nero ähnlich, der als Komödiant auftrat, um mehr noch als Kaiser, um Alles, um Proteus selber zu sein. Getreulich nahm Wilde teil an dem falschen Universalismus einer Zeit, eines Systems in ihren Hypokrisen: was man ist, man kann es auch scheinen, was man hätte werden müssen, auch spielen. Nur durch furchtbare Exzesse vermögen die nun einmal noch bestehenden Gesetze den Schranken der Kasten Ehrfurcht und dem Schauder der Charaktere vor dem Schicksal dessen offizielle Ahnung zu verschaffen. Einem solchem legalen Exzesse fiel auch das Wilde zum Opfer, zu einem vergeblichen Opfer, denn dieselbe Kaste, die es ersetzte, verurteilte das Wilde, indem sie ihre Kleider wechselte, statt des Cutaway die Robe anzog.

Wilamowitz. Wilhelminische Monumentalfigur des preußischen Pastors, bekleidet mit Löwenfell und Keule des Herakles. Auf Rollen gestellt ist es verschiebbar. Man konnte es vor dem Berliner Dom, vor der Universität und vor dem Neuen Schloß sehen. Tönt wie eine Memnonssäule mit Hilfe eines Grammophons deutsche sogenannte Verse in antikischen Metren. Bürger halten's für Griechisch. Dichter halten's für gar nichts.

Die Wildgans. Die Wildgans ist eine ganz zahme Hausgans, gern in Wiener Kleinwohnungen gehalten. Kinder binden ihr, da ihr Flügel fehlen, solche aus Papier an, worauf die Wildgans sehr stolz ist und Flugbewegungen macht. Dabei stößt sie Schreie aus, welche durchaus die einer Gans seiend den Tonfall von oft gehörten Leierkästen angenommen haben. Kleine Bürgermädchen sagen »Mein Schwan« zur Wildgans.

Das Wolfenstein. Das grämliche Wolfenstein ist das Murmeltier der Flachlandschaft, die es vergeblich durch eifriges Graben mit seinen Pfoten, ja mit dem Kopfe, zu vertiefen sucht. Es hat von dieser Leidenschaft, das Flache tiefer zu machen, etwas Verbissenes bekommen, so daß es sich manchmal ohne es zu merken in seine eigenen Pfoten beißt.

Das Zahn. Dieses ist wie das Heer ein in der Schweiz gezogenes Haustier, das gepökelt massenhaft nach Deutschland exportiert wird. Es wird bei armen Leuten als Kellerfleisch gegessen. Doch schmeckt es nach Kuhleder.

Der Zech. So heißt ein in Kohlenbergwerken lebender Höhlenkäfer, wo er das einförmige Geräusch der Spitzhacke mit seinem guten Takte begleitet. In den belgischen Gruben nannten die dortigen Leute den Zech auch Verhaeren.

Das Zobeltietz. Ein weitverbreitetes Tier, das unter Ullsteinen am liebsten haust und dessen Fell Zobel vortäuscht. Man kauft es und verkauft das Fell dieses Tieres ganz billig bei Tietz. Daher der Name.

Zola. Besaß ein weitläufiges Fabriksgebäude zur Herstellung sozialer Schematismen. Seine Situationsmaschinen stanzten den Menschen glatt und sauber heraus. Andere Maschinen, welche die Wahrheit in der Kausalitätsreihe platt walzten, nahmen die ausgestanzten Menschen auf und setzten sie zu Ensembles zusammen, die auf einer Versuchsbühne abgerichtet wurden, so natürlich wie die Natur zu spielen. Ein kleiner Mond aus Silberpapier macht die nötige Sentimentalität.

Das Steffzweig. Des Steffzweige muß in diesem Bestiarium Erwähnung geschehen, da es von einigen wenigen immer noch als ein Lebewesen angesehen wird. Aber es ist das Steffzweig ein Kunstprodukt, hergestellt anläßlich eines Wiener Dichterkongresses aus Federn, Haut, Haaren usw. aller möglichen europäischen Tiere. Es ist sozusagen ein Volapüktier. An seine organische Existenz glaubt man zur Zeit nur mehr in entlegenen Ländern und in gewissen Genfer Kreisen. Einige wollen das Steffzweig in einem Leipziger Hause, Kurze Straße 7, unter einem kleinen Glassturz gesehen haben. In den letzten Jahren hörte man von einem Arnzweig als einem richtigen Tier. Es zu erkunden war noch keine Möglichkeit, da es in Zion vorkommen soll. Dieses Land ist hinwieder in der Geographie nicht festzustellen. Verbürgte Nachrichten melden, daß der Arnzweig ein gutes, ehrliches, von Gott geschaffenes Tier sei.


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