Frank Witzel: Grund unter Grund
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Jan Kuhlbrodt
Zu Frank Witzels
"Grund unter Grund"
Vielleicht eine persönliche
Bemerkung vorab. Dieses Buch muss irgendwo in meiner Nähe geschrieben (und
gezeichnet) worden sein, zu einer Zeit als es noch Nähe gab. Also in Zukunft.
Und natürlich steht als Motto dem Buch ein Wittgenstein-Zitat voran.
Ein Album, das Texte zeigt und
Bilder. Eigentlich zeigt es Gedanken, die zum Text drängen und die Form
empfangen, die ihnen ansteht. Es ist nicht zu entscheiden, wo Prosa in Lyrik
verfällt und umgedreht. Außer an wenigen Stellen, an denen Witzel sich
gewissermaßen zum Gedicht bekennt, mit dem Vers spielt, dem Reim und an denen
sich der Gedanke auf eine merkwürdige Art plötzlich verfestigt. Irgendwo schreibt
Keith Waldrop, dass die Flüssigkeit die Form des Gefäßes annimmt, das sie
beherbergt.
Du gehst in einer stringenten AchtDurch den Regen in die Nacht
So heißt es in einem namenlosen
Gedicht, das sich im Buch gegen Ende des ersten Drittels eingefunden hat. Die
genaue Lokalisierung fällt schwer, denn das Buch ist nicht mit Seitenzahlen
ausgestattet, so dass die Reihenfolge der Texte nur durch die Bindung gehalten
wird.
In der Mitte des Buches schlägt der
Text in einen Comic um. Und die Protagonisten der Texte, sie heißen Walter und
Connie, wo sie nicht verschmelzen oder sich ihre Namen vermischen.
Zeichnerisch, aber auch textlich und manifest.
Die Straßenecken sind zugig. Kaum ist Walter unten, blickt von ganz oben etwas. Die Spiegelung eine Fensters, hinter dem Connie steht und raucht. Ein Zahn fällt herab und bohrt sich in seinen Unterarm.
Vielleicht ist die Absenz der
Seitenzahlen ja ein Zeichen für diese Vermischung. Lyrik Prosa Essay.
Theoretisch meint man die Grenzen zu kennen. Erzählung, Gedicht und auch
Comicstrip. Klar zuweilen tauchen sie als Implantate in Romanen auf. Die Romantik
kennt dergleichen. Aber selten nur sprengt das Implantierte den Wirt.
Bei Witzel ist der Wirt gar nicht
umrissen. Das Eine ist Füllung des Anderen und auch umgekehrt, so dass das
Außen, eine Grenze verschwindet. Aber im Innern bleibt sie erhalten, wie
untergerührt, so dass man allem wieder begegnet, sei es als Erinnerung an eine
poststrukturalistische Theorie oder eine formale Kategorisierung. Natürlich ist
hierbei der Comic ganz leicht zu erkennen, denn hier wird, was Wort ist, zum
Strich.
Nun ist es nicht so, dass der Text
sich im Formenspiel erschöpfen würde. Er ist theoretisch politisch auf der Höhe
der Zeit und erzählt gewissermaßen die Auflösung der Gewissheiten, die wir in
den letzten Jahrzehnten durchliefen. Denn nicht nur die Körper verschwammen,
sondern auch das, was vielen von uns politisch und theoretisch festgefügt
schien.
Verwirrung ist wohl die
Grundkonstante im menschlichen Erkenntnisstreben. Und verwirrend zuweilen ist
auch dieses Buch, womit es den Anspruch der Dialektik erfüllt, nämlich die
Verwirrung zu zeigen – in aller Klarheit.
Aber zurück zu Walter, dem Weltgestalter: Oh je, dem ist es inzwischen schlecht ergangen. Er ist nämlich über Melanie Kleins Hymne ins Koma hinüber gegangen. Bleibt Welt jetzt ungestaltet? Vorläufig zumindest.
Doch wenigstens nicht uninterpretiert.
Frank Witzel: Grund unter Grund. Berlin (brueterich press) 2018. 180
Seiten. 20,00 Euro.