Frank Schmitter: Drei Gedichte
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Frank Schmitter
Drei Gedichte
Vor den russen kamen die gerüchte
über die russen ins land eine gnadenlose armee aus furcht
und schrecken die mädchen und frauen
nachts in die kalten flüsse trieb
meine großeltern verschnürten ihr haus auf einen pferdewagen
und setzten über an das rettende ufer des anderen feindes
bis großvater einfiel dass er das tafelsilber vergessen hatte
das keine kommunisten verprügelt
keine juden erschlagen
keine felder verbrannt
keine partisanen erhängt
keinen sohn im feld gelassen hatte
das zum sonntagsbraten gehörte mit wein
und artigen kindern und einem sparbuch
für ein automobil
und für das silberbesteck kehrte er um alleine
ließ seine frau und drei töchter zurück
ging nachts über die halbzerstörte brücke
und wieder zurück vorbei an
leichen am wegrand
geweideten pferdekadavern
jeeps mit aufgeschlitzten reifen
den besteckkasten geschultert
der einem russen gerade mal eine kugel wert gewesen wäre
und ihm das ganze leben
Als unsere eltern das haus bauten gossen
sie in die zementmischmaschine ihre stammbäume
ihre vereinigten lebenspläne ihre sparbücher ihre glücksversprechen
bis der tod sie scheiden sollte
aber das glück verstummte in den sparbriefen
in den rabatten des vorgartens
im skatverein
im röhrenfernseher der die abende stilllegte
wenigstens der tod kam im abstand weniger monde
wir kinder kamen zurück und weideten das haus
bis auf die grundmauern aus
wir mit unseren patchwork-familien
den beziehungen mit der halbwertzeit einer netflixserie
dem knietiefen unglück in der treibjagd nach dem glück
Kleine ode an die freundlichkeit
die es nie zu den kardinaltugenden geschafft hat
nicht bei platon thomas von aquin konfuzius oder im hinduismus
ihre währung ist zu klein sie gewinnt keine kriege und keine gerichtsurteile
taugt nicht einmal zum ablass
sie besitzt kein tragödienpotenzial
ihr fehlen löst keine feme keine blutrache aus
sie wird an unscheinbaren orten aktiv
zum beispiel in einem auf preisdumping gebauten backshop
in der eine höchst unfreundlich unterbezahlte frau
mit einer körperlichen beeinträchtigung sehr freundlich ist
zu dem mitarbeiter der investmentfirma von gegenüber
der sich mit drei sandwiches eindeckt für die spätschicht bis mitternacht
dem vollbartträger mit pantoffeln und vier plastiktüten
dem sie einen zweiten kaffee spendiert
der frau die ihr smartphone abholt das sie mittags vergessen hat
und kein trinkgeld zurücklässt
nein keine haupttugend kein eintrag in die magna charta der großen werte
nur eine nussschale wärme im schneetreiben eines tages
In Frank Schmitter: Manchmal holt einen die zukunft ein. Gedichte. Dortmund (edition offenes feld) 2024. 80 Seiten. 19,00 Euro.
