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Frank Norten: Zwei Gedichte

Montags=Text
Frank Norten
Zwei Gedichte



AUS DEM LIEDERBUCH FÜR KNIRSCHER                         


Auf dem Asteroiden 2001ZK287 ist eine Fahne zu sehen.
Sie steht da, als hätte sie immer dort gestanden.
Was nicht sein kann.
Das ist doch mal was.

Die Pfeile, die im heiligen Sebastian von Bad Langensulz stecken,
sind aus dem Baumarkt.
Der Heilige selbst wurde aus Fichtenholz gefertigt.
Fichtenholz ist billig.

Das Bemühen, alles gut zu machen, kostete mich die Orientierung.
Ich wollte voller Liebe und Geduld sein.
Zum Beispiel den wandernden Kröten gegenüber;
sie auflesen, bevor sie überfahren werden.

Aber ich achtete nicht auf die Kröten.
Ich war benebelt von Deinen langen Haaren und Wilthener Goldbrand.
Das ging ja die paar Mal gut,
dachte ich am Küchenfenster, gerade bei Bodenfrost.

Ich wusste nicht, dass Du mit den Jahren so herrisch
werden würdest, mit Deiner Liebe mich strafst.
Diese Jahre vergingen,
wie fast alles schliesslich vergeht.

Aber es gibt Menschen, die erfinden etwas, fügen etwas hinzu.
Künstliche Intelligenz zum Beispiel.
Die könnte der Menschheit einen neuen Kurs geben,
am Massensterben vorbei.

Ich gehe nur noch selten aus dem Haus.
Meine Hände können eine Tasse kaum halten.
Das rechte Auge beginnt zu erblinden, und die
Zuckerwerte sind auch nicht ideal.

Als Kind wollte ich die Stadt Insterburg in Ostpreussen,
jetzt seltsamerweise russisch,
wieder in Besitz nehmen.
Mein Vater war an der dortigen Lutherkirche Kantor.

In der letzten Nacht besuchte ich im Traum
in dieser Kirche den Gottesdienst.
Ich rasiere mich langsam.
Heute bringt ein mir bekannter Galerist ein Bild

des Dresdner Malers Alois Kuchenbäcker.
Seine Bilder haben viel Schwarz und Rot.
Ein Rot, was nicht brennt.
So wie ich nicht mehr brenne.

Oder meine biertrinkenden Nachbarn,
die, als sie jung waren,
sich die hübschesten Mädchen angelten
Jetzt sind ihnen ihre Rasenmäher näher.

Wie oft redete ich in der Vergangenheit meine
Freunde an die Wand und drückte ab.
Ihnen allen sänge ich gern ein Pardon aus dem
Liederbuch für Knirscher.

Aber seht, ihr Lieben, diesen gesenkten, falschen Blick.
Ich werde nicht in den Himmel kommen.
Um in den Himmel zu kommen, muss man leicht sein,
ohne schwere Träume von gesprengten Kirchen.

Im Land der Väter.
Nun zu ihnen, meine Liebe.
Danke für Ihren letzten, ausführlichen Brief.
Ich habe mich sehr gefreut.

Bitte laden Sie mich in ihre Wohnung ein.
Wir werden uns nicht langweilen, vorausgesetzt,
es ist genug Alkohol im Haus.
Sie dürfen von mir eine Art Brüderlichkeit erwarten.

Das wäre doch mal was.
Lehnen Sie sich ruhig an, gern auch
mit tränennassem Gesicht.
Ich bin - versprochen! - längst unbeeindruckbar genug.



JAKOBS WELTENDE                                         

          (für Jakob van Hoddis)

Wie in die hohle Hand Wachs tropft
und erstarrt,
schmerzend den,
der es auffängt –
so die eine weisse Kugel Welt
auf grosser, kalter Erde –
Du, Jakob.

Eine kurze Zeit der Hitze war.
Gasflammen brannten über den Köpfen.
Schwüle.
Stechende Furcht.
Dampfend der Himmel im Schlaf.
Berlin!
Hohe Balkone voller Absturz hinauf.

Morgendliche Strassen boten keinen Schutz.
Anstaltsmauern.
Aber Deine Verse wurden immer weisser.
Um nicht länger zu zerfliessen,
suchtest Du Härte,
glittest hinab bis zu den Steinen.
Die sind still.
Lösung ausgelachttt.

An der Rampe hast Du Dich
nicht mehr umgesehen -
nach uns, die wir Dich
nicht sahen lange vorher.

Wie in die hohle Hand Wachs tropft
und erstarrt,
schmerzend den,
der es auffängt –
so die eine weisse Kugel Welt
auf grosser, kalter Erde –
Du, Jakob.

Jakob van Hoddis (eigentlich Hans Davidsohn), expressionistischer Dichter,
Verfasser von „Weltende“ (1911), das Kurt Pinthus seiner Gedichtsammlung
„Menschheitsdämmerung“ (1920) voranstellte. Geb.1887 in Berlin,
ermordet 1942 im KZ.
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