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Forugh Farrochsād: Jene Tage - Sonderausgabe

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Gerrit Wustmann


Im Schatten sitzt dein Funke

Sonderedition zum 50. Todestag von Forugh Farrochsād



Behalte den Flug im Gedächtnis!
Der Vogel ist sterblich.


Zwei Verse, die bei gleich mehreren Generationen voll einschlugen. Zwei Verse, die in Iran so ziemlich jeder kennt. Sie bilden den Schluss eines traurigen Gedichts über das Ende der Liebe. Wie oft sie zitiert wurden, wie oft nachfolgende Dichter auf sie anspielten – allein darüber ließen sich Abhandlungen schreiben, mit denen man ganze Bibliotheken füllen könnte. Die Autorin der Verse wurde nur 32 Jahre alt. Sie starb im Februar 1967 in ihrer Heimatstadt Teheran bei einem Autounfall. Ob sie auch ohne den frühen Tod so legendär geworden wäre, heute als wichtigste iranische Dichterin des 20. Jahrhunderts bezeichnet würde? Mit ziemlicher Sicherheit: Ja!


Denn Forugh Farrochsad hat wie keine andere die persisch-sprachige Lyrik erneuert. Sie sprengte die Konventionen – vor allem auch die Konventionen dessen, was eine Frau in einer zutiefst konservativen Gesellschaft sagen darf. Wie Kurt Scharf in seinem Nachwort nachzeichnet, sind bis dato die großen Anthologien persischer Lyrik vor allem männlich geprägt – was nicht heißen soll, dass es zu wenige Dichterinnen gab. Deren umfangreiches Werk dokumentierte Herausgeberin Sheema Kalbasi in ihrer 2009 erschienenen Anthologie „The poetry of Iranian Women“ (Reel Content Publishing, Charleston). Aber sonderlich einflussreich und prägend war keine von ihnen. Scharf stellt den offenen und für die damaligen Verhältnisse radikalen Gedichten Forughs einige Verse von Parwin Etesami (1907-1941) gegenüber, die nicht nur formal, sondern auch inhaltlich klassisch-konventionell daherkommen und die gesellschaftlich unter-geordnete Rolle der Frau regelrecht zelebrieren.

Forugh wollte sich diesen Konventionen nicht fügen. Sie wuchs auf in einer Zeit, in der Lyriker wie Nima Juschidj und Huschang Ebtehadj den Abschied von traditionellen Formen, Strukturen und Sprachbildern einläuteten. Mit Ebtehadj, der unter dem Pseudonym Sayeh (Schatten) publiziert, hatte sie zeitweise eine Affäre, über die sie später ein bissiges Gedicht schrieb:

Gasel

„Erhöre jeden Abend, was mein Herz dir sagt
Und dann vergiss mich morgens wieder, wenn es tagt.“
H.A. Sayeh

Du hörst auf meiner Stimme Flehen wie ein Stein
So taub und fühllos wie du bist, war nie ein Stein

Verwirrender Versucher, wie du anklopfst, so
Prasselt der Frühlingsregen an mein Fensterlein

Und wenn du meinen liebevollen, grünen Leib
Umarmst, umgibst du ihn mit totem Laub allein

Mit deiner Flamme brennst du mir die Augen aus
Und du bekommst mir schlechter als der stärkste Wein

Dein Goldfisch schwimmt im Weiher meines roten Bluts
Du trinkst mich leer: mögst du den Rausch nur nicht bereun!


Im violetten Tal des Sonnenuntergangs
Erdrückst du und erstickst den Tag am Busen dein


Im Schatten sitzt Forugh, dein Funke, der erlosch
Soll sie wie du, Sayeh, ein schwarzer Schatten sein?


Was man dazu wissen muss: Forugh bedeutet zu deutsch „Funke“. Solche Gedichte, in der eine Frau offen ihre Gefühle ausdrückt und sich auch kritisch mit ihrer eigenen Stellung in der Gesellschaft auseinandersetzt, waren zu jener Zeit in Iran ein Skandal – und sind es zum Teil sogar bis heute, was dazu führt, dass in Sammlungen ihrer Gedichte die allzu erotischen Texte meist fehlen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Verleger die Zensur fürchten.

Anlässlich ihres 50. Todestages erscheint im Bremer Sujet Verlag eine Sonderedition mit einer von Kurt Scharf übersetzten und kommentierten Auswahl ihrer Gedichte. Der prächtig aufgemachte und von Lothar Bührmann reich illustrierte zweisprachige Band ist auf 150 nummerierte Exemplare limitiert. Gegenüber der normalen Ausgabe von „Jene Tage“, die nur die deutsche Fassung enthält, finden sich in diesem Band auch neun bislang unübersetzte Gedichte, darunter auch „Mit was für einer Hand“ - Forugh Farrochsads allerletztes Gedicht, das kurz vor ihrem Tod entstand. Der Sujet Verlag, der sich wie kein anderer in Deutschland für iranische Literatur engagiert, hatte die Rechte an den Texten 2016 von Suhrkamp übernommen. Dort bestand an einer Neuauflage offenbar kein Interesse mehr.

Umso dankbarer dürfen wir sein, dass „Jene Tage“, dieser Querschnitt durch Forughs lyrisches Schaffen, nun wieder verfügbar ist, sogar zweisprachig und erweitert. Einzig die mitunter sprachlich etwas antiquiert wirkende Übersetzung vermag die Freude zu trüben – man darf dabei aber nicht vergessen, dass sie bereits 25 Jahre alt ist und nun wenigstens in Bezug auf einige Begrifflichkeiten überarbeitet wurde und persische Begriffe wie „Noruz“ wieder aufgenommen wurden. Ursprünglich waren sie durch westliche Entsprechungen (in dem Fall Ostern) ersetzt worden, weil viele dieser Begriffe hiesigen Lesern nichts sagten. Das hat sich geändert, und auch das ist gut.

Der Band ist nicht nur für jene interessant, die einen Einstieg in die iranische Lyrik suchen. Im Grunde gehört er in jedes gut sortierte Lyrikregal. Denn Forugh ist Weltliteratur, ihre Bedeutung und ihr Einfluss nicht zu unterschätzen. Vielleicht noch wichtiger: Auch 50 Jahre nach ihrem viel zu frühen Tod hat sie uns noch einiges zu sagen. Ihre Verse, das hat sie mit Hafis gemein, haben kein Verfallsdatum.


Forugh Farrochsād: Jene Tage. Gedichte. Bremen (Sujet Verlag) Sonderedition zum 50. Todestag 2017. 293 Seiten. 42,80 Euro.

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