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Folge 4

Diagramme



Jan Kuhlbrodt

Nahe Wellen aus entfernten Quellen


Vorläufiger Abschluss mit Häfner



19


Natürlich ist alles nur Spiel, was nicht heißen soll, dass ich die Berliner Genealogie in Frage stelle. Aber das Zwingende und Zwanghafte der Tradition ist ihr fremd. Sie isst nicht vom KPM Geschirr, und wenn sie es dennoch tut, ist es purer Zufall. Aber da liegt die verschämte Crux. Ein Zufall der sich durchzieht, einen sich wiederholenden Zufall kann es nicht geben, er wäre ein Widersinn. Womit also haben wir es hier zu tun?

Häfners neuester und übrigen sehr spannender Band Irrtum zeigt im Alphabet Methode, kongenial illustriert von Christoph Feist, bringt mich der Lösung des Problems nicht unbedingt näher, aber er lässt es klarer aufscheinen. Feists sparsam humorvoller Strich im übrigen verstärkt meine Ahnung und führte mich zu der Frage, warum sich in gezeichneten Seifenblasen zumeist Fenster spiegeln. Es gibt übrigens eine Erzählung* des Autors Kurd Laßwitz, einem Pionier des deutschen Science Fiction, vielleicht eine Korrespondenz in der Prosa zur Berliner Mystik, die eine ganze Welt auf der fragilen Oberfläche einer Seifenblase imaginiert, als Alternativwelt oder Nebenwelt zu der unseren.

Zum Glück bin ich kein Germanist und kann mir Ahnungen erlauben. Das ganze Leben ist eine These:


Bleibe bei uns im Emmauslicht
sagten die Penner, wir warten auf den Dopplereffekt
wollen eine Rotverschiebung sehn
an deinen vernagelten Händen oder
segnest die erbettelten Münzen


So lautet die erste Strophe des Gedichtes Nahe Wellen aus entfernten Quellen im oben erwähnten Gedichtband. Und wenn man überhaupt etwas exemplarisch festmachen kann, dann ist es hier der spielerische Umgang mit verschieden tradierten Wortmaterialien, eine Art De- und Rekontextualisierung, die in den Worten verborgene Konnotationen nutzt.

Die verschiedensten Bedeutungen von Rot beispielsweise im vorliegenden Fall. Und dieser Dopplereffekt wird im weiteren verfolgt und führt zum Verspaar:


kosmische Zwerge neben weißen Riesen
an den Rand des Spektrums gedrängt

Und hierhin liegt das untergründig (oder überirdisch) Verbindende in der Berliner Genealogie. Dass die Texte sich nicht an ihre irdischen Ausgangspunkte halten und die Vorkeller verlassen aber auch zurückkehren, und genau das ist es, das mich bei den angeführten Dichtern, aber vor allem bei Häfner, Thoor, Gressman und Hille an Mystik denken lässt.

Das letzte Verspaar des angeführten Gedichtes von Häfner:


Sirenen hell tönend die Legeia
die Grundfrequenzen einer Warnanlage


* Leider ist von Laßwitz derzeit keine Printausgabe lieferbar, aber als E-Book ist sein Werk erhältlich, unter anderem auch die Erzählung: Seifenblasen.

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