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Folge 2

Montags=Text > Prosa



Martina Hefter


Tortenschlacht



Heute will ich über die Tortenschlacht sprechen. Es kommt in „Der schaudernde Fächer“ keine vor. Aber dazu später.

Obwohl mir konkret nur eine Tortenschlacht-Szene einfällt, von der ich behaupten kann, ich habe sie wirklich gesehen, nämlich in einer Folge von Stan Laurel und Oliver Hardy, habe ich den Prototyp der Tortenschlacht klar vor Augen, die immer gleichen, verlässlichen Haltungen, Bewegungen, Abläufe: Das erste Innehalten nach dem Geplänkel. Blick aufs Tortenbüffet. Aufblitzen der Idee! Das kurze Zögern. Wie in Zeitlupe greift man nach der ersten Torte. Jetzt der Wurf! Der Schreck des/der Beworfenen! Dann unendliches Hin-und Hergerissensein zwischen Heulen und Lachen, bei allen! Die Umstehenden ducken sich! Jetzt greift der andere zur Torte. Der Wurf! Schon ist er selbstverständlich! Schon sinken alle in Ergebenheit und bündeln zugleich in sich wahnsinnigen Trotz! Die ganze angestaute Verachtung! Die unendliche Zuneigung, alles in einem! Allen den Tod wünschen, alle aber auch retten und streicheln wollen. Wie erschöpft man ist! Und wie vollkommen angefüllt mit frischer Energie! Wie extrem man unter der Sahnecreme kichern muss, das aber runterschluckt, denn man will schon in Würde von der Party abhauen.



Die Tortenschlacht ist für mich eines der klügsten, schönsten – ähm, wie sagt man? – ästhetischen Mittel? Also, eine der klügsten, schönsten Anwendungen in der Kunst. Ich meine nicht, dass die Anwendung die Werke alle nur witzig macht! Sie ist ein ernsthaftes Prinzip. Wobei es nicht zwingend Torten sein müssen, es sind möglich auch Kissen, Wasser aus Eimern, Mehl... Oder auch nur das Ganze als Abdruck, als Echo, Reminiszenz: Ohne dass überhaupt noch was geworfen wird, und man begibt sich in ein ringendes Miteinander in der Haltung von Tortenschlacht-Teilnehmerinnen.

Das Tortenschlacht-Prinzip finde ich in vielen der Erzählungen in „Der schaudernde Fächer“, oft nur als feinen Nachhall, als zarten Abdruck, und – wie schon eben gesagt, das heißt nicht, dass alles dadurch witzig würde. Viel mehr kommt eine andere Spielart der Ernsthaftigkeit mit herein, eine, die den Gedanken, eine Angelegenheit gehe „um Leben und Tod“ durchaus durchspielt. Ich werde hier die in mancher Hinsicht extremste Erzählung hernehmen, wo, wie ich meine, es wirklich das klassische Tortenschlacht-Muster gibt. Sie heißt: „Einfall in China. Wechsel der Lehrmeister.“ Wenn ich sage, das Prinzip rettet die Erzählung, ist das falsch, denn es hieße, dass sie in der Anlage her misslungen und nur durch den Tortenschlacht-Effekt am Ende doch gelingt. Aber ich muss auch zugeben, dass ich vor dem Einsetzen des Effekts erschrocken war über das, was ich las. Aber dann, später, beruhigte sich sofort alles. Kann sogar sein, dass die Erzählung genau die Analyse und eben: Erzählung der Tortenschlacht an sich ist, und somit kann ich, für mich gesprochen, sogar sehr einfach sagen, worum es in dieser Geschichte (auch) geht: Um unendliches Hin-und Hergerissensein zwischen Heulen und Lachen geht es! Um das Sinken in Ergebenheit und den gebündelten wahnsinnigen Trotz! Um die ganze angestaute Verachtung! Die unendliche Zuneigung, alles in einem! Allen den Tod wünschen, alle aber auch retten und streicheln wollen. Wie erschöpft man ist! Und wie vollkommen angefüllt mit frischer Energie! Darum geht es, unter anderem jedenfalls.

Wenn ich genau beschriebe, was passiert, würdet ihr alle, die ihr die Erzählung und auch das Buch nicht kennt, denken, es wäre eine ziemlich gewalttätige, auch pornografische Sache und mehr nicht. Ich sage nur die Stichworte Lippenstift, aufgeschlitzte Tatami-Matte, Sex, Prügelei – wie sich erst allmählich herauskristallisierte, geschieht alles in der Stimmung der Tortenschlacht.

So dass am Ende die Geschichte, eigentlich eine unerwartete Wendung (ist es dann eine Novelle?), recht komisch endet, ohne dass die Ernsthaftigkeit aus den Augen verloren wird, es geht schließlich nicht um wenig!  

Fix und fertig, aber auch sprudelnd vor Gelöstsein, und lachend, kam ich aus der Sache heraus, so, als hätte ich gerade selber bei einer Tortenschlacht mitgemacht.

Es genügt eigentlich, den letzten Satz zu zitieren: „Aber ich habe das Dorf nicht wiedergesehen, in dem Chugoku wohnte, denn ich rettete mich auf den Karren eines fahrenden Schauspielers, der sich in mich verliebte und mir alle Knaben- und Statuenrollen überließ.



Ann Cotten: Der schaudernde Fächer. Berlin (Suhrkamp) 2013. 251 Seiten. 21,95 Euro.

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