Florin Iaru
Die grünen Brüste
ins Deutsche übersetzt von Manuela Klenke
Obwohl sie
erst fünfzehn ist, ein Alter, in dem man sich für alles Mögliche begeistern
kann, leidet Adela fürchterlich. In der Tat, sagt sie. Für Adela ist das Wort in der Tat wie das Leben, und zwar weil
Gott gemein und ungerecht gewesen ist. Wie jedes Mädchen in ihrem Alter sieht
und bewertet sich Adela nur durch die Augen der Jungs. Sie könnte die Dümmste
der Dummen, die Doofste der Doofen sein, aber wenn die gierigen Blicke der
Jungs sie ins Visier nehmen und der Reihe nach ausziehen, ist der Kampf
verloren. Was Adela nicht weiß, ist, dass die Selbstachtung mit dem Alter
kommt. Deswegen verzweifelt sie in Selbsthass. Sie wird sich selbst nie mit
Liebe betrachten können. Davon ist sie fest überzeugt.
Nennen wir
also das Kind beim Namen. Was ihr wehtut: Adela hat kleine Brüste. Sehr kleine.
Nur wenn sie ihre Brüste hochpusht und ihren BH mit Watte ausfüllt, kann sie
behaupten, dass sich auf ihrer Bluse Falten abzeichnen. Sie redet ihnen gut zu,
fleht sie an: „Na kommt schon!“ Umsonst! Immerhin ist sie schon fünfzehn und
weiß, dass sie, von alleine und sich selbst überlassen, niemals wachsen werden.
Das Wort „niemals“ treibt ihr Tränen in die Augen.
Sie versteckt
sich auf dem Dachboden, bis die Mutter fertig wird mit dem hässlichen Mann von
der Bank. Ein hässlicher Mann mit Ledertasche, der schreit, wenn er redet.
Sobald sie sich von der Tyrannei ihres kleinen Bruders befreit, ist Adela
kampfbereit. Sie hat mühsam Dill gesammelt und eine Wunder wirkende Tinktur
vorbereitet. Vor der Realität auf den Dachboden entflohen, macht sie jetzt den
Oberkörper frei und legt sich vorsichtig die grünen Kompressen auf. Der Dill
wirkt und die Tinktur scheint das Wundermittel schlechthin zu sein. Danach
nimmt sie ein Buch und liest. Was kann man denn sonst tun, wenn man allein auf
der Welt ist? Beim Lesen vergeht die Zeit sogar schneller. Das unangenehme
Gefühl verschwindet rasch, weil Adela eine leidenschaftliche Leserin ist. Sie
steigt in das Buch ein, wie in eine Badewanne und taucht in die fremde Welt,
als wäre es Badeschaum. Ab und zu erwischt sie sich dabei, dass sie sich mit
lauter Stimme fragt, ob Mr. Darcy jemals in Elizabeth Bennets Dekolleté geguckt
hat und ob es da was Sehenswertes gab. Im Film konnte man es sehen, aber der
Film zählt nicht − da kann man sich alles aussuchen! − weil man nämlich sagt,
dass die Engländerinnen wie Bretter seien. Danach schaut sie sich ihre
Kataplasmen an und spürt, Oh Gott, das Wunder wird vollzogen! Es juckt, es
brennt, also passiert etwas! Nach zwei Stunden Träumerei kehrt sie zurück auf
die Erde. Sie entfernt die Medizin und spürt im gleichen Augenblick ihren Tod.
Die Brüste sind nicht gewachsen, aber sie brennen sehr und sind grün-lila. Die
Farbe ist in die Haut eingezogen wie ein Tattoo.
Vom Regen in
die Traufe! Sie zieht sich an, knöpft alles bis zum Hals zu und rennt ins
Badezimmer. Verzweiflung breitet sich aus. Jetzt ist es kein Spaß mehr. Sie
zieht sich wieder aus und guckt in den Spiegel. Das kalte Licht färbt ihre
Brüste auf grausame Art. Sie seift sich ein. Nichts. Sie nimmt den rauen
Duschhandschuh und fühlt, dass sich ihre Haut ablöst. Das Grün gibt nicht nach.
Die Verzweiflung steigt ihr den Hals empor. Mit Waschlauge versucht sie es
auch. Das Grüne hält. Heißes Wasser – so heiß wie sie es nur ertragen kann.
Ergebnis: null. Diese unglücklichen Kleinen, die sie nur mit großer Mühe Brüste
nennen kann, tun ihr weh, als ob sie enthäutet wären. Sie fängt an, lautlos zu
heulen, weil sonst ihre Oma, die nebenan mit dem Hörrohr an der Wand lauscht,
beginnt, sie auszufragen. Der befreiende Gedanke des Selbstmordes geht ihr
plötzlich durch den Kopf. Ihr Leben hat keinen Sinn mehr: Sie ist die Loserin
der Loserinnen. Die schreckliche Vorstellung von sich selbst in fliederblauer
Farbe, mit weit aufgerissenen, hervorstehenden Augen, heraushängender Zunge,
voll gepinkelt und vor allem mit den grünen Brüsten, der Gaffer-Menge von der
Gerichtsmedizin ausgeliefert, bringt sie allerdings dazu, sich schaudernd zu
schütteln. Es gibt keinen Ausweg. Keinen Ausweg. Was für ein scheiß Leben!
Genau in
diesem Augenblick stürmt die Unverschämtheit in Form ihres Bruders, ohne an die
Tür zu klopfen, ins Badezimmer. Das Mädchen versucht umsonst, ihre Brüstchen zu
bedecken. Der unerwartete Gast sieht sie, bleibt einen Augenblick mit
aufgerissenen Augen stehen, und dann hechtet er zur Tür: „Adela hat grüne
Titten! Adela hat grüne Titten!“ Seine Stimme schallt wie eine Trompete. Ihre
Mutter hört es, ihr Vater hört es, das ganze Haus hört es.
Bis zum Abend
weiß das ganze Viertel, dass die Streberin der Familie Protopopești ein
perverses Monster ist.
Adela geht
eine Woche lang nicht aus dem Haus und ihre Mutter, die ein Monster zu sein
schien (und bis zu diesem Zeitpunkt auch war), besorgt ihr ein Attest für eine
Woche, bleibt bei ihr, streichelt ihren Kopf und quatscht sie mit allem
Möglichen voll. Adelas Unglück ist nun einigermaßen verbunden, eitert aber aus
allen Narben. Nach einer Woche fasst sie sich ein Herz und geht zur Schule.
Jeder weiß es, prustet und spaßt. Adela versteht, dass ihr Leidensweg lang und
schmerzhaft sein wird. Sie ist entschlossen durchzuhalten. Sie wird die Zähne
zusammenbeißen. Bis zum Sommer ist es nicht mehr lang. Sie besteht die Prüfung,
kommt aufs Gymnasium und fertig. Es wird zu Ende gehen.
Aber die
Einsamkeit ist schwer. Keiner will ihr eine Chance geben. Nicht mal die dicke
Sorina, der die Unterhose im Chemieunterricht runtergerutscht war, wurde so
verstoßen. Auch nicht Cornel, der auf dem Klo mit einer Porno-Zeitschrift in
der linken Hand fotografiert wurde, erlitt so eine Behandlung! Adela erfährt es
genau jetzt, am eigenen Leib, wie die Blicke der anderen brennen können. Ah,
verdammte kleine Brüste!
Nach der
Schule kehrt sie allein und betrübt nach Hause und gerade, weil sie alleine
ist, denkt sie, dass sie in Ruhe heulen kann. In dem Moment, in dem sie ihr
Taschentuch herausnimmt, tippt jemand auf ihre Schulter. Es ist Andrei, der
Sohn des Bürgermeisters. Der reichste Sohn der Stadt und wahrscheinlich auch reichste
des Universums. Adela beißt die Zähne zusammen. Alle wissen, wie arrogant und
eingebildet er ist. Aber er lacht nicht und stellt ihr auch keinen Fuß.
Er sagt bloß: „Ich find‘s cool, was dir passiert ist“, und tritt an ihre Seite,
ohne Faxen zu machen, wie sonst in der Schule.
Adela
schweigt, auf das Schlimmste gefasst, widersetzt sich ihm aber nicht. Kein
Mädchen der Welt würde den Märchenprinzen wegstoßen.
„Möchtest du
nicht mit mir reden?“, fragt er nach einer peinlichen Minute, in der sie
planlos herumlaufen.
„Doch, aber
du wirst mich auslachen und das ist unerträglich.“
„Komm schon …
grüne Brüste! Kannst du dir vorstellen, dass du das stärkste Mädel im Universum
bist? Ich würde mein Leben geben, um ein paar grüne Brüste zu sehen.“
Adela bleibt
stehen, starrt ihn lange an und sucht in Gedanken, mit Blitzgeschwindigkeit,
nach einem abgeschiedenen, dunklen Platz, den niemand kennt, wo der gut
aussehende junge Mann in der Tat sein
Leben für sie geben kann.
Florin Iaru, ins Deutsche übersetzt von Manuela Klenke
Aus „Sînii verzi”, Polirom Verlag, 2017, bislang nur in rumänischer Sprache erhältlich.