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Fernando Pessoa: Nebel oder Rauch?

Montags=Text
Fernando Pessoa
übersetzt von Werner Wanitschek

Névoa ou fumo

Nebel oder Rauch? Stieg es auf von der Erde oder senkte es sich herab vom Himmel? Es ließ sich nicht sagen: es war eher wie eine Krankheit der Luft als ein Sinken oder ein Aufsteigen. Manchmal schien es eher eine Krankheit der Augen zu sein als eine Wirklichkeit der Natur.

Was es auch war, eine trübe, aus Vergessen und Dämpfung bestehende Unruhe zog über die ganze Landschaft. Es war, als hätte die Stille der schlechten Sonne anstelle des ihren einen unvollkommenen Körper angenommen. Es schien, als würde gleich irgend etwas geschehen und als würde überall eine das Sichtbare verhüllende Ahnung herrschen.

Es war schwer zu sagen, ob der Himmel Wolken oder eher Nebel aufwies. Es war eine glanzlose, hier und da farbige Erstarrung, eine unabwägbar gelbliche Graufärbung, außer wo sie in ein unechtes Rosa zerbröckelte oder sich bläuend staute, doch war da nicht auszumachen, ob es der Himmel war, der sich zeigte, oder ein anderes, ihn verbergendes Blau.

Nichts war bestimmt, nicht einmal das Unbestimmte. Daher hatte man Lust, den Nebel Rauch zu nennen, weil er kein Nebel zu sein schien, oder zu fragen ob es Nebel oder Rauch sei, weil man nicht erkennen konnte, was von beiden es war. Selbst die Wärme der Luft wirkte an diesem Zweifel mit. Es war keine Wärme, auch keine Kälte oder Frische; ihre Temperatur schien aus anderen als der Wärme entstammenden Elementen zu bestehen. Man hätte tatsächlich meinen können, daß ein für die Augen kalter Nebel für den Tastsinn warm war, als seien Tastsinn und Gesicht zwei Empfindungsarten desselben Sinnes.

Es war auch nicht, rings um die Konturen der Bäume oder die Ecken der Gebäude, jenes Umriß- oder Kantenabschattieren, das der richtige Nebel bewirkt, wenn er sich staut, oder das der richtige Rauch auf natürliche Weise teils heller und teils dunkler hervorbringt. Es war als würfe jedes Ding einen unbestimmbaren Tagschatten, in alle Richtungen, ohne Licht, das ihn als Schatten erklärte, ohne Stelle, die den Schattenwurf als sichtbaren rechtfertigte.

Es war nicht einmal sichtbar: es war wie ein Beginn des Sichtbarwerdens von etwas, aber überall gleich, als ob dieses Etwas-Enthüllen mit dem Erscheinen gezögert hätte.

Und welche Empfindung gab es? Die Unmöglichkeit, eine zu haben, das im Kopf aufgelöste Herz, die verworrenen Empfindungen, eine Erstarrung der erwachten Existenz, ein Verfeinern von etwas Seelischem wie das Gehör für eine endgültige, nutzlose Enthüllung, die immer schon am Erscheinen war, wie die Wahrheit, immer, wie die Wahrheit, die Zwillingsschwester des Nie-Erscheinens.

Sogar der Wunsch zu schlafen, der sich dem Denken aufdrängt, mißfällt, weil dabei schon das Gähnen einer Anstrengung gleichkommt. Schon aufhören zu sehen läßt die Augen schmerzen. Und im farblosen Verzicht der gesamten Seele sind nur die fernen äußeren Geräusche die eingebildete Welt, die noch vorhanden ist.

Ah, eine andere Welt, andere Dinge, eine andere Seele, mit der man sie fühlt, ein anderes Denken, mit dem man von dieser Seele weiß! Alles, einschließlich des Überdrusses, nur nicht dieses allgemeine Verwischen der Seele und der Dinge, diese blaufarbene Hilflosigkeit der Unbestimmung von allem!

385 - 2. 11. 1932


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