Direkt zum Seiteninhalt

Fernando Pessoa: Ich trat beim Frisör ein in der gewohnten Weise

Montags=Text

Fernando Pessoa
übersetzt von Werner Wanitschek



Entrei no barbeiro no modo do costume

Ich trat beim Frisör ein in der gewohnten Weise, mit dem Vergnügen, daß es mir leicht fällt, zwanglos mir bekannte Häuser zu betreten. Meine Empfindlichkeit gegenüber Neuem ist beäng-stigend: ich bin nur dort ruhig, wo ich schon gewesen bin.

Als ich mich auf den Stuhl setzte, fragte ich, weil es mir zufällig in den Sinn kam, den Frisörburschen, während er mir ein kaltes und reines Tuch um den Nacken legte, wie es seinem, älteren und witzigen, Kollegen vom Stuhl zur Rechten ginge, der krank war. Ich fragte ihn, ohne mich genötigt zu fühlen: die Gelegenheit ergab sich durch die Örtlichkeit und die Erinnerung. »Er ist gestern gestorben«, antwortete tonlos die hinter dem Umhang und mir befindliche Stimme, deren Finger aus dem letzten In-den-Nacken-Stecken, zwischen mir und dem Kragen, herauskamen. All meine ganze unvernünftige Gutgelauntheit starb mit einem Mal, wie der ewig abwesende Frisör vom Nebenstuhl. Es wurde kalt in meinen ganzen Denken. Ich sagte nichts.

Sehnsucht! Ich habe sie sogar nach etwas, das mir nichts war, aus einer Angst vor dem Vergehen der Zeit und wegen der Krankheit des Mysteriums des Lebens. Gesichter, die ich gewöhnlich in meinen gewöhnlichen Straßen sah – wenn ich aufhöre, sie zu sehen, werde ich traurig; und sie waren mir nichts, außer daß sie das Symbol des ganzen Lebens sind.

Der uninteressante Alte mit den schmutzigen Gamaschen, der mir oft über den Weg lief morgens um halb zehn? Der hinkende Losverkäufer, der mich vergeblich belästigte? Der rundliche rotgesichtige Alte mit der Zigarre an der Tür des Tabakladens? Der blasse Besitzer des Tabakladens? Was ist aus ihnen allen geworden, die, weil ich sie gesehen und wiedergesehen habe, Teil meines Lebens waren? Morgen werde ich ebenfalls aus der Rua da Prata, der Rua dos Douradores, der Rua dos Fanqueiros verschwinden. Morgen werde auch ich – die fühlende und denkende Seele, das Universum, das ich für mich bin –, ja, morgen werde auch ich der sein, der aufgehört hat, durch diese Straßen zu gehen, den andere dann unbestimmt vergegenwärtigen mit einem »was ist wohl aus ihm geworden?«. Und alles, was ich mache, alles, was ich fühle, alles, was ich erlebe, ist dann nicht mehr als ein Passant weniger im Straßenalltag irgendeiner Stadt.
Zurück zum Seiteninhalt