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Fernando Pessoa: Er sang, mit sehr sanfter Stimme, ein Lied

Montags=Text
Fernando Pessoa
übersetzt von Werner Wanitschek
408, Cantava, em uma voz muito suave


Er sang, mit sehr sanfter Stimme, ein Lied aus fernem Land. Die Musik machte die unbekannten Worte vertraut. Es schien der Fado für die Seele zu sein, hatte jedoch mit ihm keinerlei Ähnlichkeit.

Das Lied sprach mit verhüllten Worten und menschlicher Melodie darüber, was in der Seele von allen ist und was niemand kennt. Er sang in einer Art von Schläfrigkeit, mit einem die Hörer nicht wahrnehmenden Blick, in einer kleinen Straßenekstase.

Das versammelte Volk hörte ihm ohne sichtbaren Spott zu. Das Lied war für jedermann, und die Worte sprachen zuweilen mit uns, orientalisches Geheimnis irgendeiner ausgestorbenen Rasse. Die Geräusche der Stadt waren nicht zu hören, wenn wir ihm zuhörten, und die Fuhrwerke fuhren so nahe vorbei, daß eines leicht meine Jacke streifte. Doch fühlte ich es nur, hörte es nicht. Im Gesang des Unbekannten herrrschte eine Selbstvergessenheit, die dem, das in uns träumt oder nichts erreicht, wohltat. Es war ein Straßenvorfall, und alle bemerkten wir, wie der Polizist langsam um die Ecke bog. Ebenso langsam kam er näher. Er blieb für eine Weile hinter dem Regenschirmverkäufer stehen, wie jemand, der etwas erblickt. In dem Augenblick hielt der Sänger inne. Niemand sagte etwas. Dann griff der Polizist ein.


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