Felix Philipp Ingold: Trilogie des einen Satzes 1 - 3
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Jan Kuhlbrodt
Felix Philipp Ingold: Aus beliebiger Prosa. Ein Hundert Lesespäne. Trilogie des einen Satzes 1. Schönebeck (Moloko Print) 2019. 118 Seiten. 15,00 Euro.
Felix Philipp Ingold: Aus eigenem Anbau. Zwei Hundet Merksätze. Trilogie des einen Satzes 2. Schönebeck (Moloko Print) 2019. 110 Seiten. 15,00.
Felix Philipp Ingold: Aus dem Gedächtnis. Ein Hundert memorierte Verse. Französisch - deutsch. Nach Georges Schéhadé. Trilogie des einen Satzes 3. Schönebeck (Moloko Print) 2019. 114 Seiten. 15,00 Euro.
Alle drei Bände im Schuber 40,00 Euro.



Zur Apologie des Satzes
Doch ich will mich hier nicht versteigen, nichts zu erklären versuchen, was ich von ganzem Herzen nicht verstehe.
Der Vers sucht den Anschluss, um sich als Vers zu
konstituieren, ist also Vers erst unter Versen. Einversige Gedichte finden
ihren Anschluss in sich selbst. Felix Pilipp Ingold hat in verschiedenen
Publikationen mit der Anzhl der Verse operiert, von einversigen Gedichten
beispielsweise, die er aus dem Russischen übersetzte und denen er mit Nee,
die Ideen ein deutsches Pendent verfasste.
Schon grafisch hat es ein Vers leichter als ein Satz,
weil er im Druck die Zeile bestimmt. Der Satz aber wird untergebracht,
eingemauert, von anderen Sätzen eingekesselt, er bekommt den Raum, in den er
passt, zugewiesen. Manchmal eine halbe Zeile, manchmal auch anderthalb Seiten.
Das Druckbild aber ist in jedem Fall seine Zelle.
Ein Sonderfall ist der Aphorismus, so er nur aus einem
Satz besteht. Auch er ist an den Zeilenraum als Zellenraum gebunden, aber er macht
sich rund, ist abgeschlossen, schließt sich quasi in sich selber ein. Den Leser
als Betrachter seines Käfigs lässt er lachen oder erstarren. Er induziert also
eine Reaktion im fremden Körper. Als Satz jedoch bleibt er isoliert.
Vielleicht aber sorgt diese Beschränkung des Satzes im
Kontext auch für die besondere Stärke einzelner Sätze. Wie Häftlinge zuweilen
ihre Haftzeit mit körperlichem Training verbringen und muskelbepackt das
Gefängnis verlassen, gelingt es dem einen oder anderem Satz, eine reckengleiche
Gestalt zu gewinnen. Herkulessätze gewissermaßen, die die Mauern sprengen.
Der Satz, im Prosameer muss sich freischwimmen, und wenn
ihm das gelingt, kann er zum Zentrum eines Kosmos werden, einer Nebenwelt, die
sich um ihn herum aufbaut und die dem ursprünglichen Gefüge, der Heimatwelt des
Satzes, ob Erzählung oder Roman, zwar verwandtschaftlich verbunden ist, aber
sonst ein unabhängiges Dasein beansprucht.
„Sätze erscheinen selten vereinzelt. Sie folgen aufeinander,
und etwas verbindet sie. Meistens ist das Verbindende zwischen dem einen und
dem nächsten das, was in ihnen gesagt wird.“ Heißt es in der Vorbemerkung zum roughbook
030 von Hans-Jost Frey und Franz Joseph Czernin. Hier werden Sätze im Kontext
untersucht, als Phänomene des Randes betrachtet, die sich gelegentlich auf
Abstand halten, aber dennoch mit einem Magnetismus versehen sind. Sätze ziehen
Sätze an. Bei Czernin und Frey sind Sätze Reaktionen.
Ingold dreht die Schraube weiter ins Sprachholz hinein
und legt drei Bücher mit isolierten Sätzen vor, Sätze, die eigenen Werken
entnommen sind, Sätze aus Fremdtexten, die Sätze der Anderen, wenn man so will,
und Sätze aus dem Gedächtnis. Es handelt sich um die Trilogie des Satzes, die
aus den Bänden besteht:
Aus eigenem Anbau – Zwei Hundert Merksätze
Aus beliebiger Prosa – Ein Hundert Lesespäne
Aus dem Gedächtnis – französisch/deutsch nach Georges
Schéhadé
Ingold spielt hier auch die Positionen als Autor,
Herausgeber und Übersetzer durch.
Die Merksätze des ersten Bandes
stammen also, wie dem Titel zu entnehmen ist, allesamt aus Ingolds eigenem
Werk. Der Satz übrigens, der diesem Text oben als Motto dient, findet sich auch
darin.
Und vielleicht ist es ja so, dass
einem ein vereinzelter Satz aus dem eigenen Text zuweilen als Fremdsatz und
somit als Fremdtext begegnet. Er bezieht seine Bedeutung dann nicht mehr aus
dem Textgewebe, das der Autor angefertigt hat, sondern erscheint als fremdes
Individuum. Fremd, wie ihm auch die Sätze der Textgewebe Anderer begegnen, wie
die Texte eben des zweiten Bandes, die ihre losgelöste Existenz den
Anstreichungen des Lesers Ingold im Fremdtext verdanken.
Der Satz Nr 76 lautet:
Immer und überall gilt es: Sobald die Vorgänge auf einer Ebene mechanisiert sind, treten die schöpferischen Kräfte (die Kräfte schlechthin) auf einer höheren Ebene in Erscheinung.
Am Ende der Bücher findet sich
jeweils ein Quellenverzeichnis, so dass man, wenn man denn will, die Sätze in
ihrem Herkunftsgebiet aufsuchen könnte, um sie in ihrer ursprünglichen Gestalt
zu betrachten, einer Gestalt, die sie auf Grund der Reflexion auf und durch die
Nachbarsätze annehmen.
Beim dritten Band mit dem Titel Aus
dem Gedächtnis, der ohne Quellenverzeichnis auskommt, da die memorierten
Einzelverse hier keinen Anspruch auf philologische Korrektheit erheben, wie
Ingold im Vorwort schreibt, handelt es sich um eine Übersetzung, und insofern
um eine doppelte Entfernung vom Ursprung.
Der französisch libanesische Autor Georges Schéhadé hat ein Buch veröffentlicht, dass aus dem Gedächtnis zitierte
Einzelverse aus Fremdwerken verzeichnete. Immer ein Vers auf einer Seite. Davon
wiederum hat Ingold einhundert ins Deutsche gebracht. Darin heißt es auf Seite
39:
Die flüsse sind nichts anderes als wege die laufen.
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