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Felix Philipp Ingold: Kollegenschelte

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Felix Philipp Ingold

Kollegenschelte

Kollegenschelte gilt heute, begrifflich wie faktisch, weithin als obsolet. Dass ein Autor einen andern Autor (oder gar eine Autorin) öffentlich kritisiert, mag akzeptabel sein, wenn es um politische, ideologische, philosophische Positionen geht, keinesfalls aber bei der Erörterung literarischer Texte. Verrisse unter schreibenden Kollegen – sei’s als Buchbesprechung, sei’s als Votum in einer Talkshow oder im Interview – scheinen bei weitem anrüchiger zu sein als wechselseitige, noch so unbedarfte Belobigungen, wie sie allzu oft von der Verlagswerbung kolportiert werden.
           Dass die Kollegenschelte einst ein durchaus produktives Genre der Literaturkritik gewesen ist, hat man unter dem aktuellen Regime der Wokeness offenbar vergessen. Vergessen, dass in der literarischen Moderne der Verriss von Autoren durch Autoren gang und gäbe war und auch durchaus produktiv sein konnte – Schriftstellerfehden gehörten zum Literaturbetrieb, Fehden, bei denen es tatsächlich um das Geschriebene, nicht um das Gemeinte ging. Durch besondere diesbezügliche Militanz zeichneten sich damals Autoren wie Shaw, Brecht, Breton, Bunin, Majakowskij oder Nabokov aus, dieser mit seinen Pauschal-verdikten gegen Thomas Mann, Boris Pasternak oder Jean-Paul Sartre.
           Beispielshalber mag man auch (jenseits der schönen Literatur) an Theodor W. Adornos schonungslose Abrechnungen mit seinem langjährigen Freund und Kollegen Siegfried Kracauer denken, dessen Projekte und Veröffentlichungen er geradezu systematisch mit schul-meisterlicher Kritik quittierte. Doch Kollegenschelte bedeutete damals keineswegs den Bruch bestehender Freundschaften, so wie eben – umgekehrt – eine Dichterfreundschaft literatur-kritischen Einspruch durch dessen Tabuisierung verhinderte.


Das eigentliche Problem der Kollegenschelte ist ein Scheinproblem, das nur dann aufkommen kann, wenn man dem üblichen Irrtum verfällt, ein Werk mit seinem Autor zu identifizieren (beziehungsweise zu verwechseln) und anzunehmen, dass Kritik am Werk gleichbedeutend sei mit der Infragestellung des Autors als Person. Diesem simplen Vorurteil entsprechend bekräftigt die Gebrauchssprache die vermeintliche Identität von Werk und Autor dadurch, dass sie die unzutreffende Aussage zulässt, man lese «Rilke» oder «Müller» oder «Kracht», obwohl man doch nur einfach eines ihrer Bücher liest: Der Name des  Verfassers mutiert somit funktional, doch entgegen aller Logik zum Werktitel, und die Kritik am Werk wird tatsächlich als Kritik an dessen Autor empfunden, also im Grundsatz missverstanden.  

Vielfach mag Kollegenschelte emotional bedingt sein, durch Neid, Eifersucht, Rache, Konkurrenzangst. Das wäre die triviale Erklärung für ein triviales Phänomen: Der Kollege, die Kollegin wird als Gegner begriffen und durch öffentliche Werkkritik indirekt bloßgestellt – was weniger interessant als peinlich ist. Interessant wird die Schelte nur in jenen äußerst seltenen Fällen, da der kritisierte Kollege ein Freund ist und die Kritik an seinem Werk ein Akt solidarischer Zuwendung. Solch aufklärerische und aufbauende Kritik sollte jedem Schriftsteller, jeder Schriftstellerin zumutbar sein; doch schwer erträglich ist sie allemal.
           Ein Meister des kollegialen Verrisses war – beispielshalber – der russische Dichter Ossip Mandelstam, der sich nicht scheute, die Neuerscheinungen bester Freunde erbarmungs-los kritisch zu rezensieren oder sie mit wenigen resoluten Sätzen abzufertigen. Kaum einen seiner Zeitgenossen hat er verschont, nicht einmal engste Bekannte wie Anna Achmatowa und Marina Zwetajewa, auch nicht wortführende Kollegen wie Belyj, Blok, Brjussow, Majakowskij oder Wjatscheslaw Iwanow – sie alle überzog er mit heftiger (man könnte auch sagen: mit reinigender) Kritik, was ihn nicht daran hinderte, sie an anderer Stelle für andere Texte ausdrücklich zu loben.
           Hierzulande gilt öffentliche Kollegenschelte, selbst wenn sie als seriöse Besprechung praktiziert wird, als Verstoß gegen die «woke» Sittlichkeit der Betriebsliteratur und des Literaturbetriebs – anders als die Gefälligkeitsbesprechung, die sich weithin problemlos behaupten kann. Lang ist es her seit Peter Handkes öffentlichen Beschimpfungen prominenter Kollegen, und wenn heute Maxim Biller im Einzelgang hin und wieder einen schreibenden Zeitgenossen polemisch vorführt, tut er es nicht mit sachbezogenen Argumenten, sondern als eingestandenes Bashing mit höhnischem Direktbezug auf die jeweilige Person. – Dass Autor und Werk kategorial zu unterscheiden beziehungsweise zu trennen sind, lernt man im litera-turwissenschaftlichen Proseminar. Die persönliche Kollegenschelte wie auch das gefällige Kollegenlob ignorieren diese elementare Prämisse jeglicher professionellen Kritik.


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