Direkt zum Seiteninhalt

Felix Philipp Ingold: Erfolg, Ruhm, Unsterblichkeit. Abschied von Milan Kundera und Philippe Sollers

Memo/Essay > Memo
Felix Philipp Ingold
Erfolg, Ruhm, Unsterblichkeit
Abschied von Milan Kundera und Philippe Sollers


Nach Unsterblichkeit strebt im aktuellen Literaturbetrieb niemand, auch Ruhm ist nicht sonderlich gefragt – auf den Erfolg kommt’s an, egal, wie kurzfristig er ausfällt, ob für eine Saison, ein Jahr oder zwei.
           Im Unterschied zum Ruhm und zur Unsterblichkeit ist Erfolg messbar: Preise, Stipendien, Nominierungen, Verkaufszahlen geben das Maß, sagen jedoch über künstlerische Qualität nicht eben viel aus.
           Viele, die meisten Erfolgsautoren der europäischen Moderne sind längst wieder vergessen, überdauert haben eher jene, die zu Lebzeiten verkannt waren oder missachtet wurden – Pessoa, Kafka, Schulz, Roussel, die Zwetajewa zum Beispiel.
           In der Literaturgeschichte beziehungsweise im literarischen Kanon zu überdauern, ist allerdings kein Garant für postume Wertschätzung oder gar Popularität: Wer liest noch neu-zeitliche «Klassiker» wie Solshenizyn, Hrabal, Bellow, Hildesheimer, Böll?
           Ebenso wenig kann – umgekehrt – zeitweiliger, selbst eklatanter Erfolg zur Sicherung des Nachruhms oder gar der Unsterblichkeit irgendetwas beitragen. Vollmöller? Weinheber? Wasser-mann? Wohmann?
           Ausnahmeautoren wie Rilke oder Thomas Mann, Borges oder Nabokov bestätigen allerdings – nochmals umgekehrt –, dass auch populäre Großschriftsteller in die «Unsterb-lichkeit» eingehn können; dass also Ruhm den Erfolg durchaus auch bestätigen kann.


Nun sind vor kurzem in Paris, rasch hintereinander, zwei Großschriftsteller gestorben, die beispielhaft erkennen lassen, was es mit literarischem Erfolg und literarischem Ruhm auf sich hat. Beide, Philippe Sollers (1936-2023) wie Milan Kundera (1929-2023), hinterlassen ein umfangrei-ches Lebenswerk, beide waren politisch stark engagiert, Kundera als Stalinist, Sollers als Maoist, und beide sind in der Folge zu schöngeistigen Renegaten geworden, Sollers als schwärmerischer Katholik, Kundera als liberaler Kosmopolit.
           «Milan Kundera ist in der Tschechslowakei geboren; 1975 hat er sich in Frankreich niedergelassen.» So lautet, von ihm selbst verfasst, seine Vita, die auch ein Grabspruch sein könnte. Darüber hinaus hat er sich sowohl vor wie nach der Emigration nur selten und ungern zu seinem Privatleben geäußert. Ab 1985 gab er keine Interviews mehr, verzichtete auf öffentliche Auftritte, hielt sich vom französischen Literaturbetrieb jahrzehntelang fern und wurde dafür denn auch kritisch abgestraft.
           Indes nahm Kunderas internationale Anerkennung (vorab in Italien, Deutschland, den USA) unaufhaltsam zu, mehrfach figurierte er als Kandidat für den Literaturnobelpreis. Mit seinen Romanen und Essays sicherte er sich Spitzenplätze auf Bestseller- wie auf Bestenlisten: Titel wie »Das Buch vom Lachen und Vergessen« (1978), »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins« (1984), »Die Kunst des Romans« (1986), »Verratene Vermächtnisse« (1994) oder »Die Langsamkeit« (1995) bestätigten und bestätigen weiterhin seine weltweite Präsenz. Doch Kundera trat konsequent hinter sein stetig anwachsendes Werk zurück – kein wie auch immer geartetes Image sollte die Texte verunklären. Der Tod des Autors wurde weltweit vermerkt und mit hohem Respekt kommentiert.


«Zeit seines Lebens hat Philippe Sollers die Sprache dafür genutzt, sich einen Platz an der Sonne zu sichern.» Mit dieser ambivalenten Feststellung quittierte ein Kritiker den Tod des ebenso umtriebigen wie erfolgreichen Autors, der den französischen Literaturbetrieb während Jahrzehnten geprägt, wenn nicht beherrscht hat. Als Verfasser von rund einhundert Buch-publikationen (darunter 40 Romanen) sowie Hunderter von Pressebeiträgen aller Art hat Sollers – mit ständig wechselndem, höchst widersprüchlichem Engagement – als Supervisor sämtlicher intellektuellen Trends der 1960er bis 2020er Jahre eine dominante Rolle gespielt, im französischen Verlagswesen ebenso wie in den Medien. Ob Nouveau roman, Strukturalismus, Postmoderne oder auch der neorealistische Dokufiktionalismus – stets war Sollers an führender Stelle mit von der Partie. Die Rolle des Dominators spielte er auf vielen Registern machtbewusst und lustvoll durch, als Literat, als Kritiker und Polemiker, als Redakteur, als Herausgeber, als Verlagslektor und Juror, nicht zuletzt als dandyhafter Lebemann mit Wohnsitzen in Venedig und auf der französischen Insel Ré, wo er nun auch begraben liegt.  
           Philippe Sollers’ Tod ist unter seinen letzten Gefolgsleuten und Sympathisanten in Paris wortreich kommentiert worden – auf seiner fortdauernden Website PileFace.com sind manche Nekrologe nachzulesen, die ihn als quasipäpstliche Autorität verabschieden.
           Demgegenüber blieb sein Ableben außerhalb Frankreichs weitgehend unbemerkt, das deutschsprachige Feuilleton enthielt sich jeder Würdigung, wie übrigens auch die deutsch-sprachige Wikipedia zu Sollers nach wie vor lediglich ein paar wenige Sätze bereithält. Seit einem Vierteljahrhundert ist von ihm nichts mehr ins Deutsche übersetzt worden. Er ist somit ein prominentes Beispiel dafür, dass selbst erfolgreichste Autoren nicht immer mit Ruhm und Nachruhm rechnen können. Mag ja sein, dass sich Philippe Sollers seinen «Platz an der Sonne» als Literat erstritten und erkauft hat, doch nun, da er abgetreten ist, hat bereits auch sein Schatten sich verflüchtigt.


Zurück zum Seiteninhalt