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Federico Federici: Vier Gedichte

Montags=Text

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Federico Federici
Vier Gedichte

Berlin-Nordbahnhof

Alternativen zur Struktur von Raum und Zeit
dehnen sich in urmenschlichen Schienennetzen.

Von Kindheit an weht ein Hauch durch die Hallen
und kühlt die Gehirnzellen. Leise zeigt der Regen dir
die neolithischen Steine der Mauer und die erstarrten Neonröhren.
Ist Regenlaut diskret oder kontinuierlich?

Es blitzt, eh der nächste Zug einfährt,
ein frischer Hall um die Schläfen.

Die möglichen Welten versammeln sich um die Urknall-Stelle.
Wo das Licht traf, bebt das Dunkel lange nach dem Schlag.
Kein Licht ist vom Fleck gekommen.
Der Ursprung liegt immer dort in der Zukunft,
aber Linsen und Prismen sind gleichgültig.
Wir denken durch lebendige Werkzeuge.
Ohne Beweis. Das Licht misstraut dem Auge.
Lass das Ohr ruhen! – Lichtjahre Stille.

Es blitzt, eh der letzte Zug abfährt.

Der lehmige Raum, der dir bleibt, ist handtellergroß –
damit eng zusammen hängen die Fragen.
Ist er statisch oder dynamisch im freien Fall?
Gibt es leeren Raum, wenn du selbst nicht mehr bist?
Oder ist die Hirnhaut immer mit Substanz angefüllt?
Gibt es Zeit ohne Veränderung?

Unter dem Gleisbett bebt die tote Meise wieder
in einer Windpause, wie in Erinnerung an das Fliegen.
Flirren gefrorene Wiesen vor ihren leeren Augen?
Oder setzt die Schwerkraft dort aus?

Im Wartezimmer stehen wir im Stillstand,
ein jeglicher in einer Ecke,
bei der unnahbaren Narbe des Todes,
die sich auftut und den Raum krümmt.

Es blitzt. Der letzte Zug fuhr ab.


Prolog

„Leeres“ kann nicht gleich „Nichts“ sein.
Es ist ein Teil der Unermesslichkeit,
von dem du wirklich wenig weißt.

Raum ist kein unendliches,
ewiges Wesen: kein ego, kein sum,
bisschen Staub auf deiner Glatze.

Dein Denken geht nicht weiter:
»Nahinfrarot beweist, dass die Dinge
in den Ecken sich regen.
– Ganz banal, nicht wahr?«

Aber Optik dagegen zeigt keine Eigenschaft:
eine Ausdehnung ohne Ausgedehntes.

Von dem, was Raum war, blieb Zeit.
Von dem, was Zeit war, blieb Raum.

Mehr als das zu wissen steht dir nicht zu,
deine Nerven liegen blank,
im Zwielicht eines Kinos.



Dies ist die Kurve des Auges,
der blinde Spiegel der Zeit.

Aus der Sicht eines Auges,
wäre ich etwas?
Zwei Apfelhälften?

Zwei starre Augen im Leeren.
Sie überschreiten den Spiegel nie.

Nichts macht so einsam
wie das Wort
Wirklichkeit.


Dann und wann entwurzelt sich alles:
die Zahlen von den eigenen Händen,
die Schritte vom mechanischen Fuß.

Du kannst nicht mehr warten
und ich schweb dir voraus.

Kein Anschein bleibt,
nichts anderes hallt:
selten sind die Sätze
– die Leere der Blumen.

Die Tür ging zu – das Wort
aus dem ich dich schnitzte.
Nun kann ich nichts mehr tun:
ein neuer Tag, kein Licht,
leichter Schmerzensblick.


Federico Federici ist Physiker, Konzeptkünstler und Schriftsteller. Seine Arbeiten sind in diversen Print- und Online-Medien erschienen, darunter: „3:AM Magazine“, „Diagram“, „Jahrbuch der Lyrik“, „Sand”, „Poet Lore“, „The Manhattan Review”, „Art in America“.
 Im Internet: http://federicofederici.net

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