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Farhad Showghi: In verbrachter Zeit

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Dirk Uwe Hansen

"ein Beieinander eigener Worte sein"



Warum auch immer (vielleicht ist einfach Zauberei im Spiel?): Es fällt mir schwer, genau zu sagen, warum die Prosagedichte Farhad Showghis mir so sehr gefallen.

Das ist eine denkbar schlechte Voraussetzung, denn weder das Bekunden persönlichen Geschmacks noch das sich Berufen auf Magie sind in einer Rezension wirklich angebracht. So versuche ich es denn mit einer Beschreibung und beginne, der Einfachheit halber, von außen:

"In verbrachter Zeit" versammelt Prosagedichte, sehr kurze Texte, von denen keiner länger als eine halbe Seite ist, in drei Kapiteln: "Ich muss das meinem Vater erzählen", "Neben Hecken, Häusern und Gras", "In verbrachter Zeit". Die Untertitel der Kapitel verleiten dazu, "verbracht" nicht allein auf das Verbringen von Zeit zu beziehen: "Nach Tschaktschakuh", "Nach Berbling", "Nach Berne". Und beides erweist sich als richtig. Zum einen haben die Texte tatsächlich den nach dem Titel erwartbaren resümierend-biographischen Charakter: Es ist immer wieder ein Ich, das in den Texten von sich berichtet, und das Ich, das hier spricht, tritt im ersten Teil als Sohn ("ich muss das meinem Vater erzählen") auf und ist im letzten selbst als ein Vater zu erkennen ("Mein Sohn kommt mit"). Auf der anderen Seite ist der Sprecher aber selbst einer, der verbracht worden ist und sich an Orten findet, die es zu erkunden gilt. Auch hier zeigen die Kapitel wieder eine Entwicklung: Im ersten Teil ist die vorherrschende Bewegung die von einem Innenraum aus nach außen, im zweiten werden die Felder und Häuser weiträumig umkreist, im dritten dann gibt es eine Bewegung zurück in eine Behausung.

Die Art, in der dieses Erkunden mehr gezeigt als beschrieben wird, macht den großen Reiz der Texte aus: Es ist ein langsames Vorantasten über die eigenen Grenzen hinaus ins Unbekannte, das Showghi uns immer wieder vorführt:

"Einzelheiten schienen beteiligt. Die streichende Luft. Und die Helle ist schon eine Erscheinungsform mit Stallrückseite, ein zweiter oder dritter Tag. Als gäb´s den zügigen Anfang. Warten heißt grünliches Geflacker in gewisser Entfernung. Im Handumdrehn Nackenhaar, Ohrrand, und etwas überrascht, aus hiesigen Gründen, wirken die Bewegungen. ..."


Dabei nimmt der Sprecher sich selbst häufig nur an der Grenze seines Körpers wahr, am Ohrrand, den Fingerkuppen und Fußspitzen, die sich vorsichtig nach vorn schieben.

Ebenso vorsichtig, wie in die ihn umgebende Welt der Äußerlichkeiten, tasten die Texte sich auch in die der Sprache. Showghi bedient sich einer eigenwilligen Sprache; er experimentiert, aber nicht aus Lust am Experimentieren, so scheint es: Das Experiment ist notwendig, weil alltagssprachliche Formulierungen nicht ausreichen:


"Den Fingernagel, seine ganze Umrundung schauen wir an.
Und was da draußen fährt, genau zeigt und aufragt, spielt im weiten Umkreis mit der Größe der Ereignisse. Das kann einen Nachsprung bewirken, die gelassene Distanz, mitunter ein anderes Aussehen. Ein halbes Gesicht links an der Mauer will ein alter Farbauftrag bleiben und die Frage: Wer ist wer? Die Quintessenz lautet: Immer langsamer noch Präsident. Diese Gewährleistung ist Gegenstand des schweifenden Blicks. Das Anschauen kommt jetzt nicht von ungefähr. Vieles kann zugesichert werden über einen Totpunkt hinaus. Wie die Präsenz der Schuhe oder der schwingenden Hand.
"


Showghi beherrscht seine Mittel: Assonanzen, Alliterationen, Rhythmus, all das wird behutsam und sicher eingesetzt. Dadurch erhalten die entstehenden Formulierungen eine suggestive Schönheit, ("Gesungenes war beinahe Birke" etwa) der ich mich bei der Lektüre nicht entziehen kann - und nicht entziehen will. Mehr noch: auch wenn sie sich der Verständlichkeit (im Sinne eines sich Berufens auf im Kopf des Lesers schon fertig vorliegende Bilder und Vorstellungen) widersetzen, wirken die Formulierungen, mit denen sich die Gedichte in die Welt hineintasten, richtig und passend. Die Texte sind also poetisch im alten und eigentlichen Sinne des Wortes - und man möchte sie am liebsten den Vertretern des immer mal wieder erhobenen Verständlichkeitspostulates in die Hand drücken, um ihnen den Blick zu weiten ("Aber gehen wir doch, wo andere Richtungen infrage kommen"). Allen anderen sowieso.



Farhad Showghi: In verbrachter Zeit. Prosagedichte. Berlin (kookbooks) 2014. 96 Seiten. 19,90 Euro.

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