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Fabian Widerna: Mensch, disparat

Montags=Text
Fabian Widerna

Mensch, disparat
(Auszug)


Keine Aussicht. Jako vždycký und möchte er denken, aber erst einmal oder. Hat sich hier eingerichtet, wie immer, zufrieden, einigermaßen. Spokojeny, denkt er, ted’, warum nicht, proč není hotový tady und weiter, auch eine Selbstlüge und Bier, aus der Dose wie gestern, vyrovnany, und Sandwichs, povinny, für die letzten drei Tage, das ist genug, jsem s ní hotov, natürlich, fertig mit den Nerven, aber immer nur ein wenig – oder, Élimé? Zieht die Folie von einer der Plastikpackungen; riecht Thunfisch und nimmt einen Bissen und nimmt einen Schluck aus der Dose etwas zu warmen Biers und lehnt sich zurück und, dobře, und spürt die Balken der Bank im Rücken und nimmt einen Schluck Bier noch, unterschlägt die Beine und lehnt sich zurück und unterschlägt die Beine und der Raum expandiert sofort, rázem, und der Raum und, jak jsem hotový s ní, prostory zvetší rázem und. Der Raum expandiert sofort, er senkt die Lider, das war’s jetzt, přirozeny, lžu na sobe, was soll’s, noch ein Schluck. Kein einziges Mal, ernstgemeint, kein einziges Mal hat er, až dosud, heute gedacht, dass hier alles nicht echt sei, pak se nevyskytuji, nicht gut ist, kdybych jsem se vyskytoval kratce předtím, soweit, und, so gut, das plagt ihn, die Irritation hat er noch nicht verdaut, und noch einen Schluck, jsem hotový. Natürlich nahezu: stößt den Geschmack hartgekochten Eis auf und übergibt sich auf den kopfsteingepflasterten Boden des den Hang hinabführenden Wegs stadtauswärts am Rande des Parks, dem die Abende der drei vergangenen Tage gehörten, plötzlich. Noch ein Schluck, spült nach und den Geschmack bitterer Galle hinunter und lehnt sich zurück und schließt die schweren Lider und die Welt aus und lacht fast, über den Unsinn des Gedankens und wenn schon die Gewebsschichten der Lider nicht alle denkbaren visuellen Parameter der sichtbaren Welt abhalten, vom ganzen Rest ganz zu schweigen. Sie setzt sich zu ihm.
    Er verweigert jede Vorstellung vom Verhältnis seines Aufenthalts zur Position der Bahn der Sonne über seinen Kopf hinweg ihrem Untergang entgegen, sein Körper die Unterdrückung erneuten Würgereflexes, aber diesmal gelingt’s ihm, jetzt hat er’s unter Kontrolle, atmet durch und macht sich, etwa zehn Meter den Hang hinab, auf zur nächsten Bank, erträgt den Gestank nicht, der seinem Atem anhaftet und stürzt zurück, entringt die zurückgebliebenen Sandwichs und drei Dosen Bier, ungeöffnet, ihrem Vergessen, entsorgt das zur Hälfte aufgegessene, die leere Dose, lässt sich nieder, wieder, zehn Meter weiter, in nordöstlicher Richtung Vystavyšte, öffnet eine weitere. Wie oft hat er das durchgespielt, ohne sich zu erbrechen, aber die Notizen sind verloren und er hatte keinerlei, wirklich keine Mühe darauf verwandt, sie sich wiederzubeschaffen, soweit so gut, život je takový, tak verze sebezmocnění und so weiter alles nach draußen bringen oder nach außen verlagern, oder, Élimé, Reflex auf alles, oder zu viel Raum für viel zu wenig Überblick, Schritt für Schritt, der erste Kuss war unbeholfen. Die Füße schmerzen vom zu engen Schuhwerk – einer der Nägel würde abgehen, zum Teil wenigstens.
    Ihre Anwesenheit bleibt nicht außen natürlich nicht außer sich, nicht in Bewegung, nicht, hier, ein dynamischer Prozess, der im Falle von Aufmerksamkeit an und wieder ausginge, wenn sie sich verschiebt, im Hintergrund, im Untergrund, in die Leerläufe jenes Bewusstseins ungenutzter Zeit, irgendwie, žadná nečinná vedomí, nichts weiter, bloßgelegtes Unbehagen, das wie feinster Film viskosen Öls über allen liegt; sie tragen keine Namen und Organe, das System, in dem sie wirken, verzeichnet sie nicht, hovno, pak nemužeme uskutečnovat to, nikdy ne, natürlich nicht, alles ist echt, hier, alle sind da und gut, auch gut, so, jede Rührung ist gut, so, jeder Reflex auf ein Räuspern, einen weiteren angedeuteten Blick, der dem seinen nicht, nach Möglichkeit, begegnen will, der sich so konsequent nicht auf sie richtet, dass er jede Bewegung registriert – auf die Mienenspiele kann er verzichten, nicht gut, fühlt sich wohl genug, das reicht, natürlich hat er versagt, das reicht, natürlich, was spielt die Rolle, die’s einnimmt, dass er nichts zustande bringt, gut, ein Gefühl, dass er feststeckt und gut. Flucht in Richtung Toilette. Als er sich erleichtert, die Hände gewaschen hat, durchatmet, geht’s wieder. Ihre Bewegungen fallen ihnen zu, wieder, selber, in sie zurück und aus ihnen heraus und ganz unübersetzbar, unübersichtlich, bedacht, hovno, nicht gerichtet, jsem s ní . . . nicht, setzt sich wieder und, wider Erwarten, schließt die Runde bekannter (Smalltalk) Gesichter ihn nicht aus, die Runde verjüngt sich, in die eine, in die andere Richtung, dann zu zweit, springt auf, orientiert sich, nimmt jemandes Abschied und den nächsten Gang zur Toilette und gut und wäscht sich die Hände, gut, neue Runde, nächste, bekannte, gute Gesichter und seit langem schon, seit zwei Jahren, fast, anderthalb, fühlt er sich bereits nicht mehr in so geringem Maße prekär, wie jetzt, aufgefangen, nicht gerade, unsicher, egal; steigt ins Gespräch ein, es geht, er redet zu schnell, zu undeutlich und nimmt den eigenen Abschied, vubec žadne špatne počátek, mimoto, springt hinter ihr vorbei ohne ein Wort zu riskieren, oder mehr als einen Seitenblick und geht, schnell, den Hang hinauf.
    Die den Weg in regelmäßigen Abständen neben und zwischen den Parkbänken säumenden Laternen sind schon an, verstreuen dezent mondfarbenes Licht, aber für ein Bier sollte’s noch reichen; so ausgeglichen wie jetzt, verlässt den Park, passiert, wie schon die letzten Tage, die kleinen Lichtungen den Asphalt sprengenden Unkrauts, schöpft, wie immer, ein wenig Hoffnung ab, betritt den Supermarkt. An der Kasse fehln wie immer die Worte, hovno, was soll’s, er blättert die letzten Scheine hin, öffnet das letzte Bier, es wird schon, nekdy ješte budeme mluvít und damit hat sich’s und. Er setzt sein Smalltalk-Gesicht auf und lehnt sich zurück und genießt die Aussicht ins Dickicht des am westlichen Hang des Parks gelegenen Grundstücks und lehnt sich zurück und unterschlägt die Beine, verlässt der Park den Mann, für einen Augenblick, schlägt er zurück und registriert die Nachricht, längst hat er sie gelöscht wie alles andere, sie verspäte sich. Er steigt vom Rad. Oder später, steigt vom Rad, sperrt es ab, geht zum Brunnen, zum Treffpunkt und registriert, fünf Minuten, ist nicht sicher, ob er antwortet, aber vermutlich doch, sie umarmen einander, er übergibt ihre Bestellung, sie trinken Kaffee, sie bezahlt, seinerseits, schön, entspannt. Gehen essen, abends oder noch nachmittags, oder später im Monat oder Jahr, einerlei, solang der Eindruck stimmt, nicht viel, eine halbe vielleicht eine Handvoll, einerlei, Wochen, dann zur Lesung, er, sie kann oder will nicht, die war gut, bloßes Faktum, kein Eindruck dessen, was er erinnert. Später fragt sie danach, gut, später, ein paar, wieder, Wochen, später, Kaffee-, oder war er das, -trinken, sie treffen und unterhalten sich gut, dass sie’s zum Flirt nimmt, sieht er nicht – oder so empfindet; er mag sie, gut, spielt kein tiefgreifenderes Interesse aus, keine Rolle, die über die gelegentlichen Treffen und Chatverläufe hinausginge, gut, lehnt sich zurück, abwarten, leert das letzte Bier und macht sich auf zum Hostel, wo er heute nichts mehr zu trinken, aber die Augen, bald zu-, sich bald in den Schlaf fallen zu lassen gedenkt, hinkt vor lauter Blasen und Nagelbetthämatom, geschätzten dreißig Kilometern Stadt, intensiv, manisch, Vyšehrad, Höhepunkt, oder war das gestern? Lässt sich ein, aber die Sicherheitstür zwischen Rezeption, Foyer und dem Flur, der ihn vom zugewiesenen Schlafsaal trennt, verweigert auf einmal den Zutritt; er klärt nach einem Hauch von Unglauben die Sache an der Rezeption, scheitert wie immer an den Rudimenten der Landessprache, die ihm unterm Eindruck irritierender Situationen zur Verfügung stehen, wenn Zeit und alle mobilisierbare Schlagfertigkeit schon wieder nicht reichen, um über halbwegs korrekte Grammatik hinaus auch noch etwas Sinnhaltiges zu übermitteln und erhält einen Moment später die Schlüsselkarte zurück, mit der Bemerkung, es habe Probleme gegeben, heute; er versucht zu lächeln und betritt den Schlafsaal und duscht und masturbiert, oder war das morgen, schön jedenfalls, ungewohnt, unterm Eindruck heißen, chlorversetzten Wassers, packt seine Sachen und das hosteleigene WLAN will nicht, schon wieder. Élimé.
    Die Traumhalden später, alles ist da, und muss dennoch wiedergefunden werden, wie verpackt, vielleicht, in PVC-Folien und Kontext und späte Einsichten, ins Archiv gestellt und vergraben zwischen Aktenbergen, vergessen, oder. Élimé, hör auf, dich zu ärgern, hör auf dich zu ärgern, schlüpft in den Hüttenschlafsack und verkriecht sich und bis über den Kopf und stülpt den Kopf über die grauen Wände, blauen Vorhänge, den Lärm von der Straße her, Touristengruppen, ihre Anwesenheit bleibt nicht draußen, er schließt und öffnet die Augen und schläft und liegt, Élimé, wach, zwischen den Atemstößen der andern, so, döst vor sich hin und genießt, fast, die Nostalgie seiner Aussichtslosigkeit, die kahlen Wände, unterirdisch, vielleicht, völlige Ruhe, kein Schaben an den Wänden, keine Tür, die greifbarer wäre, als. Élimé, keine sprichwörtlichen Weichen, die gestellt würden, auf Besseres, besser Nichts, ein kahler Raum, eine Leiter. Atmet auf und wälzt sich auf die Seite und kriecht zwischen möglichst entspannten Zügen der anderen und holt Luft. Versucht, sie für bessere Zeiten zu bunkern, atmet aus und lässt die Lider fallen, wieder, gibt dem Schlaf nach, der sich ihm zur Seite stellt, aber keinen Platz findet, in diesen Zwischenräumen, in diesem Raum dazwischen, verkeilt, oder wie immer unbeweglich, verbracht zum Abtransport, keinen Raum findet, zu entweichen, keinen Ansatz, Élimé, er öffnet die Augen und schließt sie wieder und. Zu warm ist’s, er schwitzt, greift nach dem Mobiltelefon, das im Spalt zwischen Matratze und Bettkastenwand vor sich hin lädt, aber nichts Neues, gerade, keine Folge, oder, was, Ursache und Wirkung für und irgend’was, die nicht schon haushoch genug über seine Köpfe ragte, um nicht mittelbar genug darauf einzuwirken, was die Zeit hier, Élimé, tatsächlich umklammert hält, hier, zwischen verkleideten Stahlwänden – man hatte ihn hergebracht und zurückgelassen – seines Gefängnisses; die Ladung steht bei vierzehn Prozent, bis morgen sollte es voll sein, der Rückreise Genüge tun, gut, er platziert das Gerät wieder im Spalt und wälzt sich auf die andere Seite und atmet durch, und rettet sich über die Zeit, die bleibt, bis morgen, bis zum Aufbruch, Metro- und Busfahrten, Letište, und einstündigem Flug, Flughafen und dreiviertelstündiger Fahrt nach Hause, oder war das übermorgen, Vyšehrad, morgen, dreißig Kilometer durch die Stadt, kein Frühstück oder zumindest nicht hier, später, am Metronom des letzten Tags, durch die Stadt und den Festungshügel hinauf und wieder hinunter, schön, oder, Élimé, war das gestern, mit einer Tüte voll Mehlspeisen und einem heißen Becher Kaffeeam Metronom ganz alleine auf der Mauer sitzen und vor allen Passanten und Touristen und Skateboardern, noch lang vor der viel zu lauten Musik übern mit Müll, vor allem Flaschen vom letzten Tag übersäten Platz auf die Stadt hinabsehen, die nicht den Eindruck macht, zu erwachen, trotz dichtem, bereits, Élimé, oder war das morgen, werktags bereits, der Tag der Abreise, Verkehrs über die Brücken der Stadt. Er wälzt sich auf die andere Seite und stülpt die Welt über den Kopf und macht dem Schlaf Platz, Inversion der Nacht, quasi, und ihres Mangels an Grenzen, weiß doch noch nicht, dass der Flug, gestrichen sein würde, fällt und fällt. Der zweite Kuss war abstoßend, ein paar Wochen später, dann rappelt er sich auf.

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