Ezra Pound: Die Cantos
Jan Kuhlbrodt
Ausgangspunkte
Jetzo kam auch der Herold und führte den teuren Sänger,
den von der Muse geliebten, dem Gutes und Böses verliehn war;
denn sie nahm ihm die Augen, doch gab ihm süße Gesänge.
Johann Heinrich Voß nach Homer: Odyssee, 8. Gesang, Vers 62-64
I.
Im letzten Jahr ist im Verlag Arche ein großformatiges Buch erschienen, welches die Cantos von Ezra Pound im Original und der Übersetzung von Eva Hesse enthält. Grauer Schuber, blaues Leinen, rote Schrift, Dünndruck, weil es sonst die Tischplatte erbrechen würde. Ein sehr schönes Buch, wie wir es vom Verlag Arche gewohnt sind.
Bei einigen Texten ist Manfred Pfister an der Übersetzung beteiligt, bzw. die Übersetzung stammt ganz von ihm. Sowohl Original und Übersetzung sind vollständig abgedruckt.
Im Gegensatz zu Pound konnte Eva Hesse, die inzwischen in einem Münchener Altersstift lebt, die Veröffentlichung ihres Lebenswerkes begutachten und feiern, außerdem den Preis der Leipziger Buchmesse für diese Übersetzung, der ihr vollkommen zu Recht zugesprochen wurde. Während für Ezra Pound also die Cantos Fragment blieben, finden wir uns in der glücklichen Lage, dass die Übersetzerin ihren Teil - mit Hilfe zwar - aber zum Abschluss bringen konnte und uns nun ein Werk vorliegt, dass zwar einerseits fragmentarisch ist aber auf der anderen Seite auch vollständig. Diese Dialektik macht einen nicht unerheblichen Reiz der Lektüre aus.
Ich weiß, dass Hesses Übersetzungen umstritten sind (welche Übersetzungen sind das nicht) und ihre Handhabung der Rechtslage Kritik einstecken musste, dennoch verdient ihr Lebenswerk Respekt und Bewunderung. Und um es an dieser Stelle zu sagen: Ich persönlich mag ihre Übersetzung sehr, auch wenn ich wünschte, das Ensemble der Varianten wäre größer.
In einer ersten Rezension zu diesem Buch, welche auf Fixpoetry erschien, habe ich versucht, die Vorzüge vom Eva Hesses Arbeit zumindest anzudeuten, ich behauptete, und zu dieser Behauptung stehe ich, dass sie den Text dem Zeitgeistigen enthebt, und so eine nüchterne Sicht erlaubt, die keinesfalls ernüchternd ist.
Auf jeden Fall ist es so, dass diese Arche-Ausgabe, die ja auch den kompletten englischen Text bietet, einen trefflichen Ausgangspunkt darstellt, sich in dieses Werk zu bewegen und damit hinein in die Dichtungsgeschichte des Vergangenen Jahrhunderts.
Und man muss sich in diesem Werk bewegen, das durch seinen Materialreichtum leicht unübersichtlich wird, weil man sich zu verlieren droht, schlüge man nicht hier und da einige Pflöcke in den Text.
Gerade scheint es mir interessant und spannend, den Text mit Brecht im Gepäck zu lesen. Zwischen beiden Autoren spannt sich gewissermaßen das 20. Jahrhundert auf, und wenn für Ezra Pound die Wirtschaftskritik ein Grund für seinen Antisemitismus war, so war sie ein Anlass für Brechts zumindest zeitweise Nähe zum Stalinismus. Beide dachten aus Fehlinterpretationen des ökonomischen Systems heraus und Brecht formulierte in der Dreigroschenoper den schnell popularisierten Vers: Was ist der Überfall auf eine Bank gegen die Gründung einer Bank. Etwa zur gleichen Zeit formuliert Pound die folgenden Verse:
Zinsen genossen an allen
Geldern, die sie, die Bank aus dem Nichts schafft
Halb-privater Anreiz
sagte Mr. RothSchild, weiß der Deibel welcher Roth-schild.
II.
Es scheint so zu sein, dass Benn Brecht derzeit als Bezugsgröße der Lyrik in der Mitte des vergangen Jahrhunderts verdrängt. Aber vielleicht ist das nur eine Wahrnehmung von einem, der aus einen Brecht-affinen Stall stammt, in welchem die Bewunderung weniger dem Autor und seinem Werk galt, sondern vielmehr einzelnen Versen, in dem ein Hoch Lenin zitiert wurde, oder dem Titel des Gedichtes Lob des Kommunismus aus dem Theaterstück Die Mutter, also einer Personenrede.
Abgesehen von der Frage, ob wir wirklich so etwas wie eine Bezugsgröße brauchen, hielte ich das für fatal, denn damit würde der Opportunismus an die Stelle des politischen Irrtums treten und die ästhetische Kraft, die im politischen Irrtum steckt, würde gewissermaßen outgesourct (um einen in den allgemeinen Sprachgebrauch gesickerten eher neoliberalen Begriff zu gebrauchen). Übrig bliebe das Gewimmel um die Fleischtöpfe und Töpfe mit veganem Brei und darin steckend eine Rückkehr in vorhobbesche Naturzustände. Soweit ein vielleicht etwas pamphlethafter Zwischengesang in diesen kurzem Artikel. Aber da sich diese Besprechung eher als ein Thesenpapier versteht, eine Vorbereitung eines Gedankenexperiments, war ihm dieser Platz angemessen.
Am 20.11.45 notiert Bertolt Brecht in sein Arbeitsjournal:
Ezra Pound wurde in Italien arretiert und wird als Verräter hierher gebracht. Etwas feudale Würde hängt um diese George, Kipling, d'Annunzo, Pound. Immerhin historische Figuren, nicht gerade auf den Märkten zu finden, eher in den Tempeln – am Rande der Märkte.
Ein sardonisches Zitat aus der Zeit der Pisaner Cantos. Aber die beiden, Brecht und Pound, verband mehr als die Zeit. Ich glaube zwar nicht, dass Pound etwas von Brecht kannte, aber Brechts leise Bewunderung für Ezra Pound ist unverkennbar, später wird er dem Amerikaner ein Gedicht widmen
(E.P. Auswahl seines Grabsteins).
Da war eben auch die Zuwendung zu fernöstlichen Denkweisen, die in mehr oder weniger adaptierter Form das Werk beider durchzieht. Pounds wandelt es, indem er es in seiner Materialität belässt, den Cantos an. Auch hier wieder eine merkwürdige Dialektik, denn im Gegensatz dazu wird Brecht, der das Material verwandelt, selbst zu so etwas wie einem fernöstlichen Denker.
Das alles sind Gedanken, die vielleicht den Rahmen einer Rezension sprengen, aber als Rezensent bin ich nicht in der Lage, mich angesichts eines Werkes wie den Cantos auf eine ohnehin unmögliche Inhaltsangabe und eine Wertung zu beschränken. Es fordert mein Reflexionsvermögen heraus und diese Rezension weist nicht zuletzt mir selbst, oder meinem Denken eine Richtung für die nächste Zeit.
Ezra Pound: Die Cantos. Zweisprachig, in der Übersetzung von Eva Hesse, ediert und kommentiert von Heinz Ickstädt und Manfred Pfister. Zürich (Arche Verlag) 2012, 1480 Seiten. 128,00 Euro.