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Eva Boßmann: farben.blind

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Armin Steigenberger


worte, ungefüttert
¹


mit der zungenspitze
drehe ich den vater im grab


Mit diesen Worten beginnt – fast möchte ich sagen: programmatisch –  das zweite Gedicht im neuen, zweiten Gedichtband farben.blind von Eva Boßmann. Ich kenne frühere Gedichte der Autorin und  hatte beim Lesen das Gefühl: sie hat einen Sprung gemacht. Der Band wirkt für mich wie ein zweites Debüt der 52-jährigen.

Die Wendung drehe ich den vater im grab ist zudem titelgebend für das erste Kapitel. Allein dieses kurze Zitat zeigt an, wie intensiv und mutig das Buch heikle Dinge thematisiert, d. h. im dichterischen Sprechen etwas zur Sprache bringt, was man zumindest im Alltagsgespräch eher scheuen oder verschweigen würde. Man könnte sogar sagen, auch wenn es einen bitteren Beigeschmack hat: Hier setzt sich jemand mit den Leichen (de mortuis nihil nisi bene?) in seinem Keller auseinander, ohne den gewohnten großen Bogen um sie zu machen. Das kann man jetzt goutieren oder nicht – fest steht: Da geht eine Autorin hinunter und schaut, was „da unten“ Sache ist. Ich habe das Gefühl, dass die Gedichte schon sehr lange in Arbeit sind. Und ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass sich, auch wenn es zwischendurch an die Substanz geht, eine Auseinandersetzung mit dem Band sehr lohnt.


und häute seine vorschriften
ohne fell oder winterpelz
wird er erfrieren (…)


So setzt obiges Gedicht, das übrigens den Titel gehörnter konvoi trägt, fort; und man merkt, auch durch den Doppelbezug des Objekts, dass man hier augenblicklich in medias res gelandet ist, vielleicht auch im Eingemachten? Im weiteren Verlauf wird buchstäblich auch mit den Erinnerungen aufgeräumt. Gleichzeitig werden die Bilder für Kälte relativiert und dem lyrischen Ich „passiert“ dennoch Mitgefühl, obgleich gehörnt diabolischen Anklang hat und gleichzeitig andeutet, dass hier jemand sexuell hintergangen wurde.


(…) sehe durch ihn
die flusslandschaft und alles was fließt


Das Gedicht endet mit dem Blick nach „außen“: auf den Lebensfluss, vielleicht auch auf den Styx, nonchalant konterkariert mit Heraklits bekanntestem Ausspruch.

Die Gedichte erwähnen heikle Gegenstände und packen so manche Tabus an ihren Hörnern. Sie machen keinen Bogen um schwierige Themen. Im Gedicht bin ich willkommen heißt es: mit wem, wenn / der boden wegschwimmt / wenn du rennst, wenn die / u-bahn dich aus dem leben / nimmt. Es lässt sich nur erahnen, dass viele schmerzhafte und schwierige authentische Erfahrungen hinter den Gedichten stecken. Immer wieder wird der Tod thematisiert, das Gedicht requiem lässt eine Beerdigungsszenerie vor dem inneren Auge entstehen: (…) und wie / durch zufall mit vielen lippen / blütern draußen ebbt es // ab drinnen steigt es stetig / da blüht dir noch was sagt / der letzte und geht durch das / tor  mit dem schatten aus dem // all die schwarzen anzüge fallen (...)

Kürzlich habe ich in einer Rezension das Wort Komfortzone verwendet. Hier geht es mir ganz genauso: Dass ich nämlich das Gefühl habe, hier wird in jedem Gedicht die Komfortzone verlassen. Die Gedichte sind nicht ausgepolstert mit hübschem aber nichtigem Sprachmaterial, beschönigen nichts und sind indes keine humorfreie Zone aus Negativlitaneien. Hier geht es um nackte Tatsachen und dennoch passiert Poesie.

pausen: zwischendurch
in ungeregelte fenster schauen

gegabelte worte aus dem trog
mit dem unergiebigen wolkenbruch

hinter der wand noch mehr stille
zutaten für das {desert} desaster

quer verläuft der weg
im rückspiegel verlorene blicke


Der Band ist dunkelblau. Zu sehen ist eine Küstenlandschaft, das Foto zeigt die Westfjorde Islands in der Morgensonne, eine Fotografie von Hartwig Mauritz, dem Dichter.

unter der haut gebrochene flügel lautet eine weitere Überschrift,  und erst auf den zweiten Blick entwickelt sich das ganze Bild dieser subkutanen Schwingen, die nicht fliegen können.

Seitdem aktuelle Gedichte wieder einen teils sehr starken umgangssprachlichen Sound entwickeln, der obendrein sehr „szenig“ eingesetzt wird, ist mir aufgefallen, dass ich oft wieder Gedichten zuneige, die das nicht tun. Auch wenn für meinen Geschmack in einigen Punkten die Pathetik ein wenig zu hohe Töne anschlägt oder auch etwas zu ausgesprochene Vokabeln wie „blutverschmiert“, „offene wunden“ oder „schreien alle läden“ bei mir die Drastik des Bildes im Umkehreffekt eher abmildern: Eva Boßmanns Gedichte haben im Vergleich einen fast altmodischen Charme und oft auch ernsten Ton, der mir dennoch sympathisch ist; sympathischer als konsequente Pathosvermeidung. Die Gedichte haben ihre Leerstellen, tragen gebrauchsspuren: Bilder von körperlicher Vergänglichkeit künden von Trauer, Abschied, Krankheit und immer wieder auch von Hunger. Andererseits gibt es dann in Boßmanns Gedichten eben doch in vielem eine Leichtigkeit. Mir gefällt der etwas lakonische Ton; mir gefällt auch dieser manchmal leicht schnodderige Tonfall.

an den gelben tagen sagtest du
dann wenn der hunger erscheint
mit den großen augen und sand
in den taschen
dann wenn du auf der mauer stehst
rufst und das wechselgeld zählst
diese tage sind nicht vergeblich
wir wägen sie ab
singen sie herunter
wie partituren für kommendes
gesegnet mit wind und all dem
zeug das noch wachsen will


Und es gibt politische Gedichte wie den Text entstelltes darfur oder das Gedicht am hang, in dem es sich um ein Kalkabbaugebiet im Aachener Süden handelt, dessen Ringofen 1944 von den Amerikanern gesprengt wurde. So schmerzlich die Tonlage oft ist, so sehr gibt es auch immer wieder einen Ausweg. Immerhin zeigen die Texte auch, wie man mit Schmerzlichem umgehen kann, es nicht die Oberhand gewinnen lässt. Es finden sich einige sehr schöne Liebesgedichte darunter, fast versteckt, auch darunter Verse wie deine luftblicke / in baumkronen / lagen wir wortlos / verschlungene haut oder, in einem anderen gedicht du liebst von allen mich / den traumschleier (…) dem weidenflaum auf den wiesen / der sich in die kleidung setzt (…)

Wer exquisite Lyrik sucht, die quasi mit dem Vorleglöffel offeriert wird (als sei Dichtung so eine Art Lieferantin für sanfte Melancholien aller Art, Wehmut und Sehnsucht ...), der kommt hier kaum auf seine Kosten. Fast möchte ich sagen, man muss sich warm anziehen, um auch die schönen, rauen Landschaftsgedichte auszuhalten, die natürlich auch ganz körperlich von den „etwas anderen“ Erlebnissen sprechen.

hilfst mir in den nordmantel

werden keine spaltenböden
mehr in die wälder legen
keine futterstellen
in eine landschaft
ohne vokale eingetaucht
vom himmel in alles weiß
brennt die kälte fußstapfen
in den schnee frieren
die abdrücke den abend fest


Eva Boßmann bin ich mehrmals begegnet, bei Seminaren und Treffen, sie gewann 2013 als erste Frau den angesehenen postpoetry-Wettbewerb für das Gedicht sudan / entstelltes darfur – ein Text, dessen Bilder verstören. Es schildert den Krieg im Sudan und hat, so die Jury, „beunruhigende und verstörende Bilder“ dafür gefunden; das Entsetzen scheint Normalität.

Das Buch farben.blind fand nur durch Zufall seinen Weg zu mir. Viel findet man im Netz nicht über die Autorin, bislang zumindest. Sie ist im Vorstand des Literaturbüros Euregio Maas-Rhein, arbeitet als Krankenschwester, wo sie mit Patienten Umgang hat, die durch Schlaganfall o. ä. ihr Sprachvermögen ganz oder teilweise verloren haben.
Sie ist Jahrgang 1964, schreibt Lyrik und Prosa und hat in deutschen und belgischen Anthologien veröffentlicht.

sudan
entstelltes darfur


in hart gebrochenem land
stehn sie in gummistiefeln herum
knöcheltief erst
dann rinnt der sand
bis über den schaft

wieder einer vollgelaufen
mit blutverschmierten händen
kommen
um dann doch nichts zu geben

der kleinste baumelt am galgen
während der tusch spielt
im basar wird gefeilscht
zwischen hundegebell und kindergeschrei

die sonne wälzt sich den berg hinab
nebel zieht auf
vielleicht wird es morgen noch heißer
für die miliz
in staubigen lederstiefeln


¹  Aus dem Gedicht wir wanderten zu den großen seen


Eva Boßmann: farben.blind. Gedichte. Vechta (Geest-Verlag) 2015. 70 Seiten. 11,00 Euro.

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