Eugene Ostashevsky: Der Pirat, der von Pi den Wert nicht kennt
Jan Kuhlbrodt
Die wir von Pi den Wert nicht kennen
Pi ist eine Konstante. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich in der Schule staunte über diese Kreiszahl, deren Wert sich in einem unendlichen Dezimalbruch darstellte, aber dennoch dazu dienen sollte, einen Kreisumfang zu berechnen. Ein Ergebnis, so hatte ich verstanden, das zwar mit den Stellen hinter dem Komma immer genauer werden würde, aber dennoch nie in eine absolute Deckung zu bringen ist. Mysteriös jedenfalls und irgendwie nicht das, was ich mir unter exakter Wissenschaft, wofür ich die Mathematik hielt, vorstellte. Mathematik kippt hier ins Absurde. Pi ist eine Irrationale Zahl.
Wie viele Piraten braucht man,
um von Pi den Wert zu errechnen?
Sicherlich mehr als einen.
Der Pirat, der von Pi den Wert nicht kennt,
segelt fern der Heimat, und segelt allein.
So beginnt der Text des Buches von Eugene Ostashevsky in der Übersetzung von Uljana Wolf und Monika Rinck. Das Original ist im amerikanischen Englisch gehalten, mit einigen russischen Einschlüssen.
Ostashevsky wurde 1968 in Leningrad geboren und wanderte 1979 mit seiner Familie nach Amerika aus. Dort wuchs er zweisprachig auf. Er übersetzte verschiedene russische Autoren, darunter, und das scheint mir prägend, auch Charms und Wwedenski, die die Vordenker, oder besser Vordichter jener Leningrader Gruppe waren, die unter dem Namen Oberiu bis heute die Literatur rocken, auch wenn ihre Texte in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden und lange aus politischen Gründen verschüttet waren. Mit der Perestroika wurden sie in der Sowjetunion wieder frei gelegt und auch übersetzt. Ich kann mich noch genau an mein Staunen und auch an das Vergnügen erinnern, das mich befiel, als ich Ende der Achtziger Jahre zum ersten Mal Texte von Charms las, und auch an die Versuchung, in einer solchen Art zu produzieren.
Natürlich erreichte ich nicht die Höhe einer Charmsschen Komik.
Ostashevsky treibt die Sujets – über ihre Leningrader Herkunft hinaus – gewissermaßen nach Übersee, oder zumindest auf eine unbeschriebene Fläche des Meeres zwischen den Kontinenten. OBERIU ist gewissermaßen als ablandiger Wind in seinen Texten vorhanden. Und in diesem Wind segeln der Pirat und sein Papagei, verstricken sich in die verschiedensten poetologischen und wissenschaftlichen Überlegungen, die sie auf die Spitze der Absurdität treiben, ohne allerdings ihre Ausgangspunkte zu vergessen, testen dabei die literarischen Formen aus und geraten in aberwitzigste Debatten:
PIRAT
Du hast bereits ein großes Vokabular, insbesondere für einen Nichtmuttersprachler.
PAPAGEI
Warum bin ich ein Nichtmuttersprachler, ich spreche deine Sprache schon so lange, dass ich genau so gut Muttersprachler sein könnte.
PIRAT
Es ist meine Muttersprache, deine Muttersprache ist Papagei.
PAPAGEI
Ich hab Papagei vergessen.
…
Und hier sind wir beim Problem der Übersetzbarkeit. Das Buch bietet (zumindest) zwei Texte. Den Originaltext mit russischen Einsprengseln, die aber auch schon wieder andere Sprachen zitieren, und die Übersetzung dieses Konglomerats ins Deutsche. Naturgemäß sind nicht alle Wortspiele und Konnotationen übertragbar. Paul Ricoeur schreibt in seinem Text Vom Übersetzen:
Wie macht es der Übersetzer? Ich verwende mit Absicht das Verb „machen“. Denn durch ein Machen überwindet der Übersetzer auf der Suche nach einer Theorie das Hindernis – und sogar den grundlegenden theoretischen Einwand – der prinzipiellen Unübersetzbarkeit von einer Sprache zur anderen.
Wolf und Rinck machen das großartig und bedanken sich beim Original mit sprachlichen Möglichkeiten, die nur der Zielsprache eignen:
The author awoke famous. He had the parrot strangled.
Über Nacht wurde der Verfasser berühmt. Er ließ den Papagei erdrosseln.
Es ist mit dem Übersetzen also ein wenig wie mit der Zahl Pi. Sie ist im Grunde nicht greifbar, aber wir können und müssen sie trotzdem benutzen.
Eugene Ostashevsky: Der Pirat, der von Pi den Wert nicht kennt. Gedichte. English / deutsch. Übersetzt von Monika Rinck und Uljana Wolf. Berlin (kookbooks) 2017. 120 Seiten. 19,90 Euro