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Ernst Jünger: Kirchhorst, 29. März 1945

Poetik / Philosophie > Glossen

Ernst Jünger
Aus "Kirchhorster Blätter"


Kirchhorst, 29. März 1945

Fünfzigster Geburtstag. Das ist die Mitte des Lebens, wenn man es nicht mit der Elle, sondern auf der Waage mißt. Doch ist es in diesem Jahrhundert auch ein hohes Alter, wenn man den langen gefährlichen Anstieg bedenkt, besonders dessen, der sich nicht schonte und in den beiden großen Kriegen auf gefährlichen Posten stand - im ersten in den Wirbeln der Materialschlacht und während des zweiten in den dunklen Fährnissen der Dämonenwelt.
    Das neue Lebensjahr begann mit einer einsamen Nachtwache, während deren ich mir eine kleine  Feier stiftete durch folgende Lesung:

1. Der 73. Psalm.
2. Goethe, "Urworte, Orphisch".
3. Droste-Hülshoff, "Gründonnerstag".
4. Johann Christian Günther, "Trost-Aria".

Das Gedicht der Droste umschreibt eine der alten, geheimen Klippen meines Lebens und gibt zugleich eine gewaltige Mahnung zur Bescheidenheit. So paßte es zu diesem doppelten Anlaß des Geburts- und des Gründonnerstages besonders gut.
    Auch die "Trost-Aria" hat wunderbare Stellen wie diese:

Endlich blüht die Aloe,
Endlich trägt der Palmbaum Früchte;
Endlich schwindet Furcht und Welt;
Endlich wird der Schmerz zunichte;
Endlich sieht man Freudenthal,
Endlich, endlich kommt einmal.

[...]
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