Erich Fried: und Vietnam und
Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen
Timo Brandt
Vietnam lernen
"Aus Da Nangwurde fünf Tage hindurchtäglich berichtet:Gelegentlich einzelne SchüsseAm sechsten Tag wurde berichtet:In den Kämpfen der letzten fünf Tagein Da Nangbisher etwa tausend Opfer"
Die
große Schweinerei, das Trauma einer ganzen Nation, vielfältig verarbeitet, doch
nie so richtig überwunden: gäbe es ein Museum der großen Narrative des 20.
Jahrhunderts, Vietnam besäße eine Vitrine und nicht gerade eine kleine.
Aber was
läge in der Vitrine? Fotos von brennenden Mönchen? Napalmfässer, Kanister mit
Agent Orange? Hundemarken, die um den Hals von jungen Männern hingen, die
gerade erst die High School hinter sich hatten und dann das Pech, dass bei der
Fernsehlotterie ihr Geburtsdatum gezogen wurde? Fotos von Protesten, Fotos von
Gräueltaten? Sicher, all dies.
Man
könnte Erich Frieds Gedichtband „und vietnam und“ (zusammen mit den zwei Jahre
später erschienenen „Zeitfragen“) heute als ein solches Museum betrachten –
wohlgemerkt ein ätzendes, zutiefst sarkastisches Museum.
„Fleisch wird zubereitetauf zweierlei ArtEntweder langsam mit Napalmoder schnell mit BenzinLetzteres gilt als barbarischersteres nicht[…]Sicherheitszünderheißt ein Bauer den man vorantreibtan einem Strick über ein Minenfeld[…]Getötet werdenheißt nachherVietcong gewesen sein“

Ich
kenne natürlich die Vorbehalte gegen Erich Fried, gegen seine Gedichte, vor
allem die politischen. Plump seien sie, zu agitativ – und dabei nicht gerade
subtil. Und vor allem: eigentlich seien es keine Gedichte, Lyrik könne man das
nicht nennen, da darin nicht wirklich mit sprachlichen Mitteln gearbeitet wird,
sondern lediglich investigative Fakten in Form von Reimen präsentiert werden,
simpel aufbereitet. Und wenn doch mal ein solcher Aspekt, ein sprachspielerischer
Ansatz vorkommt, erledigt er sich selbst durch seine Kalauerhaftigkeit, wie zum
Beispiel in dem Gedicht „Logik“:
„Wenn esgestattet istdass mandie Kinderbestattetdannist esaucherlaubtdass mandie Bäumeentlaubt“
All
diese Vorbehalte sind nicht wirklich von der Hand zu weisen. Was bei solch
einer Beurteilung aber außer Acht gelassen wird, ist, dass diese Texte,
obgleich sie teilweise ästhetisch wie Fast Food wirken, seltene Dokumente einer
direkten Auseinandersetzung mit den Missständen der Zeit sind (nicht im
Nachhinein, sondern aktuell). Was für uns nach abgeschmackten Appellen klingt, von
Leuten, die sich gebärden, als wären sie eine Autorität, waren Wortmeldungen,
die vielleicht nicht durch überragende Eloquenz bestechen, es sich aber nicht
nehmen ließen, trotzdem den Versuch zu unternehmen, ein breiteres Gewissen und
Bewusstsein zu errichten, wo es bis dato nicht vorhanden war.
„Ich habe gesprochengegen russische Panzer in UngarnSoll ich heute schweigen?
Ich muss
zugeben, dass ich es schon immer seltsam fand, dass gerade die Dichter*innen
und Schriftsteller*innen, die sich politisch engagier(t)en, mit mehr Skepsis,
größerem Spott oder größerer Ignoranz bedacht wurden und werden. Natürlich
sollte man sehr skeptisch sein, wenn es um die Verquickung von Autorität/Staat
und Literatur geht, da kommt selten etwas Gutes bei heraus (man könnte ironisch
auf die Aeneis verweisen). Und es gibt natürlich auch Figuren wie Günter Grass
oder Martin Walser, die das Engagement oder die konkrete Einmischung des
Schriftstellers teilweise diskreditiert haben.
Aber es
ist schon auffällig, dass gerade Autor*innen wie Erich Fried, der wunderbare
Nicolas Born, Friedrich Christian Delius, Albert Camus oder Georg Orwell, oder
neuerdings Juli Zeh und Carolin Emcke (etc. etc.), kritisch gesehen werden (was
ja für sich genommen wichtig und wünschenswert ist), ohne dass ihre Verdienste
und bewusstseinsbildende Arbeit anerkannt werden. Ich verstehe, dass jedes nach
Autorität klingende Gedicht, jeder solch geartete Text, erstmal
Widerstandsgeister weckt – aber muss er von diesen Geistern denn gleich
vereinnahmt und ohne Umschweife grundsätzlich als problematisch abgestempelt
werden?
Konkret
im Fall Fried finde ich beispielsweise, dass die Kalauer und die
kopfschüttelnde Reaktion, welche dadurch provoziert wird, nicht die
schlechteste Metapher für die Beliebigkeit der Berichterstattung und das
fehlende oder flüchtige Interesse der tagesschaugefütterten Bevölkerung ist, um
die den Ereignissen innewohnende Verstörung zu konterkarieren.
„Als ich die Reden hörte von Pflichtwars wie ein Buch, das man liest ohne LichtAls ich im Buch las von Freiheit und Heldenwars als müsste ich gehen und mich melden“
Diese
Idee lässt sich nicht auf alle Gedichte anwenden, auch nicht auf alle in „und Vietnam
und“. Ich gebe zu, dass mir andere Bände von Fried (etwa „Höre Israel“ oder der
grandios-abstrakte Zyklus „Überlegungen“) besser gefallen haben.
„und Vietnam und“ besticht vor allem als Konzeptwerk und
weniger als Gedichtband. Die Kombination aus Klartext, bitterbösem Zynismus und
verfremdeten Originalzitaten, transportiert, zusammen mit der im Buch
abgedruckten Chronik der Geschichte Vietnams, von den Anfängen der
Kolonialisierung bis 1967, die ganze Brutalität und Absurdität des Krieges und
seiner Akteure. Die Chronik zeigt auf, wie die Eskalation in der Region bewusst
von den USA und Südvietnam vorangetrieben wurde und wie grotesk manche
südvietnamesischen Anführer und Generäle sich der Situation gegenüber
verhielten und was für groteske Personen sie waren (man denke nur an den
Luftwaffengeneral und späteren Premierminister Nguyễn Cao Kỳ, der einmal sagte, sein einziges Vorbild sei Hitler
gewesen). Die Gedichte zeigen dann, was für eine mörderische und heuchlerische
Dynamik durch diese Entscheidungen entfesselt wurde.
Enthüllungpoetik,
so könnte man das so entstandene Werk klassifizieren. Auch wenn die Gedichte
keine lyrischen Meisterwerke sind: sie sind eingängig und es ist schon
ersichtlich, warum Fried diese Form für sein Schreiben über Vietnam wählte. Er
muss nicht argumentieren – er kann ohne Umschweife darstellen, Dinge punktuell
an- und umreißen, einfach und direkt benennen, was passiert. Seine Gedichte
haben etwas Unverwüstliches, in ihrer Direktheit, in der Art wie sie ohne
Stocken, fast ohne Zwischentöne, vor Lesenden herunterfallen wie Jalousien, abgespielt
werden wie ein Clip.
Trotz
aller Eingeständnisse: es gibt auch gute Gedichte in dem Band, nicht nur
informative. Eines meiner liebsten heißt „Vom Gleichgewicht der Befriedung“:
„Und als die Hunde erschossen warenda haben sich die Katzen sehr vermehrtda kam eine Maus mit grauen Haarenund hat sich beim Menschen beschwertWarum wir die Hunde abgeschafft haben?hab ich vergessen - zu dummAber da vor dir liegt ein Hund begrabenMach ein Loch und frag ihn warum"
Jeder
weiß wohl in etwa, was in Vietnam passiert ist. Wer sich ein genaueres Bild
machen will, der ist, zum Einstieg, mit diesem Buch nicht schlecht beraten;
besser als mit reißerischen und schlachtenversessenen Fernsehdokus, denke ich.
50 Jahre
nach 1968 hat der Wagenbach Verlag einige Bücher unter dem Motto „Politik ist
lesbar“ wieder aufgelegt – unter anderem Rudi Dutschkes „Geschichte ist
machbar“ und Ulrike Meinhofs „Bambule“. Erich Frieds Band passt, obwohl mit 68
an sich wenig verknüpft, sehr gut zu dem Motto, denn letztlich geht es genau
darum: Politik und ihre Niederungen lesbar und öffentlich zu machen. Das kann
zu allen Zeiten nicht genug betrieben werden.
„Links ist Platz gebliebenauf den man schreiben kannRechts steht … sind unser UnglückWie fing die Zeile an[…]Die Ostermarschierer Die RotenDie Polaken Die GastarbeiterDie Lebenden und die Totennur immer weiter“
Erich Fried: und Vietnam und. Berlin-Wilmersdorf (Wagenbach) ab 9.3.2018 (1966). 96 Seiten. 10,00 Euro.