Eric Voegelin: Unsterblichkeit
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Jan Kuhlbrodt
Eric Voegelin: Unsterblichkeit. Berlin (Matthes & Seitz) 2020. 109 Seiten. 12,00 Euro.
Zu Eric Voegelin: Unsterblichkeit
„Und wie das Bewusstsein des Menschen die Wirklichkeit der Spannung zum Grund seiner Existenz ist, ist Geschichte das Ringen zwischen der Existenz in Wahrheit und den defizitären Existenzweisen.“
In diesem Zitat wird vielleicht deutlich, inwieweit sich Voegelins Betrachtungsweise von einer teleologischen, auf eine Endgültigkeit hin, unterscheidet. Das Defizitäre wird in jeweils neuen Konstellationen neu auftreten, und wo es ein für alle Mal überwunden scheint, wäre es nur in einer Form geronnen, erstarrt, ideologisch geworden. Und dieser ideologischen Erstarrung gilt es zu widerstehen.
„Denn der Philosoph ist ein Mensch, der die Wahrheit sucht. Er ist nicht Gott, der die Wahrheit offenbart.“
Diesem Satz schließt sich im Text im Übrigen eine kurze, aber in ihrer Entschiedenheit sehr prägnante Hegelkritik an, die in folgender Feststellung mündet:
„Dieser Hegelsche Traum, aus Gott Bewusstsein zu machen, damit Bewusstsein Offenbarung sein kann, gehört dem nachchristlichem Zeitalter an.“
Der Text über Unsterblichkeit trägt den Untertitel: Erfahrung und Symbol. Er exemplifiziert am Begriff der Unsterblichkeit ein Programm, das das Projekt „Ordnung und Geschichte“ grundiert, das der Autor über Jahre verfolgte und zu keinem Abschluss bringen konnte. Er ist im Jahr 1965 entstanden im Rahmen einer Vorlesung, die Voegelin in Harvard hielt, und führt eine persönliche theoretische Krise mit der vom Autor konstatierten, allgemein geistigen Krise der westlichen Welt eng.
Die jüdisch-christlichen Symbole und jene der antiken
Kultur, die über Jahrtausende die westliche Geisteswelt bestimmt hatten, hatten
ihre Kraft verloren, und an ihre Stelle sind wirkmächtige Ideologien getreten.
In ihnen wurden die tradierten Vorstellungen und Symbole zwar aufgenommen, aber
in Gehalt und Wirkung so transformiert, dass die Erfahrung, die ihnen zugrunde
lag oder mit ihnen korrespondierte, verschwand oder deformierte und somit als
gründende nicht mehr zu erkennen war.
Voegelin versucht nun in seinem Vortrag, den Prozess der
Transformation zu beschreiben, aber gleichzeitig eben die gründende Erfahrung
zu rekonstruieren.
Um eines vielleicht klarzustellen: Dieser Text ist ein
philosophischer Text und kein theologischer. Wenn Voegelin also von Gehalt
spricht, dann fragt er nicht danach, ob es Unsterblichkeit gibt oder nicht. Im
Gegensatz zu anderen Arbeiten Voegelins, die sich auf einen vorliegenden
Gegenstand wie Geschichte oder Recht beziehen und nach deren Natur fragen, geht
es in dieser Schrift eher darum, in welcher Form Unsterblichkeit in den
Gedanken- und Textgefügen auftaucht, und wie oder inwiefern diese artikulierten
Vorstellungen konstitutiv für ein Gefüge sind.
„Die fraglichen Symbole wollen eine erfahrene Wahrheit übermitteln. So gesehen leiden sie doch an einer merkwürdigen Unzulänglichkeit. Denn diese Symbole sind keine Begriffe, die sich auf Objekte in Raum und Zeit beziehen, sondern Träger einer Wahrheit über eine nichtgegenständliche Realität.“
Der von Voegelin hier am Anfang des Textes eingeführte
Wahrheitsbegriff, verlagert seine Bedeutung in die Texte hinein, wo er sich auf
eine, je spezifische Art entfaltet. Das
ermöglicht dem Autor mit literarischen Werken, sowohl der Antike entnommen, als
auch mit Arbeiten der Moderne, wie „Vier
Quartette“ und „Waste Land“ von Eliot, zu arbeiten, weil er sie in Hinsicht
ihres geistigen Gehalts befragen und analysieren kann. Sie ordnen sich
sozusagen in einen kulturellen Textkorpus ein, dessen Aussagen nicht in ihrer
Unmittelbarkeit zu kritisieren sind, sondern deren Gehalt es zu extrapolieren
gilt. Ausgiebig analysiert Voegelin einen ägyptischen Text eines unbekannten Verfassers. Nach dem er den
Begriff der Präsenz an der Schwelle zwischen Überzeitlichkeit und je konkreter
Gegenwart situiert hat:
„Wir jedenfalls müssen nun in die fließende Präsenz eintauchen, um die Bedeutung von Unsterblichkeit wiederzufinden, die in dem ägyptischen Gespräch aufleuchtete.“
Herausgegeben und eingeleitet wurde das Buch von Peter J.
Opitz, und es wurde von Dora Fischer-Barnicol aus dem Englischen übersetzt.