Elsa Aids: Vorbereiten auf alles
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Franz
Hofner
Elsa
Aids: Vorbereiten auf alles. Roman. Köln (parasitenpresse) 2024. 110 Seiten.
14,00 Euro.
Elsa
Aids ist vorbereitet auf alles
Die
parasitenpresse, frisch ausgezeichnet mit dem Deutschen Verlagspreis, hat nicht
nur Lyrik im Programm, sondern macht auch Prosa: Kurzgeschichtensammlungen -
ein völlig zu Un-recht unterbelichtetes Feld in der deutschen Literaturszene der
Gegenwart - und Kurzromane. Die durchgängig internationale Ausrichtung des
Verlags führt auch hier zu einem spannenden Mix an überwiegend junger Literatur
vielfältiger Herkunftsländer.
Die
Übersetzerin Susa Wolfrum hat einen tschechischen Autor aufgetan, der sich mit
dem Pseudonym Elsa Aids vor der Welt verborgen hält. Eine Geschichte, wie sie
typisch ist für die unabhängige Literatur: der staatlich geförderte Verlag
realisiert mit einer staatlich geförderten Übersetzung (via des
Übersetzerfonds) ein staatlich (seitens des Tschechischen Kultur-ministeriums)
gefördertes Projekt. Nicht dass irgendjemand hier Reichtümer ansammeln würde,
oder auch nur ein ‚übliches‘ Monatseinkommen für seine Arbeit erreichen würde.
Nun ja, um es sich schön zu reden: eins der Dinge, das Deutschland great
macht (noch), ist die Ermöglichung solcher Aktivitäten im Zusammenspiel
privaten Engagements seitens Übersetzer und Verlag mit staatlichen
Fördermitteln, da nun mal die meisten Deutschen das am Nasenring geführte
Gefühlszappeln beim Bestrahltwerden mit Netflix-Serien für ein Maximum
erreichbaren Wohlgefühls halten.
Der
36-jährige Ich-Erzähler des Romans ist ebenfalls intellektuellen Genüssen eher
abgeneigt, sein Leben scheint nach einer angedeuteten wilden Phase, als er
geschminkt und im Pelzmantel um die Häuser zog, nunmehr ganz auf die
elementaren Bedürfnisse konzentriert zu sein: günstiges Essen zu finden, günstig
zu wohnen, etwas Liebe zu geben und zu nehmen und ansonsten Sex, hier scheint
ein Anflug von Bohème zu seiner Psyche Zugang gefunden zu haben, denn er gönnt
sich sogar das kostenpflichtige Abo eines Pornokanals. Ein Leben am Rand der
Gesellschaft, wobei für die am Rand lebenden der Rand natürlich die Mitte ist
und jene ihn so nennenden bürgerlichen Schichten für sie der Rand, zu dem es
wenig Berührungspunkte gäbe. Gäbe, hätte die neue Freundin nicht irgendwas mit
Kunst am Hut, gar studiert und gäbe es nicht einen dünnen, filigranen Faden von
der Kunst zu jener Randschicht, die dem Protagonisten so nahesteht.

Der
Text hält eng die Regeln des Authentisch-Autobiographischen ein, das Leiden an
sich selbst und der jeweiligen Partnerin, Leiden an fruchtlosen, aber furios
betriebenen Reflexionen, Sehnsucht nach Einsamkeit, eine gewisse
Grundunzufriedenheit – und klappt gelegentlich vom Genre des Autobiographischen
ins Autobiologische hinüber, der schlechten Ernährung, den schlecht gewählten
Drogen, dem schlecht gewählten Zeitpunkt für Sex geschuldet.
Nicht selten deuten sich Inkonsistenzen an, das versucht der Autor auch nicht
ernsthaft zu verstecken. Es ist und bleibt trotz allem Literatur, scripted reality,
jemand, der schreibt, hat ein Ventil und die Folie reflektierender Distanz: und
so scheinen durch all seine mit wenig Erschütterung und strohtrockenem Humor
ertragenen Aussichts- und Hoffnungs- und Hirnlosigkeiten immer wieder
Aktivitäten durch, die den Schattenriss seiner Existenz als versuchenden und
nicht immer scheiternden Schriftsteller zeigen – oder eines Rentners, denn die
Nähe seiner Variante von schreibender Arbeit zur Lebensform des Pensionärs wird
lustvoll thematisiert. Mit Pornos verkürzte Vormittage zu Hause, ein Behorchen
der Nachbarschaft, ausgiebiges Strolchen durch Supermärkte. Die emotionalen
Höhepunkte seines Lebens bilden, allen Bemühungen der virtuellen Pornodamen zum
Trotz, die Besuche seiner beiden Kinder aus erster Ehe. Knapp gefolgt vom
Besuch seines Autos, denn von Anfang an wird der Erzähler als hochgradig
stolzer Automobilbesitzer geoutet.
Und
der Text ist durchschossen von Gedichten, wobei nicht genre-konform mit
lyrischer Schminke zu rechnen ist, oft sind sie ironisch, nonchalant und
nebenbei eingestreut, ungefähr so, als ob ein Fußballspieler mit Hilfe des
kleinen Fingers die volle Nase auf den Rasen rotzt. Eins der noch am kunstvollsten
gemachten klingt so:
Sollen mich doch alle am Arsch lecken,dachte ich mir mitten in der Nacht,als mir übel war.Ein kleines Schwächeln führte rasch in die Einsamkeit,so wie immer.Dieser Weg ist mir sehr vertraut.Ich denke an die Zeit,als ich durch die Stadt zog und Brennholz sammelte.Sollen mich doch alle am Arsch lecken,dachte ich mir, als ich Hilfe brauchte,und es nicht hinbekam, jemanden zu fragen.Und trotzdem, wenn ich zurückblicke,sehe ich nur eine Reihe milder Winter.Sollen mich doch alle am Arsch lecken,dachte ich mir, kurz nachdem ich zur Welt gekommen war.Oder habe ich damals an gar nichts gedacht?
Ein
drastisches Buch, vom dessen oberem Horizont vor allem eine Art Kriegs- bis
Krisenszenario ins Umfeld einstreut, weniger sorgenweckende als leicht
irritiert bestaunte Meldungen von politischen Wirren, möglichen Umstürzen und
tatsächlichen Militärmanövern, all das dient wie eine – für mich etwas wacklige
– Brücke, um den Protagonisten mit rätselhafter Neugierde am Laptop die Prepperszene
beobachten zu lassen, in diesem Fall eine Laienspielschar von tschechischen
Forenmitgliedern, die neben Fortpflanzungsfragen nach WK III den Nutzen von
Großvorräten an Thunfisch diskutieren. Eine schwebende Melancho-lie durchzieht
den Text, eine etwas verfrühte Midlife-Crisis vielleicht, die im Untergrund von
Youtube-Videos über die besten Fails und Wiederholungen von Infosendungen über
Hitlers Helfer auf eine geheimnisvollerweise genau dort verborgene Einsicht über
die Erlösung aus der Sinnlosigkeit des Lebens sucht.
Es
ist kein glatter Text. Er gibt nicht vor, Rätsel zu lösen oder versteckte
Weisheiten zu enthalten. Eng muss und sollte sich ein wilder Roman nicht an Regeln
halten, das Leben ist nicht konsistent, und vorsichtshalber leitet das Motto ein
in ‚Ich habe gelernt, mich zwischen verschiedenen Niveaus zu bewegen.‘ Eine
erfrischend unorthodoxe und oft recht humorige Lektüre über das Leben im
Leerlauf ist es allemal, lassen wir die Prepper mit ihren Thunfischdosen also
durchgehen, gemäß der Lebenshaltung des Protagonisten: Vorbereitet sein auf
Alles!