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Elke Engelhardt: Drei von 100 sehr kurzen Gesprächen

Montags=Text
Elke Engelhardt

Drei von 100 sehr kurzen Gesprächen


Meine Mutter sagte: „Deine Familie wird sich nie von den Lügen erholen die verpflichten“
Athena Farrokhzad

Wir sind in Lügen verstrickt. Die Fäden unseres Zusammenhalts so eng gespannt, dass sie reißen, sobald eine:r von uns sich auf unvorhergesehene Art und Weise bewegt. So recht-fertigen wir die Lügen und Geheimnisse, die immer weiter vererbt werden. Darum laufen wir zunehmend lustloser in unveränderlichen Spiralen. Gefangen in einem scheinbar aus-weglosen Kreislauf. Dabei haben wir nur vergessen, dass es weiche Bewegungen gibt, Sprünge und Schritte voller Liebe, die alles auflösen können, was uns einschnürt, um uns endlich wirklich zu verbinden. Aber zur Liebe brauchen wir Mut, einfach weiterzumachen, scheint leichter und das ineinander verstrickt sein gaukelt uns selige Sicherheit vor.



Es ist Morgen und die Frauen sind furchtlos
Monica Fambrough

Jeden Morgen erwachen die Frauen etwas früher als die Angst. Früh genug, um die Kinder mit Hoffnung zu stillen. Um die Spinnweben der Angst zu entfernen und die Fenster aufzureißen. Durch das geöffnete Fenster steigt der Tag. Er trägt silberne Ohrringe, in denen trifft die Liebe den Hass usw. Wir kennen das, die alte Geschichte von oben und unten, gut und schlecht. Der Tag setzt sich, und die Frauen bieten ihm Kaffee an. Dann trinken sie schweigend. Selbst wenn die Furcht sich einschleichen sollte im Laufe eines langen Tages, die Frauen wissen: Am Morgen werden sie wieder furchtlos sein.



Die meisten Frauen um mich herum waren Arbeiterinnen
Mely Kiyak

Die Hände meiner Großmutter waren groß. Ich kenne sie nur von einer alten Fotografie, auf der sie mit meiner Mutter abgebildet ist. Meine Mutter ist jung, meine Großmutter schon krank. Sie starb, lange bevor ich geboren wurde. Ich stelle mir vor, dass mit diesen Händen keine Handlung halbherzig gewesen sein kann. Dennoch bleibt von ihr wenig mehr als die Erinnerung an Hände auf einer Fotografie, die langsam verblasst. Keine Stimme, kein Gesicht, keine Bewegung. Nur das Bild dieser Hände. Gezeichnet von einem Leben voller Arbeit. Als wären die Hände über sie hinausgewachsen. Und hätten sie schließlich zurückgelassen in diesem Bild.


Aus Elke Engelhardt: 100 sehr kurze Gespräche. Nettetal (Elif Verlag) 2023.
120 Seiten. 20,00 Euro.
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