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Elizaveta Kuryanovich: Danke! Spasibo!

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Stefan Hölscher

Elizaveta Kuryanovich: Danke! Spasibo! – lyrisch.e poeziy.a. Frankfurt a.M. (Größenwahn Verlag) 2019. 110 Seiten. 16,90 Euro.

Durchsichtige Gedichte


Das Erste, was einem an dem im Grössenwahn Verlag erschienenen Lyrikband von Elizaveta Kuryanovich auffallen kann, noch bevor man ihn in den Händen hält, ist der ungewöhnliche Titel: Danke, was noch einmal mit dem russischen Wort dafür gedoppelt wird: Spasibo. Hat man den Band dann vor sich, so sieht er tatsächlich auch optisch aus wie ein Dankesgeschenk: Mit dick aufgedruckter roter Schleife und einem Kärtchen, auf dem Danke. Spasibo steht. Es ist der erste eigenständige deutsche Lyrikband der in Russland geborenen Autorin, die Gedichte auf Deutsch, Russisch und Englisch veröffentlicht, wie die biographischen Angaben am Endes des Buches verraten.

Die Autorin, die offenbar schon eine Weile (ganz genau erfährt das der Lesende nicht) in Deutschland lebt, ist eine Sprach-Migrantin oder, wie es der in Serbien lehrende Germanistik Professor Jan Krasni in seinem Vorwort zu dem Band sagt, Russian Poetic Expat im deutschen Finanzmekka a/M. Unterteilt ist der Lyrikband in fünf Abschnitte, deren Titel dann schon deutlicher werden lassen, wofür sich Elizaveta Kuryanovich bedanken möchte: Danke! Für den Plural auf den Lippen, Danke! Für das Frankfurter Leben, Danke! Für den Punkt vorm Herzen, Danke! Für die Konsonanten auf der Seele, Danke! Für den Ausflug in das Lyrikland. Es sind zentrale Referenzfelder, die Kuryanovich Anstoß und Material für ihre lyrischen Bewegungen liefern.

Kuryanovich schreibt über die Suche nach der Sprache zwischen den Sprachen, die Suche nach dem Ort zwischen den verschiedenen Lebensräumen, die Suche nach Verbin-dung, Geborgenheit und Liebe, was hier zumeist Liebe zwischen Frauen meint und immer wieder auch über die Suche nach dem Lyrischen:

Wenn man
mitten auf einer Brücke
ein Buch aufschlägt

schwebt der Text
zwischen Wasser und Himmel
in der Luft

Nun denke die Brücke weg

Das ist ein Gedicht

Das Lyrische als etwas Schwebendes zwischen den Elementen, als etwas, das sich dem Zugriff entzieht und gerade dadurch seine besondere Gestalt und Energie findet, ist ein immer wiederkehrendes Element in den Gedichten von Kuryanovich. Es handelt sich dabei um etwas, was jede Eindeutigkeit versagt, was durchsichtig ist, aber gerade dadurch den Blick auf das Wesen der Dinge oder ihre Substanzlosigkeit eröffnet:

Ein durchsichtiges Gedicht
möchte ich schreiben
und in einer durchhörigen Stimme
vortragen

Nun, es ist andersrum
alles um mein Gedicht
ist durchsichtig    

Da, wo Kuryanovich dieses Schweben und diese Durchsichtigkeit hält, finde ich ihre Texte, die in einfacher, manchmal fast kindlich wirkender, metaphorischer Sprache geschrieben sind, stark:

Weiß.e

Du bist der Himmlische
ich bin die Wolkige

wenn der Himmel mich umarmt
wenn er mich blauäugig anschaut
weiß ich bin ich weiß
eine gewölbtäugige Wolke

Randnarben in Wasserfarben
schmelzen, schmelzen in dich hinein
mit jedem kurzen Atemzug
mit jeder raschen Atemrakete
               
Wolken-Himmel-Cocktail
wind-gemischt
für Liebesdürstende
     

Schon der Gedichttitel mit dem abgetrennten e eröffnet hier – wie auch in der ganzen Reihe des Abschnitts Danke! Spasibo! Für den Punkt vorm Herzen, in der sich dieses Prinzip durchzieht –, einen Assoziationsraum, in dem Verben, Adjektive und Nomen, Männliches und Weibliches untrennbar ineinanderfließen: Ich weiß, bin weiß, die/der Weiße, das Weiß… Die Referenzpunkte bleiben im Schweben und der Text findet gleichzeitig eine poetische Klarheit und Ruhe.

In anderen Texten stellt Kuryanovich demgegenüber eine Eindeutigkeit her, die sie selbst als Unrecht bezeichnet:

Gerne würde ich einmal Eindeutigkeit erfahren,
ohne im Nachhinein feststellen zu müssen,
dass ich im Unrecht war.      

Hier gleitet die poetische Einfachheit ins trivial Stereotype ab und statt der die Poesie der Autorin eigentlich antreibenden existenziellen Suche scheinen Wahrheit und feste Beurteilbarkeit gefunden worden zu sein:

Mr. Banker

Seine Hand kennt die strahlenden
Oberflächen der Vitra-Arbeitstische
er ist ein Arbeiter des Lichts
im sonnendurchfluteten Turm
Etage A28
Wolke 1A

In einer Bulthaupt-Küche
zieht er sich einen Espresso-Macchiato
aus der WMF-Maschine
Oh, Maquiavelli! Das wusstest du!              

Er blickt mit Vertrauen ins Auge
des schwarzen Diamanten
seiner Rolex
       

Hier wird es mir viel zu explizit, zu plakativ und auch zu eindimensional. Das hat Kuryanovich eigentlich nicht nötig. Sie vermag ja das Suchen, das Uneindeutige, das in der Schwebe Bleibende ganz unprätentiös und lyrisch dicht zugleich zu benennen. Vielleicht braucht die Autorin einfach mitunter noch etwas mehr Mut, ihre besondere Situation zwischen den verschiedenen Sprachen, den Räumen, den Lebens- und Liebeswelten mit den Mitteln ihrer eigenen und eigenwilligen Wahrnehmungs- und Verstehensprozesse zu beschreiben. Danke! Spasibo! Für die besonderen Suchbewegungen, an denen uns nicht wenige der Gedichte in diesem Band teilhaben lassen.  
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