Elizabeth Bishop: Gedichte
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Florian Bissig
Aufruhr im
Herzen
Steffen Popp macht
Elizabeth Bishops Lyrik in ganzer Breite zugänglich
«The tumult in the heart / keeps asking
questions.» Doch Elizabeth Bishop hat den Tumult in ihrem Herzen nicht
ungefiltert in Lyrik gegossen. Und wenn sie es doch tat, dann nicht zu
Publikationszwecken. Dass sich der Ruhm der US-amerikanischen Dichterin als
Nachruhm nach ihrem Tod 1979, noch vergrösserte, mag damit zusammenhängen.
Zerrissene Kindheit, lesbische Liebe: Bishop hätte Anlass gehabt, in den 50er
Jahren in der Strömung der Bekenntnisdichtung mitzuschwimmen oder in den 60er
Jahren in den feministischen Diskursen mitzumischen. Doch sie vermied es, sich
einspannen oder schubladisieren zu lassen. Ihr bedächtiger Publikations-rhythmus
– ein Bändchen pro Jahrzehnt – und ihre hohen Ansprüche an ihr Werk trugen zur
Ausbildung einer eigenständigen, von den Aktualitäten der Jahrzehnte
unbefleckten lyrischen Stimme bei.
Eigenwillig und alterslos sind auch die Gedichte von Emily Dickinson, die drei Generationen früher ebenfalls in Massachusetts lebte, und an die Bishops Werk zuweilen erinnert. Bishops «The Weed» etwa, beschreibt einen Traum, in dem das lyrische Ich tot ist – was es jedoch nicht vom Nachdenken abhält. «Ich träumte, dass ich tot und meditierend / auf einem Grab lag oder einem Bett / (zumindest eine klamme, enge Kammer).» Ein erschreckendes Bild, das jedoch in traumhaft emotionsloser Nüchternheit skizziert wird. Nicht selten geschieht bei Bishop das Happige im Traum, im Schutz von «des Traumes Panzerwagen», wie es in einem anderen Gedicht heisst. Und die Dichterin mag es, ihre Sprecherin sich selbst in ihrem Monolog unterbrechen und korrigieren zu lassen. Der Ton ihrer Gedichte erhält dadurch den Charakter des Gesprächshaften und Beiläufigen, freilich ohne dabei beliebig zu wirken.
Ein Unkraut durchstösst nun das Herz der
meditierenden Toten und bricht es auf. Heraus fliess, gottlob, nur Wasser, in welchem
jedes Tröpfchen ein Bild in sich führt. «(Als ob ein Fluss alle Szenen, / die
seine Wasser je gespiegelt haben, / nicht nur flüchtig, oberflächlich tragen, /
sondern tief in sich schliessen müsste.)» Mit zerrissenem Herzen beobachtet und
beschreibt die Sprecherin das Unkraut als zartes Pflänzchen, wie es beinah
weggespült wird und sich tapfer zur Wehr setzt, und fragt es schliesslich nur
«Was tust du?»
Nicht nur in solch surrealistischen,
sondern auch in alltäglichen Szenen ist es die schonungslose Beobachtungsgabe
und präzise Beschreibung, die viele von Bishops Gedichten prägt. Besonders
eindrücklich zeigt dies das Gedicht «The Fish», in dem die Sprecherin akribisch
und wortmächtig den Fisch an ihrem Haken beschreibt und ihm in die Augen
schaut, «die viel grösser waren als meine, / aber flacher, und gelblich, / die
Iris mit angelaufener Metallfolie / unterlegt und gefüllt, / gesehen durch die
Linsen / aus altem, zerkratztem Ofenglas».
Die Tätigkeit des Beobachtens und des
Auskundschaftens wird Bishop indessen auch selbst zum Problem, das sie etwa in
«Questions of Travel» thematisiert, das die Ferienreiserei hinterfragt. «Denk
an die lange Reise heim. / Hätten wir dort bleiben sollen, an hier denken?» Soll
man tatsächliche Reisen machen, oder soll man sich stattdessen auf Ausflüge der
Fantasie beschränken? Bishop hat glücklicherweise beides gepflegt. Ihre
sparsame, dichte Lyrik lässt stets in lebendiger Weise an der einen oder
anderen Art von Expedition teilnehmen. Oft wird dabei gar nicht klar (und es
ist auch nicht nötig, dass dies klar würde), ob es sich dabei um eine
tatsächliche, eine erdachte oder erträumte Erfahrung zu handeln beansprucht.
Der deutsche Schriftsteller und Dichter
Steffen Popp legt nun die bisher umfangreichste Auswahl aus Bishops Werk in
deutscher Sprache vor. Ausgezeichnet meistert er seine Aufgabe in den
ungereimten kurzzeiligen Stücken. Für den kräftigen Rhythmus des erwähnten Gedichts
«The Fish» etwa, findet er ähnlich gutsitzende Verse. «Ich schaute und schaute,
/ und Triumph füllte / das kleine, gemietete Boot / von der Lache in der Bilge,
/ wo Öl einen Regenbogen / um den rostigen Motor legte, / über die rostorange
Pütz, / die sonnenrissigen Bänke, / die Ruderdollen in ihren Schlaufen, / die
Dollborde – bis alles / Regenbogen war, Regenbogen, Regenbogen! / Und ich liess
den Fisch los.»
Popps Übersetzung ist lexikalisch eng am
Original. In Stücken wie «The Imaginary Iceberg», in denen Bishop sporadische,
aber effektvoll gesetzte Endreime verwendet, opfert er diesen Effekt. «O
solemn, floating field, / are you aware an iceberg takes repose / with you, and
when it wakes may pasture on your snows?»: «O feierlich, schwebendes Feld /
ahnst du, dass auf dir ein Eisberg schläft, / der, wenn erwacht, weiden wird
auf deinem Schnee?» Mag sein, dass dafür Popps Daktylen feierlicher schweben
als die orginalen Verse. Den geschmeidigen Rhythmus von Bishops durchgehenden
Iamben fängt er damit nicht ein.
An anderen Stellen opfert Popp dem Reim allerdings
die treffende Wiedergabe eines klaren Bilds: «As we lie down to sleep the world
turns half away / through ninety dark degrees; / the bureau lies on the wall».
Wer auf dem Ohr liegt, sieht seine Welt um 90 Grad gedreht. Die Kommode steht
nicht am Boden, sondern liegt auf der Wand. In Popps Worten: «Die Welt dreht
sich halb um, wenn wir uns schlafen legen, / um neunzig dunkle Grade, / die
Kommode steht zur Linken». Weshalb denn «zur Linken»? Allein wohl wegen des
Reims: «Gedanken, die am Tage still gewesen, / steigen, wo andere sinken». Doppelt
unglücklich ist daran, dass der zweisilbige Reim heraussticht neben im Original
perfekten Reimpaaren, die Popp nur mit schwachen Assonanzen wiedergibt
(legen/gewesen, Grade/Wald).
Auf der lexikalischen Ebene wird der Leser dieser
zweisprachigen Ausgabe das eine oder andere Fragezeichen notieren. Etwa wenn
«spangled sea» überraschend zu «sternübersäte See» ergänzt wird, woraus eine allzu
deutliche Anspielung auf die Nationalflagge entsteht, oder wenn die «off-beat
claves» im Deutschen «aus dem Takt» geraten. Und dass der «Aufruhr» im selben
kleinen Gedichtzyklus einmal für «tumult» und einmal für «clamour» steht, verletzt
ein elementares übersetzerisches Prinzip.
Nichtsdestoweniger ist es verdienstvoll von
Popp, eine große und lesenswerte Auswahl aus Bishops gesamtem lyrischem Werk dem
deutschsprachigen Lesepublikum zugänglich zu machen. Auch in Manuskriptform nachgelassene
Gedichte werden darin nun erstmals in Deutsch publiziert. «A Drunkard» etwa,
ist ein Bekenntnisgedicht, das Bishop gewiss nie abgedruckt sehen wollte. «Ein
Trinker» – oder doch vielmehr eine «Trinkerin», oder «Säuferin» – war sie
selber. In dem Gedicht führt sie das auf ein traumatisches Erlebnis in der
frühen Kindheit zurück. Die Sprecherin erzählt, wie sie als Dreijährige die
Stadt Salem brennen sah. Sie war schrecklich durstig und rief vergeblich nach
ihrer Mutter. «Seit jener Nacht aber … / habe ich ungewöhnlichen Durst». Das
Gedicht verhandelt hartnäckige Fragen, die hier für einmal ungefiltert auf den
«tumult in the heart» verweisen, auf den Bishop in ihrem selbst
veröffentlichten Schaffen nicht aufbauen mochte.
Elizabeth Bishop:
Gedichte. Englisch / deutsch. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort
von Steffen Popp. München (Carl Hanser Verlag) 2018. 352 Seiten. 32,00 Euro.