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Elizabeta Kostadinovska: Zweizählig zu Besuch bei dem endlosen Abgrund ::

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Stefan Heuer

Elizabeta Kostadinovska: Zweizählig zu Besuch bei dem endlosen Abgrund. Deutsch, Maze-donisch, Englisch. Skopje, Berlin (SlovoKult Literatur/a – Art Equilibrium) 2020. ISBN 978-608-65706-4-4. 108 Seiten. 15,00 Euro.

Ladylike und kotzend; Mikrofeuerwerk –
ausgewählte Gedichte von Elizabeta Kostadinovska


Wer wie ich gelegentlich durch das spätabendliche Fernsehprogramm zappt, bleibt bei seltsamen Dingen hängen; beim Teleshopping für dimmbare Kunstkerzen, bei Wiederholungen einer schrecklich netten Familie (wähle 555 – Doktor Schuh) oder Zweitverwertungen diverser Talkshows. Bei eben einer solchen lauschte ich kürzlich einem selbsternannten Experten, der die nicht gerade gewagte These aufstellte, im Internet wimmele es von uninteressanten Seiten. Nahezu 80% seien Schrott.

Nun ja, meiner Wahrnehmung nach dürfte dieser Prozentsatz zwar deutlich höher liegen, aber ab und zu, das lässt sich nicht leugnen, gibt es auch Schönes und Wertvolles zu entdecken. In jüngerer Vergangenheit fand ich endlich mal wieder die Zeit, über die unterschiedlichsten Literaturseiten zu streifen, und worüber ich dabei des Öfteren gestolpert bin, war der Name SlovoKult. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich nicht nur der Verlag SlovoKult::Literatur/a, sondern ein in Berlin beheimatetes, bereits 2007 gegründetes Literaturportal (mit neuer Webpräsenz seit 2016) für mazedonische Literatur in deutscher Sprachе. Es geht um internationale zwei- und mehrsprachige Lyrik und Prosa und deren multimediale Präsentation in Poetry Artvideos, um Texte und bildende Kunst in Anthologien, verbunden mit der im Jahre 2018 erstmals stattgefundenen und der Vernetzung dienenden Biennale für zeitgenössische Künste SlovoKult::literARTour (text/vision/sound). Seit 2020 gibt es zudem die Buchreihe SlovoKult :: Slovothek, in der mehrsprachige Poesiebände mit Abbildungen von Kunstwerken, die in Kooperation mit Art Equilibrium in zwei Ländern (Mazedonien und Deutschland) erscheinen.
      Band 03 dieser Buchreihe, der Gedichtband "Zweizählig zu Besuch bei dem endlosen Abgrund" von Elizabeta Kostadinovska (aka Lindner), erschien erstmalig 2020 und ist nun nach drucktechnischen Problemen wieder erhältlich.

Zweisprachig (mazedonisch und deutsch), teilweise auch dreisprachig (plus englisch) kommen die Gedichte daher, jeweils in eigener Übersetzung. Ein erstes schnelles Durch-blättern lässt recht konventionelle lyrische Themen vermuten: Mythologie, die Liebe, Zeit, Zwischenmenschliches … und tatsächlich startet der Gedichtband mit einem Zyklus über die vier Elemente – wer an dieser Stelle jedoch naturnahe Schilderungen erwartet, wer mit fluffigen Wolken am Himmel und munter dem Meer entgegenplätschernden Bächen rechnet, sieht sich getäuscht. Die seit 2006 als freie Literaturübersetzerin, Herausgeberin und Kuratorin (als Elizabeta Lindner), zwei-sprachige Autorin, interdisziplinäre Künstlerin und Multimedia-Performerin wirkende Kostadinovska zieht die Gedichte augen-blicklich auf eine sehr persönliche, intime Ebene:

I.       Das Wasser

Ich will dich ausweinen
dich aus mir herausstrahlen
dich aus mir auswringen
und mich erinnern:
ich bin mein eigenes Wasser

(…)

Und zum Feuer heißt es:

II.      Das Feuer

Wir verbrennen uns
mit deinen Flammen
in meinem Feuer
und bleiben warm
umarmt, sich dem Himmel
entgegen sehnend.

(…)

Mystisch und aufgrund einzelner Wörter sofort mit Horrorfilmen aus den 1970er und 1980er Jahren in Assoziation tretend, geht es weiter: Überhaupt werden Gedichte mit Titeln wie "das silvestermahl und die exorzistische reinigung" wahrscheinlich viel zu selten geschrieben. Über eineinhalb Druckseiten berichtet die im Herbst 1971 in Skopje/Mazedonien geborene Kostadi-novska von einem speziellen Jahreswechsel, von dem man nur hoffen kann, dass er zu einem Großteil eher der Phantasie als tatsächlich Erlebtem entstammt.
        Aber auch größere und große Gedanken dürfen gedacht und formuliert werden; planeta-rische Apotheken etwa oder einer offenbar bestimmten Person zugeeignete Zeilen, die sich beinahe körperlich erschließen. Und auch Vaterland und Heimat werden erarbeitet und finden ihren Platz:

(…)

Halte an und sei jemand, der den Raum erweitert
für Wege und karmische Bewegung von jemandem und jedem und
niemandem
durch die Offenheit zur Niemandserde und jedermanns Zuhause
(…)
(aus: Jemand jeder niemand Joker)

In eigener Sprache und zumeist angenehm ungekünstelt geht es weiter, flankiert durch farbige und schwarz-weiße analoge Collagen, die an einigen Stellen direkten Bezug zu den Texten herstellen.

(…)

links und rechts: funken in den schädeln
rechts und links: sonne in der brust
oben und unten: mond in den sinnen
unten und oben: milchstraßen zwischen uns:
         
die wir in jedem traum zusammen durchlaufen
um im wachen das wort zu erreichen

(aus: die gefäße des gesprächs)

Ein Gedichtband, der mir eine gute Zeit bereitet hat und der sich zu entdecken lohnt.


Einige dieser Gedichte und experimentellen Texte sind als Poetry Art Videos oder Live-Performances zu sehen, waren auf der ersten Ausgabe von Poetry Expo 23 von Versopolis präsentiert:
https://www.versopolis.com/initiative/poetry-expo-23/content/1318/elizabeta-kostadinovska-presenting-on-poetry-expo-2023

Auch SlovoKult war dabei:
https://www.versopolis.com/initiative/poetry-expo-23/content/1326/slovokult-literatur-a-literartour-presenting-on-poetry-expo-2023


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