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Eliaz Cohen: Vier Gedichte

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Foto: Yossi Gurvitz
Eliaz Cohen

Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer


Und auch das Herz
(Ein Gedicht in vier Schlägen)

1
Bevor wir uns verständigen konnten mit dem Licht
begann ein neuer Krieg.
Meine Tochter wird täglich hübscher.
Nachts mehren sich die Fledermäuse.
Zwischen dich und mich passt nichts
als eine hauchfeine Faser.

2
Es gibt Tage, da gerätst du an
den äußersten Rand des Wegs.
Deine Kinder sind Fremde. Deine Frau, anschmiegsam, keine Jüdin.
Auch die Farben draußen verschwimmen zu Grau.
Deine kraftlosen Beine wollen die Last nicht mehr tragen.
Plötzlich aber schlägt der Mandelbaum aus, ganz in Weiß
lässt dein Inneres erblühen, mit einem Mal
die Vögel allesamt

3
Auch das Herz, diese geballte Faust, ein Stein
wird mürbe wie Mergel
geknetet von Fingern sanft
gleichwie bei dem Paar Cherubim
Zimmer hinauf bis unters Dach

4
Da ich dich umschloss
wusste ich:
hinter deiner Brust
dein Herz ist  
wundersamer noch



Am Sonntagmorgen

Am Sonntagmorgen fuhr ich meinen Sohn
zur Haltestelle, wo sich die Soldaten sammeln.
Aus allen Richtungen flossen die Autos,
Väter übergeben ihre Söhne zur Wacht der Nation
           oder zur Bindung Jizchaks.
Mit all meiner Kraft umarmen wollte ich ihn
           der aus meiner Kraft stammt
           und selbst mehr Kraft hat als ich

und hab es nicht gemacht



Psalm für den Werktag

Die Stufen, die den Berg hinaufführen, sind schon repariert.
Doch windet sich ein stählerner Al durchs Tal
und ich, in seinem Leib, fahre nach Jaffo hinunter,
eine Propheten-Blume, die viel zu früh verwelkte.

*

Das Immergrün der Wälder wirft mich nach vorn und zurück
ich bin wieder beim Schacharit, Morgengebet meines Lebens

in den indianischen Weiten von Samaria
damals, haben wir geschrien, geheult, Gipfel erklommen
Radieschen und Möhre aus dem roten Lehm gezogen
unter den Fingernägeln sollte diese Erde aufgehoben sein
für viele Jahre.

In die Mädchen waren wir alle verliebt,
in einem umgedrehten Stuhl, schrägen Baumstamm
sahen wir zwei Pferde.

*

Hier sind Erdbeerbaum und Eichen wie im guten Galiläa,
Dayr al-Shaykh und ein Greis, reitet auf seinem Esel.
Ein Kern bin ich, werde gespalten
wo sich zwei Eisenbahnstrecken treffen.

*

Und hier sind Berge, die beben,
seht-seht, wie sie tanzen
wie ein Flamingo oder Widder
in der Überfülle der Bilder ist mir jetzt klar:
seine Rhythmen, Weiten öffnend, nahm Walt Whitman
aus den Psalmen.

*

Hallelujah, Preiset den Ewgen!
Preiset den HERRN aus den Gärten!
Preiset ihn aus den Kapernsträuchern, aus dem Steinbruch im Felsen,
aus der Dornigen Bibernelle.
Preiset ihn aus den Wolken, preiset ihn, seine irdischen
und himmlischen Geschöpfe.
Preiset ihn aus der aufgerissenen Erde, aus den Dornen und den Disteln.
Preiset ihn aus dem Gelb, das zum Sommer gehört, und aus dem süßen Eros
der zu den Feigen gehört.
Preiset, schöne Frauen und Menschen, in deren Antlitz
sich sein Bild spiegelt.

*

Ob es mir vergönnt sein wird, noch ein neues Gedicht zu schreiben
meine Seele-aufzuschreiben-in einem Satz?
Abgeerntet sind gegenwärtig fast alle Felder.
Freigelegtes Gold an den Stoppeln grünt, einmal geblinzelt  
über in die großen Maisfelder
(feuchte Sträucher, die mich so oft verschlangen)
Kehre zurück zum Werg, zur Zeit der großen Mincha,
als ich schrie „Frau“, eine Talenge, zu vergraben darin
meinen Samen.

*

Dort ist eine einzige verborgene Sonnenblume, strahlend gelb wie das Auge der Sonne,
die will ich mit all meiner Glut, pflücke und reiße sie mit der Wurzel aus und bringe sie
in mein Haus.

[…]



„Wenn ich bald sterben muss“

*  

Wenn ich bald sterben muss
                       lass mich ruhen bei
                       dem Feld mit dem Wilden Senf
und nahe dich mir, so
unser Handinneres aneinandergelegt
und Mund auf Mund
sind deine Augen meine Augen
       schließe ich


Anmerkungen:
wie bei dem Paar Cherubim: Im ersten Jerusalemer Tempel, im allerheiligsten Raum mit der Bundeslade ruhten auf deren goldener Deckplatte (Kaporet) zwei Cherubim, männlich und weiblich, in Liebe vereint.
und ich, in seinem Leib, fahre nach Jaffo: Das Gedicht knüpft an die biblische Geschichte des Propheten Jona an, der sich vergeblich G-ttes Wort zu widersetzen sucht. In der Hafenstadt Jaffo schifft er sich nach Tarschisch ein, wird von Bord geworfen und von einem Fisch verschlungen.
zur Zeit der großen Mincha: „Mincha gedola“ ist ein halachischer Ausdruck für den Zeitpunkt sechseinhalb Stunden nach Tagesbeginn. Von dieser Stunde an, bei der die Zeitspanne bis zum Sonnenuntergang groß ist, darf man Mincha beten. Der Tag beginnt (alot haschachar), sobald es am Himmel hell wird, ohne dass die Sonne selbst schon zu sehen ist.

Die Originaltexte sind in verschiedenen Büchern von Eliaz Cohen zu lesen: „Und auch das Herz“, in: Bevor wir uns verständigen konnten mit dem Licht (Ad schehiganu lahavana im ha’or), Tel Aviv: Hoza’at Keschev Laschira 2012; „Am Sonntagmorgen“ und „Psalm für den Werktag“, aus: Psalm für den Werktag (Mismor lejom chol), Gedichte, Bnei Brak: Hakibbutz Hameuchad 2020; „Wenn ich bald sterben muss“, in: Höre, HERR (Schma ad-onai). Gedichte aus der Zeit der Terroranschläge von 2000-2004, Tel Aviv: Even Choschen 2004.


Eliaz Cohen, 1972 in Petach Tikwa in eine religiös-pluralistische Familie geboren, lebt heute im Kibbuz Kfar Ezion in Schomron und ist Dichter, Herausgeber und Friedensaktivist. Er lernte in den „Bnei Akiva“-Jeschivot und diente im israelischen Panzerkorps. Er ist einer der Herausgeber und Teil der künstlerischen Leitung der Lyrikzeitschrift „Maschiv haruach“ (Der den Wind wehen lässt), die unter anderem ein Festival für Poesie, die Lyrikklasse „Mismor“ (Psalm) und das Projekt „Kehilot kotvot“ (Schreibende Gemeinden) veranstaltet. Er ver-öffentlichte bisher fünf Gedichtbände, ferner kam 2010 eine hebräisch-englische Ausgabe in der Toby Press und 2018 eine weitere Sammlung seiner Gedichte in französischer Über-setzung im Levant-Verlag heraus. Für sein Werk wurde er 2023 mit dem „Preis des Minister-präsidenten“ sowie 2006 mit dem „Schabbaton Avichai“-Preis ausgezeichnet. Eliaz Cohen engagiert sich für soziale Gerechtigkeit, den Dialog zwischen Religion und Staat und die Heiligung des Lebens. 2009 war er einer der Mitbegründer der Bewegung „Jeruschalom“ – für Frieden zwischen Palästinensern und Siedlern. Aktuell unterstützt er die Initiative „Erez lechulam – schtei medinot, moledet achat“ (Ein Land für alle – zwei Staaten, eine Heimat).

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