Eduard Mörike: Märchen vom sichern Mann
Eduard Mörike
Maerchen vom sichern Mann
Soll ich vom sicheren Mann ein Maerchen erzaehlen, so hoeret!
– Etliche sagen, ihn habe die steinerne Kroete geboren.
Also heisser ein maechtiger Fels in den Bergen des Schwarzwalds,
Stumpf und breit, voll Warzen, der haesslichen Kroete vergleichbar.
Darin lag er und schlief bis nach den Tagen der Suendflut.
Naemlich es war sein Vater ein Waldmensch, tueckisch und grausam,
Allen Goettern ein Greul und allen Nymphen gefuerchtet.
Ihm nicht durchaus gleich ist der Sohn, doch immer ein Unhold;
Riesenhaft an Gestalt, von breitem Ruecken und Schultern.
Ehmals ging er fast nackt, unehrbarlich; aber seit Menschen-
Denken im rauh grauhaerenen Rock, mit schrecklichen Stiefeln.
Grauliche Borsten bedecken sein Haupt und es starret der Bart ihm.
(Heimlich besucht ihn, heisst es, der Igelslocher Balbierer
In der Hoehle, woselbst er ihm dient wie der sorgsame Gaertner,
Wenn er die Hecken stutzt mit der unermesslichen Schere.)
Lauter Nichts ist sein Tun und voll von toerichten Grillen:
Wenn er herniedersteigt vom Gebirg bei naechtlicher Weile,
Laut im Gespraech mit sich selbst, und oft ingrimmigen Herzens
Weg- und Meilenzeiger mit einem gemessenen Tritt knickt
(Denn die hasset er bis auf den Tod, unbilligerweise);
Oder auch wenn er zur Winterzeit ins beschneiete Blachfeld
Oft sich der Laenge nach streckt und, aufgestanden, an seinem
Konterfei sich ergoetzt, mit bergerschuetterndem Lachen.
Aber nun lag er einmal mittags in seiner Behausung,
Seinen geliebtesten Frass zu verdaun, saftstrotzende Rueben,
Zu dem geraeucherten Speck, den die Bauern ihm bringen vertragsweis;
Ploetzlich erfuellete wonniger Glanz die Waende der Hoehle
Lolegrin stand vor ihm: der liebliche Goetterjuengling,
Welcher ein Lustigmacher bestellt ist seligen Goettern,
(Sonst nur auf Orplid gesehn, denn andere Lande vermied er)
Weylas schalkischer Sohn, mit dem Narrenkranz um die Schlaefe,
Zierlich aus blauen Glocken und Kuechenschelle geflochten.
Er nun red'te den Ruhenden an mit trueglichem Ernste:
»Suckelborst, sicherer Mann, sei gegruesst! und hoere vertraulich
Was die Himmlischen dir durch meine Sendung entbieten.
– Saemtlich ehren sie deinen Verstand und gute Gemuetsart,
Sowie deine Geburt: es war dein Vater ein Halbgott,
Und desgleichen auch hielten sie dich stets; aber in einem
Bist du ihnen nicht recht; das sollt du jetzo vernehmen.
Bleibe nur, Lieber, getrost so liegen – ich setze bescheiden
Mich auf den Absatzrand hier deines wuerdigen Stiefels,
Der wie ein Felsblock ragt, und unschwer bin ich zu tragen.
Siehe, Serachadan zeugete dich mit der Riesenkroete,
Seine unsterbliche Kraft in ihrem Leibe verschliessend,
Da sie noch lebend war; doch gleich nach ihrer Empfaengnis
Ward sie verwandelt in Stein und hauchte dein Vater den Geist aus.
Aber du schliefest im Mutterleib neun Monde und drueber,
Denn im zehnten kamen die grossen Wasser auf Erden;
Vierzig Tage lang stroemte der Regen und vierzig Naechte
Auf die suendige Welt, so Tiere wie Menschen ersaeufend;
Eine einzige See war ueber die Lande ergossen,
Ueber Gebirg und Tal, und deckte die wolkigen Gipfel.
Doch du lagest zufrieden in deinem Felsen verborgen,
So wie die Auster ruht in festverschlossenen Schalen,
Oder des Meeres Preis, die unbezahlbare Perle.
Goetter segneten deinen Schlaf mit hohen Gesichten,
Zeigten der Schoepfung Heimliches dir, wie alles geworden:
Erst, wie der Erdball, ganz mit wirkenden Kraeften geschwaengert,
Einst dem dunkelen Nichts entschwebte, zusamt den Gestirnen;
Wie mit Gras und Kraut sich zuerst der Boden begruente,
Wie aus der Erde Milch, so sie hegt im inneren Herzen,
Wurde des Fleisches Gebild, das zarte, darinnen der Geist wohnt,
Tier- und Menschengeschlecht, denn erdgeboren sind beide.
Zudem sang dir dein Traum der Voelker spaeteste Zukunft,
So wie der Throne Wechselgeschick und der Koenige Taten,
Ja, du sahst den verborgenen Rat der ewigen Goetter.
Solches vergoennten sie dir, auf dass du, ein herrlicher Lehrer
Oder ein Seher, die Wahrheit wiederum andern verkuendest;
Nicht den Menschen sowohl, die da leben und wandeln auf Erden –
Ihnen ja dient nur wenig zu wissen, – ich meine die Geister
Unten im Schattengefild, die alten Weisen und Helden,
Welche da traurig sitzen und forschen das hohe Verhaengnis,
Schweigsam immerdar, des erquicklichen Wortes entbehrend.
Aber vergebens harren sie dein, dieweil du ja gaenzlich
Deines erhabnen Berufs nicht denkst. Lass, Alter, mich offen
Dir gestehen, so, wie du es bisher getrieben, erscheinst du
Weder ein Halbgott, noch ein Begeisteter, sondern ein Schweinpelz.
Greulichem Frass nachtrachtest du nur und sinnest auf Unheil;
Steigest des Nachts in den Fluss, bis ueber die Kniee gestiefelt,
Trennest die Baender los an den Floessen und schleuderst die Balken
Weit hinein in das Land, den ehrlichen Floessern zum Torten.
Taglang trollest du muessig umher im wilden Gebirge,
Ahmest das Grunzen des Keulers nach und lockest sein Weibchen,
Greifest, wenn sie nun rennt durch den Busch, die Sau bei den Ohren,
Zwickst die wuetende, grausam an ihrem Geschreie dich weidend.
Siehe, dies wissen wir wohl, denn jegliches sehen die Goetter.
Aber du reize sie laenger nicht mehr! es moechte dich reuen.
Schmeidige doch ein weniges deine borstige Seele!
Suche zusammen dein Wissen und lichte die russigen Kammern
Deines Gehirns und besinne dich wohl auf alles und jedes,
Was dir geoffenbart; dann nimm den Griffel und zeichn es
Fein mit Fleiss in ein Buch, damit es daure und bleibe;
Leg den Toten es aus in der Unterwelt! Sicherlich weisst du
Wohl die Pfade dahin und den Eingang, welcher dich nicht schreckt,
Denn du bist ja der sichere Mann mit den wackeren Stiefeln.
Lieber, und also scheid ich. Ade! wir sehen uns wieder.«
Sprach es, der schelmische Gott, und liess den Alten alleine.
Der nun war wie verstuerzt und stand ihm fast der Verstand still.
Halblaut hebt er zu brummen erst an und endlich zu fluchen,
Schandbare Worte zumal, gottloseste, nicht zu beschreiben.
Aber nachdem die Galle verraucht war und die Empoerung,
Hielt er inne und schwieg; denn jetzo gemahnte der Geist ihn,
Nicht zu trotzen den Himmlischen, deren doch immer die Macht ist,
Sondern zu folgen vielmehr. Und alsbald wuehlt sein Gedanke
Rueckwaerts durch der Jahrtausende Wust, bis tief wo er selber
Noch ein Ungeborener traeumte die Wehen der Schoepfung, (Denn so
sagte der Gott und Goetter werden nicht luegen). Aber da deucht
es ihm Nacht, dickfinstere; wo er umhertappt,
Nirgend ist noch ein Halt und noch kein Nagel geschlagen,
Anzuhaengen die Wucht der wundersamen Gedanken,
Welche der Gott ihm erregt in seiner erhabenen Seele;
Und so kam er zu nichts und schwitzete wie ein Magister.
Endlich ward ihm geschenkt, dass er flugs dahin sich bedachte:
Erst ein Buch sich zu schaffen, ein unbeschriebenes, grosses,
Seinen Faeusten gerecht und wert des kuenftigen Inhalts.
Wie er solches erreicht, o Muse, dies hilf mir verkuenden!
Laengst war die Sonne hinab, und Nacht beherrschte den Erdkreis
Seit vier Stunden, da hebt der sichere Mann sich vom Lager,
Setzet den runden Hut auf das Haupt und fasset den Wander-
Stab und verlaesset die Hoehle. Gemaechlich steigt er bergaufwaerts,
Red't mit sich selber dabei und brummt nach seiner Gewohnheit.
Aber nun hub sich der Mond auch schon in leuchtender Schoene
Rein am Forchenwalde herauf und erhellte die Gegend,
Samt der Hoehe von Igelsloch, wo nun Suckelborst anlangt.
Kaum erst hatte der Waechter die zwoelfte Stunde gerufen,
Alles ist ruhig im Dorf und nirgend ein Licht mehr zu sehen,
Nicht in den Kunkelstuben gesellig spinnender Maegdlein,
Nicht am einsamen Stuhle des Webers oder im Wirtshaus,
Mann und Weib im Bette, die Last des Tages verschlafend.
Suckelborst tritt nun sacht vor die naechstgelegene Scheuer,
Misset die zween Torfluegel, die Hoehe sowohl wie die Breite,
Still mit zufriedenem Blick (auch waren sie nicht von den kleinsten,
Aber er selbst war groesser denn sie, dieweil er ein Riese).
Schloss und Riegel betrachtet er wohl, kneipt dann mit dem Finger
Ab den Kloben und oeffnet das Tor und hebet die Fluegel
Leicht aus den Angeln und lehnt an die Wand sie uebereinander.
Alsbald schaut er sich um nach des Nachbars Scheuer und schreitet
Zu demselben Geschaeft und raubet die maechtigen Tore,
Stellt zu den vorigen sie an die Wand und also fort macht er
Weiter im Gaesschen hinauf, bis er dem fuenften und sechsten
Bauern auf gleiche Weise die Tenne gelueftet. Am Ende
Ueberzaehlt er die Stuecke: es waren gerade ein Dutzend
Blaetter, und fehlte nur noch, dass er mit sauberen Stricken
Hinten die Uhre der Angeln verband, da war es ein Schreibbuch,
Gar ein stattliches; doch dies blieb ein Geschaeft fuer daheime.
Also nimmt er es unter den Arm, das Werk, und trollt sich.
Unterdes war aufschauernd vom Schlaf der schnarchenden Bauern
Einer erwacht und hoerte des schwer Entwandelnden Fusstritt.
Hastig entrauscht er dem Lager und stoesst am niedrigen Fenster
Rasch den Schieber zurueck und horcht und sieht mit Entsetzen
Rings im mondlichen Dorf der Scheuern finstere Rachen
Offen stehn; da faehrt er voll Angst in die lederne Hose
(Beide Fuesse verkehrt, den linken macht er zum rechten),
Ruettelt sein Weib und redet zu ihr die eifrigen Worte:
»Kaethe! steh auf! Der sichere Mann – ich hab ihn vernommen
Hat wie der Feind im Flecken hantiert und die Scheuern gepluendert!
Schau im Hause mir nach und im Stall! ich laufe zum Schulzen.«
Also stuermt er hinaus. Doch tut er selber im Hof erst
Noch einen Blick in die Staelle, ob auch sein Vieh noch vorhanden;
Aber da fehlte kein Schweif, und es muht ihm entgegen die Schecke,
Meint, es waer Fuetternszeit; er aber enteilt in die Gasse,
Klopft unterwegs dem Buettel am Laden und ruft ihm das Wort zu:
»Michel, heraus! mach Laerm! Der sichere Mann hat den Flecken
Heimgesucht und die Scheuern erbrochen und uebel gewirtschaft't!«
Solches noch redend hinweg schon lief er und weckte den Schultheiss,
Weckte den Buergermeister und andere seiner Gefreund'te.
Alsbald wurden die Strassen lebendig, es staunten die Maenner,
Stiessen Verwuenschungen aus, im Chor lamentierten die Weiber,
Jeder durchmusterte seinen Besitz, und wenig getroestet,
Als kein groesserer Schaden herauskam, fielen mit Unrecht
ueber den Waechter die grimmigsten her und schrien: »Du Schlafratz!
Du keinnuetziger Tropf!« und ballten die baeurischen Faeuste,
Ihn zu blaeuen, und nahmen auch nur mit Muehe Vernunft an.
Endlich zerstreuten sie sich zur Ruhe; doch stellte der Schultheiss
Wachen noch aus fuer den Fall, dass der Unhold noch einmal kaeme.
Suckelborst hatte derweil schon wieder die Hoehle gewonnen,
Welche von vorn gar weit und hoch in den Felsen sich woelbte.
Duftende Kiefern umschalteten, riesige, dunkel den Eingang.
Hier denn leget er nieder die ungeheueren Tore,
Und sich selber dazu, des goldenen Schlafes geniessend.
Aber sobald die Sonne nur zwischen den Baeumen hereinschien,
Gleich an die Arbeit machet er sich, die Tore zu heften.
Saubere Stricke schon lagen bereit, gestohlene freilich;
Und er ordnet die Blaetter mit sinnigen Blicken und fueget
Vorn und hinten zur Decke die schoensten (sie waren des Schulzen,
Kuenstlich ueber das Kreuz mit roten Leisten beschlagen),
Aber auf einmal jetzt, in des stattlichen Werkes Betrachtung,
Waechst ihm der Geist, und er nimmt die maechtige Kohle vom Boden,
Legt vor das offene Buch sich nieder und schreibst aus Kraeften,
Striche, so grad wie krumm, in unnachsagbaren Sprachen,
Kratzt und schreibt und brurnmelt dabei mit zufriedenem Nachdruck.
Anderthalb Tag arbeitet er so, kaum goennet er Zeit sich,
Speise zu nehmen und Trank, bis die letzte Seite gefuellt ist,
Endlich am Schluss denn folget das Punktum, gross wie ein Kindskopf.
Tief aufschnaufend erhebet er sich, sein Buch zuschmetternd.
Jetzo, nachdem er das Herz sich gestaerkt mit reichlicher Mahlzeit,
Nimmt er den Hut und den Stock und reiset. Auf einsamen Pfaden
Stets gen Mitternacht laeuft er, denn dies ist der Weg zu den Toten.
Schon mit dem siebenten Morgen erreicht er die finstere Pforte.
Purpurn streifte soeben die Morgenroete den Himmel,
Welche den lebenden Menschen das Licht des Tages verkuendet,
Als erhinabwaerts stieg, furchtlos, die felsigen Hallen.
Aber er hatte der Stunden noch zweimal zwoelfe zu wandeln
Durch der Erde gewundenes Ohr, wo ihn Lolegrin heimlich
Fuehrete, bis er die Schatten ersah, die, luftig und schwebend,
Daemmernde Raeume bewohnen, die Boesen sowohl wie die Guten.
Vorn bei dem Eingang sammelte sich unliebsames Kehricht
Niederen Volks: trugsinnende Kraemer und Kuppler und Metzen,
Lausige Dichter dabei und unzaehlbares Gesindel.
Diese, zu schwatzen gewohnt, zu Possen geneigt und zu Haendeln,
Muehten vergebens sich ab, zu erheben die lispelnde Stimme, –
Denn hellklingendes Wort ist nicht den Toten verliehen –
Und so winkten sie nur mit heftig bewegter Gebaerde,
Stiessen und zerrten einander als wie im Gewuehle des Jahrmarkts.
Weiter dagegen hinein sah man ruhmwuerdige Geister,
Koenige, Helden und Saenger, geschmeckt mit ewigem Lorbeer;
Ruhig ergingen sie sich und sassen, die einen zusammen,
Andre fuer sich, und es trennte die weit zerstreueten Gruppen
Huegel und Fels und Gebuesch und die finstere Wand der Zypressen.
Kaum nun war der sichere Mann in der Pforte erschienen,
Aufrecht die hohe Gestalt, mit dem Weltbuch unter dem Arme,
Sieh, da betraf die Schatten am Eingang toedliches Schrecken.
Auseinander stoben sie all, wie Kinder vom Spielplatz,
Wenn es im Dorfe nun heisst: »Der Hummel ist los!« und »da kommt er!«
Doch der sichere Mann, vorschreitend, winkete gnaedig
Ringsumher, da kamen sie naeher und standen und gafften.
Suckelborst lehnet nunmehr sein maechtiges Manuskriptum
Gegen den niedrigen Huegel, den rundlichen, welchem genueber
Er selbst Platz zu nehmen gedenkt auf moosigem Felsstueck.
Doch erst leget er Hut und Stock zur Seite bedaechtig,
Streicht mit der breiten Hand sich den beissenden Schweiss von der Stirne,
Raeuspert sich, dass die Hallen ein prasselndes Echo versenden,
Sitzet nieder sodann und beginnt den erhabenen Vortrag.
Erst, wie der Erdball, ganz mit wirkenden Kraeften geschwaengert,
Einst dem dunkelen Nichts entschwebte zusamt den Gestirnen,
Wie mit Gras und Kraut sich zuerst der Boden begruente,
Wie aus der Erde Milch, so sie hegt im inneren Herzen,
Wurde des Fleisches Gebild, das zarte, darinnen der Geist wohnt,
Tier- und Menschengeschlecht, denn erdgeboren sind beide.
Solches, nach bestem Verstand und soweit ihn der Daemon erleuchtet,
Lehrte der Alte getrost, und still aufhorchten die Schatten.
Aber es hatte der Teufel, das schwarze, gehoernete Scheusal,
Sich aus fremdem Gebiet des unterirdischen Reiches
Unberufen hier eingedraengt, neugierig und boshaft,
Wie er wohl manchmal pflegt, wenn er Kundschaft suchet und Kurzweil.
Und er stellte sich hinter den Sprechenden, ihn zu verhoehnen,
Schnitt Gesichter und reckte die Zung und machete Purzel-
Baeum, als ein Aff, und reizte die Seelen bestaendig zu lachen.
Wohl bemerkt' es der sichere Mann, doch tat er nicht also,
Sondern er redete fort, in wuerdiger Ruhe beharrend.
Indes trieb es der andere nur um desto verwegner,
Schob am Ende den Schwanz, den gewichtigen, langen, dem Alten
Sacht in die Hintertasche des Rocks, als wenn es ihn froere:
Ploetzlich da greifet der sichere Mann nach hinten, gewaltig
Mit der Rechten erfasst er den Schweif und reisset ihn schnellend
Bei der Wurzel heraus, dass es kracht – ein graesslicher Anblick.
Laut aufbruellet der Boese, die Tatzen gedeckt auf die Wunde,
Dreht im rasenden Schmerz wie ein Kreisel sich, schreiend und winselnd,
Und schwarz quoll ihm das Blut wie rauchendes Pech aus der Wunde;
Dann, wie ein Pfeil zur Seite gewandt, mit Schanden entrinnt er
Durch die geschwind eroeffnete Gasse der staunenden Seelen,
Denn nach der eigenen Hoelle verlangt ihn, wo er zu Haus war;
Und man hoerte noch weit aus der Ferne des Fluechtigen Wehlaut.
Aber es standen die Scharen umher von Grausen gefesselt,
Ehrfurchtsvoll zum sicheren Mann die Augen erhoben.
Dieser hielt noch und wog den wuchtigen Schweif in den Haenden,
Den bisweilen ein zuckender Schmerz noch leise bewegte.
Sinnend schaut' er ihn an und sprach die prophetischen Worte:
»Wie oft tut der sichere Mann dem Teufel ein Leides?
Erstlich heute, wie eben geschehn, ihr saht es mit Augen;
Dann ein zweites, ein drittes Mal in der Zeiten Vollendung:
Dreimal rauft der sichere Mann dem Teufel den Schweif aus.
Neu zwar sprosset hervor ihm derselbige, aber nicht ganz mehr;
Kuerzer geraet er, je um ein Dritteil, bis dass er welket.
Gleichermassen vergeht dem Boesen der Mut und die Staerke,
Kindisch wird er und alt, ein Bettler, von allen verachtet.
Dann wird ein Festtag sein in der Unterwelt und auf der Erde;
Aber der sichere Mann wird ein lieber Genosse den Goettern.«
Sprach es, und jetzo legt' er den Schweif in das Buch als ein Zeichen,
Sorgsam, dass oben noch just der haarige Bueschel heraussah,
Denn er gedachte fuer jetzt nicht weiter zu lehren, und basta
Schmettert er zu den Deckel des ungeheueren Werkes,
Fasst es unter den Arm, nimmt Hut und Stock und empfiehlt sich.
Unermessliches Beifallklatschen des saemtlichen Poebels
Folgte dem Trefflichen nach, bis er ganz in der Pforte verschwunden,
Und es rauschte noch lang und tosete freudiger Aufruhr.
Aber Lolegrin hatte, der Gott, das ganze Spektakel
Heimlich mit angesehn und gehoert, in Gestalt der Zikade
Auf dem haengenden Zweig der schwarzen Weide sich wiegend.
Jetzo verliess er den Ort und schwang sich empor zu den Goettern,
Ihnen treulich zu melden die Taten des sicheren Mannes
Und das himmlische Mahl mit suessem Gelaechter zu wuerzen.
(1838)