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Dominik Dombrowski: Nah Seahaven

Montags=Text
Dominik Dombrowski


Nah Seahaven

Den ganzen Juli schlich ich hinter dem Bahnhof her
an der Kinzig entlang
Richtung Aldi / jeden Mittag grüßte ich dort
eine intakte Entenfamilie
die mir immer mehr ans Herz wuchs / Ich liebte diese
friedlichen Augenblicke an denen wir uns stets trafen
an der Brücke / die Enten und ich / deren Ruhe ich mochte
den tiefen Zusammenhalt dieser kleinen Schar
allerdings / nach etwa einem Monat merkte ich
dass sie aus Plastik war
und an durchsichtigen Schnüren fest in der Strömung hing

Das aber / war gut gemacht / dachte ich zunächst
und schließlich: scheiß drauf
Das muss ja nichts ändern / an unserem freundschaftlichen
Verhältnis mitten im September / aber sah ich auf
dem Weg an einem Schlachthof vorbei / drei
schwarzrotgoldene Kunststoffrinder auf einer Verkehrsinsel
grasen / sie wurden dort aller Wahrscheinlichkeit nach
für den Weltfußballsport einst so hin drapiert
Von da an übten mich die Träume ein

es so weit kommen zu lassen / bloß noch dem Himmel
entgegen zu starren wo Hunderte von Krähen leise
ihre lauten Angriffe auf den Horizont flogen
An ihnen hing mein Blick zuletzt
wie der eines Bettlers / & in den Nächten
schleiche ich seitdem / wie ein Verfolgter aus dem Bett
Ich weiß schon
dass ich einer bin / dem die Pflanzen ihre Gedanken
längst vorenthalten möchten / mir ist offensichtlich
das Schamanenhafte genommen / geschuldet
der Menschensucht niemals umkehren zu können
dieser hundsgenetische Defekt führte schnell
zum Höhepunkt der Katastrophe: meine Einkaufstüte
randvoll mit Supermarktbieren
stolpere ich wie ein Idiot über einen noch warmen
toten Dodo ausgerechnet

unter meinem blinden Fenster still hin-
gestreckt wie erleichtert und ohne äußere Verletzungen
pfiff ihm der Wind die weiße Naht frei
unter dem kalten dicken nutzlosen Flügel
zum Gastspiel einbestellt zu meinen Drehungen
um mich selbst wie eine Katze
auf der Jagd nach dem eigenen Schwanz
im Versuch jenen Schlüssel
zu finden / in meinem Rücken


Aus Dominik Dombrowski: Fremdbestäubung. Gedichte. Köln (parasitenpresse) 2014. 44 S. 9,00 €.
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