Dominik Dombrowski: Finissage
Jan Kuhlbrodt
Endzeit
Mit diesem Buch legt Dominik Dombrowski seinen ersten Gedichtband vor, und zwar in der Kölner Parasitenpresse. Ein Debüt, dass in vielerlei Hinsicht verwundert, verstört und erfreut.
Verwundert, weil es ein spätes Debüt ist. Der 1964 in Waco/Texas geborene Dombrowski hat sich also Zeit gelassen mit seiner ersten Einzelpublikation (oder man hat ihm Zeit gelassen, was letztlich aufs Gleiche hinausläuft). Wir sind es mittlerweile gewohnt, dass die Debütanten Mitte/Ende Zwanzig sind und nicht schnurstracks auf die Fünfzig zugehen, entsprechend sind die ersten Bände oft Auseinandersetzung mit Form und lyrischen Vorbildern, technisch avancierte Etüden. Als solche entfalten sie ihren eigenen Reiz.
Dombrowski aber scheint derartiges hinter sich zu haben. Seine Form speist sich aus dem Sujet. Narration und Bildhaftigkeit halten sich die Waage, und aus dieser narrativen Struktur resultieren wohl auch die stark variierenden Verslängen.
Letztlich nehmen seine Gedichte einen Sound auf, der so etwas wie der Lebenssound ihrer Protagonisten ist, aber gefiltert und gebrochen durch die Wahrnehmung eines Beobachtenden, dabei aber nie ironisch. Auch wenn die Gedichte vom Scheitern berichten, oder von etwas, dass man aus unserer wohlfeilen und etablierten Position heraus als Scheitern bezeichnen könnte, bleiben sie der Sicht ihrer Protagonisten verbunden.
Manchmal kommen Leute dann erzählst du vom falschen / Venedig in Las Vegas
da gab es Frauen die starrten gescheit in nassen und gescheitelten Frisuren
in die Spiegel der Friseure die Friseure drückten schimpfend ihre Scheren
…
VII. [Offroad]
Zum anderen heißt Dombrowskis Büchlein eben Finissage, deutet also eher auf einen Abgesang hin, als auf einen Start. Und es handelt sich auch um einen Abgesang, nur eben nicht auf den Autor, sondern auf die Generation, die in den Sechzigerjahren mit 20 und der Rockmusik die Bühne betrat, und jetzt in Altersheimen oder abgedunkelten Wohnzimmern langsam ihrem Ende entgegendämmert. Oder eben entgegenwacht, als solle ein Leben erst noch kommen, denn bei der angesprochenen Generation handelt es sich wohl kulturgeschichtlich um die erste, die ein Erwachsenwerden verweigerte. Einige ihrer Protagonisten haben sich gewissermaßen in einer adoleszenten Situation eingepuppt. Dombrowski lässt sie an Rollatoren oder in Rollstühlen agieren, ihre Erzählungen aber geraten zu Heldenerzählungen. Und wir, die Heutigen, haben dieser Generation einiges zu verdanken, was über Beat und Rock n' Roll hinausgeht, nicht zuletzt unsere Leben, wenn man das mal so pathetisch ausdrücken will.
Er ist der fröhlichste / Schwerkranke, den wir je hatten schwärmen die
Krankenschwestern freut er sich doch auf jeden / neuen Morgen
IX. [Schneekönig]
Auffällig die ewig jungen Idole dieser Generation, Pioniere der Freiheit und antibürgerlichen Rebellion, und auch Pioniere der Krebstherapie und Prothetik. Unsere Eltern und Großeltern halt. Ihre Kriege fanden in entfernten Regionen statt. Die Ruinen, die sie uns hinterlassen, sind ihre Körper, pflegebedürftig, hinfällig, gleichwohl aber noch am Leben, und liebenswert.
Diese Generation kämpfte um sich selbst, für sich selbst, verweigerte Wehrdienst und Vietnamkrieg, und sie schuf sich ihre eigenen Götter und Identifikationsmuster, und man weiß gar nicht, wer wen imitierte.
Als Abziehbilder ihrer selbst tauchen sie in Dombrowskis Gedichten auf, Gedichte, die entzaubern und verklären zugleich. Das längste Gedicht des Bandes heißt: Die Rolling-Stones-Männer:
… die eingefleischtesten unter den Rolling-
Stones-Männern mögen eigentlich nur Mick Jagger nicht / jetzt aber werden die Rolling-Stones-
Männer immer weniger / damit fertig / dass sie sich in den Siebenbettenzimmern
nicht auf eine Hintergrundmusik einigen können & die Nachtschwester / ...
V. [Die Rolling-Stones-Männer]
In 9 Gedichten und 14 Seiten, die dem Format der Parasitenpresse angepasst sind, wendet sich Dombrowski diesen Überlebenden des Aufbruchs und jetzt Sterbenden zu. Die Gedichte allerdings scheinen den vorgegebenen Rahmen sprengen zu wollen, es sind Verse, die um in die Zeilen zu passen häufig durch Schrägstich getrennt sind, sie wuchern gewissermaßen nach innen. Das ist natürlich technischen Vorgaben geschuldet, dass die Schrift sehr klein ist, für die Protagonisten selbst, wäre sie nicht mehr zu lesen, aber dafür haben sie ja uns, wir können uns an die Pflegebetten setzen und den Text vortragen, uns und ihnen. Ein Mehrgenerationenprojekt, denn unsere Kinder können ja inzwischen auch zuhören und mitlesen.
Dominik Dombrowski: Finissage. Gedichte. Parasitenpresse Köln 2013. 14 Seiten. 6,00 Euro.