Dominik Dombrowski: Die Sankt-Martin-Vision
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Dominik Dombrowski
Die Sankt-Martin-Vision
Auf dem Rückweg von der
Tankstelle gerate ich plötzlich
mitten in einen Martinszug
Es ist ein schwüler
Novemberabend
etwa fünfundzwanzig Grad
Nun
ist es endlich dunkel sagen die Daddys /
dunkel
aber laut ist es auch
und im Vorgarten neben den
lichtgesicherten
Baustellen habe ich plötzlich
die Vision
wie ich zu einem der Daddys
werde
Ich sehe mich wie ich mich
zu meinem imaginären Sohn
hinunterbeuge
im Partnerlook unserer
Verkehrssicherheitswesten
im Rauschen der Rush-Hour sagt
er
jetzt
geht es endlich
weiter
/
und weiter Daddy
Sei bloß vorsichtig
kleiner Mann
gehe
immer nur bei grün über die Ampel
und
behalte deinen Text bei
Da
oben leuchten die Sterne
hier
unten leuchten wir
dann zupft er an einer
Plastiktüte
die die Laterne umhüllt
in der ein dürres LED-Licht
glimmt
Ich möchte gern wissen was in
meinem Kopf vorgeht
ich beobachte mich dabei
wie ich für einen Moment an
einer nassen
Treppe auf meine Schuhe starre
hinter mir die Kolonne der
Scheinwerfer
der Autos die Ungeduld der
Fahrer
vor der Ampel sehe ich meinen
imaginären kleinen Jungen
in der Erwartung des Festes
zwischen den Baustellen
für eine kurze Zeit / befällt
mich vielleicht doch
eine Ahnung ob der
Trostlosigkeit
dieser Veranstaltung doch im
nächsten
Moment verbiete ich mir all
das
zu Ende zu denken am
Zebrastreifen mit dem Sohn
an der Hand / der zu mir
aufsieht
und vielleicht auch ahnt was
es bedeutet
dass dieser große bemühte Mann
der ich bin ihn begleitet
durch all diese Idiotie und
dann
hängt plötzlich der Kopf vom
Daddy
am Laternenstab und spricht
hast
du denn auch dein Lied gelernt
Und an der Hand staunt
der zu mir aufblickende Sohn
in ein langsam verglühendes
LED-Licht
und rennt mit dem Vaterkopf
am Stab in meine Firma
als wäre dies ein möglicher
Ausweg
und ich der Vaterkopf singe
als ich mein Büro erkenne
immerzu
Strawberry
fields forever / Strawberry
fields
forever
Und wippe am Stab und das Büro
gleicht einem Glaskasten
und drum herum drehen die Gabelstapler
ihre Kreise immer mehr
Gabelstapler
drehen Kreise Hunderte von
Kreisen
und die Gabeln fahren hoch und
runter
an den Staplern wie Gabeln an
Gabelstaplern
und dann ist alles verstopft
von Gabelstaplern und überall
blinken
und tönen Martinshörner auf
und all die Gabelstaplerfahrer
stehen plötzlich auf
und nehmen ihre Baseballkappen
ab
und sie formieren sich zu
einem Chor
und singen das Laternenlied
und ich im Glaskasten singe
Strawberry
fields forever
Und mein Gedächtnissohn sieht
hinten an der Laderampe plötzlich
ein Wichtelmädchen kommen
dann noch eins und dann
immer mehr dieser
Wichtelmädchen
wie sie beginnen mithilfe
krebs-
erregender Pasten alles
mit
Pieter-Breughel-Geschenkpapier
unter sich zu begraben
In Dominik Dombrowski: Ich sage mir nichts. Gedichte. Dresden (edition AZUR) 2019. 72 Seiten. 17,00 Euro.