Dolors Miquel: 2 x 6 Gedichte - Teil 2
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Dolors Miquel
2 x 6 Gedichte
aus dem Katalanischen von Matthias Friedrich
Teil 2
ÜBER
DEN MUSERICH (2009)
Manchmal
sind die Musen der Schriftsteller so bekannt wie die Pferde oder Schwerte der
Eroberer.
Denn
die Kraft im Arm des Kriegers benötigt eine dazu passende Waffe und das
Geschick des Reiters ein Pferd, mit dem er sein Können und seine Versiertheit
unter Beweis stellen kann. Was würde ohne Schwert und Pferd aus Ringkampf und
Wettrennen? Wo blieben die bereits genannten Kräfte, richteten sie sich auf ein
stumpfes Schwert oder einen klapprigen Gaul? Sie blieben in der alten
poetischen Muse, im Talent zur Einbildung, in der Schöpfung des Wortes, einer
unwirklichen Erscheinung, die sich auf einem Blatt Papier einstellt wie ein
eingeschlafener Vogel, aufgeflattert, weil ihn das Auge eines Beobachters
aufschrecken ließ. Der Zauber des Wortes. Die Unwirklichkeit der
Weltschöpferin. Der Höhenflug, unerreichbar.
Schwerter
und Pferde. Krieger.
Die
poetische Muse ist die Kraft, die die Rede, den Wettlauf, den poetischen Kampf
jählings auf den Weg der Wortschöpfung stößt. Sie ist die Kraft der Liebe, die
Kraft der Natur, die sich in Wortträumen selbst erschafft und in ebendieser
nebeldurchwogten, wirklichen Sphäre ihr Zuhause findet. Ebenso ist sie das
tatsächliche Wettrennen des lahmenden, schlechtbeschlagenen Pferdes, das sich,
mit dem prächtigen Reiter auf dem Rücken, mühselig voranschleppt. Im Raum der
Vorstellung erfindet sich ebenjene schlecht eingesetzte Kraft neu. Das ist die
abermals ersonnene Schlacht. Ich erfinde dich neu, du Gierschlund irgendwo im
Nirgendwo. Oder dich, fantastisches, zweihändiges Schwert.
Jetzt
ist auch meine Kraft ein Traum.
Doch
wenn die Muse keine langen Schleier und keine femininen Kleider mehr trägt,
sondern Jeans, und sich rasiert, sollte man am besten so verfahren wie bei der
Geschichte mit dem Zauberer: das Wort zeugen und auf seine weiblichen Wurzeln,
die Entstehung in einem anderen Geschlechtskontext hinweisen. Und Muserich dazu
sagen und vielleicht einen ganz neuen Musikpalast in Barcelona bauen, voller
Muserichen in Jeans, und rasiert, oder nein, auf farbigen Basreliefs, wie sie
Lyra und Flöte spielen.
Dennoch
sind sie, männlich wie weiblich, Schöpfungen des Verlangens, das wir alle in
uns tragen. Aber das ist noch längst nicht alles, denn sie haben eine Form
angenommen, sind keine Gedankenbilder mehr, die uns unter der Dusche, bei einem
Fehler auf der Arbeit, auf einer U-Bahn-Fahrt oder zwischen den Herddämpfen ereilen,
um daraufhin so beständig zu werden, dass wir uns auf sie beziehen können wie
auf etwas Wirkliches.
Musen
oder Museriche reagieren auf die geheimste Sehnsucht der menschlichen Seele.
ANDERE
TITEL FÜR DEN MUSERICH
Ätherische
Stechmücken
Nicht
so nette Sonette
Schwerelose
Kletten
Rhythmischer
Eiterfluss
Lyrik
aus dem Spülstein
Piepmatz-Prügel
AN
EIN UNAUFLÖSBARES EGO (2009)
Denn
ich bin ich.
Jorge Bucay
Wer
mag schon sein wie du, so eins, aus einem Guss!
doch
was mit mir? Ich häufe auf mich Ich um Ich,
ich
schwanke und ich stürze und verstrauchle mich
und
bin mir doch nicht eins, ich bin: mit mir im Fluss.
Was
Seele heißt, ist Zoo, ist Fabelbuch für mich,
mein
Name fährt ein Schiff, durchlöchert und erhaben,
das
ächzt und jammert und um das die Wellen schlagen;
allein
durch mein Gerippe bin ich mir noch ich.
Und
wenn ich träume, dann von ferne zu mir hin,
und
das Vergessen, meine Arche, wird mich halten,
mein
Ruder treibt sie vorwärts: Sie wird mich bewalten.
Ich
bin der Port, wenn die Galerne tost, ein Wind
von
einem heimgesuchten Gott; er sagt mir, wie
ich
Ich sein kann, seit ich nach meiner Mutter schrie.
ADONIS
AUS DER BADEWANNE (2009)
Ein Kopf ragt wie aus einem grüngefärbten Zinksarg aufRimbaudEinmal masturbierte er auf dem Marktplatz und bemerkte:„Wenn man doch auch so den Bauch reiben könnte, um den Hunger zu stillen.“Diogenes
Aus
einer vormilchgelben Wanne lunzt ein Mann,
die
Haare blond und fettig, wie aus einer Tonne,
vom
Rost zernagt und alt, das Badezimmer an,
die
Backen schlackernd; talgig, träge, doch in Wonne:
Geschwollen
sind der fette Hals, das Schwabbelkinn,
fast
wie bei einer Schlange, die den Fang verschlingt,
dazu
der Wanst, der überm Becken quabbelnd hin
und
her und auf und ab flappt, weichbleich und beschwingt.
Die
Augen zu, verzückt, in einer Ecke ruht
sein
Fuß; flugs ist sein Schulterblatt in Schmerz entbrannt:
Er
regt sich, reibt ins linde Wasser seine Glut,
was
Lippen zittern, Nasenflügel beben lässt;
fährt
einen Pfahl auf, steif, der sich ermannt
zum
Sohn der roten Sonne, Flüsse weiß benässt.
EINE ALTE, KRANKE WITWE DENKT AN DEN TAG, DA MAN SIE NEBEN
IHREM MANN BEERDIGEN WIRD
(2009)
Sie
werden Staub sein, doch verliebter Staub
Quevedo
Wenn
mir der letzte Seufzer meinen Atem nimmt
und
meine Lider schließt die kalte, dunkle Hand
und
mir bloß noch ein filigranes Lichtgarn glimmt
am
Saume einer Ahnung, rein und ungekannt;
vergesse
ich deswegen nicht den frechen Geck,
der
mir im Leben selbst mein Leben hingerafft
und
jetzt mit mir in einer Totengrube steckt,
sein
Spielchen mit mir treibt und mich begafft.
Ja,
Kinder, ich kann neben ihm begraben sein,
ihr
dürft gern glauben, dass sich unser Staub vermischt.
Pah!
Selbst nach ihrem Tod entflammt die Liebe nicht;
denn
weder Herz noch Haut, Gedärme noch Gebein
sind
fähig, dieses Aas in Brand zu stecken.
Die
tiefe Feindschaft lässt den Staub die Beine recken.
ICH LAS WITTGENSTEIN (2019)
Ich
las Wittgenstein, als er mich zum ersten Mal schlug. Er hob seine Hand mit den
vielen Knochen darin, und ich wünschte mir, eine Mikrobe möge sie zersetzen,
sie schmelzen lassen wie Fett im Feuer, aber die Zeit war bereits um. Ich weiß
nicht, welche Serie gerade über den Bildschirm des Fernsehers flimmerte, der
immer lief. Ich hasste den Fernseher. Ich hasste die Hand. Ich hasste mich
selbst. Ich las Wittgenstein. Ich versuchte, den Namen dessen, der mich
da
schlug, nicht auszusprechen, damit er sich in Luft auflöste. Ich leugnete das
Geschehen, die Taten, die logische Darstellung. Aber nein. Nein. Das Tier,
Witt! Das Tier hat keine Sprache.
Kein Satz, Witt. Das Tier tötet und der
Schmerz steckt im Innern, der Schmerz ist ein inneres Labyrinth.
Carrer de Margarit, Poble-sec, Barcelona
Dolors Miquel (geb. 1960) – „eine punkige trobairitz“
Im Zentrum von Dolors Miquels Lyrik steht neben der Auseinandersetzung mit den Werken anderer die Subversion. Miquel spielt auf viele verschiedene Texte an (etwa von Quevedo, Rimbaud oder Bucay, aber auch auf die unüberschaubare katalanische Literatur: Marçal, Foix, Roig u. a.), schöpft aus den Tiefen des Wörterbuchs, stellt Vokabeln aus verschiedenen Fachbereichen neben dialektale Ausdrücke und arbeitet an vielfältigen, stark rhythmisierten poetischen Formen. Das Ergebnis ist ein Klangteppich, der dem Reichtum der katalanischen Sprache zur Geltung verhilft: Wie die trobairitz des Mittelalters (er)findet die Dichterin ein Lied – und zwar als Nonkonformistin, die ungleiche Machtverhältnisse als solche herausstellt.
Die vorliegende Auswahl versucht, einige der wichtigsten Etappen in Miquels Schaffen verständlich zu machen. Da sind zum einen die immer wiederkehrenden Themen, etwa die Kritik an (nicht nur) philosophischen Lehrkonzepten, die verkehrte Welt, wie sie in der barocken Schelmenliteratur vorkommt, die Unterdrückung durch Kirche und Familie und die Gewalt durch das Patriarchat.
Da die Literaturgeschichte nicht frei von männlichen Machtgesten ist und die écriture féminine gerne auf eine Bemerkung am Rand eines großen Textes reduziert, der von Männern geschrieben (und in den Fußnoten wohlwollend gedeutet) wird, schreibt sich Miquel in diesen Text hinein und kehrt die Rollen, die er ihr vorgibt, um. Sie kultiviert den weiblichen Blick, und wo die berühmten Sonettdichter die Schönheit des Frauenkörpers besingen, lobt sie die des männlichen – oder seine Hässlichkeit. Genau wie in ihrem Werk die jeweilige Sprechinstanz der stetigen Veränderung unterworfen bleibt, suchen auch Miquels Gedichte stets nach einer neuen Form. Mal sind das freie (aber durchaus rhythmisierte) Verse, mal Sonette oder Paratexte wie Vorwörter und alternative Titel (Der Muserich); und seit etwa sieben Jahren Prosapoeme.
Matthias Friedrich
Die
Gedichte stammen aus:
Platon in Mexiko-Stadt:
Mos de gat (2002)
Säugerinnen mit Floh, Dritte
Predigt, Hymne für den Siesta-Rambo, Mutter unser, Transsubstantiation des
Kaninchens: Missa pagesa (2006)
Zum Muserich, An ein
unauflösbares Ego, Adonis aus der Badewanne, Eine alte, kranke Witwe: El
Musot (2009)
Ich las Wittgenstein: Ictiosaure
(2019)