Dirk Uwe Hansen: sonne geschlossener wimpern mond
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Kristian Kühn
Eine Frage der Lichtquelle
Dirk Uwe Hansen ist nicht nur Dichter, sondern auch Altphilologe und Übersetzer aus dem Griechischen. Seine ersten Versuche eigener lyrischer Arbeiten orientierten sich eng an Sappho und anderen antiken Quellen. Doch spätestens seitdem er im gutleut Verlag erscheint, hat er einen eigenen Stil gefunden, der nur mehr versteckt mit altgriechischen Fragmenten arbeitet. Als Beispiel das Gedicht „styx“ aus seinem vorletzten Band (wolkenformate, gutleut 2016):
kommt unsterblichkeit immer zufrüh verlangt nachtod nach leben nach totkriechen kreise zurück in den stein und beingeschworen : schweigt wie ein gott
Hier ist es nicht unbedingt nötig, will man das Gedicht durchdringen, gleichzeitig etwas von dem liturgischen Fragment „der Gott aus dem Stein“ (Firmicus: Vom Irrtum XX 1) gehört zu haben. Das Gedicht macht vielmehr eine Gegenbewegung, in den Stein zurück und ins Schweigen hinein. Das erste Merkmal bei Hansen ist, dass er – trotz aller Kenntnisse antiker Religion und liturgischer Reste und des Spiels mit Reizwörtern aus diesem Bereich – nicht auf die Tradition der Mysterienkulte zusteuert, sondern norddeutsch nüchtern bleibt (er kommt aus Eckernförde).
Die neuen Gedichte im jetzigen zweiten Band bei gutleut („sonne geschlossener wimpern mond“) sind im Ton und Rhythmus statischer als ihre Vorläufer, noch prosodischer und, obwohl sie eng mit dem Vokabular der Vorsokratiker, vor allem der Orphiker und Pythagoreer, arbeiten, noch nüchterner, versetzt mit einem, und das ist das zweite Merkmal bei Hansen, Hauch von Humor. Vielleicht aufgrund dieser Enge zum Mysterium von Tod, Wandlung, Leben – und der Distanz zur Thematik.
Der neue Band ist in drei Kapitel geteilt, kosmogonie, naturalienkabinett und grammatologie.
Der erste Teil, 15 Gedichte und 4 Intermezzi, spielt durchdacht und nur scheinbar assoziativ, mit dem Gedankengut der Vorsokratiker über das Entstehen der Welt. Zum Beispiel, dass der Ablauf zyklisch ist und sich im Großen wie im Kleinen wiederholt, der Geist eingeschlossen in der Materie, analog dazu der Körper als der Seele Grab (soma sema), die Nacht der kleine Tod.
orphica ii. allnächtliche genesissenkrecht offenen augessonne geschlossener wimpern mondtropfen tränen – beim untergang der sternzeichen – schießen fäden inketten gewebtes gehäuse istzuflucht die erste und links von den blumen derseele zuletztist doppelt gesichert im grab
Die freudlose mythische Asphodeloswiese im Hades lässt grüßen, ebenso die orphischen Goldblättchen, die den Toten – unter die Zunge gelegt – den Weg zur Erlösung weisen sollten, mit der Warnung gleich zu Anfang: „Du wirst im Haus des Hades zur Rechten eine Quelle finden, bei ihr steht eine weiße Zypresse; hier kühlen sich, herabsteigend, die Seelen der Toten. Dieser Quelle komme nicht nahe!“ Deshalb links von den Blumen bleiben, weg vom Vergessen. Kommen die Toten an die andere Quelle, die der Erinnerung, dann wurde ihnen – vorausgesetzt, sie waren zu Lebzeiten in die orphischen Mysterien eingeweiht worden – eine Lösung von alter Schuld versprochen und ein Weg zur eigenen Göttlichkeit, der Königsweg der Seele. Sie sollten dann sagen: ‚Ich bin ein Kind der Erde und des gestirnten Himmels“.
Stattdessen wird bei Hansen das Grab doppelt gesichert.
Pherekydes ii: königsweg in die unterweltauf und ab durch die tischplatte biegt sich unter dergötter speise konvexwie ein mantel am mast vormsturz ins umgebende meer der
Tja, wer – das Ende des Gedichts als Spiel mit der orphischen Schlange, („krümmt einen kreis die / ewig dürstende schlange …“) wer also am Ende: der Königsweg in die Unterwelt. Falls man beim Lesen der Gedichte glauben sollte, Hansen habe im neuen Band eine Vorliebe für den Surrealismus entwickelt, so irrt man sich. Alles ist zwar ein spielerischer Umgang mit vorsokratischen Fragmenten, aber nicht automatisches Schreiben oder einer dionysischen Manie folgend, oder auf Effekte nur aus, sondern nüchtern, die Poesie der alten Fragmente sezierend, als seien sie Fraktale, und die Kosmogonie der Alten eher dabei verschließend, sie inhaltlich als Irrweg begrabend, nicht hochfliegend, sondern abstürzend, bei gleichzeitiger Nutzung ihrer Strahlkraft.
Handelt der erste Teil des Bandes zwischen „schwelle und sturz“ (parmenides: nächtliche fahrt), so wird im zweiten Abschnitt, dem „naturalienkabinett“ mit Erinnerungsstücken gearbeitet, in Form einer „schnittmengentrennung“, ein weiteres Merkmal für Hansens Stil, so als wäre die Menschheit nach der Katastrophe auf nur wenige Anhaltspunkte reduziert, wie etwa bei einem zerschmetterten Mosaik. Die Sichtweise der Welt als Mirabilien-Museum, obwohl dieses Strandgut zugleich noch Bedeutung hat und auf uns einwirkt. Die 9 Gedichte dieses Kapitels haben Titel wie dissimilation, strandgut, donnerkeil, hühnergott.
Energiegewinn durch Körperentfremdung:
fachgerechter schnitt im gewölkmacht eine linie immer zwei punktesichtbar wie wellenfraktaleverschwinden im drunter und drübersieht sie ein anderer vielleicht fälltnichts aus dem aufgebrochenen himmel fälltnichts ins zerbrochene meer
Das Vokabular greift auf die Gedanken der Antike zurück, oben und unten, ist aber entzaubert als nicht mehr rekonstruierbares Schnittmuster.
sind steckverbindungen istnutzen nur nebeneffekt(aus „meeresmuseum stralsund)
Der Donnerkeil des Phanes bei den Orphikern im ersten Teil der Gedichte ist heute nur eine
fein versteinertemembran demkammerherrn entkommen dem exoterischen geflimmer
Der Gott aus dem Stein nur noch ein „hühnergott“:
„wird weiß wird ein lochwird nie ein planet“
Im dritten Teil wendet sich Hansen den Buchstaben unseres Alphabets zu, um das mittlerweile kaputt Dekonstruierte wieder aufzusammeln? Mit Derrida? Mit dieser Grammatologie der Sprache eine philosophische Struktur zu erarbeiten, einen Rest dessen, was noch brauchbar ist von a bis z, 25 kurze Gedichte.
Auch hier nutzt er als Erkenntnisinstrument seinen Humor, zentriert auf Mund, Auge, Abgrenzung, Bild, diese Höhle des Polyphem, die er heraufbeschwört, nicht unterzugehen wie die Gefährten des Odysseus.
ozyklopenauge undgröße ohne raumperspektivisch betrachtet einweg und kein ziel in dermitte ist alles ist leer
In diesem dritten Teil kommen wir Hansens Gedankengängen am ehesten nah, hier öffnet er sich, indem er andeutet, wie auch Splitter der Erinnerung und der Ansichten zusammensetzbar sind, immer auch das Gegenteilige im Auge, alles hängt von der eigenen Perspektive ab (e = ist leiter was / ewig ist braucht keinen / anfang . stell dich bei sonnen / aufgang einfach auf den kopf). Doch auch das könnte ein Trugschluss sein, denn diese Fraktale, die wir wahrnehmen, sind als geometrische Muster sich selbst und unserem Blick zu ähnlich und miteinander verwoben, so dass das Labyrinth der Welt undurchschaubar bleiben dürfte. Ein sehr schöner Konzeptband, unbeabsichtigt / beabsichtigt, und doch mit archetypischen Begriffsmustern strukturiert, als zöge man mit der Lupe über die eingewobenen Fäden eines großen Teppichs. Durchleuchtete die eigenen Erwartungen. So kann man die Gedichte immer von neuem lesen und jeweils ergibt sich „perspektivisch betrachtet ein / weg und kein ziel“ … Womit wir wieder beim Anfang wären, der orphischen Schlange, die sich zum Kreis krümmt und in den Schwanz beißt (erstes Gedicht: erde wird stern wieder nacht)
Dirk Uwe Hansen: sonne geschlossener wimpern mond. Gedichte. Frankfurt a.M. (gutleut verlag – reihe licht, Bd. 1) 2018. 48 Seiten. 19,00 Euro.