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Dilek Mayatürk: Brache (2)

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Timo Brandt

Dilek Mayatürk: Brache. Gedichte. Türkisch – deutsch. Übersetzt von Achim Wagner. Berlin (Hanser Berlin) 2020. 112 Seiten. 20,00 Euro.

Schmerz der Wurzeln


„Die früh aus der Brache gerissene Erde
Ist jetzt verkrustete Wüste.

Betrauer nicht die Erde
Versteh die Wüste.“

Es ist nicht gerade eine angenehme Atmosphäre, die uns in Dilek Mayatürks Gedichtband „Brache“ erwartet. Anklagen, Klagen und Sehnsüchtiges vernimmt man auf diesen Seiten zuhauf, wenig Hoffnungsvolles ist darunter. Das Leiden an den Umständen ist allumfassend. Harte Lektionen ziehen von allen Seiten auf, Schmerz schlägt sich nahezu ununterbrochen nieder. Und mittendrin die Stimme, die, fast schon abgeklärt hervortritt und sagt: Betrauere nicht das Verlorene, versteh das Angerichtete.

Als ein Ursprung des Schmerzes erscheint die Herkunft, erscheinen die Wurzeln. Dabei ist nicht immer ganz klar, ob es um Wachstumsschmerzen geht, Abschiede von Kindheit und Geborgenheit, oder ob es tatsächlich um eine schmerzhafte Vergangenheit, traumatische Erlebnisse oder dergleichen geht. Einige Gedichte ließen sich wohl im politischen Umfeld der letzten Jahre, des Regimes Erdoğans und seiner repressiven Kräfte verorten oder auch im Umfeld der „Geflüchtetenkrise“; manche werden gegen ein „Ihr“ in Stellung gebracht, aber es ist (zumindest mir) nicht wirklich klar, wer mit diesem „Ihr“ gemeint ist. Klar ist nur: die Vergangenheit ist ein Verfolger und gleichsam ein versperrtes Territorium.

„Dieser aus Schweigen geflochtene Vorhang hat sich niemals geöffnet
Du lachst und wie zufällig weht er einen Spaltbreit auf.
Im hintersten Winkel ein paar Erinnerungen
Ein paar Momente im verschlossenen Turm des Gedächtnisses.“

„Ich bin eine Vertriebene aus der Vergangenheit,
Hundemüde bin ich in ein löchriges Zelt gekrochen
Es regnet,
So heftig, wie ich unterwegs weinte.

Es regnet,
Für wen sind diese verdammten Zelte,
Man wird darin so nass!“

Manchmal weiß man (wiederum zumindest ich) auch nicht genau, ob die Anklagen auf einer persönlichen oder vielleicht doch eher auf einer öffentlichen Ebene stattfinden. Zwar gibt es einige Anzeichen dafür, dass manche Gedichte sich in größeren (politischen) Kontexten bewegen, aber da sie sprachlich doch immer wieder in sich gekehrt wirken, ist es schwer, Umfang und Weitläufigkeit der Anklagen einzuschätzen. Es gibt ein paar Texte, die auf Mayatürks Beziehung zu Deniz Yücel verweisen (auch ein Gedicht mit Namen „Brief ins Gefängnis“ ist darunter), den sie im April 2017 im Gefängnis heiratete.

Vermutlich gibt es Leser*innen, die die anklagenden Gedichte lesen und darin sofort eine Auseinandersetzung mit der türkischen Politik der letzten Jahre und den Verhältnissen unter Erdoğan erkennen. Ich habe in der metaphorischen Sprache Mayatürks wenig konkrete Anhaltspunkte finden können, manche Verse entfalten ihre Wucht aber auch so:

„Die Mächtigen können nach Lust und Laune ihre Hose öffnen
Und sich beim Blick auf den Globus einen runterholen,
Während das Elend der Armen wächst“

„Ihr habt euch gegenseitig unser Blut serviert,
Während wir fielen, litten, verschwanden

Ich reibe mir die Augen
Spucke Blut,
Weine Blut.
Die Szenen ändern sich nie.“

Ein weiterer Ursprung des Schmerzes ist die Liebe, die Nähe, und ihrer beider Uneinlösbarkeit. Sehnsucht und Scheitern gehen dabei in Mayatürks Gedichten fast immer Hand in Hand, sind kaum zu trennen. Das hat eine gewisse Konsequenz, wirkt aber mitunter auch etwas pathetisch, wenn immer wieder ein wortgewaltiges Scheitern verkündet wird. Dennoch gelingen Mayatürk einige nahezu unvergessliche Bilder und Sentenzen.

„Unter dem Himmel, wo ich dein Gesicht auf mein Gesicht legte
Puste ich in die verbliebene Zeit
Wie Löwenzahn soll sie ins Gestern stieben.“

„Der Zweig eines Baums ließ mich an dich denken,
Jetzt stell du dir vor wie der Wald aussieht.“

Über die Hälfte der Gedichte hat nur zwischen zwei und zehn Zeilen, viele haben mit nur zwei oder drei Zeilen sogar etwas Aphoristisches, den Charakter einer Weisheit, den Charakter eines Sinnspruchs. Diese Kürze kann etwas sehr Eindrückliches haben, manchmal lösen die Texte allerdings die Präzision, die eine solche Kurzform verlangt, nicht ein und dann wirken sie eher fragmentarisch, ein bisschen zu gewollt poetisch, und, als Resultat, ein bisschen banal.

Ich kann mir vorstellen, dass viele meiner Kritikpunkte daher rühren, dass ich diesen Gedichten meine Lesart von westlicher Lyrik überstülpe. Zum Beispiel hat mich auch die teilweise etwas archaische Sprache abgeschreckt – aber hier konnte ich beim Lesen sofort meine Vorurteile durch eine Reflexion über die Herkunft der Gedichte korrigieren. Es mag sein, dass auch viele andere, von mir als flaws bezeichneten Stellen und Eigenschaften einfach dem sprachlichen Hintergrund und der literarischen Traditionen geschuldet sind, in denen diese Gedichte entstanden sind und die sich unterscheiden von den Hintergründen und Traditionen, mit denen ich sozialisiert wurde.

Ganz abgesehen von solchen Überlegungen habe ich dennoch einiges mitgenommen und meine Kritik richtet sich ja auch nicht gegen alle Texte (aber doch schon gegen einen nicht gerade geringen Anteil, weswegen ich diese Erläuterung eingeschoben habe). Beenden möchte ich diese Rezension daher mit einem Gedicht, das ich in seiner Kürze, seiner Bildsprache und auch ansonsten sehr gelungen finde.

„Stolz
Der Haken, den der Fisch schluckt
Der Eimer, in dem er landet
Die Pfanne, in der er schmort
Stolz“


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