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Dieter Püschel: Wer ist Peter Ruben? Oder Sozialismus als Zeitzeichen

Dialoge

Wer ist Peter Ruben? Oder Sozialismus als Zeitzeichen
 

Die „Affäre um Ruben“ (1980/1981), nach der Attacke der SED auf Robert Havemann (1964/1965) für die Philosophie in der DDR die einschneidendste Auseinandersetzung darüber, was dem kritischen Denken gestattet ist, bedeutete für mich einen Bruch mit weitreichenden Folgen. Meine tiefverwurzelte Überzeugung, im Ringen um ein besseres Deutschland den Sozialismus auf deutschem Boden mit aufzubauen, brach mit diesem Lehrstück endgültig in sich zusammen, das damals, – natürlich in Abstimmung mit der Parteispitze –, am  Zentralinstitut für Philosophie (ZIPh) der Akademie der Wissenschaften (ADW) in Berlin über die Natur des „rohen Kommunismus“ aufgeführt wurde,– ein Schlüsselerlebnis!
    Schon mit 15 war Peter Ruben wild entschlossen, Philosophie zu studieren. Im Studium reifte sein Anspruch an das philosophische Denken, diese Wissenschaft im Unterschied zu rechtfertigungsideologischen Tiraden als eine eigenständige Disziplin zu betreiben, die den Vergleich mit Wissenschaften wie der mathematischen Logik, der Physik und Ökonomie nicht zu scheuen braucht. Als junger Kollege am philosophischen Akademieinstitut der DDR habe ich mit Erstaunen und wachsendem Interesse erlebt, wie Peter die propagandamarxistischen Vorstellungen über die Arbeiterklasse beiseiteschob, um die Arbeit in ihren Erscheinungsformen in der Kunst, Wissenschaft und der Produktion philosophisch zu thematisieren. Das bedeutet keineswegs ein Umschwenken auf damalige westdeutsche Positionen. Im Gegenteil, während etwa Habermas die Kommunikation als den Gegenstand entdeckte, der gerade erst in der Trennung von der Arbeit adäquat zu reflektieren sei, ging Peter Ruben eigenständig marxistische Wege. Vielleicht auch deshalb hat kaum einer von uns am Zentralinstitut für Philosophie Ende der 70 er Jahre damit gerechnet, dass der Stalinismus sich noch einmal aus dem Grab erheben würde, um nach uns zu greifen. Als die Arbeiterorganisation der Solidarność in Polen daranging, das Heft des gesellschaftlichen Handelns zu übernehmen, geriet Rubens Philosophie der Arbeit ins Visier einer Panikattacke der DDR-Parteiführung. Und da wir 2018 gerade 500 Jahre auf die förmliche Eröffnung des Ketzerprozesses gegen Luther zurückblicken, wähle ich trotz all der Unterschiede hier diesen Bezug. Denn man sammelte damals in der DDR in einer halbgeheimen „grünen Mappe“ vermeintlich entlarvende Fachgutachten gegen den Revisionisten, und wenn man diesem Zeugs nicht zujubelte, hagelte es Publikationsverbote, Parteiprozesse und Entlassungen. Und das traf damals neben Peter Ruben so manche seiner Freund*innen und Kolleg*innen. Bis heute bin ich aber auch darauf stolz, im damaligen „Zwergenaufstand“ gegen Dogmatismus und Parteitrottel auf der Seite eines Häufleins Aufrechter gestanden zu haben.
    Mich erinnert Rubens damalige Reaktion auf die gutachterliche Verketzerung durch hierzu bestellte DDR-Gesellschaftswissenschaftler an das Florettgefecht eines Musketiers, das in seiner geistigen und ästhetischen Souveränität für sich selber spricht. (Vgl.: Der Bericht kann nicht wahr sein! In: www.peter-ruben.de / Bereich: Schriften/ Philosophie in der DDR)
    Gewiss, den Ausgang hätten wir uns anders gewünscht, – neun Jahre später war die DDR Geschichte. Dem Laufe bewegter Zeiten verdanke ich auch den persönlichen Glücksfall, schließlich in München gelandet zu sein: „Was glaubst du, wie lange das hier noch dauern wird?“, hatte ich Ruben gefragt, als in Ungarn die Grenzen offen waren. „Das kann dir keiner sagen“, lautete seine Antwort, „aber wenn du gehen willst, musst du es jetzt tun“ und – „München ist schön!“
    Aus dem Oeuvre von mehr als 90 Schiften zur Philosophie und Sozialwissenschaft, darunter viele mit dem Schwerpunkt, den leider notorisch ignorierten Unterschied des bis heute faktisch unerprobten Sozialismus vom kollabierten Kommunismus zu diskutieren, möchten wir zwei Interviews herausgreifen, die wir sukzessive vorstellen werden. Entstanden in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Fall der Mauer und dem für die Linke desillusionierenden Ausgang der demokratischen DDR-Wahlen im März 1990, begegnen wir Peter Ruben als einem Sozialtheoretiker, der die wohl gründlichste Analyse des Niedergangs des nur vermeintlich „sozialistischen“ Weltsystems (1945-1990) vorgenommen hat. So gesehen spricht die DDR-Geschichte übrigens nicht gegen, sondern für den Sozialismus als „Zeitzeichen“ – für eine Perspektive, die das Kapital zwar wertschätzt, zugleich aber ausschließt, dass die Arbeit mittels eines nur noch neoliberalen Staates vom Kapitalismus beherrscht wird.
    Angesichts der historischen Zäsur, vor der die SPD steht und dem Verdampfen sozialer Grundsätze innerhalb der gesellschaftlichen Linken, kann das Ringen um eine Veränderung des Ganzen - auch in durchaus kleinen Schritten - kaum aktueller sein.
    Das Interview hat Michael Grabek geführt. Wir bedanken uns auch bei Dr. Camilla Warnke und Dr. Ulrich Hedtke, den beiden Online-Herausgebern der Philosophischen Schriften von Peter Ruben.


Dieter Püschel, Februar 2018
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