Dieter Krause: Geregelter Schwelbrand
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Patrick Wilden
Dieter Krause: Geregelter
Schwelbrand. Gedichte. Leipzig (poetenladen Verlag - Reihe Neue Lyrik, Band
19) 2020. 112 Seiten. 18,80 Euro, ISBN: 9783948305062.
Das kontrollierte Gelände verlassen
Seit Bestehen der von der sächsischen
Kulturstiftung im Leipziger Poetenladen herausgegebenen „Reihe Neue Lyrik“ wird
bei der Auswahl der Autorinnen und Autoren auf Proporz geachtet – was auch die Herkunft
und die Frage, ob es sich um ein Debüt oder das Werk eines erfahrenen Autors
handelt, angeht. Zwischen zwei ‚Leipziger‘ Debütanten vom Deutschen Literaturinstitut,
Sebastian Weirauch und Hannes Fuhrmann, ist nun Dieter Krauses Band „Geregelter
Schwelbrand“ erschienen, zugleich die insgesamt vierte Sammlung des 1961
geborenen Dresdner Dichters. Krause ist kein studierter Poet, sondern, wie
Jayne-Ann Igel schreibt, „ein Beobachter der stillen alltäglichen Entgleisungen“,
der langsam und gründlich an seinen Texten arbeitet. Der Vorgängerband „Farbkammern“
liegt bereits zehn Jahre zurück. Wie bei jenem erscheint auch im aktuellen Buch
die Anlage der fünf wortkarg „Innen“, „Grenze“, „Außen“, „Rand“ und „Insel“ betitelten
Kapitel gelungen und streng. Vielleicht erkennt man in diesen fünf ‚Akten‘ mit „Vorspiel“
und „Nachhall“ den langjährigen Techniker bei den Radebeuler Landesbühnen?
Eine gewisse Sprödheit und Strenge
eignet der Krauseschen Lyrik insgesamt, wie schon am fulminanten Einstieg, dem Poem
„Körperraum Teer“, abzulesen ist, dessen Baustellen-Topik Fachsprache, düstere
Bilder und familiäre Erinnerungsfetzen auf teils witzige Weise mit Auftritten großer
Dichter verwebt: „es stinkt ohne Ende / anderen Gehweg benutzen – außer Dante“.
Mitten im Asphaltgewimmel des Langgedichts sind diese Zeilen in eine Sonettstruktur
eingebacken. „Verbrauchtes Mikwewasser strömt ins Teer / dass uns ausblühen am
Tempel die Jahrhunderte“ – im schroffen Gegeneinander von Geschichtlichem, wo
im zum Neutrum gewordenen „Teer“ das Meer mitklingt, ist man wie in einem
zeitgenössischen ‚Waste Land‘ unterwegs: „Das Leben wie ein geregelter Schwelbrand“.
Krauses Umgang mit der „dichterischen
Konvention“, wie Jan Kuhlbrodt es einmal nannte, ist eher unaufgeregt:
Ich ging das Knirschen des Schnees wie Sandauf den Zähnen Die zweifachen Sterne belltenÜber den Karosserien am Straßenrandhörte ich meine Blutbahn zählen
In „Vorabend Bethlehem“ ist das
Dichter-Ich ganz bei sich, der Gang wird zum Gedankengang, dessen Bewegung einen
Verfremdungseffekt erzielt. Reime, die bei Krause eher überraschend auftauchen,
sind nur angedeutet. Das Ausgeliefertsein an die Natur, das aus seinen
Schottland-Texten spricht, wird zum Ausgangspunkt für Reflexionen, welche die
Sprache als eigene Macht, nicht als willkürlich verfügbares Material erscheinen
lassen. „Ich liege und bin nicht steingeschützt“, wie es etwa in „Biwak im
Nachtwald“ heißt. „Flüstere ans Ufer ein Wort / das der Sprache nicht glaubt“.´
Krauses lyrisches Ich ist neugierig und fragil, welthungrig und traditionell auf eine Weise, die unschwer erkennen lässt, dass darin sehr viel Kenntnis und Wissen eingeflossen sind. Kein Wunder, dass da ein „Alter Buchhändler“ beschworen wird, eine Dichter-Antiquar-Gestalt wie Umberto Saba vielleicht, „in Cullen nein Berlin oder war es Triest / der in seiner Welt keine Baukräne duldet“. Dabei übt Krause auch subtil oder ironisch Kritik an seiner Zeit, worauf ein Titel wie „1110135 Erklär mir doch was Liebestraum ist“ schließen lässt. „Genau genommen sind wir Bäume“, wird an anderer Stelle die allfällige Wir-Rhetorik in der Poetenzunft parodiert, „und trotzen der Statistik / mit Riesengehirnen im Einweckglas“.

Das geht bis hin zu poetologischen Stellungnahmen, die etwa bei den Reihen-Kollegen Fuhrmann und Weirauch in dieser Deutlichkeit fehlen. „Wir treten ins Freie sind von Bedeutung gefangen“, behauptet das Gedicht „Weiß nicht wie“ mit Blick auf die notorischen medialen ‚Sprech-maschinen‘ und fragt: „Sollen wir zurückkehren in die Freiheit der Hölle“?
„Zerrissene Anwesenheit“, der vorletzte Text des Bandes, denkt die eigentümliche, dem Grimmschen Wörterbuch entnommene Definition „das negierte ichts“ weiter, die dem „Nachhall“-Kapitel vorangestellt ist. Dem „NICHTS“, dem „wir nichts hinzufügen“ können, wird „die Farbe eines gezogenen Himmelsbandes / welches eine Einsamstraße am Horizont verschluckt“, entgegengesetzt. „Was ist besser ein Gedicht oder ein Baum“, lautet der Titel eines anderen Textes. „Blöde Frage“, weist ihn die erste Zeile zurecht. Doch die Frage nach der Vergleichbarkeit berührt die grundsätzliche Bedeutung von Kultur und Natur: „Die Beziehung der Dinge im Moment / größter Entfernung zueinander“, antwortet das Gedicht und findet damit einen schönen Ausdruck dafür, Sprache und Welt, unerreichbar aufeinander bezogen, an ihrem Platz zu belassen.
Krauses Lyrik wirkt im Vergleich mit experimentell und intellektuell am Zeitgeist ausgerichteten Schreibschul-Poetologien offener und im Umgang mit der Tradition „leichthändig“, wie es der Signum-Herausgeber Norbert Weiß genannt hat. Man merkt ihr an, dass sie sich nicht innerhalb einer Gruppe von Gleichgesinnten behaupten muss. Diese Poesie ist sich selbst verpflichtet und setzt weniger auf Konzepte als auf die Energie und Widerständigkeit sprachlicher Bilder. Krauses Gedicht „Nachtschleife“ beginnt mit einem Satz, den sich wohl alle Dichterinnen und Dichter ins Stammbuch schreiben können:
Das ist das Beste dass man das kontrollierte Gelände verlässtnicht mehr teilnimmt eine gewisse Zeit ein anderes SpielRegeln die man erfindet verändert löschtwie auf der Autobahn in Trancezustand wenn der Schneewirbelauf die Frontscheibe kommt Keiner mehr die Gegend kenntDas Radio rauscht und niemand die Verkehrsmeldung nenntDas Geräusch der Scheibenwischer sich als vertraulich erweistund die gewünschte Vertrautheit leider zurück beißt
[Eine frühere Version dieses Textes erschien in der Zeitschrift Ostragehege, Heft 100, Juni 2021.]