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Diana Anfimiadi: Warum ich keine Gedichte schreibe

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Timo Brandt

Diana Anfimiadi: Warum ich keine Gedichte schreibe. Übersetzt von Nana Tchigladze und Stefan Monhardt. Klagenfurt (Wieser Verlag) 2020. 100 Seiten. 21,00 Euro.

Der Schmerz der Zeit kann blühen


„Die Oberfläche des Spiegels zerkratzte ich mit der Feder,
auf die Oberfläche des Spiegels schrieb ich mit dem Fingernagel,
an den Nägeln blieb mir Sterbenstaub,
in den Augen – die Vorsicht, mich im Spiegel zu betrachten.“

Gebete, Anrufungen, Beichten – in den Gedichten von Diana Anfimiadi (nachgedichtet von Stefan Monhardt) schwingt oft eine existenziell-spirituelle Spannung mit, die sich teilweise auch in den Sujets widerspiegelt, manchmal aber lediglich im Ton, in der Atmosphäre. Es ginge auch zu weit, würde ich von sakraler oder religiöser Dichtung sprechen, dafür sind die Gedichte in mancher Wendung wiederum zu profan.

Am besten trifft man es vielleicht, wenn man von mythologischer Dichtung spricht. Nicht nur kommen einige mythologische Figuren in Anfimiadis Gedichten vor, ihre ganze Art Motive und Metaphern zu verwenden hat etwas zutiefst Mythologisches, als wären ihre Gedichte archäologische Anleitungen, wie man mit sprachlichem Material umgehen sollte.

„Alle Verse sind in einer toten Sprache geschrieben,
brächte ich sie zum Sprechen, zum Klingen,
würde ich sie entschlüsseln, sie lesen, zum Leben erwecken,
bliebe trotzdem irgendwo die Zeit, als die Menschen
in dieser Sprache einander liebten, riefen, beweinten.“

Sehr oft geht es in ihren Gedichten um Sprache (u.a. auch ums Lernen und Vergessen von Sprachen, Worten), die Fragilität und gleichsam die Kraft der Versprachlichung. Sprache, das ist Anrufung, sie ist also mit höheren Mächten im Bunde, Sprache prallt aber auch ab an den Gegenständen und Szenarien, die sie zu erfassen versucht.

Diese Ambivalenz findet sich schon im Titel des Bandes „Warum ich keine Gedichte schreibe“, der zunächst eine Sammlung von Essays oder zumindest ironisch gebrochene Gedichte vermuten lässt. Das Buch ist dann aber voller ernsthafter Gedichte, die sich teilweise auf die Fährte schwer auszudrückender Sachverhalte begeben.

Das geht soweit, dass sogar die spielerische Leichtigkeit von Tanzschritten eine geradezu apokalyptische Dimension bekommt, in dem Gedicht mit dem Titel „Tanzstunden (3/4 Takt)“, wo es heißt:

„Erst brach das Eis in der Antarktis,
dann klebte es wieder zusammen –
genauso stell Fuß zu Fuß,
als hättest du gefunden,
wonach du suchtest.
[…]
Nun
ein Schritt: Flut,
dann
der Schritt: Ebbe,
und als wärst du Wasser,
und als wärst du vor dem Durstenden
ausgegossen.“

Ein weiteres Thema des Bandes ist stigmatisierte Weiblichkeit. Anfimiadi zieht einige klassische Frauencharaktere heran und lotet ihre Stimmen aus, u.a. Persephone (von Hades geraubt muss sie die Hälfte des Jahres in der Unterwelt leben), Eurydike (die vor einer versuchten Vergewaltigung fliehend an einem Schlangenbiss starb), Kassiopeia (verkehrt herum am Himmel aufgehängt wegen ihres Hochmuts) und Helena (um die ein zehnjähriger Krieg geführt wurde).

Zwei Beispiele aus diesen Gedichten:

„Dieses Königreich ist so tief,
jeder kann sich hier verlaufen,
in den antwortlosen Fragen des eigenen Geschlechts.
Ich gehe doch auf eigenen Beinen,
um den verliebten Tod zu treffen,
der Arm ließ die Hüfte zurück, das Knie, die Zehen …
meine Tiefe ist meine Unterwelt,
eine andere gibt es nicht …“
(Persephone)

„Zehn Jahre Belagerung –
zehn Falten meines Kleids.
Was ist eine Frau?
Zwei Brüste, eine Scheide: das bin ich.
All die Zeit, die ich auf diesen staubigen Wegen
herumstreifte wie die Schleppe eines Kleids,
ist nicht mehr
als ein Hexameter jenes Poems. Nur das.“  
(Helena)

Aber auch mit Leihmutterschaft, Verlassenwerden und allgemein Verletztlichkeit setzt sich Anfimiadi in ihren Gedichten auseinander.

Es liegt mir fern diese Gedichte weg vom Persönlichen zu rücken, denn auch das spielt in den Gedichten auf unterschiedliche Art und Weise eine Rolle. Dennoch finde ich Anfimiadis Gedichte dort am stärksten, wo sie Themen mythologisch transzendieren. In diesen Texten kommt meiner Ansicht nach am besten jenes Leiden an lange währenden Umständen zum Ausdruck, jene Sehnsucht nach einem Ende der Fatalität, die in den Gedichten durchgehend aufscheint.

Oder anders gesagt: Der Schmerz der Zeit blüht in den besten dieser Gedichte auf, sticht uns betörend und schrecklich ins Auge. Anfimiadi, 1982 in Tbilissi geboren, zeigt uns diesen Schmerz und zementiert ihn in gewisser Hinsicht, weist uns aber auch auf gewisse Weise an, ihn, den hart gewordenen, den verstaubten, zu zerschlagen.

„Was ich vergesse, woran ich mich tagtäglich erinnere,
wuchs in der Abenddämmerung an die Dinge fest wie Schatten.“


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