Désirée Opela
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Désirée Opela
Désirée Opela (*1988) studierte Komparatistik
an der LMU in München. 2009-2014 war sie Mitglied der Schreibwerkstatt des
Instituts, die sie vier Semester lang leitete.
2011
absolvierte sie den Manuskriptum-Kurs, 2013 nahm sie an der Bayerischen
Akademie des Schreibens teil. Im Januar 2013 erschien ihr erster Erzählungsband
Koordinaten im TextKontor-Verlag.
2014-2016 war sie Studierende des Masterstudiengangs Literarisches Schreiben
am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
Textausschnitt
Es ist noch
dunkel, als etwas durch mich hindurchfährt, und ich nicht weiß, wo ich bin,
nicht lange, aber lange genug, um völlig die Orientierung zu verlieren. Die Straßenlaterne
vor Pauls Fenster sieht aus wie der Mond, den der Schnee auf der Straße taghell
reflektiert, auf der ich am Abend zuvor noch meine Stiefelschritte knarzen
hören konnte, das Geräusch einer Geschichte, an die wir einmal glaubten. Paul
liegt bewegungslos, ich breite meine Handfläche einen Zentimeter über seiner
Hautoberfläche aus und schließe die Augen, um zu wissen, was es mit mir macht.
Ein Liftschacht, sage ich später, als Paul das erste Mal die Augen öffnet, und
hoffe, dass er begreift, was ich meine. Dieses Gefühl, als durchfahre einen
etwas Fremdes mit Gewalt, etwas Fremdes oder etwas, das einmal fremd war und
jetzt etwas Unorganisches geworden ist, sage ich, wie fremdes Gewebe, das
jemand herausreißen will und dadurch den Organismus gefährliche Sekunden lang
zum Kollabieren bringt. War doch nur ein Traum, sagt Paul, es ist ein Schlurfen
seines Mundes, und er ist noch nicht da, oder nicht mehr, vielleicht können wir
beide nie mehr gleichzeitig an demselben Ort sein. Was denkst du, sage ich. Ich
schlafe, sagt Paul, und ich drehe meinen Körper Richtung Wand, und will
plötzlich seine Wärme nicht mehr, seine Berührungen, die wie zufällig sind,
über die er manchmal selbst erschrickt. Ich muss ins Institut, sagt er nach dem
Frühstück, das ich nicht mitmachen wollte, weil ich das immer Gleiche so müde
bin. Hinter mir senkt sich das Sofa kurz unter seinem Körper, und ich will sein
Gesicht nicht sehen, das genervt ist oder angestrengt, will sagen es ist mir egal, will sagen all das hier ist mir völlig egal, aber
ich sage nichts und spüre seine Hand kurz auf meiner Schulter, wie ein
Versprechen, das er nicht halten wird und das mich verloren macht in diesem
Zimmer und der Stadt, in der ich mir vorkomme wie jemand, der nicht einsehen
will, dass das, was er sucht, für immer verschwunden ist. Später finde ich mich
an der Münchner Freiheit wieder, an die ich aus Ratlosigkeit gefahren bin,
einfach in den Bus gestiegen und dort ausgestiegen wie in den vier Jahren
meines Lebens vor meinem Umzug nach Leipzig, und jetzt ist alles anders. Ich
stehe zwischen den Weihnachtsmarktbuden auf der großen Treppe, unter den
Lichtergirlanden, die ich liebte, und den Geruch von Mandeln und Glühwein, wie
etwas, das noch ganz war von früher, oder die Vorstellung einer Erinnerung entwirft,
die die Gegenwart erträglicher macht. Vor einem Stand stapeln sich junge Mütter
mit ihren Kindern, und ich denke, dass es eine Lüge ist mit den Kindern, dass
es letztlich nur darum geht, wieder selbst zurückzuwollen in die Zeit, um nicht
weitergehen zu müssen und das eigene Leben wiederholen zu können in den Leben
dieser Kinder, und mir wird klar, dass es dieser Schnee ist, der mich
nostalgisch macht, mich immer wieder in diese Rührung versetzt, für die ich
mich schäme und bei der ich nie sagen kann, ob sie eher der Unberechenbarkeit
eines Katers ähnelt oder der Empfindung einer Schönheit.