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der Freitag 30. April 2025, Die toxischen Seiten der Liebe

Verlage, Zeitschriften

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Kristian Kühn

Ulrike Schrimpf: Die toxischen Seiten der Liebe. In der Freitag, Bereich Literatur am 30. April. Seite 27. Ganzseitig mit Symbol-Illustration.*

Selbstbestimmung und Verlangen


Auf der Rückseite das „A bis Z der Pestizide“, vorne (S. 27) Ulrike Schrimpfs Artikel zu den „toxischen Seiten der Liebe“. Ein Bericht über sog. Dark-Romance-Bücher, „die von Schmerz und Unterwerfung handeln“ und bei jungen wie alten Frauen einen „Hype“ auslösen, möglicherweise. Schrimpf versichert glaubhaft, sie habe tagelang die Regale beobachtet.

Wenn ich mich in einer Bahnhofsbuchhandlung oder in Filialen dieser grässlichen Ketten aufhalte, die tatsächlich solch monströse Unterteilungen haben wie New Romance oder Gothic oder New Adult, wie Schrimpf es so richtig beschreibt, dann sehe ich da allerdings nie Gruppen junger Mädchen, um in cool aufgemachten modernen Lore-Romanen zu blättern. Warum muss mein Herz nach dir weinen, hieß es einmal in meiner studentischen Zeit und ich analysierte das Heft und wollte dann voller Verwunderung ein Hörspiel daraus machen. Natürlich ist heutzutage davon auszugehen, dass die Verlage weibliche Pädagogikexpertisen einbringen lassen, ähnlich wie bei „klassischen“ Kinder- und Jugendbüchern, bevor sie in den Druck gehen. Und so glaube ich, dass ein betreutes Aufbereiten von Lesestoff schon ziemlich professionell das, was Georges Bataille in seinem Werk „Der heilige Eros“ in Bezug auf die anschwellende Plethora über Sinnlichkeit und Tabus schreibt, stufenbezogen und altersgerecht entkernt, unauffällig und trotzdem für den Sog attraktiv, die Einsamkeit, das Verlangen und die Unerfahrenheit oder Erfahrung der Altersgruppen mitberücksichtigend, grenzwertig nur scheinbar, ähnlich wie bei der Spanne zwischen opulentem Menü und Big Mac. „Junge Frau verliebt sich in harten Kerl mit weichem Kern und tut alles für ihn.“

Ist das wirklich so? Hat sich da seit Jane Eyre etwas tatsächlich geändert? Kriegt sie ihn oder das Geschlecht ihrer Wahl nicht nach wie vor erst, wenn ein Schicksalsschlag alles verändert hat und die beiden im Grunde gar nicht mehr zur Ausübung ihrer Sehnsüchte in der Lage sind, nur noch platonisch gemeinsam „nachsinnen“ können. Es würde mich sehr wundern, wenn sich da etwas geändert hätte: das Böse verführt, aber das Gute – der Verzicht – gewinnt. Das ist die alte, puritanisch-protestantische Linie Europas, gerade jetzt in Zeiten der Restauration. Kein Wunder, dass jetzt in den Bahnhöfen auch pompöse Big Macs angeboten werden, zum dreifachen Preis, und Pommes aller Art und Diversität, aber immer Pommes, ein betreuter Wunsch nach kleiner Größe und Variabilität überall. Bei angezogener Entkernung.

Ich habe hier ein Sachbuch für das Erstellen eines Scripts von Computerspielen – dort heißt es zum Game Play: „Erschaffe eine Spieleumgebung, die so detailliert ist, dass der Spieler regelrecht in ihr verlorengehen kann – und letztlich vergisst, dass er eigentlich nur spielt. Wenn ein Spiel keinen Spaß macht, wird es keine Aufmerksamkeit erregen.“ Und „Ein guter Aufhänger ist unerlässlich. Ein guter Aufhänger ermöglicht es, das Spiel in einem Satz zu beschreiben.“ Und „Sie entwickeln das Spiel für die Massen und nicht für sich selbst! Sie entwickeln das Spiel für viele Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, nicht für die eigenen!“ Und „Die Information in einem Spiel sollte nur so detailliert sein, dass sie auch ein durchschnittlich begabter Spieler noch erfassen kann. Mit der Recherche für Spiele sollte daher in der Kinderabteilung der Stadtbibliothek begonnen werden.“ Und zu guter Letzt: „Realismus wird stark überbewertet. Versuchen Sie niemals, die Realität imitieren zu wollen. Bedenken Sie: Wenn die Realität wirklich so viel Spaß machen würde, dann würden die Leute keine Spiele spielen.“

Irgendwo muss das Gift ja bleiben, heißt es in buddhistischen Texten. In gar keinem Fall darf es frei herumschweben, das wäre die schlechteste aller Varianten. Dann lieber lesen und in Dosen reinziehen. Und so ergibt die Recherche Ulrike Schrimpfs auch: „Diese Romane helfen den Mädchen, selbstbewusst aufzutreten, sagen sie.“


* Lackierte Frauenhände mit Smartphone, eine Frau vor einem Bücherregal auf dem Display, lesend. Im Hintergrund drei fliegende Bücher, geöffnet, darin je eine Aubergine oder zwei Aprikosen.
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