Dennis Maloney: Eine leere Tasse
Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen
Timo Brandt
Lieder vom undringlichen Augenblick
„Der Nachhallder Tempelglockendringt unaufhörlichaus dem Buschkleewie ein Echo der Erinnerung.“
Liest
man in den Gedichten von Dennis Maloney, könnte man meinen, dass der Augenblick
keine Dringlichkeit enthält, sondern nur der Zwischenschritt einer immer weiter
gehenden, immer klarer hervortretenden Gewissheit ist. Das, was geschieht,
belagert nicht die Sinne, es wurzelt vielmehr tief im Verständnis und steigt
von dort empor in die Wahrnehmung, breitet sich darin aus.
„Just
enough“ heißt der erste Abschnitt des Buches, mit 64 Tanka-Gedichten, deren
lyrisches Ich ein Eremitendichter ist, der in den Bergen nahe Kyoto lebt und
schreibt. Tankas knüpfen an die Tradition reimloser japanischer Poesie (genannt
Waka) an und fangen ähnlich dem Haiku (das sich aus dem Tanka entwickelt hat)
die atmosphärische Kraft, das atmosphärische Bewusstsein eines Momentes ein und
bringen sie zur Geltung.
„Wie schwer es istzu nehmenwas gegeben istund zu sagen ja,gerade richtig.“
Wie auch
das Haiku ist das Tanka eine Form der Konzentration, aber auch, so scheint mir,
der Genügsamkeit. Es ist nämlich nicht so, dass kein überflüssiges Wort in den
Versen enthalten sein darf; vielmehr muss die Idee des Überflüssigen generell
verworfen werden. Die Dinge, die Erkenntnisse, dürfen in ihrer (scheinbaren)
Nebensächlichkeit, ihrem einfachen Anstrich, ihrer klaren Kontur auftreten, und
sie verlieren dadurch nicht an poetischem Gehalt.
Des
Weiteren hat die Form, vor allem wie Maloney sie verwendet, etwas zutiefst
Meditatives. Als faltete der imaginierte Eremitendichter darin den Kosmos auf
ein Maß zusammen, das seine Empfindungen durchdringen kann, in dem sie
aufgehoben sind, statt sich in zu großen Dingen zu verlieren und von den Inseln
der Wirklichkeit abzudriften.
„Gib mir nicht die ganze Wahrheit,sondern Meer statt Durst, Himmel für Licht.Gib mir einen Schimmer,so wie Vögel nach dem BadenWassertropfen tragen.“
Gerade weil diese Texte so unscheinbar sind, sind sie ergiebig. Nicht leer, sondern offen, wie es in einem Gedicht von Tomas Tranströmer heißt, dem der Gedichtband (zusammen mit Tomaž Šalamun und Aleš Debeljak) in memoriam gewidmet ist – es gibt auch weiter hinten im Buch ein Gedicht, das um die lebendigen Ideen in Tranströmers Poesie kreist.
Ich muss sagen, dass ich es sehr genossen habe, in diesen 64 kurzen Liedern des Augenblicks zu blättern, sie mehrfach zu lesen, sie ganz genau zu betrachten. Es gibt keine einwandfreien Botschaften, keine sich aufschaukelnde Bilderwelt. Man kann in diesen Gedichten atmen, ihnen in Ruhe begegnen, da nichts auf einen einstürmt oder -strömt, nichts einen traktiert oder zieht. Zugegeben: ich würde nicht nur solche Poesie lesen wollen. Aber sie war durchaus eine erfreuliche Abwechslung.
„Jahre verbrachtin Meditationshallenvon Lehrer zu Lehrer gewandert,den Spiegel poliert, poliert– zerbrich ihn jetzt!“„In den alten Tagensagte der Lehrer:Finde ein Bedürfnis und erfülle es.Welches Bedürfnis wäre das?Nur der Weg wird es dir zeigen.“
Der folgende Abschnitt heißt dann „Not enough“. Ein Gegenprogramm zu den Tanka-Gedichten? Eigentlich nicht. Zwar herrschen in diesen längeren Gedichten etwas mehr Unruhe und manchmal sogar eine plötzliche Heftigkeit, aber es dominieren noch immer die langgezogenen Momente, die behutsam entfaltete, nun des Öfteren auch sezierte Wahrnehmung.
Die Themenpalette setzt sich aus Reiseerlebnissen, Erinnerungen und Streiflichtern zur eigenen amerikanischen Jugend und aus Zyklen, die sich einem Objekt auf verschiedene Arten und Weisen nähern, zusammen.
Wenn er über persönliche Erinnerungen schreibt, erinnert mich Maloneys Poesie manchmal an die biographischen Gedichte von Seamus Heaney.
Es gibt ein Gedicht des nordirischen Nobelpreisträgers, in dem er einen Freund anruft. Dessen Frau hebt ab und sagt, er sei im Garten. Sie werde ihn schnell holen. Er lauscht währenddessen durch den Hörer dem Pendelschlag einer Standuhr in der Stille, die eine Stille der Abwesenheit ist. Und er spürt auf einmal mit voller Wucht das Verrinnen der Zeit, das unaufhaltsame, das ihn und alles andere zum Sterben verdammt. Sein eigener Herzschlag spiegelt es. Das Gedicht endet: „Next thing he spoke and I nearly said I love him.“
Auch wenn sie sich thematisch nicht wirklich nahe kommen, hat mich das folgende Gedicht von Maloney an Heaneys „A call“ erinnert – vielleicht auch, weil es in beiden um Stimmen geht.
„Tending the gardenI listen to Brian Wilsonsing those old songs againHis voice whiskeyed,seasoned with experienceof age, trips of fantasyand imagination.Behind that youthfulsunny façade.a descent into darknessand sometimes madness..[…]That once youthful exuberancebest heard again in Brian’s raggedbut determined faltering voice.Like surfers we try tocatch the big wave, fallingand falling again and againonly to get back up on the boardand head out to another.
Bei Gartenarbeithöre ich, wie Brian Wilsondie alten Lieder wieder singt.Seine Stimme, stumpf von Whiskey,reif durch Erfahrungendes Alters, durch Trips im Rauschund Reisen mit der Vorstellungskraft.Hinter jener jugendlichensonnigen FassadeAbstieg in die Dunkelheitund ab und an in die Verrücktheit.[…]Jene damals jugendliche Ausgelassenheitheute am besten zu hören in Brians rauerund beherzt stockender Stimme.Wie Surfer versuchen wirauf der großen Welle zu reiten, zu fallenwieder zu fallen, und wieder,nur um erneut aufs Brett zu steigenund zur nächsten aufzubrechen.“
Gerade
richtig und nicht genug. Gegensätze, die sich oft nur durch einen Hauch
unterscheiden – ein Hauch, der viel damit zu tun hat, wie man auf die Dinge
blickt, wie man sie wahrnimmt. In diesem Sinne ist Lyrik oft auch eine
Seh-Schule, nicht nur in den Gedichten von Dennis Maloney.
Dichtende
wollen die Welt nämlich nicht nur wahrnehmen. Sie wollen sie sehen und sichtbar
machen. Denn die Welt, die sich mit jedem Blick zeigt, existiert in vielerlei
Hinsicht vor aller Augen verborgen.
„Was ist die Antwort des Dichters? Dassein Sturm über der Welt aufzieht,dass es Siege nicht geben kann,dass wir lernen müssen, ohne Angst zu leben,dass wir lernen müssen, eine neue Sprache zu sprechen.“
Dennis
Maloney: Eine leere Tasse. Empty Cup. Engl./dt. Übersetzt von Tzveta
Sofronieva. Berlin (Verlag Hans Schiler) 2017. 156 Seiten. 18,00 Euro.