Denis Diderot: Versuch über die Malerei
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Denis Diderot
Diderots Versuch über die Malerei
Übersetzt und mit Anmerkungen begleitet
von
Johann Wolfgang von Goethe
Geständnis des Übersetzers
Woher kommt
es wohl, daß man, obgleich dringend aufgefordert, sich doch so ungern
entschließt, über eine Materie, die uns geläufig ist, eine zusammenhangende
Abhandlung zu schreiben? eine Vorlesung zu entwerfen? Man hat alles wohl
überlegt, den Stoff sich vergegenwärtigt, ihn so gut man nur konnte, geordnet,
man hat sich aus allen Zerstreuungen zurückgezogen, man nimmt die Feder in die
Hand, und noch zaudert man, anzufangen.
In
demselbigen Augenblicke tritt ein Freund, vielleicht ein Fremder, unerwartet
herein, wir glauben uns gestört, und von unserm Gegenstande hinweggeführt;
aber, unvermutet lenkt sich das Gespräch auf denselben, der Ankömmling läßt
entweder gleiche Gesinnungen merken, oder er drückt das Gegenteil unserer
Überzeugung aus, vielleicht trägt er etwas nur halb und unvollständig vor, das
wir besser zu übersehen glauben, oder erhöht unsere eigne Vorstellung, unser
eignes Gefühl, durch tiefere Einsicht, durch Leidenschaft für die Sache.
Schnell sind alle Stockungen gehoben, wir lassen uns lebhaft ein, wir
vernehmen, wir erwidern. Bald gehen die Meinungen gleichen Schrittes, bald
durchkreuzen sie sich, das Gespräch schwankt so lange hin und her, kehrt so
lange in sich selbst zurück, bis der Kreis durchlaufen und vollendet ist. Man
scheidet endlich von einander, mit dem Gefühl, daß man sich für diesmal nichts
weiter zu sagen habe.
Aber dadurch
wird die Abhandlung, die Vorlesung nicht gefördert. Die Stimmung ist erschöpft,
man wünscht, daß ein Geschwindschreiber das vorüberrauschende Gespräch
aufgefaßt haben möchte. Man erinnert sich mit Vergnügen der sonderbaren
Wendungen des Dialogs, wie, durch Widerspruch und Einstimmung, durch
Zweiseitigkeit und Vereinigung, durch Rückwege so wie durch Umwege, das Ganze
zuletzt umschrieben und beschränkt worden, und jeder einseitige Vortrag, er sei
noch so vollständig, noch so methodisch gefaßt, kommt uns traurig und steif
vor.
Daher mag es kommen! Der Mensch ist kein
lehrendes, er ist ein lebendes, handelndes und wirkendes Wesen. Nur in Wirkung und Gegenwirkung erfreuen wir uns! und so ist auch
diese Übersetzung mit ihren fortdauernden Anmerkungen in guten Tagen
entstanden.
Eben als ich
in Begriff war, eine allgemeine Einleitung in die bildende Kunst, nach unserer
Überzeugung, zu entwerfen, fällt mir Diderots Versuch über die Malerei, zufällig,
wieder in die Hände. Ich unterhalte mich mit ihm aufs neue, ich tadle ihn, wenn
er sich von dem Wege entfernt, den ich für den rechten halte, ich freue mich,
wenn wir wieder zusammentreffen, ich eifre über seine Paradoxe, ich ergötze
mich an der Lebhaftigkeit seiner Überblicke, sein Vortrag reißt mich hin, der
Streit wird heftig, und ich behalte freilich das letzte Wort, da ich mit einem
abgeschiednen Gegner zu tun habe.
Ich komme
wieder zu mir selbst! Ich bemerke, daß diese Schrift schon vor dreißig Jahren
geschrieben ist, daß die paradoxen Behauptungen vorsätzlich gegen pedantische
Manieristen der französischen Schule gerichtet sind, daß ihr Zweck nicht mehr
statt findet, und daß diese kleine Schrift mehr einen historischen Ausleger
verlangt, als einen Gegner auffordert.
Werde ich
aber bald darauf wieder gewahr, daß seine Grundsätze, die er mit eben so viel
Geist als rhetorisch sophistischer Kühnheit und Gewandtheit, gelten macht, mehr
um die Inhaber und Freunde der alten Form zu beunruhigen, und eine Revolution
zu veranlassen, als ein neues Kunstgebäude zu errichten; daß seine Gesinnungen,
die nur zu einem Übergang vom Manierierten, Konventionellen, Habituellen,
Pedantischen, zum Gefühlten, Begründeten, Wohlgeübten und Liberalen einladen
sollten, in der neuern Zeit als theoretische Grundmaximen fortspuken, und sehr
willkommen sind, indem sie eine leichtsinnige Praktik begünstigen; dann finde
ich meinen Eifer wieder am Platz, ich habe nicht mehr mit dem abgeschiednen
Diderot, nicht mit seiner, in gewissem Sinne, schon veralteten Schrift, sondern
mit denen zu tun, die jene Revolution der Künste, welche er hauptsächlich mit
bewirken half, an ihrem wahren Fortgange hindern, indem sie sich auf der
breiten Fläche des Dilettantismus und der Pfuscherei, zwischen Kunst und Natur
hinschleifen, und eben so wenig geneigt sind eine gründliche
Kenntnis der Natur, als eine gegründete Tätigkeit der Kunst zu befördern.
Möge denn
also dieses Gespräch, das auf der Grenze zwischen dem Reiche der Toten und
Lebendigen geführt wird, auf seine Weise wirken! und die Gesinnungen und
Grundsätze, denen wir ergeben sind, bei allen, denen es Ernst ist, befestigen
helfen.
Erstes Kapitel
Meine wunderlichen Gedanken über die Zeichnung
Die Natur
macht nichts inkorrektes. Jede Gestalt, sie mag schön oder häßlich sein, hat
ihre Ursache, und unter allen existierenden Wesen ist keins, das nicht wäre,
wie es sein soll.
Die Natur
macht nichts inkonsequentes, jede Gestalt, sie sei schön oder häßlich, hat ihre
Ursache, von der sie bestimmt wird, und unter allen organischen Naturen, die
wir kennen, ist keine, die nicht wäre, wie sie sein kann.
So müßte man
allenfalls den ersten Paragraphen ändern, wenn er etwas heißen sollte. Diderot
fängt gleich von Anfang an die Begriffe zu verwirren, damit er künftig, nach
seiner Art, Recht behalte. Die Natur ist niemals korrekt! dürfte man eher
sagen. Korrektion setzt Regeln voraus, und zwar Regeln, die der Mensch selbst
bestimmt, nach Gefühl, Erfahrung, Überzeugung und Wohlgefallen, und darnach
mehr den äußern Schein als das innere Dasein eines Geschöpfes beurteilt; die
Gesetze hingegen nach denen die Natur wirkt, fordern den strengsten, innern
organischen Zusammenhang. Hier sind Wirkungen und Gegenwirkungen, wo man immer
die Ursache als Folge und die Folge als Ursache betrachten kann. Wenn eins
gegeben ist, so ist das andere unausbleiblich. Die Natur arbeitet auf Leben und
Dasein, auf Erhaltung und Fortpflanzung ihres Geschöpfes, unbekümmert ob es
schön oder häßlich erscheine. Eine Gestalt, die von Geburt an schön zu sein
bestimmt war, kann, durch irgend einen Zufall, in Einem Teile verletzt werden,
sogleich leiden andere Teile mit. Denn nun braucht die Natur Kräfte, den
verletzten Teil wieder herzustellen, und so wird den übrigen
etwas entzogen, wodurch ihre Entwicklung durchaus gestört werden muß. Das
Geschöpf wird nicht mehr, was es sein sollte, sondern was es sein kann.
Nimmt man in diesem Sinne den folgenden Paragraphen, so ist weiter nichts
dagegen einzuwenden.
Sehet diese
Frau an, die, in der Jugend, ihre Augen verloren hat. Das allmählige Wachstum
der Augenhöhle hat die Lider nicht ausgedehnt, sie sind in die Tiefe
zurückgetreten, die durch das fehlende Organ entstanden ist, sie haben sich
zusammengezogen. Die obern haben die Augenbraunen mit fortgerissen, die untern
haben die Wangen ein wenig hinaufgehoben. Die Oberlippe, indem sie dieser
Bewegung nachgab, hat sich gleichfalls in die Höhe gezogen, und so sind alle
Teile des Gesichts gestört worden, je nachdem sie näher oder weiter von dem
Hauptorte des Zufalls entfernt waren. Glaubt ihr aber, daß diese Entstellung
sich bloß in das Oval eingeschlossen habe? glaubt ihr, daß der Hals völlig frei
geblieben sei? und die Schultern und die Brust? Ja freilich für eure Augen und
für die meinen. Aber, ruft die Natur herbei, zeigt ihr diesen Hals, diese
Schultern, diese Brust, und sie wird sagen: dies sind Glieder eines Weibes, die
ihre Augen in der Jugend verloren hat.
Wendet einen
Blick auf diesen Mann, dessen Rücken und Schultern eine erhobene Gestalt
angenommen haben. Indessen die Knorpel des Halses vorn auseinander gingen,
drückten sich hinten die Wirbelbeine nieder, der Kopf ist zurückgeworfen, die
Hände haben sich an den Gelenken des Arms verschoben, die Ellenbogen sich
zurückgezogen, alle Glieder haben den gemeinschaftlichen Schwerpunkt gesucht,
der einem so verschobenen System zukam; das Gesicht hat darüber einen Zug von
Zwang und Mühseligkeit angenommen. Bedeckt diese Gestalt, zeigt der Natur ihre
Füße, und die Natur, ohne zu stocken, wird euch antworten: es sind die Füße
eines Bucklichten.
Vielleicht
scheint manchem die vorstehende Behauptung übertrieben, und doch ist es im
schärfsten Sinne wahr: daß die Konsequenz der organisierenden Natur, im
gesunden Zustande sowohl als im kranken, über alle unsere Begriffe geht.
Wahrscheinlich
hätte ein Meister der Semiotik die beiden Fälle, welche
Diderot nur als Dilettant beschreibt, besser dargestellt, doch haben wir ihm hierüber
den Krieg nicht zu machen, wir müssen sehen, wozu er seine Beispiele brauchen
will.
Wenn die
Ursachen und Wirkungen uns völlig anschaulich wären, so hätten wir nichts
besseres zu tun, als die Geschöpfe darzustellen, wie sie sind; je vollkommener
die Nachahmung wäre, je gemäßer den Ursachen, desto zufriedener würden wir
sein.
Hier kommen
die Grundsätze Diderots, die wir bestreiten werden, schon einigermaßen zum
Vorschein. Die Neigung aller seiner theoretischen Äußerungen geht dahin, Natur
und Kunst zu konfundieren, Natur und Kunst völlig zu amalgamieren, unsere Sorge
muß sein, beide in ihren Wirkungen getrennt darzustellen. Die Natur organisiert
ein lebendiges, gleichgültiges Wesen, der Künstler ein totes, aber ein
bedeutendes, die Natur ein wirkliches, der Künstler ein scheinbares. Zu den
Werken der Natur muß der Beschauer erst Bedeutsamkeit, Gefühl, Gedanken,
Effekt, Wirkung auf das Gemüt selbst hinbringen, im Kunstwerke will und muß er
das alles schon finden. Eine vollkommne Nachahmung der Natur ist in keinem
Sinne möglich, der Künstler ist nur zur Darstellung der Oberfläche einer
Erscheinung berufen. Das Äußere des Gefäßes, das lebendige Ganze, das zu allen
unsern geistigen und sinnlichen Kräften spricht, unser Verlangen reizt, unsern
Geist erhebt, dessen Besitz uns glücklich macht, das Lebevolle, Kräftige,
Ausgebildete, Schöne, dahin ist der Künstler angewiesen.
Auf einem
ganz andern Wege muß der Naturbetrachter gehn. Er muß das Ganze trennen, die
Oberfläche durchdringen, die Schönheit zerstören, das Notwendige kennen lernen,
und, wenn er es fähig ist, die Labyrinthe des organischen Baues, wie dem
Grundriß eines Irrgartens, in dessen Krümmungen sich so viele Spaziergänger abmüden,
vor seiner Seele fest halten.
Der lebendig
genießende Mensch, so wie der Künstler, fühlt, wie billig, ein Grauen, wenn er
in die Tiefen blickt, in welchen der Naturforscher, als in seinem Vaterlande,
herum wandelt, dagegen hat der reine Naturforscher wenig Respekt vor dem
Künstler, er sieht ihn nur als Werkzeug an, um Beobachtungen
zu fixieren und der Welt mitzuteilen; den genießenden Menschen hingegen
betrachtet er gar als ein Kind, das mit Wonne das schmackhafte Fleisch des
Pfirsigs verzehrt, und den Schatz der Frucht, den Zweck der Natur, den
fruchtbaren Kern nicht achtet und hinwegwirft.
So stehen
Natur und Kunst, Kenntnis und Genuß gegen einander, ohne sich wechselweise
aufzuheben, aber ohne sonderliches Verhältnis.
Sehen wir
nun die Worte unseres Autors genau an, so verlangt er eigentlich vom Künstler,
daß er für Physiologie und Pathologie arbeiten solle, eine Aufgabe, die das
Genie wohl schwerlich übernehmen würde.
Nicht besser
ist der folgende Periode, ja noch schlimmer, denn diese leidige, groß und
schwerköpfige, kurzbeinige, grobfüßige Figur würde man wohl schwerlich in einem
Kunstwerke dulden, wenn sie auch noch so organisch konsequent wäre. Überdies
kann sie auch der Physiolog nicht brauchen, denn sie stellt die menschliche
Gestalt nicht im Durchschnitte vor; der Patholog eben so wenig, denn sie ist
nicht krankhaft, noch monstros, sondern nur schlecht und abgeschmackt.
Wunderlicher,
trefflicher Diderot, warum wolltest du deine großen Geisteskräfte lieber
brauchen, um durcheinander zu werfen, als zu recht zu stellen? Sind denn die
Menschen, die sich, ohne Grundsätze, in der Erfahrung abmüden, nicht ohnehin
schon übel genug dran.
Ob wir nun
gleich die Wirkungen und Ursachen des organischen Baues nicht kennen, und aus
eben dieser Unwissenheit uns an konventionelle Regeln gebunden haben, so würde
doch ein Künstler, der diese Regeln vernachlässigte, und sich an eine genaue
Nachahmung der Natur hielte, oft wegen zu großer Füße, kurzer Beine,
geschwollener Knie, lästiger und schwerer Köpfe entschuldigt werden müssen.
Zu Anfang
des vorstehenden Perioden legt der Verfasser schon seine sophistischen
Schlingen, die er hinter her fester zuziehen will. Er sagt: wir kennen die Art
nicht, wie die Natur bei der Organisation verfährt, und wir sind deswegen über
gewisse Regeln überein gekommen, mit denen wir uns behelfen,
und nach denen wir uns, in Ermanglung einer bessern Einsicht, zu richten
pflegen. Hier ist es, wo sich gleich unser Widerspruch laut erheben muß.
Ob wir die
Gesetze der organisierenden Natur kennen oder nicht, ob wir sie besser kennen
als vor dreißig Jahren, da unser Gegner schrieb, ob wir sie künftig besser
kennen werden, wie tief wir in ihre Geheimnisse dringen können? darnach hat der
bildende Künstler kaum zu fragen. Seine Kraft besteht im Anschauen, im
Auffassen eines bedeutenden Ganzen, im Gewahrwerden der Teile, im Gefühl daß
eine Kenntnis die durchs Studium erlangt wird, nötig sei, und besonders im
Gefühl was denn eigentlich für eine Kenntnis, die durchs Studium erlangt wird,
nötig sei; damit er sich nicht zuweit aus seinem Kreise entferne, damit er das
Unnötige nicht aufnehme und das Nötige versäume.
Ein solcher
Künstler, eine Nation, ein Jahrhundert solcher Künstler, bilden durch Beispiel
und Lehre nachdem die Kunst sich lange empirisch fortgeholfen hat, endlich die
Regeln der Kunst. Aus ihrem Geiste und ihrer Hand entstehen Proportionen,
Formen, Gestalten, wozu ihnen die bildende Natur den Stoff darreichte; sie
konvenieren nicht über dies und jenes, das aber anders sein könnte, sie reden nicht
mit einander ab, etwas ungeschicktes für das Rechte gelten zu lassen, sondern
sie bilden zuletzt die Regeln aus sich selbst, nach Kunstgesetzen, die eben so
wahr in der Natur des bildenden Genius liegen, als die große allgemeine Natur
die organischen Gesetze ewig tätig bewahrt.
Es ist hier
gar die Frage nicht, auf welchem Raum der Erde? unter welcher Nation? zu
welcher Zeit? man diese Regeln entdeckt und befolgt habe. Es ist die Frage
nicht, ob man an andern Orten, zu andern Zeiten, unter andern Umständen davon
abgewichen sei? ob man hie und da etwas Konventionelles dem Gesetzmäßigen
substituiert habe? Ja es ist nicht einmal die Frage, ob die echten Regeln
jemals gefunden oder befolgt worden sind? sondern man muß kühn behaupten, daß
sie gefunden werden müssen, und daß, wenn wir sie dem Genie nicht
vorschreiben können, wir sie von dem Genie zu empfangen haben, das sich selbst
in seiner höchsten Ausbildung fühlt, und seinen Wirkungskreis nicht verkennt.
Was sollen wir aber zu dem folgenden Perioden sagen?
Er enthält eine Wahrheit, aber eine überflüssige; sie ist paradox hingestellt,
um uns auf Paradoxe vorzubereiten.
Eine krumme
Nase beleidigt nicht in der Natur, weil alles zusammenhängt, man wird auf
diesen Umstand durch kleine nachbarliche Veränderungen geführt, die ihn
einleiten, und erträglich machen. Verdrehte man dem Antinous die Nase, indem
das übrige an seinem Platze bliebe, so würde es übel aussehen. Warum? Antinous
hat alsdann keine krumme, er hat eine zerbrochne Nase.
Wir dürfen
wohl nochmals fragen: was soll das hier bedeuten? was beweisen? und warum wird
hier Antinous gebraucht? Jedes wohlgebildete Gesicht wird entstellt, wenn man
die Nase auf die Seite biegt, und warum? weil die Symmetrie gestört wird, auf
welcher die gute Bildung des Menschen beruht. Von einem Gesichte, das im Ganzen
verschoben ist, dergestalt, daß man gar keine Foderung einer symmetrischen
Stellung der Teile an dasselbe macht, sollte gar nicht die Rede sein, wenn man
auch von Kunst nur zum Scherz spräche.
Bedeutender
ist folgende Periode, hier geht der Sophist schon mit vollen Segeln.
Wir sagen
von einem Menschen, den wir vorbei gehen sehen, er sei übel gemacht. Ja nach
unsern armen Regeln; aber nach der Natur beurteilt, wird es anders klingen. Wir
sagen von einer Statue: sie habe die schönsten Proportionen. Ja nach unsern
armen Regeln, aber was würde die Natur sagen.
Mannigfaltig
ist die Komplikation des Halben, Schiefen und Falschen in diesen wenigen
Worten. Hier ist wieder die Lebenswirkung der organischen Natur, die sich in
allen Störungsfällen, obgleich oft kümmerlich genug, in ein gewisses
Gleichgewicht zu setzen weiß, und dadurch ihre lebendige, produktive Realität
auf das kräftigste beweist, der vollendeten Kunst entgegengesetzt, die auf
ihrem höchsten Gipfel keine Ansprüche auf lebendige, produktive und
reproduktive Realität macht, sondern die Natur auf dem würdigsten Punkte ihrer
Erscheinung ergreift, ihr die Schönheit der Proportionen ablernt, um sie ihr
selbst wieder vorzuschreiben.
Die Kunst übernimmt nicht mit der Natur, in ihrer
Breite und Tiefe, zu wetteifern, sie hält sich an die Oberfläche der
natürlichen Erscheinungen; aber sie hat ihre eigne Tiefe, ihre eigne Gewalt;
sie fixiert die höchsten Momente dieser oberflächlichen Erscheinungen, indem
sie das Gesetzliche darin anerkennt, die Vollkommenheit der zweckmäßigen
Proportion, den Gipfel der Schönheit, die Würde der Bedeutung, die Höhe der
Leidenschaft.
Die Natur
scheint um ihrer selbst willen zu wirken, der Künstler wirkt als Mensch, um des
Menschen willen. Aus dem, was uns die Natur darbietet, lesen wir uns, im Leben,
das Wünschenswerte, das Genießbare nur kümmerlich aus; was der Künstler dem
Menschen entgegen bringt, soll alles den Sinnen faßlich und angenehm, alles
aufreizend und anlockend, alles genießbar und befriedigend, alles für den Geist
nährend, bildend und erhebend sein, und so gibt der Künstler, dankbar gegen die
Natur, die auch ihn hervorbrachte, ihr eine zweite Natur, aber eine gefühlte,
eine gedachte, eine menschlich vollendete zurück.
Soll dieses
aber geschehen, so muß das Genie, der berufne Künstler, nach Gesetzen, nach
Regeln handeln, die ihm die Natur selbst vorschrieb, die ihr nicht
widersprechen, die sein größter Reichtum sind, weil er dadurch sowohl den
großen Reichtum der Natur als den Reichtum seines Gemüts beherrschen und
brauchen lernt.
Es sei mir
erlaubt den Schleier von meinem Bucklichen auf die medicäische Venus
überzutragen, so daß man nur die Spitze ihres Fußes gewahr werde. Übernähme nun
die Natur zu dieser Fußspitze eine Figur auszubilden, so würdet ihr vielleicht,
mit Verwunderung, unter ihrem Griffel ein häßliches und verschobenes Ungeheuer
entstehen sehen; mich aber würde es wundern, wenn das Gegenteil geschähe.
Der falsche
Weg, den unser Freund und Gegner mit den ersten Schritten eingeschlagen, vor
dem wir bisher zu warnen suchten, zeigt sich nun hier in seiner völligen
Ablenkung.
Was uns
betrifft, so haben wir viel zu große Ehrfurcht vor der Natur, als daß wir ihre
personifizierte, göttliche Gestalt für so täppisch halten sollten, in die
Schlingen eines Sophisten einzugehen, und, um seinen Scheingründen einiges Gewicht zu verschaffen, mit ihrer nie abirrenden Hand, eine
Fratze zu entwerfen. Sie wird vielmehr, wie das Orakel jene verfängliche Frage:
ob der Sperling lebendig oder tot sei? hier auch diese ungeschickte Zumutung
beschämen.
Sie tritt
vor das verschleierte Bild, sieht die Fußspitze und vernimmt warum der Sophist
sie aufgerufen hat. Streng; aber ohne Unwillen ruft sie ihm zu: du versuchst
mich vergebens durch eine verfängliche Zweideutigkeit! Laß den Schleier hängen,
oder hebe ihn weg, ich weiß, was drunter verborgen ist. Ich habe diese
Fußspitze selbst gemacht, denn ich lehrte den Künstler, der sie bildete; ich
gab ihm den Begriff vom Charakter einer Gestalt, und aus diesem Begriff sind
diese Proportionen, diese Formen entstanden; es ist genug, daß diese Fußspitze
zu dieser, und zu keiner andern Statue passe, daß dieses Kunstwerk, das du mir
zum größten Teil zu verbergen glaubst, mit sich selbst, in Übereinstimmung sei.
Ich sage dir: diese Fußspitze gehört einem schönen, zarten, schamhaften Weibe,
die in der Blüte ihrer Jugend steht! Auf einem andern Fuße würde die würdigste
der Frauen, die Götterkönigin ruhen, auf einem andern eine leichtsinnige
Bachantin schweben. Doch dieses merke: der Fuß ist von Marmor, er verlangt
nicht zu gehen, und so ist der Körper auch, er verlangt nicht zu leben. Hatte
dieser Künstler etwa die törige Forderung, seinen Fuß neben einen organischen
zu stellen? dann verdient er die Demütigung, die du ihm zudenkst; aber du hast
ihn nicht gekannt, oder ihn mißverstanden, kein echter Künstler verlangt sein
Werk neben ein Naturprodukt, oder gar an dessen Stelle zu setzen; der es täte,
wäre wie ein Mittelgeschöpf, aus dem Reiche der Kunst zu verstoßen, und im
Reiche der Natur nicht aufzunehmen.
Dem Dichter
kann man wohl verzeihen, wenn er, um eine interessante Situation in der
Phantasie zu erregen, seinen Bildhauer in eine selbsthervorgebrachte Statue
wirklich verliebt denkt, wenn er ihm Begierden zu derselben andichtet, wenn er
sie endlich in seinen Armen erweichen läßt. Das gibt wohl ein lüsternes
Geschichtchen, das sich ganz artig anhört; für den bildenden Künstler bleibt es
ein unwürdiges Märchen. Die Tradition sagt: daß brutale Menschen gegen
plastische Meisterwerke von sinnlichen Begierden entzündet
wurden; die Liebe eines hohen Künstlers aber zu seinem trefflichen Werk ist
ganz anderer Art; sie gleicht der frommen, heiligen Liebe unter Blutsverwandten
und Freunden. Hätte Pygmalion seiner Statue begehren können, so wäre er ein
Pfuscher gewesen, unfähig eine Gestalt hervorzubringen, die verdient hätte, als
Kunstwerk oder als Naturwerk geschätzt zu werden.
Verzeihe, o
Leser und Zuhörer, wenn unsere Göttin weitläufiger, als es einem Orakel
geziemt, gesprochen hat. Einen verworrenen Knaul kann man dir bequem auf einmal
in die Hand geben; um ihn zu entwirren aber, um ihn dir als einen reinen Faden
in seiner Länge zu zeigen, braucht es Zeit und Raum.
Eine
menschliche Figur ist ein System so mannigfaltig zusammengesetzt, daß die
Folgen einer, in ihren Anfängen unmerklichen, Inkonsequenz, das vollkommenste
Kunstwerk auf tausend Meilen von der Natur wegwerfen müssen.
Ja! der
Künstler verdiente diese Demütigung, daß man ihm sein vollkommenstes Kunstwerk,
die Frucht seines Geistes, seines Fleißes, seiner Mühe unendlich herabwürdigte,
gegen ein Naturprodukt herabsetzte, wenn er es neben, oder an die Stelle eines
Naturprodukts hätte setzen wollen.
Mit Fleiß
wiederholen wir die Worte unserer supponierten Göttin, weil unser Gegner sich
auch wiederholt, und weil gerade dieses Vermischen von Natur und Kunst die
Hauptkrankheit ist, an der unsere Zeit darnieder liegt. Der Künstler muß den
Kreis seiner Kräfte kennen, er muß innerhalb der Natur sich ein Reich bilden;
er hört aber auf ein Künstler zu sein, wenn er mit in die Natur verfließen,
sich in ihr auflösen will.
Wir wenden
uns abermals zu unserem Autor, der eine geschickte Wendung nimmt, um von seinen
seltsamen Seitenwegen zu dem Wahren und Richtigen allmählig zurückzukehren.
Wenn ich in
die Geheimnisse der Kunst eingeweiht wäre, so wüßte ich vielleicht, wie weit
der Künstler sich den angenommenen Proportionen unterwerfen soll; und ich würde
es euch sagen.
Wenn es der
Fall sein kann, daß der Künstler sich Proportionen unterwerfen
soll, so müssen diese doch etwas Nötigendes, etwas Gesetzliches haben, sie
dörfen nicht willkürlich angenommen sein, sondern die Masse der Künstler muß
hinreichende Ursache, bei Beobachtung der natürlichen Gestalten und in
Rücksicht auf Kunstbedürfnis gefunden haben, sie anzunehmen. Das ists, was wir
behaupten, und wir sind schon zufrieden, daß unser Verfasser es einigermaßen
zugesteht. Nur geht er leider zu geschwind über das, was Gesetzlich sein soll,
hinaus, er lehnt es bei Seite, um uns auf einzelne Bedingungen und
Bestimmungen, auf Ausnahmen zu leiten, und aufmerksam zu machen, denn er fährt
fort:
Aber das
weiß ich, daß sie gegen den Despotismus der Natur sich nicht halten können; daß
das Alter, der Zustand auf hunderterlei Art Aufofferungen bewirken.
Dies ist
keineswegs ein Gegensatz gegen das, was wir behauptet haben. Eben weil der
Künstlergeist sich erhoben hat, den Menschen auf der Höhe seiner Gestalt und
übrigens ohne Bedingung zu betrachten, dadurch sind ja die Proportionen
entstanden. Niemand wird die Ausnahmen leugnen, wenn man sie gleich erst bei
Seite setzen muß, wer würde eine Physiologie durch pathologische Noten zu
entkräften glauben.
Ich habe
niemals gehört, daß man eine Figur übel gezeichnet nenne, wenn sie ihre äußere
Organisation deutlich sehen läßt, wenn das Alter, die Gewohnheit und die Leichtigkeit
tägliche Beschäftigungen auszuüben, wohl ausgedruckt ist.
Wenn eine
Figur ihre äußere Organisation deutlich sehen läßt, und die übrigen Bedingungen
erfüllt, die hier gefordert werden; so hat sie gewiß, wo nicht schöne, doch
charakteristische Proportionen und kann in einem Kunstwerke gar wohl ihre
Stelle finden.
Diese
Beschäftigungen bestimmen die vollkommene Größe der Figur, die Proportion jedes
Gliedes und des Ganzen; daher sehe ich das Kind entspringen, den erwachsnen
Mann und den Greis; den wilden, so wie den gebildeten Menschen, den
Geschäftsmann, den Soldaten und den Lastträger.
Niemand wird
leugnen, daß Funktionen großen Einfluß auf die Ausbildung
der Glieder haben, aber die Fähigkeit zu diesem oder jenem Zweck ausgebildet zu
werden, muß zum Grunde liegen. Alle Beschäftigung der Welt wird keinen
Schwächling zu einem Lastträger machen. Die Natur muß das ihrige getan haben,
wenn die Erziehung gelingen soll.
Wenn eine
Figur schwer zu erfinden wäre, so müßte es ein Mensch von zwanzig Jahren sein,
der schnell, auf einmal, aus der Erde entstanden wäre, und nichts getan hätte;
aber dieser Mensch ist eine Chimäre.
Dieser
Behauptung kann man nicht gerade zu widersprechen, und doch muß man sich gegen
das Captiose, das in ihr liegt, verwahren. Freilich lassen sich keine Glieder
eines Erwachsnen denken, die sich ohne Übung, in einer absoluten Ruhe,
ausgebildet hätten, und doch denkt sich der Künstler, indem er seinen Idealen
nachstrebt, einen menschlichen Körper, welcher, durch die mäßigste Übung, zu
seiner größten Ausbildung gekommen ist; allen Begriff von Mühe, von
Anstrengung, von Ausbildung zu einem gewissen Zweck und Charakter muß er
ablenken. Eine solche Gestalt, die auf wahren Proportionen ruht, kann gar wohl
von der Kunst hervorgebracht werden, und ist alsdenn keineswegs eine Chimäre,
sondern ein Ideal.
Die Kindheit
ist beinahe eine Karikatur, dasselbe kann man von dem Alter sagen; das Kind ist
eine unförmige, flüssige Masse, die sich zu entwickeln strebt, so wie der Greis
eine ungestaltete und trockne Masse wird, die in sich selbst zurückkehrt, um
sich nach und nach auf nichts zu reduzieren.
Wir stimmen
mit dem Verfasser völlig überein, daß Kindheit und hohes Alter aus dem Bezirk
der schönen Kunst zu verbannen sind. In so fern der Künstler auf Charakter
arbeitet, mag er auch einen Versuch machen, diese zu wenig oder zu viel
entwickelte Naturen in den Zyklus schöner und bedeutender Kunst aufzunehmen.
Nur in dem
Zwischenraum der beiden Alter, vom Anfang der vollkommenen Jugend bis zum Ende
der Mannheit, unterwirft der Künstler seine Gestalten der Reinheit, der
strengen Genauigkeit der Zeichnung, da ist es, wo das poco piu und poco meno,
eine Abweichung hinein oder heraus, Fehler oder Schönheiten hervorbringen.
Nur äußerst kurze Zeit kann der menschliche Körper
schön genannt werden, und wir würden, im strengen Sinne, die Epoche noch viel
enger als unser Verfasser begrenzen. Der Augenblick der Pubertät ist für beide
Geschlechter der Augenblick, in welchem die Gestalt der höchsten Schönheit
fähig ist; aber man darf wohl sagen: es ist nur ein Augenblick! die Begattung
und Fortpflanzung kostet dem Schmetterlinge das Leben, dem Menschen die
Schönheit, und hier liegt einer der größten Vorteile der Kunst, daß sie
dasjenige dichterisch bilden darf, was der Natur unmöglich ist, wirklich
aufzustellen. So wie die Kunst Zentauren erschafft, so kann sie uns auch
jungfräuliche Mütter vorlügen, ja es ist ihre Pflicht. Die Matrone Niobe,
Mutter von vielen erwachsnen Kindern, ist mit dem ersten Reiz jungfräulicher
Brüste gebildet. Ja in der weisen Vereinigung dieser Widersprüche, ruht die
ewige Jugend, welche die Alten ihren Gottheiten zu geben wußten.
Hier sind
wir also mit unserm Verfasser völlig einig. Bei schönen Proportionen, bei
schönen F ormen ist allein das zarte Mehr oder Weniger bedeutend.
Das Schöne ist ein enger Kreis, in dem man sich nur bescheiden regen darf.
Wir lassen
uns von unserm Autor weiter führen, er bringt uns durch einen leichten Übergang
auf eine bedeutende Stelle.
Aber, werdet
ihr sagen, wie sich auch das Alter und die Funktionen (v)erhalten mögen, indem
sie die Formen verändern, zerstören sie doch die Organe nicht – das gebe ich zu
– so muß man sie also kennen? – das will ich nicht leugnen. Ja, hier ist die
Ursache, warum man die Anatomie zu studieren hat.
Das Studium
des Muskelmanns hat ohne Zweifel seine Vorteile, aber sollte nicht zu fürchten
sein, daß dieser Geschundne beständig in der Einbildungskraft bleiben, daß der
Künstler auf der Eitelkeit beharren werde, sich immer gelehrt zu zeigen, daß
sein verwöhntes Auge nicht mehr auf der Oberfläche verweilen könne, daß er,
ohngeachtet der Haut und des Fettes, immer nur den Muskel sehe, seinen
Ursprung, seine Befestigung, sein Einschmiegen! wird er nicht alles zu stark
ausdrücken? wird er nicht hart und trocken arbeiten? werde
ich nicht den verwünschten Geschundnen auch in Weiberfiguren wieder finden?
Weil ich
denn doch einmal nur das Äußere zu zeigen habe, so wünschte ich, man lehrte
mich das Äußere nur recht gut sehen, und erließe mir eine gefährliche Kenntnis,
die ich vergessen soll.
Dergleichen
Grundsätze darf man jungen und leichtgesinnten Künstlern nur merken lassen, sie
werden sich über eine Autorität freuen, die völlig wie aus ihrer Seele spricht.
Nein, werter Diderot! drücke dich, da dir die Sprache so zu Gewalt steht,
bestimmter aus. Ja, das Äußere soll der Künstler darstellen! Aber was ist das
Äußere einer organischen Natur anders, als die ewig veränderte Erscheinung des
Innern. Dieses Äußere, diese Oberfläche ist einem mannigfaltigen, verwickelten,
zarten, innern Bau so genau angepaßt, daß sie dadurch selbst ein Inneres wird,
indem beide Bestimmungen, die äußere und die innere, im ruhigsten Dasein, so
wie in der stärksten Bewegung stets im unmittelbarsten Verhältnisse stehen.
Wie diese
innere Kenntnis erreicht werde, nach welcher Methode der Künstler Anatomie
studieren soll, damit sie ihm nicht den Schaden bringe, den Diderot richtig
schildert, ist hier der Ort nicht, auszumachen; aber so viel kann man im
Allgemeinen sagen: du sollst den Leichnam, an dem du die Muskeln kennen
lerntest, beleben, nicht vergessen. Der musikalische Komponist wird, bei dem
Enthusiasmus seiner melodischen Arbeiten, den Generalbaß, der Dichter das
Sylbenmaß nicht vergessen.
Die Gesetze,
nach denen der Künstler arbeitet, vergißt er so wenig, als den Stoff den er
behandeln will. Dein Muskelmann ist Stoff und Gesetz, dieses mußt du mit
Bequemlichkeit befolgen, jenen mit Leichtigkeit zu beherrschen wissen! und
willst du wahrhaft wohltätig gegen deine Schüler sein; so hüte sie für unnützen
Kenntnissen und für falschen Maximen, denn es hält schwer, das Unnütze
wegzuwerfen, so wie eine falsche Richtung zu verändern.
Man studiert
die Muskeln am Leichnam nur deshalb, sagt man, damit man lerne, wie man die
Natur ansehen soll, aber die Erfahrung lehrt, daß man, nach diesem Studio, gar
viel Mühe hat, die Natur nicht anders zu sehen, als sie ist.
Auch diese Behauptung beruht nur auf schwankend
gebrauchten Worten. Der Künstler, der an der Oberfläche nur herumkrabelt, wird
dem geübten Auge immer leer, obgleich, bei schönem Talente, immer angenehm
erscheinen; der Künstler der sich ums Innere bekümmert, wird freilich auch das
sehen, was er weiß, er wird, wenn man will, sein Wissen auf die Oberfläche
übertragen, und hier ist auch das geringe Mehr oder Weniger,
welches entscheidet, ob er wohl, oder übel tut.
Hat nun
bisher unser Freund und Gegner das Studium der Anatomie verdächtig gemacht, so
zieht er nun gleichfalls gegen das akademische Studium des Nackten zu Felde.
Hier hat er es eigentlich mit den Pariser akademischen Anstalten, und ihrer
Pedanterei zu tun, die wir denn nicht in Schutz nehmen wollen. Auch zu diesem
Punkte bewegt er sich durch einen raschen Übergang.
Ihr, mein
Freund, werdet diesen Aufsatz allein lesen, und darum darf ich schreiben, was
mir beliebt. Die sieben Jahre, die man bei der Akademie zubringt, um nach dem
Modell zu zeichnen, glaubt ihr die gut angewendet? und wollt ihr wissen, was
ich davon denke? Eben während diesen sieben mühseligen und grausamen Jahren,
nimmt man in der Zeichnung eine Manier an; alle diese akademischen Stellungen,
gezwungen, zugerichtet, zurechtgerückt, wie sie sind, alle die Handlungen, die
kalt und schief, durch einen armen Teufel, ausgedrückt werden, und immer durch
ebendenselben armen Teufel, der gedungen ist, dreimal die Woche zu kommen, sich
auszukleiden, und sich durch den Professor, wie eine Gliederpuppe behandeln zu
lassen, was haben sie mit den Stellungen und Bewegungen der Natur gemein? der Mann,
der in eurem Hofe Wasser aus dem Brunnen zieht, wird er durch jenen richtig
vorgestellt, der nicht dieselbe Last zu bewegen hat und, mit zwei Armen in der
Höhe auf dem Schulgerüst, diese Handlung ungeschickt simuliert. Wie verhält
sich der Mensch, der vor der Schule zu sterben scheint, zu dem, der in seinem
Bette stirbt, oder den man auf der Straße totschlägt? Was für ein Verhältnis
hat der Ringer in der Akademie zu dem auf meiner Kreuzstraße? welches der Mann,
der auf Befehl bittet, bettelt, schläft, nachdenkt und in Ohnmacht fällt, zu
dem Bauer, der für Müdigkeit sich auf die Erde streckt, zu
dem Philosophen, der neben seinem Feuer nachdenkt, zu dem gedrängten,
erstickten Mann, der unter der Menge in Ohnmacht fällt? gar keins! mein Freund,
gar keins!
Von dem
Modelle gilt im Allgemeinen, was von dem Muskelkörper vorhin gesagt worden. Das
Studium des Modells und die Nachbildung desselben ist Teils eine Stufe, die der
Künstler zwar nicht überspringen kann, worauf er aber nicht zu lange verweilen
sollte, teils ist es eine Beihülfe bei Ausführung seiner Werke, die er, selbst
als vollendeter Künstler, nicht entbehren kann. Das lebendige Modell ist für
den Künstler nur ein roher Stoff, von dem er sich nicht muß einschränken
lassen, sondern den er zu verarbeiten trachten muß.
Die übeln
Wirkungen, die unser Freund von dem, freilich ewigen, Studium des Modells in
der Akademie gesehen, verdrießen ihn so sehr, daß er fortfährt.
Eben so gut
möchte man die Künstler, um ja das Abgeschmackte zu vollenden, wenn man sie dort
entläßt, zu Vestris, oder Gardel, oder zu irgend einem andern Tanzmeister
schicken, damit sie da die Grazie lernen. Denn wahrlich, die Natur wird ganz
vergessen, die Einbildungskraft füllt sich mit Handlungen, Stellungen, mit
Figuren, die nicht falscher, zugeschnittner, lächerlicher und kälter sein
könnten. Da stecken sie im Magazin, und nun kommen sie heraus, um sich ans Tuch
zu hängen. So oft der Künstler seinen Stift, oder seine Feder nimmt, erwachen
diese verdrießlichen Gespenster, und treten vor ihn, er wird sie nicht los, und
nur ein Wunder kann sie aus seinem Kopfe verjagen. Ich kannte einen jungen
Menschen, voll Geschmack, der, ehe er den mindesten Zug auf die Leinwand tat,
Gott auf seinen Knien anrief und vom Modell befreit zu werden bat. Wie selten
ist es gegenwärtig ein Gemälde zu sehen, das aus einer gewissen Anzahl Figuren
besteht, ohne, hie und da, einige dieser Figuren, Stellungen, Handlungen und
Bewegungen zu finden, die akademisch sind, einem Mann von Geschmack
unerträglich mißfallen, und nur denen imponieren, welchen die Wahrheit fremd
ist. Daran ist denn doch das ewige Studium des Schulmodelles schuld.
Nicht in der
Schule lernt man die allgemeine Übereinstimmung der
Bewegungen, die Übereinstimmung die man sieht und fühlt, die sich vom Haupt bis
zu den Füßen ausbreitet und schlängelt. Wenn eine Frau nachdenklich den Kopf
sinken läßt, so werden alle Glieder zugleich der Schwere gehorchen, sie hebe
den Kopf wieder auf, und halte ihn gerade, sogleich gehorcht die ganze übrige
Maschine.
Durch die
Behandlung bei der französischen Akademie, wobei man die Stellungen
vervielfältigen mußte, entfernte man sich von dem ersten Zweck des Modells den
Körper physisch kennen zu lernen, und um der Mannigfaltigkeit willen wählte man
auch Stellungen, die Gemütsbewegungen auszudrucken. Da denn unser Freund
freilich ganz im Vorteil steht, wenn er diese erzwungenen und falschen
Darstellungen gegen den natürlichen Ausdruck hält, den man auf der Straße, in
der Kirche, unter jeder Volksmenge beobachten kann, er kann sich des Spottens
nicht enthalten.
Freilich ist
es eine Kunst, eine große Kunst das Modell zu stellen, man darf nur sehen, was
der Herr Professor sich darauf zu gute tut. Fürchtet nicht, daß er etwa zu dem
armen, gedungenen Teufel sagen könnte: mein Freund stelle dich selbst! mache
was du willst! viel lieber gibt er ihm eine sonderbare Bewegung, als daß er ihn
eine einfache und natürliche nehmen ließe. Indessen ist das nun einmal nicht
anders.
Hundertmal
war ich versucht, den jungen Kunstschülern, die mir auf dem Weg zum Louvre, mit
ihrem Portefeuille unter dem Arm, begegneten, gutherzig zuzurufen, Freunde wie
lange zeichnet ihr da? Zwei Jahre. Das ist mehr als zu viel! Laßt mir die
Krambude der Manier, geht zu den Cartheusern dort werdet ihr den wahren Ausdruck
der Frömmigkeit und Innigkeit sehen. Heute ist Abend vor dem großen Feste, geht
in die Kirche, schleicht euch zu den Beichtstühlen, dort werdet ihr sehen wie
der Mensch sich sammelt, wie er bereut. Morgen geht in die Landschenke, dort
werdet ihr wahrhaft erzürnte Menschen sehen; mischt euch in die öffentlichen
Begebenheiten, beobachtet auf den Straßen, in den Gärten, auf den Märkten, in
Häusern, und ihr werdet richtige Begriffe fassen über die wahre Bewegung der
Lebenshandlungen. Seht! gleich hier! zwei von euren Kameraden streiten. Schon
dieser Wortstreit gibt, ohne ihr Wissen, allen Gliedern eine
eigne Richtung. Betrachtet sie wohl, und wie erbärmlich wird euch die Lektion
eures geschmacklosen Professors, und die Nachahmung eures geschmackleeren Modelles
vorkommen! Was werdet ihr nicht zu tun haben, wenn ihr künftig an dem Platz
aller dieser Falschheiten, die ihr eingelernt habt, die Einfalt und Wahrheit
des le Sueur setzen wollt; und das müßt ihr doch, wenn ihr etwas zu sein
verlangt.
Dieser Rat
wäre an sich gut, und nicht genug kann sich ein Künstler unter den Volksmassen
umsehen; allein unbedingt wie Diderot ihn gibt, kann er zu nichts führen. Der
Lehrling muß erst wissen, was er zu suchen hat, was der Künstler aus der Natur
brauchen kann, wie er es zu Kunstzwecken brauchen soll. Sind ihm diese
Vorübungen fremd, so helfen ihm alle Erfahrungen nichts, und er wird nur, wie
viele unsere Zeitgenossen, das Gewöhnliche, Halbinteressante, oder das, auf
sentimentalen Abwegen, falsch Interessante darstellen.
Etwas anders
ist eine Attitüde, etwas anders eine Handlung. Alle Attitüde ist falsch und
klein, jede Handlung ist schön und wahr.
Diderot
braucht das Wort Attitüde schon einigemal, und ich habe es nach der Bedeutung
übersetzt, die es mir an jenen Stellen zu haben schien, hier ist es aber nicht
übersetzlich, denn es führt schon einen mißbilligenden Nebenbegriff bei sich.
Überhaupt bedeutet Attitüde, in der französischen akademischen Kunstsprache,
eine Stellung, die eine Handlung, oder Gesinnung ausdrückt, und in so fern
bedeutend ist. Weil nun aber die Stellungen akademischer Modelle dieses was von
ihnen gefordert wird, nicht leisten, sondern nach der Natur der Aufgaben und
Umstände, gewöhnlich anmaßlich, leer, übertrieben, unzulänglich bleiben müssen,
so gebraucht Diderot das Wort Attitüde hier im mißbilligenden Sinne, den wir
auf kein Deutsches Wort übertragen können, wir müßten denn etwa akademische
Stellung sagen wollen, wobei wir aber um nichts gebessert wären.
Von den
Stellungen geht Diderot zum Kontrast über und mit Recht. Denn aus der
mannigfaltigen Richtung der Glieder an einer Figur, so wie aus mannigfaltigen
Richtungen der Glieder zusammengestellter Figuren, entsteht
der Kontrast. Wir wollen den Verfasser selbst hören.
Der übel
verstandene Kontrast ist eine der traurigsten Ursachen des Manierierten. Es
gibt keinen wahren Kontrast, als den der aus dem Grunde der Handlung
entspringt, aus der Mannigfaltigkeit der Organe, oder des Interesse. Wie geht
Rafael, wie le Sueur zu Werke? manchmal stellen sie drei, vier, fünf Figuren
gerade eine neben die andre, und die Wirkung ist herrlich. Bei den Cartheusern,
in der Messe oder der Vesper, sieht man in zwei langen parallelen Reihen,
vierzig bis fünfzig Mönche. Gleiche Stolen, gleiche Verrichtung, gleiche Bekleidung
und doch sieht keiner aus wie der andre. Sucht mir nur keinen andern Kontrast
als den, der diese Mönche unterscheidet! hier ist das Wahre! alles andere ist
klein und falsch.
Auch hier
ist er, wie bei der Lehre von den Gebärden, ob er gleich im Ganzen recht hat,
zu wegwerfend gegen die Kunstmittel und empirisch dilettantisch in seinem Rat.
Aus ein paar symmetrischen Mönchs-Reihen hat Rafael gewiß manches Motiv zu
seinen Kompositionen genommen, aber es war Rafael der es nahm, das Kunstgenie,
der fortschreitende, sich immer mehr ausbildende und vollendende Künstler. Man
vergesse nur nicht, daß man den Schüler, den man ohne Kunstanleitung zur Natur
hinstößt, von Natur und Kunst zugleich entferne.
Nun geht
Diderot, wie er schon oben getan, durch eine unbedeutende Phrase zu einer
fremden Materie über, er will den Kunstschüler, besonders den Maler, aufmerksam
machen: daß eine Figur rund und vielseitig sei, daß der Maler die Seite, die er
sehen läßt, so lebhaft darstellen müsse, daß sie die übrigen gleichsam in sich
enthalte. Was er sagt, deutet seine Intention mehr an, als daß an eine
Ausführung zu denken wäre.
Wenn unsere
jungen Künstler ein wenig geneigt wären meinen Rat zu nutzen, so würde ich
ihnen ferner sagen: ist es nicht lange genug, daß ihr nur die eine Seite des
Gegenstandes seht, die ihr nachbildet? versucht meine Freunde, euch die Figur
als durchsichtig zu denken und euer Auge in den Mittelpunkt derselben zu
bringen. Von da werdet ihr das ganze äußere Spiel der Maschine beobachten, ihr
werdet sehen, wie gewisse Teile sich ausdehnen, indessen
andere sich verkürzen, wie diese zusammensinken, jene sich aufblähen, und ihr
werdet immer, von dem Ganzen durchdrungen in der Einen Seite des Gegenstands,
die euer Gemälde mir zeigt, die schickliche Übereinstimmung mit der andern
fühlen lassen, die ich nicht sehe; und ob ihr mir gleich nur Eine Ansicht
darstellt, so werdet ihr doch meine Einbildungskraft zwingen, auch die
entgegengesetzte zu sehen. Dann werde ich sagen, daß ihr ein erstaunlicher
Zeichner seid.
Indem
Diderot Künstlern den Rat gibt, sich in die Mitte der Figur in Gedanken zu
versetzen, um sie nach allen Seiten wirkend und belebt zu sehen, ist seine
Absicht, besonders den Maler zu erinnern, daß er nicht flach, und gleichsam nur
von einer Seite gefällig zu sein suchen solle. Denn gewiß schon eine richtige
Zeichnung, ohne Licht und Schatten erscheint rund, so wie vor und
zurücktretend. Warum erscheint eine Silhouette so belebt? weil der Umriß der
Gestalt richtig ist, daß man sowohl die vordere, als Rückseite der Figur hinein
zeichnen könnte. Der junge Künstler, dem unsers Verfassers Rat nicht ganz
deutlich sein sollte, mache den eben angezeigten Versuch mit der Silhouette,
und sein Auge, von zwei Seiten auf denselben Contour gerichtet, wird das
ohngefähr wirklich ausüben können, was Diderot, durch Abstraktion aus der Mitte
der Figur herausgedacht haben will.
Wenn nun
eine Figur im Ganzen gut zusammen gezeichnet ist, so erinnert der Verfasser
nunmehr an die Ausführung, die nicht dem Ganzen schaden, sondern dasselbe
vollenden möge. Wir sind, mit ihm, überzeugt daß die höchsten Geisteskräfte, so
wie der geübteste Mechanismus des Künstlers hierbei aufgerufen werden müssen.
Aber es ist
nicht genug, daß ihr das Ganze gut zusammenrichtet, nun habt ihr noch das
Einzelne auszuführen, ohne daß die Masse zerstört werde. Das ist das Werk der
Begeisterung, des Gefühls, des auserlesnen Gefühls.
Und so würde
ich denn eine Zeichenschule folgendermaßen eingerichtet wünschen: wenn der
Schüler, mit Leichtigkeit, nach der Zeichnung und dem Runden, zu arbeiten weiß,
so halte ich ihn zwei Jahre vor dem akademischen Modell des Manns und der Frau.
Dann stelle ich ihm Kinder vor, dann Erwachsne, ferner
ausgebildete Männer, Greise, Personen von verschiedenem Alter und Geschlecht,
aus allen Ständen der Gesellschaft genommen, genug alle Arten von Naturen. Es
kann mir daran nicht fehlen, wenn ich sie gut bezahle, so werden sie sich in
Menge bei meiner Akademie melden, leb(t)e ich in einem Sklavenlande, so hieße
ich sie kommen.
Der
Professor bemerkt bei den verschiedenen Modellen die Zufälligkeiten, welche,
durch die tägliche Verrichtung, Lebensart, Stand und Alter, in den Formen
Veränderung bewirken.
Ein Schüler
sieht das akademische Modell nur alle vierzehen Tage, und diesem überläßt der
Professor sich selbst zu stellen. Nach der Zeichnungssitzung erklärt ein
geschickter Anatom meinem Lehrling den abgezognen Leichnam, und wendet seine
Lektion auf das Lebendige, Belebte, Nackende an. Höchstens zwölfmal des Jahrs
zeichnet er nach der toten Zergliedrung; mehr braucht er nicht, um zu
empfinden, daß Fleisch auf Knochen, und freies Fleisch sich nicht überein
zeichnen läßt, daß hier der Strich rund, und dort gleichsam winklich sein müsse;
er wird einsehen, daß wenn man diese Feinheiten vernachlässigt, das Ganze wie
eine aufgetriebene Blase, oder wie ein Wollsack aussieht.
Daß der
Vorschlag zu einer Zeichenschule unzulänglich, die Intention des Verfassers
nicht klar genug, die Epochen, wie die verschiednen Abteilungen des Unterrichts
auf einander folgen sollen, nicht bestimmt genug angegeben seien, fällt jedem
in die Augen; doch ist hier der Ort nicht mit dem Verfasser zu hadern. Genug
daß er, im Ganzen, den einschränkenden Pedantismus verbannt, und das
bestimmende Studium anempfiehlt. Möchten wir doch von Künstlern unserer Zeit,
sowohl an Körpern als Gewändern keine aufgedunsene Blasen und keine
ausgestopften Wollsäcke wieder sehen.
Es gäbe
nichts manieriertes, weder in der Zeichnung, noch in der Farbe, wenn man die
Natur gewissenhaft nachahmte. Die Manier kommt vom Meister, von der Akademie,
von der Schule, ja sogar von der Antike.
Fürwahr, so
schlimm du angefangen hast, endigst du, wackrer Diderot, und wir müssen zum
Schlusse des Kapitels in Unfrieden von dir scheiden. Ist die
Jugend, bei einer mäßigen Portion Genie, nicht schon aufgeblasen genug,
schmeichelt sich nicht jeder so gern: ein unbedingter, dem Individuo gemäßer,
selbst ergriffner Weg, sei der beste, und führe am weitesten? und du willst
deinen Jünglingen die Schule durchaus verdächtig machen! Vielleicht waren die
Professoren der Pariser Akademie vor dreißig Jahren wert, so gescholten und
diskreditiert zu werden, das kann ich nicht entscheiden, aber, im allgemeinen
genommen, ist in deinen Schlußworten keine wahre Sylbe.
Der Künstler
soll nicht so wahr, so gewissenhaft gegen die Natur, er soll gewissenhaft gegen
die Kunst sein. Durch die treuste Nachahmung der Natur entsteht noch kein
Kunstwerk, aber in einem Kunstwerke kann fast alle Natur erloschen sein, und es
kann noch immer Lob verdienen. Verzeihe du abgeschiedner Geist, wenn deine
Paradoxie mich auch paradox macht. Doch das wirst du im Ernste selbst nicht
leugnen, von dem Meister, von der Akademie, von der Schule, von der Antike, die
du anklagst, daß sie das Manierierte veranlasse, kann eben so gut, durch eine
richtige Methode, ein echter Styl verbreitet werden, ja, man darf wohl sagen:
welches Genie der Welt wird, auf Einmal, durch das bloße Anschauen der Natur,
ohne Überlieferung, sich zu Proportionen entscheiden, die echten Formen
ergreifen, den wahren Styl erwählen und sich selbst eine alles umfassende
Methode erschaffen? Ein solches Kunstgenie ist ein weit leereres Traumbild, als
oben dein Jüngling, der, als ein Geschöpf von zwanzig Jahren, aus einem
Erdenkloß entstünde, und vollendete Glieder hätte, ohne sie jemals gebraucht zu
haben.
Und so lebe
wohl, ehrwürdiger Schatten, habe Dank, daß du uns veranlaßtest zu streiten, zu
schwätzen, uns zu ereifern, und wieder kühl zu werden. Die höchste Wirkung des
Geistes ist, den Geist hervorzurufen. Nochmals lebe wohl. Im Farbenreiche sehen
wir uns wieder.
Zweites Kapitel
Meine kleine Ideen über die Farbe
Diderot, ein
Mann von großem Geist und Verstand, geübt in allen Wendungen des Denkens, zeigt
uns hier, daß er sich, bei Behandlung dieser Materie, seiner Stärke und seiner
Schwäche bewußt sei. Schon in der Überschrift gibt er uns einen Wink, daß wir
nicht zu viel von ihm erwarten sollen.
Wenn er in
dem ersten Kapitel uns mit bisarren Gedanken über Zeichnung drohte, so
war er sich seiner Übersicht, seiner Kraft und Fertigkeit bewußt, und wirklich
fanden wir an ihm einen gewandten und rüstigen Streiter, gegen den wir Ursache
hatten alle unsere Kräfte aufzubieten; hier aber kündigt er selbst, mit einer
bescheidnen Gebärde, nur kleine Ideen über die Farbe an; jedoch näher
betrachtet tut er sich unrecht, sie sind nicht klein, sondern meistenteils
richtig, den Gegenständen angemessen und seine Bemerkungen treffend; aber er
steht in einem engen Kreise beschränkt, und diesen kennt er nicht vollkommen,
er blickt nicht weit genug und selbst das nahe liegende ist ihm nicht alles
deutlich.
Aus dieser
Vergleichung der beiden Kapitel folgt nun von selbst daß ich, um auch dieses
mit Anmerkungen zu begleiten, mich einer ganz andern Behandlungsart befleißigen
muß. Dort hatte ich nur Sophismen zu entwickeln, das Scheinbare von dem Wahren
zu sondern, ich konnte mich auf etwas anerkannt gesetzliches in der Natur
berufen, ich fand manchen wissenschaftlichen Rückenhalt an den ich mich
anlehnen konnte; hier aber wäre die Aufgabe: einen engen Kreis zu erweitern,
seinen Umfang zu bezeichnen, Lücken auszufüllen und eine Arbeit selbst zu
vollenden, deren Bedürfnis von wahren Künstlern, von wahren Freunden der
Wissenschaften längst empfunden worden.
Da man aber,
gesetzt auch man wäre fähig dazu, eine solche Darstellung, bei Gelegenheit
eines fremden, unvollständigen Aufsatzes, wohl schwerlich bequem finden würde,
so habe ich einen andern Weg eingeschlagen um meine Arbeit,
bei diesem Kapitel, Freunden der Kunst nützlich zu machen.
Diderot
wirft auch hier, nach seiner bekannten sophistischen Tücke, die verschiednen
Teile seiner kurzen Abhandlung durch einander, er führt uns, wie in einem
Irrgarten, herum, um uns auf einem kleinen Raum eine lange Promenade
vorzuspiegeln. Ich habe daher seine Perioden getrennt und sie unter gewisse
Rubriken, in eine andere Ordnung, zusammengestellt. Es war dieses um so mehr
möglich, da sein ganzes Kapitel keinen innern Zusammenhang hat und vielmehr
dessen aphoristische Unzulänglichkeit nur durch eine desultorische Bewegung
versteckt wird.
Indem ich
nun auch in dieser neuen Ordnung meine Anmerkungen hinzufüge, so mag eine
gewisse Übersicht desjenigen, was geleistet ist, und desjenigen, was zu leisten
übrig bleibt, möglich werden.
Einiges Allgemeine
Hohe Wirkung
des Kolorits. Die Zeichnung gibt den Dingen die Gestalt, die Farbe, das Leben;
sie ist der göttliche Hauch der alles belebt.
Die
erfreuliche Wirkung, welche die Farbe aufs Auge macht, ist die Folge einer
Eigenschaft, die wir an körperlichen und unkörperlichen Erscheinungen, nur durch
das Gesicht, gewahr werden. Man muß die Farbe gesehen haben, ja man muß sie
sehen, um sich von der Herrlichkeit dieses kraftvollen Phänomens einen Begriff
zu machen.
Seltenheit
guter Koloristen. Wenn es mehrere treffliche Zeichner gibt, so gibt es wenig große
Koloristen. Eben so verhält sichs in der Literatur, hundert kalte Logiker gegen
Einen großen Redner, zehen große Redner gegen Einen fürtrefflichen Poeten. Ein
großes Interesse kann einen beredten Menschen schnell entwickeln und, Helvetius
mag sagen was er will, man macht keine zehen gute Verse ohne Stimmung, und wenn
der Kopf darauf stünde.
Hier spielt
Diderot nach seiner Art, um das Mangelhafte seiner besondern Kenntnisse zu
verbergen, die Frage, über die man unterrichtet werden möchte, ins allgemeine,
und blendet mit einem falsch angewendeten Beispiel aus den redenden
Künsten. Immer wird alles dem guten Genie zugeschoben, immer soll die Stimmung
alles leisten. Freilich sind Genie und Stimmung zwei unerläßliche Bedingungen,
wenn ein Kunstwerk hervor gebracht werden soll; aber beide sind, um nur von der
Malerei zu reden, zur Erfindung und Anordnung, zur Beleuchtung, wie zur Färbung
und zum Ausdruck, so wie zur letzten Ausführung nötig. Wenn die Farbe die
Oberfläche des Bildes belebt, so muß man das genialische Leben in allen seinen
Teilen gewahr werden.
Auch könnte
man überhaupt jenen Satz gerade umwenden und sagen: Es gibt mehr gute
Koloristen als Zeichner; oder, wenn wir anders billig sein wollen: es ist in
einem Fall so schwer als in dem andern vortrefflich zu sein. Stelle man
übrigens den Punkt, auf welchem einer für einen guten Zeichner oder Koloristen
gelten soll, so hoch, oder so tief als man will, so wird man immer zum
wenigsten gleiche Zahl der Meister finden, wenn man nicht etwa gar mehr Koloristen
antrifft. Man darf nur an die niederländische Schule und überhaupt an alle
diejenigen denken, welche Naturalisten genannt werden.
Hat es damit
seine Richtigkeit und gibt es wirklich eben so viel gute Koloristen als
Zeichner, so führt uns dies zu einer andern wichtigen Betrachtung. Bei der
Zeichnung hat man in den Schulen, wenn auch keine vollkommene Theorie, doch
wenigstens gewisse Grundsätze, gewisse Regeln und Maße die sich überliefern
lassen; bei dem Kolorit hingegen weder Theorie noch Grundsätze, noch irgend
etwas das sich überliefern läßt. Der Schüler wird auf Natur auf Beispiele, er
wird auf seinen eignen Geschmack verwiesen. Und warum ist es denn doch eben so
schwer gut zu zeichnen als gut zu kolorieren? Darum dünkt uns, weil die
Zeichnung sehr viel Kenntnisse erfordert, viel Studium voraussetzt, weil die
Ausübung derselben sehr verwickelt ist, ein anhaltendes Nachdenken und eine
gewisse Strenge fordert; das Kolorit hingegen ist eine Erscheinung, die nur ans
Gefühl Anspruch macht und also auch durchs Gefühl gleichsam instinktmäßig
hervor gebracht werden kann.
Ein Glück
daß es sich also verhält! Denn sonst würden wir, bei dem Mangel von Theorie und
Grundsätzen, noch weniger gut kolorierte Bilder haben. Daß es ihrer nicht mehr gibt hat mancherlei Ursachen. Diderot bringt in der Folge
verschiednes hierüber zur Sprache.
Wie traurig
es aber mit dieser Rubrik in unsern Lehrbüchern aussehe, kann man sich
überzeugen wenn man z. B. den Artikel Kolorit, in Sulzers
allgemeiner Theorie der schönen Künste, mit den Augen eines Künstlers
betrachtet, der etwas lernen, eine Anleitung finden, einem Fingerzeig folgen
will! Wo ist da nur eine theoretische Spur? wo ist da nur eine Spur, daß der
Verfasser auf das, worauf es eigentlich ankommt, wenigstens hindeute? Der Lernbegierige
wird an die Natur zurück gewiesen, er wird aus einer Schule, zu der er ein
Zutrauen setzt, hinaus auf die Berge und Ebenen, in die weite Welt gestoßen,
dort soll er die Sonne, den Duft, die Wolken und wer weiß was alles betrachten,
da soll er beobachten, da soll er lernen, da soll er, wie ein Kind das man
aussetzt, sich in der Fremde durch eigne Kräfte forthelfen. Schlägt man
deswegen das Buch eines Theoristen auf, um wieder in die Breite und Länge der
Erfahrung, um in die Unsicherheit einzelner zerstreuter Beobachtungen, in die
Verirrungen einer ungeübten Denkkraft zurück gewiesen zu werden? Freilich ist
das Genie, im allgemeinen, zur Kunst, so wie im besondern, zu einem bestimmten
Teile der Kunst unentbehrlich; wohl ist eine glückliche Disposition des Auges
zur Empfänglichkeit für die Farben, ein gewisses Gefühl für die Harmonie
derselben von Natur erforderlich, freilich muß das Genie sehen, beobachten,
ausüben und durch sich selbst bestehen; dagegen hat es Stunden genug in denen
es ein Bedürfnis fühlt, durch den Gedanken, über die Erfahrung, ja, wenn man
will, über sich selbst erhoben zu werden. Dann nähert es sich gern dem
Theoretiker, von dem es die Verkürzung seines Wegs, die Erleichterung der
Behandlung in jedem Sinne erwarten darf.
Urteil über
die Farbengebung. Nur die Meister der Kunst sind die wahren Richter der
Zeichnung, die ganze Welt kann über die Farbe urteilen.
Hierein
können wir keinesweges einstimmen. Zwar ist die Farbe in doppeltem Sinne,
sowohl in Absicht auf Harmonie im Ganzen, als auf Wahrheit des Dargestellten im
Einzelnen, leichter zu fühlen, in so fern sie unmittelbar an gesunde
Sinne spricht; aber von dem Kolorit, als eigentlichem Kunstprodukte, kann doch
nur der Meister, so wie von allen übrigen Rubriken urteilen. Ein buntes, ein
heiteres, ein durch eine gewisse Allgemeinheit, oder ein im besondern
harmonisches Bild, kann die Menge anlocken, den Liebhaber erfreuen, jedoch
urteilen darüber kann nur der Meister, oder ein entschiedner Kenner. Entdecken
doch auch ganz ungeübte Menschen Fehler in der Zeichnung, Kinder werden durch
Ähnlichkeit eines Bildnisses frappiert, es gibt gar vieles das ein gesundes
Auge im einzelnen richtig bemerkt, ohne im Ganzen zulänglich, in Hauptpunkten
zuverlässig zu sein. Hat man nicht die Erfahrung, daß Ungeübte Tizians Kolorit
selbst nicht natürlich finden? und vielleicht war Diderot auch in demselben
Falle, da er nur immer Vernet und Chardin als Muster des Kolorits anführt.
Ein
Halbkenner übersieht wohl in der Eile ein Meisterstück der Zeichnung, des
Ausdrucks, der Zusammensetzung; das Auge hat niemals den Koloristen
vernachlässigt.
Von
Halbkennern sollte eigentlich gar die Rede nicht sein! Ja, wenn man es streng
nimmt, gibt es gar keine Halbkenner. Die Menge, die von einem Kunstwerke
angezogen oder abgestoßen wird, macht auf Kennerschaft keinen Anspruch, der
echte Liebhaber wächst täglich und erhält sich immerfort bildsam. Es gibt halbe
Töne, aber auch diese sind harmonisch im Ganzen; der Halbkenner ist eine
falsche Saite, die nie einen richtigen Ton angibt, und grade beharrt er auf
diesem falschen Ton, da selbst echte Meister und Kenner sich nie für vollendet
halten.
Seltenheit
guter Koloristen. Aber warum gibt es so wenig Künstler, die das hervor bringen
könnten was jedermann begreift?
Hier liegt
wieder der Irrtum in dem falschen Sinne, der dem Worte begreifen gegeben
ist. Die Menge begreift die Harmonie und die Wahrheit der Farben eben so wenig
als die Ordnung einer schönen Zusammensetzung. Freilich werden beide nur desto
leichter gefaßt je vollkommner sie sind, und diese Faßlichkeit ist eine
Eigenschaft alles Vollkommenen in der Natur und der Kunst, diese Faßlichkeit
muß es mit dem Alltäglichen gemein haben; nur daß dieses reizlos,
ja abgeschmackt sein kann, lange Weile und Verdruß erregt, jenes aber reizt,
unterhält, den Menschen auf die höchsten Stufen seiner Existenz erhöht, ihn
dort gleichsam schwebend erhält und um das Gefühl seines Daseins so wie um die
verfließende Zeit betrügt.
Homers
Gesänge werden schon seit Jahrtausenden gefaßt, ja mitunter begriffen und wer
bringt etwas ähnliches hervor? Was ist faßlicher, was ist begreiflicher als die
Erscheinung eines trefflichen Schauspielers ? Er wird von tausenden und aber
tausenden gesehen und bewundert und wer vermag ihn nachzuahmen?
Eigenschaften eines echten Koloristen
Wahrheit und
Harmonie. Wer ist denn für mich der wahre, der große Kolorist Derjenige, der
den Ton der Natur und wohl erleuchteter Gegenstände gefaßt hat und der zugleich
sein Gemälde in Harmonie zu bringen wußte.
Ich würde
lieber sagen: Derjenige welcher die Farben der Gegenstände am richtigsten und
reinsten, unter allen Umständen der Beleuchtung, der Entfernung u.s.w. lebhaft
faßt und darstellt und sie in ein harmonisches Verhältnis zu setzen weiß.
An wenig
Gegenständen erscheint die Farbe in ihrer ursprünglichen Reinheit, selbst im
vollsten Lichte, sie wird mehr oder minder durch die Natur der Körper, an denen
sie erscheint, schon modifiziert und überdies sehen wir sie noch, durch
stärkeres oder schwächeres Licht, durch Beschattung, durch Entfernung, ja
endlich sogar durch mancherlei Trug auf tausenderlei Weise, bestimmt und
verändert. Alles das zusammen kann man Wahrheit der Farbe nennen, denn es ist
diejenige Wahrheit, die einem gesunden, kräftigen, geübten Künstlerauge
erscheint. Aber dieses Wahre wird in der Natur selten harmonisch angetroffen,
die Harmonie ist in dem Auge des Menschen zu suchen, sie ruht auf einer
inne(r)n Wirkung und Gegenwirkung des Organs, nach welchem eine gewisse Farbe
eine andere fordert und man kann eben so gut sagen, wenn das Auge eine Farbe
sieht, so fordert es die harmonische, als man sagen kann die Farbe welche das
Auge neben einer andern fordert ist die harmonische. Diese
Farben, auf welchen alle Harmonie und also der wichtigste Teil des Kolorits
ruht, wurden bisher von den Physikern zufällige Farben genannt.
Leichte
Vergleichung. Nichts in einem Bilde spricht uns mehr an, als die wahre Farbe,
sie ist dem Unwissenden wie dem Unterrichteten verständlich.
Dieses ist
in jedem Sinne wahr; doch ist es nötig zu untersuchen, was denn diese wenigen
Worte eigentlich sagen wollen? Bei allem, was nicht menschlicher Körper ist
bedeutet die Farbe fast mehr als die Gestalt, und die Farbe ist es also wodurch
wir viele Gegenstände eigentlich erkennen, oder wodurch sie uns interessieren.
Der einfarbige, der unfarbige Stein, will nichts sagen, das Holz wird durch die
Mannigfaltigkeit seiner Farbe nur bedeutend, die Gestalt des Vogels ist uns
durch ein Gewand verhüllt, das uns durch einen regelmäßigen Farbenwechsel
vorzüglich anlockt. Alle Körper haben gewissermaßen eine individuelle Farbe,
wenigstens eine Farbe der Geschlechter und Arten; selbst die Farben künstlicher
Stoffe sind nach Verschiedenheit derselben verschieden, anders erscheint
Cochenille auf Leinwand, anders auf Wolle, anders auf Seide. Taft, Atlas, Samt,
obgleich alle von seidnem Ursprung, bezeichnen sich anders dem Auge und was
kann uns mehr reizen, mehr ergötzen, mehr täuschen und bezaubern, als wenn wir
auf einem Gemälde das bestimmte, lebhafte, individuelle eines Gegenstandes,
wodurch er uns zeitlebens angesprochen, wodurch er uns allein bekannt ist,
wieder erblicken? Alle Darstellung der Form ohne Farbe ist symbolisch, die
Farbe allein macht das Kunstwerk wahr, nähert es der Wirklichkeit.
Farben der Gegenstände
Farbe des
Fleisches. Man hat behauptet, die schönste Farbe in der Welt sei die
liebenswürdige Röte womit Unschuld, Jugend, Gesundheit, Bescheidenheit und
Scham die Wangen eines Mädchens zieren, und man hat nicht nur etwas feines, rührendes,
zartes, sondern auch etwas wahres gesagt; denn das Fleisch ist schwer
nachzubilden; dieses saftige Weiß, überein, ohne blaß, ohne matt zu sein; diese
Mischung von rot und blau, die unmerklich durch (das
gelbliche) dringt, das Blut, das Leben, bringen den Koloristen in Verzweiflung.
Wer das Gefühl des Fleisches erreicht hat, ist schon weit gekommen, das übrige
ist nichts dagegen. Tausend Maler sind gestorben, ohne das Fleisch gefühlt zu
haben, tausend andere werden sterben, ohne es zu fühlen.
Diderot
stellt sich mit Recht hier auf den Gipfel der Farbe die wir an Körpern
erblicken. Die Elementarfarben, welche wir bei physiologischen, physischen und
chemischen Phänomenen bemerken und abgesondert erblicken, werden, wie alle
andere Stoffe der Natur, veredelt, indem sie organisch angewendet werden. Das
höchste organisierte Wesen ist der Mensch, und man erlaube uns, die wir für
Künstler schreiben, anzunehmen, daß es unter den Menschenrassen innerlich und
äußerlich vollkommner organisierte gebe, deren Haut, als die Oberfläche der
vollkommenen Organisation, die schönste Farbenharmonie zeigt, über die unsere
Begriffe nicht hinaus gehen. Das Gefühl dieser Farbe des gesunden Fleisches,
ein tätiges Anschauen derselben, wodurch der Künstler sich zum Hervorbringen von
etwas ähnlichen geschickt zu machen strebt, erfordert so mannigfaltige und
zarte Operationen, des Auges sowohl als des Geistes und der Hand, ein frisches
jugendliches Naturgefühl und ein gereiftes Geistesvermögen, daß alles andere
dagegen nur Scherz und Spielwerk, wenigstens alles andere in dieser höchsten
Fähigkeit begriffen zu sein scheint. Eben so ist es mit der Form. Wer sich zu
der Idee von der bedeutenden und schönen menschlichen Form empor gehoben hat,
wird alles übrige bedeutend und schön hervor bringen. Was für herrliche Werke
entstanden nicht wenn die großen, sogenannten Historienmaler sich herabließen
Landschaften, Tiere und unorganische Beiwerke zu malen!
Da wir
übrigens mit unserm Autor ganz in Einstimmung sind so lassen wir ihn selbst
reden.
Ihr könntet
glauben daß um sich im Kolorit zu bestärken ein wenig Studium der Vögel und der
Blumen nicht schaden könnte. Nein, mein Freund! niemals wird euch diese
Nachahmung das Gefühl des Fleisches geben. Was wird aus Bachelier wenn er seine
Rose, seine Jonquille, seine Nelke aus den Augen verliert? Laßt Madame Vien ein
Portrait malen und tragt es nachher zu Latour. Aber nein
bringt es ihm nicht! Der Verräter ehrt keinen seiner Mitbrüder so sehr um ihm
die Wahrheit zu sagen; aber bewegt ihn, der Fleisch zu malen versteht, ein
Gewand, einen Himmel, eine Nelke, eine duftige Pflaume, eine zart wollige
Pfirsiche zu malen ihr werdet sehen wie herrlich ersieh heraus zieht. Und
Chardin! warum nimmt man seine Nachahmung unbelebter Wesen für die Natur
selbst? eben deswegen weil er das Fleisch hervorbringt wann er will.
Man kann
sich nicht muntrer, feiner, artiger ausdrucken; der Grundsatz ist auch wohl
wahr. Nur steht Latour nicht als glückliches Beispiel eines großen
Farbekünstlers, er ist ein bunt übertriebner oder vielmehr manierierter Maler
aus Rigauds Schule, oder ein Nachahmer dieses Meisters.
In dem
folgenden geht Diderot zu der neuen Schwierigkeit über, die der Maler findet
indem das Fleisch an und für sich nicht allein so schwer nachzuahmen ist,
sondern die Schwierigkeit noch dadurch vermehrt wird, daß diese Oberfläche
einem denkenden, sinnenden, fühlenden Wesen angehört, dessen innerste,
geheimste, leichteste Veränderungen sich blitzschnell über das Äußere
verbreiten. Er übertreibt ein wenig die Schwierigkeit, doch mit besonderer
Anmut und ohne sich von der Wahrheit zu entfernen.
Aber was dem
großen Koloristen noch endlich ganz den Kopf verrückt das ist der Wechsel
dieses Fleisches, das sich von einem Augenblick zum andern belebt und verfärbt.
Indessen der Künstler sich an sein Tuch heftet, indem sein Pinsel mich
darzustellen beschäftigt ist, habe ich mich verändert und er findet mich nicht
wieder. Ist mir der Abbé Leblanc in die Gedanken gekommen, so mußte ich vor
langer Weile gähnen, zeigte sich der Abbé Trublet meiner Einbildungskraft, so
sehe ich ironisch aus. Erscheint mir mein Freund Grimm, oder meine Sophie, dann
klopft mein Herz, die Zärtlichkeit und Heiterkeit verbreitet sich über mein
Gesicht, die Freude scheint mir durch die Haut zu dringen, die kleinsten
Blutgefäße wurden erschüttert und die unmerkliche Farbe des lebendigen
Flüssigen hat über alle meine Züge die Farbe des Lebens verbreitet. Blumen und
Früchte schon verändern sich vor dem aufmerksamen Blick des Latour und
Bachelier. Welche Qual ist nicht für sie das Gesicht des
Menschen! Diese Leinwand, die sich rührt, sich bewegt, sich ausdehnt und so
bald erschlafft, sich färbt und mißfärbt, nach unendlichen Abwechslungen dieses
leichten und beweglichen Hauchs den man die Seele nennt.
Wir sagten
vorhin, daß Diderot die Schwierigkeit einigermaßen übertreibe, und gewiß, sie
wäre unüberwindlich wenn der Maler nicht das besäße was ihn zum Künstler macht,
wenn er von dem hin- und wiederblicken zwischen Körper und Leinwand allein
abhinge, wenn er nichts zu machen verstünde als was er sieht. Aber das ist ja
eben das Künstlergenie, das ist das Künstlertalent, daß es anzuschauen,
festzuhalten, zu verallgemeinen, zu symbolisieren, zu charakterisieren weiß,
und zwar in jedem Teile der Kunst, in Form sowohl als Farbe. Dadurch ist es
eben ein Künstlertalent, daß es eine Methode besitzt, nach welcher es die
Gegenstände behandelt, eine, sowohl geistige, als praktisch mechanische
Methode, wodurch es den beweglichsten Gegenstand fest zu halten, zu
determinieren und ihm eine Einheit und Wahrheit der künstlichen Existenz zu
geben weiß.
Aber bald
hätte ich vergessen euch von der Farbe der Leidenschaft zu reden und doch war
ich ganz nahe dran. Hat nicht jede Leidenschaft ihre eigne Farbe? verändert sie
sich nicht auf jeder Stufe der Leidenschaft? Die Farbe hat ihre Abstufungen im
Zorn. Entflammt er das Gesicht, so brennen die Augen, ist er auf dem höchsten
Grad, so verengt er das Herz, anstatt es auszudehnen. Dann verwirren sich die
Augen, die Blässe verbreitet sich über die Stirn, über die Wangen, die Lippen
zittern und verbleichen. Liebe und Verlangen, süßer Genuß, glückliche
Befriedigung! färbt nicht jeder dieser Momente mit andern Farben eine geliebte
Schönheit?
Von diesem
Perioden gilt was von dem vorigen gesagt worden; auch hier ist Diderot zu
loben, daß er dem Künstler die großen Forderungen zeigt, die man an ihn zu
machen berechtigt ist; wenn er ihn auf die Mannigfaltigkeit der
Naturerscheinungen aufmerksam macht und ihn dadurch vor dem Manierierten zu
hüten sucht. Ein gleiches hat er im folgenden zur Absicht.
Die
Mannigfaltigkeit unserer gewirkten Stoffe, unserer Gewänder
hat nicht wenig beigetragen das Kolorit vollkommner zu machen.
Schon oben
ist in einer Anmerkung hierüber etwas gesagt worden.
Der
allgemeine Ton der Farbe kann schwach sein ohne falsch zu sein.
Daß die
Lokalfarbe, sowohl in einem ganzen Bilde, als durch die verschiednen Gründe
eines Bildes gemäßigt werden, und doch noch immer wahr und den Gegenständen
gemäß bleiben kann, daran ist nicht der mindeste Zweifel.
Von der Harmonie der Farben
Wir kommen
nunmehr an einen wichtigen Punkt, über den wir oben schon einiges geäußert, der
aber nicht hier sondern in der Folge der ganzen Farbenlehre nur vorgetragen und
erörtert werden kann.
Man sagt daß
es freundliche und feindliche Farben gebe, und man hat recht wenn man darunter
versteht: daß es solche gibt die sich schwer verbinden, die dergestalt neben
einander absetzen daß Licht und Luft, diese beiden allgemeinen Harmonisten, uns
kaum die unmittelbare Nachbarschaft erträglich machen können.
Da man auf
den Grund der Farbenharmonie nicht gelangen konnte und doch harmonische und
disharmonische Farben eingestehen mußte, zugleich aber bemerkte daß stärkeres
oder schwächeres Licht den Farben etwas zu geben oder zu nehmen und dadurch
eine gewisse Vermittlung zu machen schien, da man bemerkte daß die Luft, indem
sie die Körper umgibt, gewisse mildernde und sogar harmonische Veränderungen
hervorbringt, so sah man beide als die allgemeinen Harmonisten an, man vermischte
das von dem Kolorit kaum getrennte Helldunkel, auf eine unzulässige Weise,
wieder mit demselben, man brachte die Massen herbei, man redete von
Luftperspektiv, nur um einer Erklärung über die Harmonie der Farben
auszuweichen. Man sehe das Sulzerische Kapitel vom Kolorit und wie dort die
Frage, was Harmonie der Farben sei? nicht heraus gehoben, sondern unter fremden
und verwandten Dingen vergraben und verschüttet wird. Diese Arbeit ist also noch zu tun, und vielleicht zeigt es sich, daß eine solche
Harmonie, wie sie unabhängig und ursprünglich im Auge, im Gefühl des Menschen
existiert, auch durch Zusammenstellung von gefärbten Gegenständen äußerlich
hervor gebracht werden kann.
Ich zweifle
daß irgend ein Maler diese Partie(n) besser verstehe als eine Frau, die ein
wenig eitel ist, oder ein Sträußermädchen die ihr Handwerk versteht.
Also ein
reizbares Weib, ein lebhaftes Sträußermädchen, verstehen sich auf die Harmonie
der Farben! die eine weiß was ihr wohl ansteht, die andere, wie sie ihre Ware
gefällig machen soll. Und warum begibt sich der Philosoph, der Physiolog nicht
in diese Schule? Warum nimmt er sich nicht die kleine Mühe zu beobachten wie
ein liebenswürdiges Geschöpf verfährt um diesen Elementarkreis zu ihren Gunsten
zu ordnen? Warum beobachtet er nicht was sie sich zueignet und was sie
verschmäht? Die Harmonie und Disharmonie der Farben ist zugestanden, der Maler
ist darauf hingewiesen, jeder fordert sie von ihm und niemand sagt ihm was sie
sei. Was geschieht? Sein natürliches Gefühl führt ihn in manchen Fällen recht,
in andern weiß er sich nicht zu helfen. Und wie benimmt er sich? Er weicht der
Farbe selbst aus, er schwächt sie und glaubt sie dadurch zu harmonieren, indem
er ihr die Kraft nimmt ihre Widerwärtigkeit gegen eine andere recht lebhaft an
den Tag zu legen.
Der
allgemeine Ton der Farbe kann schwach sein ohne daß die Harmonie zerstört
werde, im Gegenteil läßt sich die Stärke des Kolorits mit der Harmonie schwer
verbinden.
Man gibt
keineswegs zu, daß es leichter sei ein schwaches Kolorit harmonischer zu machen
als ein starkes; aber freilich wenn das Kolorit stark ist, wenn die Farben
lebhaft erscheinen, dann empfindet auch das Auge Harmonie und Disharmonie viel
lebhafter; wenn man aber die Farben schwächt, einige hell, andere gemischt,
andere beschmutzt im Bilde braucht, dann weiß freilich niemand ob er ein
harmonisches oder disharmonisches Bild sieht; das weiß man aber allenfalls zu
sagen daß es unwirksam, daß es unbedeutend sei.
Weiß oder
hell zu malen sind zwei sehr verschiedne Dinge. Wenn unter zwei verschiednen
Kompositionen übrigens alles gleich ist, so wird euch die lichteste gewiß am
besten gefallen; es ist wie der Unterschied zwischen Tag und Nacht.
Ein Gemälde
kann allen Anforderungen ans Kolorit genugtun und doch vollkommen hell und
licht sein. Die helle Farbe erfreut das Auge, und eben dieselben Farben in
ihrer ganzen Stärke, in ihrem dunkelsten Zustande genommen, werden einen
ernsten, ahndungsvollen Effekt hervor bringen; aber freilich ist es ein anderes
hell malen als ein weißes, kreidenhaftes Bild darstellen.
Noch eins!
Die Erfahrung lehrt daß helle, heitere Bilder nicht immer den starken,
kraftvollen Effektbildern vorgezogen werden. Wie hätte sonst Spagnolett zu
seiner Zeit den Guido überwiegen können?
Es gibt eine
Zauberei vor der man sich schwer verwahren kann, es ist die, welche der Maler
ausübt der seinem Bilde eine gewisse Stimmung zu geben versteht. Ich weiß nicht
wie ich euch deutlich meine Gedanken ausdrücken soll! Hier auf dem Gemälde
steht eine Frau, in weißen Atlas gekleidet! deckt das übrige Bild zu und seht
das Kleid allein, vielleicht erscheint euch dieser Atlas schmutzig, matt und
nicht sonderlich wahr. Aber seht diese Figur wieder in der Mitte der
Gegenstände von denen sie umgeben ist und alsobald wird der Atlas und seine
Farbe ihre Wirkung wieder leisten. Das macht daß das Ganze gemäßigt ist, und
indem jeder Gegenstand verhältnismäßig verliert, so ist nicht zu bemerken was
jedem einzelnen gebricht, die Übereinstimmung rettet das Werk. Es ist die Natur
bei Sonnenuntergang gesehen.
Niemand wird
zweifeln daß ein solches Bild Wahrheit und Übereinstimmung, besonders aber
große Verdienste in der Behandlung haben könne.
Fundament
der Harmonie. Ich werde mich wohl hüten in der Kunst die Ordnung des
Regenbogens umzustoßen. Der Regenbogen ist in der Malerei was der Grundbaß in
der Musik ist.
Endlich
deutet Diderot auf ein Fundament der Harmonie, er will es im Regenbogen finden
und beruhigt sich dabei was die französische Malerschule darüber ausgesprochen
haben mag. Indem der Physiker die ganze Farbentheorie auf die prismatischen
Erscheinungen und also gewissermaßen auf den Regenbogen
gründete, so nahm man wohl hier und da diese Erscheinungen gleichfalls bei der
Malerei als Fundament der harmonischen Gesetze an, die man bei der Farbengebung
vor Augen haben müsse, um so mehr als man eine auffallende Harmonie in dieser
Erscheinung nicht leugnen konnte. Allein der Fehler den der Physiker beging,
verfolgte mit seinen schädlichen Einflüssen auch den Maler. Der Regenbogen, so
wie die prismatischen Erscheinungen, sind nur einzelne Fälle der viel weiter
ausgebreiteten, mehr umfassenden, tiefer zu begründenden harmonischen
Farbenerscheinungen. Es gibt nicht eine Harmonie, weil der Regenbogen, weil das
Prisma sie uns zeigen, sondern diese genannten Phänomene sind harmonisch, weil
es eine höhere, allgemeine Harmonie gibt, unter deren Gesetzen auch sie stehen.
Der
Regenbogen kann keineswegs dem Grundbaß in der Musik verglichen werden, jener
umfaßt sogar nicht einmal alle Erscheinungen die wir bei der Refraktion gewahr
werden, er ist so wenig der Generalbaß der Farben als ein Durakkord der
Generalbaß der Musik ist; aber weil es eine Harmonie der Töne gibt, so ist ein
Durakkord harmonisch. Forschen wir aber weiter so finden wir auch einen
Mollakkord, der keineswegs in dem Durakkorde, wohl aber in dem ganzen Kreise
musikalischer Harmonie begriffen ist.
So lange nun
in der Farbenlehre nicht auch klar wird daß die Totalität der Phänomene nicht
unter ein beschränktes Phänomen und dessen allenfallsige Erklärung gezwängt
werden kann, sondern daß jedes Einzelne sich in den Kreis mit allen übrigen
stellen, sich ordnen, sich unterordnen muß; so wird auch diese Unbestimmtheit,
diese Verwirrung in der Kunst dauern, wo man im praktischen das Bedürfnis weit
lebhafter fühlt, anstatt daß der Theoretiker die Frage nur stille bei Seite
lehnen und eigensinnig behaupten darf: alles sei ja schon erklärt!
Aber ich
fürchte daß kleinmütige Maler davon ausgegangen sind um auf eine armselige
Weise die Grenzen der Kunst zu verengen und sich eine leichte und beschränkte
(kleine) Manier zu bereiten, das was wir so unter uns ein Protokoll nennen.
Diderot rügt
hier eine kleine Manier in welche verschiedene Maler
verfallen sein mögen, welche sich an die beschränkte Lehre des Physikers zu
nahe anschlössen. Sie stellten, so scheint es, auf ihrer Palette die Farben in
der Ordnung, wie sie im Regenbogen vorkommen und es entstand daraus eine
unleugbare harmonische Folge, sie nannten es ein Protokoll, weil hier nun
gleichsam alles verzeichnet war was geschehen konnte und sollte. Allein da sie
die Farben nur in der Folge des Regenbogens und des prismatischen Gespenstes
kannten, so wagten sie es nicht bei der Arbeit diese Reihe zu zerstören, oder
sie dergestalt zu behandeln daß man jenen Elementarbegriff dabei verloren
hätte, sondern man konnte das Protokoll durchs ganze Bild wieder finden; die
Farbe blieb auf dem Gemälde, wie auf der Palette, nur Stoff, Materie, Element
und ward nicht durch eine wahre genialische Behandlung in ein harmonisches
Ganze organisch verwebt. Diderot greift diese Künstler mit Heftigkeit an. Ich
kenne ihre Namen nicht und habe keine solche Gemälde gesehen, aber ich glaube
mir nach Diderots Worten wohl vorzustellen was er meint.
Fürwahr es
gibt solche Protokollisten in der Malerei, solche untertänige Diener des
Regenbogens, daß man beständig erraten kann, was sie machen werden. Wenn ein
Gegenstand diese oder jene Farbe hat, so kann man gewiß sein diese oder jene
Farbe ganz nahe daran zu finden. Ist nun die Farbe der einen Ecke auf ihrem
Gemälde gegeben, so weiß man alles übrige. Ihr ganzes Lebenlang tun sie nichts
weiter als diese Ecke zu versetzen; es ist ein beweglicher Punkt der auf einer
Fläche herum spaziert, der sich aufhält und bleibt wo es ihm beliebt, der aber
immer dasselbe Gefolge hat. Er gleicht einem großen Herrn, der mit seinem Hof
immer in einerlei Kleidern erschiene.
Echtes
Kolorit. So handelt nicht Vernet nicht Chardin. Ihr unerschrockner Pinsel weiß
mit der größten Kühnheit die größte Mannigfaltigkeit und die vollkommenste
Harmonie zu verbinden und so alle Farben der Natur mit allen ihren Abstufungen
darzustellen.
Hier fängt
Diderot an die Behandlung mit dem Kolorit zu vermengen. Durch eine solche
Behandlung verliert sich freilich alles stoffartige, elementare, rohe,
materielle, indem der Künstler die mannigfaltige Wahrheit des einzelnen, in einer schön verbundnen Harmonie des ganzen verborgen,
vorzustellen weiß, und so wären wir zu denen Hauptpunkten von denen wir ausgingen,
zu Wahrheit in Übereinstimmung zurückgekehrt.
Sehr wichtig
ist der folgende Punkt, über den wir erst Diderot hören und dann unsere
Gedanken gleichfalls eröffnen wollen.
Und
demohngeachtet haben Vernet und Chardin eine eigne und beschränkte Art der
Farbenbehandlung! Ich zweifle nicht daran und würde sie wohl entdecken wenn ich
mir die Mühe geben wollte. Das macht, daß der Mensch kein Gott ist und daß die
Werkstatt des Künstlers nicht die Natur ist.
Nachdem
Diderot gegen die Manieristen lebhaft gestritten, ihre Mängel aufgedeckt und
ihnen seine Lieblingskünstler, Vernet und Chardin entgegen gesetzt, so kommt er
an den zarten Punkt daß denn doch auch diese mit einer gewissen bestimmten
Behandlungsart zu Werke gehen, der man wohl etwas eignes, etwas beschränktes
Schuld geben könnte, so daß er kaum sieht wie er sie von den Manieristen
unterscheiden soll. Hätte er von den größten Künstlern gesprochen, so würde er
doch in Versuchung geraten sein eben dasselbe zu sagen; aber er wird billig, er
will den Künstler nicht mit Gott, das Kunstwerk nicht mit einem Naturprodukte
vergleichen.
Wodurch
unterscheidet sich denn also der Künstler, der auf dem rechten Wege geht von
demjenigen, der den falschen eingeschlagen hat? Dadurch daß er einer Methode
bedächtig folgt, anstatt daß jener leichtsinnig einer Manier nachhängt.
Der
Künstler, der immer anschaut, empfindet, denkt, wird die Gegenstände in ihrer
höchsten Würde, in ihrer lebhaftesten Wirkung, in ihren reinsten Verhältnissen
erblicken, bei der Nachahmung wird ihm eine selbstgedachte, eine überlieferte,
selbstdurchdachte Methode die Arbeit erleichtern, und wenn gleich bei Ausübung
dieser Methode seine Individualität mit ins Spiel kommt, so wird er doch durch
dieselbe, so wie durch die reinste Anwendung seiner höchsten Sinnes- und
Geisteskräfte, immer wieder ins allgemeine gehoben, und kann so bis an die
Grenzen der möglichen Produktion geführt werden. Auf diesem
Wege erhüben sich die Griechen bis zu der Höhe auf der wir besonders ihre
plastische Kunst kennen, und warum haben ihre Werke aus den verschiednen Zeiten
und von verschiednem Werte einen gewissen gemeinsamen Eindruck? Doch wohl nur
daher weil sie der Einen, wahren Methode im Vorschreiten folgten, welche sie
selbst beim Rückschritt nicht ganz verlassen konnten.
Das Resultat
einer echten Methode nennt man Styl, im Gegensatz der Manier. Der Styl erhebt
das Individuum zum höchsten Punkt, den die Gattung zu erreichen fähig ist,
deswegen nähern sich alle große Künstler einander in ihren besten Werken. So
hat Rafael wie Tizian koloriert, da wo ihm die Arbeit am glücklichsten geriet.
Die Manier hingegen individualisiert, wenn man so sagen darf, noch das
Individuum. Der Mensch, der seinen Trieben und Neigungen unaufhaltsam
nachhängt, entfernt sich immer mehr von der Einheit des Ganzen, ja sogar von
denen die ihm allenfalls noch ähnlich sein könnten, er macht keine Ansprüche an
die Menschheit und so trennt er sich von den Menschen. Dieses gilt so gut vom
sittlichen als vom künstlichen, denn da alle Handlungen des Menschen aus Einer
Quelle kommen so gleichen sie sich auch in allen ihren Ableitungen.
Und so edler
Diderot wollen wir bei deinem Ausspruch beruhen, indem wir ihn verstärken.
Der Mensch
verlange nicht Gott gleich zu sein, aber er strebe sich als Mensch zu vollenden.
Der Künstler strebe nicht ein Naturwerk aber ein vollendetes Kunstwerk hervor
zu bringen.
Irrtümer und Mängel
Karikatur.
Es gibt Karikaturen der Farbe wie der Zeichnung und alle Karikatur ist im bösen
Geschmack.
Wie eine
solche Karikatur möglich sei, und worin sie sich von einer eigentlich
disharmonischen Farbengebung unterscheide, läßt sich erst deutlich aus einander
setzen, wenn wir über die Harmonie der Farben und den Grund, worauf sie beruht,
einig geworden; denn es setzt voraus daß das Auge eine Übereinstimmung
anerkenne, daß es eine Disharmonie fühle und daß man, woher
die beiden entstehen, unterrichtet sei. Alsdann sieht man erst ein, daß es eine
dritte Art geben könne, die sich zwischen beide hinein setzt. Man kann mit
Verstand und Vorsatz von der Harmonie abweichen und dann bringt man das
Charakteristische hervor, geht man aber weiter, übertreibt man diese
Abweichung, oder wagt man sie ohne richtiges Gefühl und bedächtige Überlegung,
so entsteht die Karikatur, die endlich Fratze und völlige Disharmonie wird und
wofür sich jeder Künstler sorgfältig hüten sollte.
Individuelles
Kolorit. Warum gibt es so vielerlei Koloristen? indessen es nur Eine
Farbenmischung in der Natur gibt.
Man kann
nicht eigentlich sagen daß es nur Ein Kolorit in der Natur gebe, denn beim
Worte Kolorit denken wir uns immer zugleich den Menschen der die Farbe sieht,
im Auge aufnimmt und zusammen hält. Aber das kann und muß man annehmen, um
nicht in Ungewißheit des Raisonnements zu geraten, daß alle gesunde Augen alle
Farben und ihr Verhältnis ohngefähr überein sehen. Denn auf diesem Glauben der
Übereinstimmung solcher Apperzeptionen beruht ja alle Mitteilung der Erfahrung.
Daß aber
auch in den Organen eine große Abweichung und Verschiedenheit in Absicht auf
Farben sich befindet, kann man am besten bei dem Maler sehen, der etwas
ähnliches mit dem was er sieht hervor bringen soll. Wir können aus dem
Hervorgebrachten auf das Gesehene schließen und mit Diderot sagen:
Die Anlage
des Organs trägt gewiß viel dazu bei. Ein zartes und schwaches Auge wird sich
mit lebhaften und starken Farben nicht befreunden und ein Maler wird keine
Wirkungen in sein Bild bringen wollen die ihn in der Natur verletzen; er wird
das lebhafte Rot, das volle Weiß nicht lieben, er wird die Tapeten, mit denen
er die Wände seines Zimmers bedeckt, er wird seine Leinwand mit schwachen,
sanften und zarten Tönen färben und gewöhnlich durch eine gewisse Harmonie
ersetzen was er euch an Kraft entzog.
Dieses
schwache, sanfte Kolorit, diese Flucht vor lebhaften Farben, kann sich, wie
Diderot hier angibt, von einer Schwäche der Nerven überhaupt herschreiben. Wir
finden daß gesunde, starke Nationen, daß das Volk überhaupt,
daß Kinder und junge Leute sich an lebhaften Farben erfreuen; aber eben so
finden wir auch daß der gebildetere Teil die Farbe flieht, teils weil sein
Organ geschwächt ist, teils weil er das auszeichnende, das charakteristische
vermeidet.
Bei dem
Künstler hingegen ist die Unsicherheit, der Mangel an Theorie oft Schuld wenn
sein Kolorit unbedeutend ist. Die stärkste Farbe findet ihr Gleichgewicht, aber
nur wieder in einer starken Farbe und nur wer seiner Sache gewiß wäre wagte sie
neben einander zu setzen. Wer sich dabei der Empfindung, dem Ohngefähr überläßt
bringt leicht eine Karikatur hervor, die er, in so fern er Geschmack hat,
vermeiden wird; daher also das Dämpfen, das Mischen, das Töten der Farben,
daher der Schein von Harmonie die sich in ein Nichts auflöst, anstatt das Ganze
zu umfassen.
Warum sollte
der Charakter, ja selbst die Lage des Malers nicht auf sein Kolorit Einfluß
haben? Wenn sein gewöhnlicher Gedanke traurig, düster und schwarz ist, wenn es
in seinem melancholischen Kopf und in seiner düstern Werkstatt immer Nacht
bleibt, wenn er den Tag aus seinem Zimmer vertreibt, wenn er Einsamkeit und
Finsternis sucht, werdet ihr nicht eine Darstellung zu erwarten haben die wohl
kräftig aber zugleich dunkel, mißfarbig und düster ist? Ein Gelbsüchtiger, der
alles gelb sieht, wie soll der nicht über sein Bild denselben Schleier werfen
den sein krankes Organ über die Gegenstände der Natur zieht und der ihm selbst
verdrießlich ist, wenn er den grünen Baum, den eine frühere Erfahrung in die
Einbildungskraft drückte, mit dem gelben vergleicht, den er vor Augen sieht?
Seid gewiß,
daß ein Maler sich in seinem Werke eben so sehr, ja noch mehr, als ein
Schriftsteller in dem seinigen zeige. Einmal tritt er wohl aus seinem
Charakter, überwindet die Natur und den Hang seines Organs. Er ist wie ein
verschloßner, schweigender Mann, der doch auch einmal seine Stimme erhebt; die
Explosion ist vorüber, er fällt in seinen natürlichen Zustand in das
Stillschweigen zurück. Der traurige Künstler, der mit einem schwachen Organ
geboren ist, wird wohl Einmal ein Gemälde von lebhafter Farbe hervor bringen,
aber bald wird er wieder zu seinem natürlichen Kolorit zurückkehren.
Unterdessen ist es schon äußerst erfreulich, wenn ein
Künstler einen solchen Mangel bei sich gewahr wird und äußerst beifallswürdig
wenn er sich bemüht ihm entgegen zu arbeiten. Sehr selten findet sich ein
solcher und wo er sich findet, wird seine Bemühung gewiß belohnt und ich würde
ihm nicht, wie Diderot tut, mit einem unvermeidlichen Rückfall drohen, vielmehr
ihm, wo nicht einen völlig zu erreichenden Zweck, doch einen immerwährenden
glücklichen Fortschritt versprechen.
Auf alle
Fälle wenn das Organ krankhaft ist, auf welche Weise es wolle, so wird es einen
Dunst über alle Körper verbreiten, wodurch die Natur und ihre Nachahmung
äußerst leiden muß.
Nachdem also
Diderot den Künstler aufmerksam gemacht hat was er an sich zu bekämpfen habe,
so zeigt er ihm auch noch die Gefahren die ihm in der Schule bevorstehen.
Einfluß des
Meisters. Was den wahren Koloristen selten macht ist daß der Künstler sich
gewöhnlich Einem Meister ergibt. Eine undenkliche Zeit kopiert der Schüler die
Gemälde des Einen Meisters, ohne die Natur anzublicken, er gewöhnt sich durch
fremde Augen zu sehen und verliert den Gebrauch der seinigen. Nach und nach
macht er sich eine gewisse Kunstfertigkeit die ihn fesselt und von der er sich
weder befreien noch entfernen kann; die Kette ist ihm ums Auge gelegt, wie dem
Sklaven um den Fuß, und das ist die Ursache daß sich so manches falsche Kolorit
verbreitet. Einer der nach la Grenee kopiert wird sich ans glänzende und solide
gewöhnen, wer sich an le Prince hält wird rot und ziegelfarbig werden, nach
Greuze grau und violett, wer Chardin studiert ist wahr! Und daher kommt diese
Verschiedenheit in den Urteilen über Zeichnung und Farbe selbst unter
Künstlern; der eine sagt daß Poussin trocken, der andere daß Rubens übertrieben
ist, und ich, der Liliputianer, klopfe ihnen sanft auf die Schulter und bemerke
daß sie eine Albernheit gesagt haben.
Es ist keine
Frage daß gewisse Fehler, gewisse falsche Richtungen sich leicht mitteilen,
wenn Alter und Ansehen besonders den Jüngling auf bequeme, unrechte Wege
leiten. Alle Schulen und Sekten beweisen daß man lernen könne mit andern Augen
sehen; aber so gut ein falscher Unterricht böse Früchte
bringt und das manierierte fortpflanzt, eben so gut wird auch durch diese
Empfänglichkeit der jungen Naturen die Wirkung einer echten Methode begünstigt.
Wir rufen dir also wackrer Diderot abermals, so wie beim vorigen Kapitel zu:
indem du deinen Jüngling vor den Afterschulen warnst, so mache ihm die echte
Schule nicht verdächtig.
Unsicherheit
im Auftragen der Farben. Der Künstler, indem er seine Farbe von der Palette
nimmt, weiß nicht immer welche Wirkung sie in dem Gemälde hervor bringen wird
und freilich! womit vergleicht er diese Farbe, diese Tinte auf seiner Palette ?
Mit andern einzelnen Tinten, mit ursprünglichen Farben! Er tut mehr, er
betrachtet sie an dem Orte wo er sie bereitet hat und überträgt sie in Gedanken
an den Platz wo sie angewendet werden soll. Wie oft begegnet es ihm nicht daß er
sich bei dieser Schätzung betrügt! Indem er von der Palette auf die volle Szene
seiner Zusammensetzung übergeht wird die Farbe modifiziert, geschwächt, erhöht,
sie verändert völlig ihren Effekt. Dann tappt der Künstler herum, hantiert
seine Farbe hin und wieder und quält sie auf alle Weise. Unter dieser Arbeit
wird die Tinte eine Zusammensetzung verschiedner Substanzen welche mehr oder
weniger (chemisch) auf einander wirken und früher oder später sich verstimmen.
Diese
Unsicherheit kommt daher, wenn der Künstler nicht deutlich weiß was er machen
soll und wie er es zu machen hat, beides, besonders aber das letzte, läßt sich
auf einen hohen Grad überliefern. Die Farbenkörper, welche zu brauchen sind,
die Folge, in welcher sie zu brauchen sind, von der ersten Anlage bis zur
letzten Vollendung, kann man wissenschaftlich, ja beinahe handwerksmäßig
überliefern. Wenn der Emaillemaler ganz falsche Tinten auftragen muß und nur im
Geiste die Wirkung sieht, die erst durchs Feuer hervor gebracht wird, so sollte
doch der Ölmaler, von dem hauptsächlich hier die Rede ist, wohl eher wissen was
er vorzubereiten und wie er stufenweise sein Bild auszuführen habe.
Fratzenhafte
Genialität. Diderot mag uns verzeihen daß wir unter dieser Rubrik das Betragen
eines Künstlers den er lobt und begünstigt aufführen müssen.
Wer das lebhafte Gefühl der Farbe hat heftet seine
Augen fest auf das Tuch, sein Mund ist halb geöffnet, er schnaubt, (ächzt,
lechzt,) seine Palette ist ein Bild des Chaos. In dieses Chaos taucht er seinen
Pinsel und zieht das Werk seiner Schöpfung hervor. Er steht auf, entfernt sich,
wirft einen Blick auf sein Werk. Er setzt sich wieder und ihr werdet so die
Gegenstände der Natur lebendig auf seiner Tafel entstehen sehen.
Vielleicht
ist es nur der deutschen Gesetztheit lächerlich einen braven Künstler hinter
seinem Gegenstande, gleichsam als einen erhitzten Jagdhund hinter einem Wilde
her, mit offnem Munde schnauben zu sehen. Vergebens versuchte ich das
französische Wort haleter in seiner ganzen Bedeutung auszudrücken, selbst die
mehreren gebrauchten Worte fassen es nicht ganz in die Mitte; aber so viel
scheint mir doch höchst wahrscheinlich daß weder Rafael bei der Messe von
Bolsena, noch Coreggio vor dem heiligen Hieronymus, noch Tizian vor dem
heiligen Peter, noch Paul Veronese vor einer Hochzeit zu Cana mit offnem Munde
gesessen, geschnaubt, geächzt, gelechzt, gestöhnt, haletiert habe. Das mag denn
wohl so ein französischer Fratzensprung sein, vor dem sich diese lebhafte
Nation in den ernstesten Geschäften nicht immer hüten kann.
Nachfolgendes
ist nicht viel besser.
Mein Freund!
geht in eine Werkstatt und seht den Künstler arbeiten. Wenn er seine Tinten und
Halbtinten recht symmetrisch, rings um die Palette, geordnet hat, oder wenn
nicht wenigstens nach einer Viertelstunde Arbeit die ganze Ordnung durch
einander gestrichen ist; so entscheidet kühn daß der Künstler kalt ist und daß
er nichts bedeutendes hervor bringen wird. Er gleicht einem unbehülflichen
schweren Gelehrten der eben die Stelle eines Autors nötig hat. Der steigt auf
seine Leiter, nimmt und öffnet das Buch, kommt zum Schreibetisch, kopiert die
Zeile die er braucht, steigt die Leiter wieder hinan und stellt das Buch an den
Platz zurück. Das ist fürwahr nicht der Gang des Genies.
Wir selbst
haben dem Künstler oben zur Pflicht gemacht die materielle Farbenerscheinung
der abgesonderten Pigmente, durch wohlverstandene Mischung, zu tilgen, die
Farbe, seinen Gegenständen gemäß, zu individualisieren und
gleichsam zu organisieren; ob aber diese Operation so wild und tumultuarisch
vorgenommen werden müsse, daran zweifelt wie billig ein bedächtiger Deutscher.
Rechte und reinliche Behandlung der Farben
Überhaupt
wird die Harmonie eines Bildes desto dauerhafter sein je sichrer der Maler von
der Wirkung seines Pinsels, je kühner, je freier sein Auftrag war, je weniger
er die Farbe hin und wieder gehantiert und gequält, je einfacher und, kecker er
sie angewendet hat. Man sieht moderne Gemälde in kurzer Zeit ihre
Übereinstimmung verlieren, man sieht alte die sich, ohnerachtet der Zeit,
frisch, kräftig und in Harmonie erhalten haben. Dieser Vorteil scheint mir
nicht sowohl eine Wirkung der bessern Eigenschaft ihrer Farben, als eine
Belohnung des guten Verfahrens bei der Arbeit zu sein.
Ein schönes
und echtes Wort von einer wichtigen und schönen Sache. Warum stimmst du, alter
Freund, nicht immer so mit dem Wahren und mit dir selbst überein? Warum nötigst
du uns mit einer Halbwahrheit, mit einem paradoxen Perioden zu schließen?
O mein Freund,
welche Kunst ist die Malerei! Ich vollende mit einer Zeile was der Künstler in
einer Woche kaum entwirft und zu seinem Unglück weis er, sieht er, fühlt er,
wie ich und kann sich durch seine Darstellung nicht genug tun. Die Empfindung,
indem sie ihn vorwärts treibt, betrügt ihn über das was er vermag, er verdirbt
ein Meisterstück, denn er war, ohne es gewahr zu werden, auf der letzten Grenze
seiner Kunst.
Freilich ist
die Malerei sehr weit von der Redekunst entfernt und wenn man auch annehmen
könnte der bildende Künstler sehe die Gegenstände wie der Redner, so wird doch
bei jenem ein ganz anderer Trieb erweckt als bei diesem. Der Redner eilt von
Gegenstand zu Gegenstand, von Kunstwerk zu Kunstwerk, um darüber zu denken, sie
zu fassen, sie zu übersehen, sie zu ordnen und ihre Eigenschaften
auszusprechen. Der Künstler hingegen ruht auf dem Gegenstande, er vereinigt
sich mit ihm in Liebe, er teilt ihm das Beste seines Geistes, seines Herzens
mit, er bringt ihn wieder hervor. Bei der Handlung des
Hervorbringens kommt die Zeit nicht in Anschlag, weil die Liebe das Werk
verrichtet. Welcher Liebhaber fühlt die Zeit in der Nähe des geliebten
Gegenstandes verfließen? Welcher echte Künstler weiß von Zeit indem er
arbeitet? Das was dich den Redner ängstigt das macht des Künstlers Glück; da wo
du ungeduldig eilen möchtest fühlt er das schönste Behagen.
Und deinem
andern Freunde der, ohne es zu wissen, auf den Gipfel der Kunst gerät und durch
Fortarbeiten sein treffliches Werk wieder verdirbt, dem ist am Ende wohl auch noch
zu helfen. Wenn er wirklich so weit in der Kunst, wenn er wirklich so brav ist,
so wird es nicht schwer halten ihm auch das Bewußtsein seiner Geschicklichkeit
zu geben und ihn über die Methode aufzuklären, die er dunkel schon ausübt, die
uns lehrt, wie das beste zu machen sei und uns zugleich warnt nicht mehr als
das beste machen zu wollen.
Und so sei
auch für diesmal diese Unterhaltung geschlossen. Einstweilen nehme der Leser
das, was sich in dieser Form geben ließe, geneigt auf, bis wir ihm sowohl über
die Farbenlehre überhaupt, als über das malerische Kolorit im besondern, das
Beste was wir haben und vermögen, in gehöriger Form und Ordnung, mitteilen und
überliefern können.