David Krause: Die Umschreibung des Flusses
Dirk Uwe Hansen
Rosen sind rot, Veilchen sind blau...
Gewiss: Klappentexte folgen ihren eigenen Regeln und sind vielleicht gar nicht immer der beste Einstieg in die unvoreingenommene Lektüre eines Gedichtbandes. Im Falle von David Krauses Debutband allerdings stammt der Klappentext aus der Jurybegründung zur Verleihung des Léonce-und-Lena-Preises, von einer Jury also, der der im Nachwort des Bandes als Krauses Mentor ausführlich gelobte Kurt Drawert angehörte — wir müssen daher den folgenden Satz wohl als programmatisch für Krauses Intention als Dichter verstehen:
„In seinen Gedichten geht der Autor David Krause ein hohes ästhetisches Risiko ein: Er wagt noch einmal wie am ersten Tag unmittelbar sinnlich von den Dingen zu sprechen, wie sie sich dem schreibenden Subjekt in der Erinnerung und in ihrer unentrinnbaren Flüchtigkeit zeigen.”
Ein hoher Anspruch wird hier formuliert, auf Unmittelbarkeit, Sinnlichkeit, Subjektivität und Festhalten des Flüchtigen. Und ich will es gleich vorweg sagen: Diesem Anspruch werden die Gedichte des Bandes genau deswegen nicht gerecht, weil der Autor eben kein Risiko einzugehen bereit ist.
Hypnos
Die Ärzte hatten einen Fluss angelegt,
einen Schlauch in deinen Körper,
und stellten die Maschinen ein.
Du sahst mich an und lächeltest
wie durch Wasser und strecktest
mir eine Mohnblume entgegen,
gepresst von der Schwere der Seiten
des Buches, in dem sie gelegen:
Die Mythen, die wir gelesen.
Die Mythen, in die wir uns gerettet.
Ich pflückte den Mohn aus deinen Fingern.
Du batest mich, auf dich zu warten.
Hypnos schüttelte meine Hand
und bereitete die Narkose.
Am nächtlichen Körper leuchteten
Skalpelle. Gedanken schweiften: Was
träumtest du unter den Messern? Wohin
reisten wir ein letztes Mal?
Ich wartete am Fluss im Park,
der Schatten der Blume wanderte
und löste sich auf mit den Stunden.
Das erste Gedicht aus dem Zyklus „Die Götter der Träume” widmet sich einem wahrhaftig großen Thema: Krankheit und (wie wir später erfahren werden) Tod eines nahestehenden Menschen, eine Abschiedsszene, die Sorge und Trauer des Zurückbleibenden lassen sicher niemanden unberührt. Aber berührt uns hier nicht vielmehr die Erinnerung an eine solche Szene oder unsere eigene Imagination als das Gedicht, das an dem scheitert, was man das Kitsch-Dilemma nennen könnte? Denn der Versuch, einen solchen flüchtigen Augenblick mit den Mitteln der Kunst festzuhalten und anderen mitzuteilen, birgt immer das Risiko, sich nicht deutlich genug auszudrücken und statt zu berühren nur zu befremden. Krause scheut dieses Risiko und greift zu dem naheliegenden Mittel, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu beschränken: Ein Schlauch im Körper, Maschinen, ein Anästhesist — sicher würde eine Mehrheit von Befragten genau diese Elemente als erwartbare Zutaten einer Krankenhausszene nennen. Ebenso die Bitte „auf dich zu warten”, dann — Schnitt — das Ich wartend „am Fluss im Park” — Schnitt — ein wandernder Schatten, Nacht bricht herein: Man fühlt sich in die Regieanweisungen für eine Soap-Opera versetzt; statt zur Allgemeingültigkeit erhoben wird die Situation zum Allgemeinplatz verflacht. Um dem gegenzusteuern, fügt Krause nun allerlei poetisches Beiwerk hinzu: „Schwere”, „Mythen”, „eine Mohnblume”, „Hypnos”. Allein auch diese Zutaten verleihen dem Gedicht keine Authentizität und Kontur, die Mohnblume, die doch so viele Assoziationsmöglichkeiten von bildlichen Darstellungen des Schlafes bis hin zu Paul Celan böte, bleibt flach als hinge sie als billiger Kunstdruck im Krankenzimmer. Hypnos, bei dessen Erwähnung wir an das elfte Buch von Ovids Metamorphosen denken könnten oder an René Chars gleichnamigen Zyklus von Prosagedichten, bleibt ein Namensschild am Kittel des Anästhesisten; auch die „Poetisierung” der Sprache („...Seiten / des Buches, in dem sie gelegen: / Die Mythen, die wir gelesen.”) stellt die Ergriffenheit, die hier behauptet wird, nicht wirklich dar, Allgemeinplätze lassen sich durch das Aufkleben von Etiketten eben nicht nachhaltig aufwerten.
Immer wieder finden sich in Krauses Gedichten solche Allgemeinplätze, „Bäume im Garten”, „Bäume am Fluss”, Gras, in dem „du schliefst”, „wir träumten” oder damals lagen, „lange Gespräche mit Freunden”, Regen zeigt sich in Tropfen an der Scheibe oder klopft auf die Dachziegel; es gibt sogar „ein zerwühltes Bett” und „zwei warme Körper im Dunkeln”, Chiffren, die sich beliebig von einem Gedicht ins andere transportieren ließen, wie die flache Linie des Herzmonitors als Chiffre für den Tod (wieder wie aus einem Seifenoperndrehbuch), die dann auch gleich zweimal bemüht wird wie das Schreiben ins Wasser auch.
Und immer wieder wird der Versuch unternommen, den Gedichten poetisierende Etiketten aufzukleben, sei es, dass man lauscht statt hört, oder dass, sehr oft, die passende Musik eingespielt wird („...einen Mittelwellensender. / Der spielte stundenlang John Cage...”, „Das Radio spielte / Bill Evans’ Days of wine and roses ...”, „Novembermorje von Bap löst sich auf...”, „... zum Raunen eines Cellos...”).
Auch formal scheuen Krauses Gedichte das Risiko. In Zeilen gebrochene Prosa, gelegentliche Binnenreime und ab und an Wiederholungsfiguren, etwa gleich im ersten Gedicht, in dem das sich wiederholende „Es gibt nicht...” vielleicht Inger Christensens „Alfabet” geschuldet ist oder in dem mantraartigen „Novemberregen”, der sich durch die zweite Hälfte des Novemberliedes zieht.
Um es mit einem Bild zu versuchen: David Krause handelt wie ein Koch, der seinen Gästen statt eines Essens eine Speisekarte mit den Namen beliebter Gerichte vorsetzt: Er vermeidet dabei jedes Risiko, sich in die Finger zu schneiden oder etwas anbrennen zu lassen; allein satt wird davon niemand, und es gibt auch keinen neuen Geschmack zu entdecken.
David Krause: Die Umschreibung des Flusses. Gedichte. Leipzig (poetenladen - der Verlag) 2016. 80 Seiten. 17,80 Euro.