David Helbock: Random/Control feat. Fola Dada
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Dietmar Ebert
David Helbock’s Random/Control feat. Fola Dada. Studio Live Session. Eschen, Liechtenstein (Little Big Session) 2025. 47:21 Minuten. 45,00 Euro.
Musikalische Verschmelzung von Lyrik und Jazz setzt ungeheure Energien frei - David Helbocks Album RANDOM/CONTROL FEAT. FOLA DADA
Der österreichische Jazzpianist David Helbock feierte im Januar 2024 im Wiener Jazzclub Porgy & Bess seinen 40. Geburtstag. Bei dem dreitägigen Festival war sein Trio Random/Control dabei, mit dem er seit mehr als 15 Jahren hunderte von Konzerten auf der ganzen Welt gab. Random/Control, das sind, neben David Helbock am Piano, Andreas Broger und Johannes Bär. Andreas Broger spielt Klarinette, Bassklarinette, verschiedene Saxophone und Flöten. Johannes Bär beindruckt durch sein Spiel auf Sousaphon, Tuba, Posaune, Trompete, Alphorn, und weil ihm das nicht genug ist, ist er manchmal zugleich an Schlagzeug oder Beatbox zu hören. David Helbocks Trio Random/Contol hat in den Jahren seines Bestehens drei Alben eingespielt: Random/Control (2010), Think of Two (2014) und Tour d’Horizon (2018).
Für sein Geburtstagsfestival hatte sich David Helbock etwas Besonderes ausgedacht. Da er schon immer eine starke Affinität zur Lyrik hatte, suchte er Gedichte aus, die ihm besonders nahe stehen und vertonte sie. Treffen wie bei ihm und Random/Control Lyrik und Jazz aufeinander, so wird ein hohes Maß an Energie freigesetzt, die sich auf das Publikum in Jazzclubs überträgt. Nun brauchte es noch eine Singstimme. David Helbock hatte das Glück, mit Fola Dada eine Künstlerin zu gewinnen, die als Jazz- und Popsängerin über eine außergewöhnliche Stimme verfügt, als Liedtexterin ein feines Gespür für Poesie hat und durch ihre Ausbildung in Stepptanz und Jazz Dance in der Lage ist, seine Jazzkompositionen mit dem Trio Random/Control phantastisch zu performen. So entstand 2024 als Studio-Live-Session das Album David Helbock’s Random/Control FEAT. FOLA DADA. Mit ihrem Programm sind Fola Dada und Random/Control 2025 in angesagten Clubs innerhalb Deutschlands, Österreichs und der Schweiz auf Tour. Es ist geradezu atemberaubend, wie fein und differenziert Fola Dada die poetische Substanz der Gedichtvertonungen David Helbocks manchmal zart, dann wieder kräftig, aber stets rhythmisch akzentuiert mit ihrer Stimme Ausdruck verleiht und wie Gesang und Tanz zu einer Performance verschmelzen. Ihre Gesang-Tanz-Performance verbindet sich immer wieder mit rasanten Soli, die David Helbock am Piano mit großer Intensität spielt, dann wieder umspielen Andreas Broger und Johannes Bär ihren Gesang, manchmal sogar jeder von ihnen mit zwei Instrumenten. Ihre fein abgestimmten Zuspiele treiben die Jazzsängerin und alle drei Instrumentalisten voran, und es entsteht ein energiegeladener, klangfarbenreicher Sound.
Zumeist ist David Helbock von einem Gedicht so fasziniert, dass er es vertonen muss. Manchmal ist es aber auch umgekehrt. So suchte er für eine Komposition ein Gedicht und fand Sarojini Naidus Song of a dream. Sarojini Naidu (1879 – 1949) war eine indische Politikerin und Dichterin. Als enge Vertraute von Mahatma Gandhi wurde sie zu einer Schlüsselfigur der indischen Unabhängigkeitsbewegung. Sie war nach der Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien die erste Gouverneurin eines indischen Bundesstaates (Uttar Pradesh). Ihr Gedicht Song of a dream wurde erstmals 1905 veröffentlicht.
Die
erste Strophe des Gedichts lautet:
Once in the dream of a night I stoodLone in the light of a magical wood,Soul-deep in visions that poppy-like sprang;And spirits of Truth were the birds that sang,And spirits of Love were the stars that glowed,And spirits of Peace were the streams that flowedIn that magical wood in the land of sleep.
Fola
Dada singt diese liedhaft anmutende Komposition mit großer Ruhe, und David
Helbock, Andreas Broger und Johannes Bär lassen einen magischen Wald mit
singenden Vögeln, leuchtenden Sternen und fließenden Bächen entstehen. Sie
entführen uns in eine magische Traumwelt, in der Poesie und Musik eins werden.
Ganz
anders klingt die Vertonung von Erich Frieds 1967 entstandenem Gedicht Freiheit:
FreiheitZu sagenhier herrscht Freiheitist immer ein Irrtumoder eine Lüge:Freiheitherrscht nicht.

David
Helbock beginnt mit rhythmisch stark akzentuierten Staccato-Akkorden auf dem
Klavier und Johannes Bär unterstützt ihn durch geflüsterte, klopfartige Geräusche. Beide geben den Rhythmus vor, und
nun singt Fola Dada Erich Frieds „Spruchgedicht“ mehrfach in unterschiedlichen
Stimmlagen. Sie steigert ihren Gesang, der, immer wilder werdend, in Dialog mit
Andreas Brogers Saxophon-Spiel tritt. Und wieder entsteht ein
magisch-utopischer Moment. Die Freiheit beginnt zu tanzen.
David
Helbock ließ sich von sehr unterschiedlichen Dichterinnen und Dichtern des 19.
und 20. Jahrhunderts inspirieren, immer ist es die poetische Substanz eines
Gedichts, die ihn zum Komponieren anregt. So auch bei Tell all the truth but tell it slant der bedeutenden
US-amerikanischen Dichterin Emily Dickinson (1830-1886). Emily Dickinson lebte
zurückgezogen, und ihre Gedichte erschienen erst postum. Durch ihre
Imaginationskraft vermochte sie es, die „kleine Welt“, in der sie lebte, zu
weiten und zu füllen. Die Form ihrer Gedichte weist bereits auf das 20.
Jahrhundert voraus, ihre Gedichte, auch Tell
all the truth but tell it slant, haben etwas Epigrammatisches, das dem
Jazzgesang einen großen Freiraum bietet:
Tell all the truth but tell it slantTell all the truth but tell it slant -Succes in Circuit liesToo bright for our infirm DelightThe Truth’s superb surpriseAs Ligthning to the Children easedWith explanation kindThe Truth must dazzle graduallyOr every man be blind –
In
seiner Vertonung beginnt David Helbock mit hohen, glitzernden Tönen,
danach sorgt er gemeinsam mit Andreas
Broger und Johannes Bär für einen wunderbar groovenden Sound. Jetzt singt Fola
Dada die Vertonung von Emily Dickinsons Gedicht, dass man immer die Wahrheit
sagen müsse, aber eben wohl dosiert, denn würde man die Wahrheit direkt und in
ihrer ganzen Fülle stets sagen, es wäre nicht auszuhalten, und jeder würde
blind. Nun ereignet sich das Großartige: Fola Dada steigert und erdet den Sound
von Random/Control, in dem sie Vokalise an Vokalise reiht, der Wahrheit, wohl
dosiert, allein mit den Mitteln der Stimme Ausdruck verleiht und somit dem Wort
eine weitere Dimension hinzufügt. Erst danach singt sie die Verse Emily
Dickinsons ein zweites Mal. Der Song endet, wie er begann: Mit hohen Tönen auf
dem Piano.
Besonders
nahe steht David Helbock der englische Dichter William Blake (1757-1827). Er
schätzt seine mystisch-visionären Gedichte und hat für sein neues Album Infant Joy vertont.
Infant JoyI have no nameI am but two days old –What shall I call thee?I happy amJoy is my name, -Sweet joy befall thee!Pretty joy!Sweet joy but two days old,Sweet joy I call thee;Thou dost smile,I sing the whileSweet joy befall thee.
Die
Vertonung von William Blakes berühmtem Gedicht beginnt verhalten mit leisen
Piano-Klängen. Bisweilen werden die Seiten des Klaviers gezupft.
Saxophon-Klänge und der ruhige Gesang Fola Dadas erzeugen eine nachdenkliche
Stimmung, ehe die Anrufung der „kindlichen Freude“ in instrumentaler Ekstase kulminiert. Jazzend
wird die „kindliche Freude“ gefeiert und „vergrößert“. Am Ende verklingt
„Infant Joy“ mit leisen Staccato-Akkorden, gleichsam klopfenden Geräuschen, die
David Helbock wie „nebenbei“ auf seinem „Chaospad“ erzeugt.
„Infant
Joy“ kontrastiert mit dem Song Digital
Utopia. Der Text dieses Songs stammt von Fola Dada und basiert auf einem
Gedicht von Charlotte Forten Grimké (1837-1914). Sie war eine afroamerikanische
Abolitionistin, Dichterin und Pädagogin. Jahrelang unterrichtete sie die freigelassenen,
ehemaligen Slaven in South Carolina. Vor allem ihre Tagebücher, die sie vor dem
Ende des Bürgerkrieges schrieb, wurden im 20. Jahrhundert mehrfach aufgelegt,
enthalten sie doch wichtige Aufzeichnungen über das Leben einer freien,
schwarzen Frau im Norden der USA vor dem 1. Weltkrieg.
In Digital Utopia setzt Fola Dada alle
Nuancen und Facetten ihrer Stimme ein, verleiht ihrem Gesang ein Höchstmaß an
Ausdruckskraft und einen kräftigen Schuss Zeitkritik, lässt sich dann ganz in
den Rhythmus fallen und bietet wenig später David Helbock Raum für dessen
Klavierkaskaden, die sich mit Andreas Brogers Saxophon-Soli und Johannes Bärs Zuspielen
am tiefen Blech zu einem Sound vereinen, in dem sich Zufälliges und
Kontrolliertes interessant vermischen.
David
Helbock hat einmal gesagt, Musik beginne da, wo Worte enden. Für Manches gibt
es keine Worte. Das Wort versagt. In diesem Sinne ist David Helbocks Hymn for Sophie Scholl ein „Lied ohne Worte“. Es ist voller Trauer und
Melancholie. Nach einer innig-verhaltenen Introduktion nimmt Fola Dada die
Stimmung auf und singt traurig-leise Vokalisen. Wie Fola Dada und David Helbock
den Hymn for Sophie Scholl interpretieren – ist ergreifend und ein
stiller Moment, der zeigt, was Klavier und Gesangsstimme auch ohne Worte
auszudrücken vermögen.
Alle
anderen Kompositionen David Helbocks auf seinem neuen Album zeigen, welche
Energie freigesetzt wird, wenn Gedichte mit Jazz-Musik verschmelzen und fast
zwanzig Instrumente zum Einsatz kommen. Es ist Fola Dada, die mit ihrer Stimme,
der nichts unmöglich scheint, die Gedichtvertonungen hinreißend singt. Sofort
wird spürbar, dass die Gedichte von Sarojini Naidu, Emily Dickinson, Erich
Fried, William Blake und Charlotte Forten Grimké eine neue, eine musikalische
Gestalt annehmen, die viel mit David Helbock und seinem Trio Random/Control,
aber auch mit uns Zuhörenden zu tun hat. Mit ihrer Art zu jazzen spannt
Random/Control den Bogen von der Entstehungszeit der Gedichte ins „Hier und
Jetzt“, und Fola Dada gelingt es mit ihrer phantastischen Gesangs- und
Tanzperformance, die Gedichtvertonungen in der Gegenwart zu verorten. Durch
ihren Gesang und Tanz, durch David Helbocks Klavierspiel und seine
Geräuschimaginationen, durch Andreas Brogers intensives Spiel auf Klarinette,
Bassklarinette, Sopran- und Baritonsaxophon und Johannes Bärs facettenreiche
Soli auf der Tuba, den Posaunen, der Trompete, dem Sousaphon, dem Alphorn und
am Schlagzeug erzeugen sie im ständigen Miteinander einen mitreißenden Drive,
der einen als Hörer in die Kompositionen regelrecht „hineinzieht“, und wenn sie
1999 von Prince anstimmen, dann
wünscht man sich, es möge nie aufhören.
Dietmar
Ebert - April 2025